Der Tod der Barmekiden

Paul Scheerbart

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Der Tod der Barmekiden

Arabischer Haremsroman

 


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Inhalt

DER GROSSE CHALIF
Die eitle Mutter 
Die verbotene Liebe 
Thränen der Verzückung
Die Feueranbeter  
Der Treubruch
Der Harmlose 
Die Gemahlin! 
Das Wiedersehen
Die Gemahlin!
Die Herren Söhne
Die Sklavin
Die Angst
Das Kind
Der Verrath
Das Entsetzliche
Die Raserei
Das wilde Thier
Blut! Blut!
Rache! Rache!
Nieder!
Die Einsamkeit
Der ewige Jammer


Der Orient ist gross.

Und die Geister des Orients sind auch gross. Wenn’s Neumond ist, versammeln sie sich auf dem Demawand und benehmen sich da sehr laut —  sehr laut.

Die Dschinnen kreischen und quieken. Die Drachen fauchen und grunzen. Die Feeen zischen und quarren. Die Zwerge husten und prusten. Die bösen Gespenster braaschen und plärren. Die starken Narren prügeln sich. Und die grossen Götter schleudern mächtige Felsblöcke in die dunklen Thäler hinab, dass Alles kracht.

Auf dem Demawand heult’s, brummt’s, knistert’s. Die harten Berge knarren, knacken, bersten.

Die Unsichtbaren jammern jubelnd, zerstampfen und zerscharren die Steine, sausen sich verschnaufend vorüber —  und stöhnen wie aus weiter Ferne.

Alte Graubärte halten lange lange Reden.

Und dazwischen donnert’s, dass das ganze Gebirge platzt. Gleich danach klingen von unten herauf helle feine Glocken —  die guten Geister flüstern und singen dazu.

Und dann schreien plötzlich Alle durcheinander.

Wüster Lärm! Wüster Lärm!

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Und mittendrinn in diesem grossen Wirrwarr sitzt der grosse Riese Raifu.

Raifu schweigt.

Wildzerzauste brandrothe Haare umflattern sein hässliches gelbes Gesicht.

Im schneeweissen Mantel, der tausend Farsangen lang ist und furchtbar breit, sitzt er da —  wie ein weisser Riesengletscher.

Sein wilder rother Bart weht seitwärts tief in ein dunkles Thal hinab.

Und zwölf schwarzgekleidete Zaubrer umwandeln das Riesenhaupt in Augenhöhe.

Die Zwölf sehen so winzig klein aus —  sie tragen schwere eiserne Zauberstäbe auf den breiten Schultern. Die Schwarzgekleideten schreiten durch die Luft in gleichmässigem Schritt; und wer am linken Ohre des Riesen vorbeikommt, der schreit da was hinein.

Und Jeder schreit dasselbe.

Jeder schreit:

»Herr, lass die Löwen hier!«

Doch des Riesen Stirn wird immer finstrer, mächtige Furchen graben sich hinein; und dabei verzerrt sich der untere Theil des Gesichtes, als wenn’s lachen wollte.

Und grimmig grinsend spricht der grosse Riese:

»Nein! meine fünf Löwen sollen nun grade mitkommen. Meine fünf Löwen sind verbissene Kröten, aber sie können lachen; und mir thut es so wohl, wenn ich verbissene Kröten kräftig lachen höre. Es bleibt dabei: sie kommen mit!«

Nach diesen Worten erheben die fünf Löwen ein so fürchterliches Freudengebrüll, dass das ganze Himmelsgewölbe zittert —  dass sogar die alten Sterne zu schwanken beginnen.

Die fünf Löwen sind natürlich keine gewöhnlichen Löwen; das Gewöhnliche liebt der Riese Raifu ganz und gar nicht. Die Fünf sind hellblaue Löwen —  leuchtende Löwen!

Sie erleuchten den ganzen Demawand —  wie lebendige Laternen.

Ihr Licht leuchtet wie das Geisterlicht des Blitzes —  blitzblau!

Die Fünf sind auch Geister —  Söhne des Geisterblitzes! Jeder von den Söhnen ist so gross wie vierzig dicke Elephanten zusammen.

Die Blitzblauen stehen auf fünf spitzen Bergkegeln und brüllen —  und ihr Brüllen donnert —  und dieser Donner ist ein Lachen —  ein märchenhaftes Lachen der Tollheit. Und sie knallen dazu mit den Schwänzen.

Das andre Geistervolk des Demawands verstummt vor diesem grossen Gelächter und vor diesem grossen Geknall.

Die zwölf Zaubrer umwandeln nicht mehr des Riesen Haupt —  sie sitzen jetzt in seinen flatternden brandrothen Locken und halten sich an einzelnen Haaren mit aller Kraft fest —  denn einen Sturmwind haben die Kehlen der Löwen entfesselt; es rauscht in den Tannen, es knistert in Raifu’s Haaren, rollende Steine poltern in die Thäler hinunter.

Die Löwen lachen und knallen, dass es weh thut! Ohrzerreissender Lärm!

Weltradau!

Selbst die wildesten Geister müssen verstummen vor dieser Löwenmusik.

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Doch plötzlich lässt der Raifu seine Stimme hören, und die ist nun mächtiger als Alles.

»Schweigt, Bestien!« ruft der Riese.

Und die blitzblauen Löwen halten sofort das Maul. Der Sturmwind verhallt.

Raifu streichelt seinen Bart, dass der nicht mehr knistert. Es wird ganz still auf dem Demawand —  es wird mäuschenstill.

Auch der Himmel wird still —  die alten Sterne hören auf zu wackeln.

Die Leiber der Löwen leuchten geisterhaft durch die stille Nacht.

Und in diese stille Nacht murmelt Raifu leise seufzend:

»Ja wohl! Ich bin zu gross! Meine Grösse hat an Allem schuld. Ich darf mich garnicht wundern, dass ich nie ein Weib fand, das ich lieben konnte und das mich wiederlieben konnte. So grosse Weiber, wie ich sie brauche, giebt’s ja garnicht. Der dümmste Zwerg findet seine Hexe, aber der arme Raifu findet keine Hexe —  nicht einmal ein Weib. Das ist der Fluch der Grösse. Aechte Riesen sehnten sich wohl nach der Liebe zu allen Zeiten vergeblich. Aber die verfluchten Europäer —  die sollen’s büssen. Ich will ihnen ein Schauspiel aufführen, das ihnen die Liebe für ewig vergällen soll. Heda! Ist Alles fertig? Zaubrer, sagt mir: ist Alles fertig? Kann das Spiel beginnen? Sprecht zu mir!«

Und behende springen die Zaubrer aus den rothen Locken heraus und umwandeln wieder das Riesenhaupt wie vorhin —  in Augenhöhe —  in gleichmässigem Schritt.

Wieder umschreien sie das linke Riesenohr.

Und dann erhebt sich der grosse Raifu und steigt vom Berge herunter in Persien hinein.

Die Löwen springen in Riesensätzen voran, und das ganze Geistervolk des Demawands folgt im wilden Wirbel wie eine Windhose —  wie eine Geisterhose.

Und während die Zaubrer eifrig Raifu’s Haupt umwandeln, geht’s hinunter ins alte Syrerland.

Dort sitzen schon die Europäer und harren des grossen Geisterschauspiels, das Raifu ihnen versprochen hat.

Die Europäer, die wohl wissen, dass die Geister ganz vortrefflich spielen können, sitzen auf der Westseite des Syrerlandes —  erwartungsvoll.

Gegen Osten wird ihnen vorläufig noch die Aussicht versperrt durch einen grossen grauen Vorhang, hinter dem jetzt Raifu mit seinen Geistern verschwindet.

Die Europäer sitzen da —  mit klopfendem Herzen.

Die hellblauen Löwen gehen würdevoll vor dem grauen Vorhang auf und ab —  und leuchten.

Die Europäer knittern ängstlich mit den grossen Theaterzetteln.

Und dann erscheint Raifu’s Kopf mit den Zaubrern im Haar oben über dem grauen Vorhang und ruft laut:

»Löwen, reisst den Vorhang entzwei!«

Die Hellblauen packen hurtig —  blitzschnell mit Tatz und Zahn in das graue Tuch und reissen’s knurrend nach Norden und Süden auseinander, dass der Osten ganz frei daliegt.

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Die erste Nummer beginnt:


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