Der Tod der Barmekiden

Das Entsetzliche

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Der Palmenhain bei Mekka!

Der kleine Jussuf jagt die kleinen Ziegen, dass die sich kaum zu retten wissen. Die armen Thierchen!

Links glänzen wieder die Kuppeln und Minarets der heiligen Stadt. Rechts wird die Kiepenfrau von den Henkersknechten Haruns verhaftet.

»Ach mein gutes Gottchen,« ruft die Alte wimmernd, »ich hab‘ doch Nichts gethan. Der ungezogene Junge! Nun kommt auch noch so was. Ich weiss nicht, von wo das Kind her ist. Ich weiss von Garnichts. Ich bin unschuldig. Ich bin eine arme alte Frau, die vom Kiepenmachen lebt. Ach Du, mein gutes liebes Gottchen, hilf mir doch. Ich hab doch Nichts gethan.«

Während dieser Rede wird sie mit starken eisernen Ketten gefesselt und abgeführt. Die alte Frau wimmert und weint schrecklich. Man hört noch, wie sie auf den Jussuf schimpft: »Dieser ungezogene Bengel – meine kleinen Ziegen hat er fast zu Tode gehetzt. Und nun werd‘ ich dafür bestraft. Ach, Du gutes Gottchen!«

Ein baumlanger Knecht mit rothem Turban, Tigerfell um die Lenden – sonst nackt – bleibt vorn ganz allein hinter einem Palmenstamm und beobachtet den kleinen Jussuf, der die kleinen Ziegen ruhig weiter hetzt. Nach einer Weile hebt der schwarzbraune Knecht seinen krummen Säbel empor und lässt ihn über seinem Kopfe funkeln.

Und Harun erscheint in hellblau und schwarz gestreiftem Beduinengewande; er winkt dem Knecht, dass der den Säbel sinken lässt, und greift sich den Jussuf.

»Das ist er!« ruft der Knecht.

Harun packt den Knaben mit der Rechten am Genick und nähert ihn langsam seinem Gesicht und sagt nach einer Weile zitternd ebenfalls: »Das ist er!«

Der kleine Jussuf strampelt mit den Beinen und schreit wüthend: »Was willst Du, dummer Mensch?«

Harun schüttelt den Jungen in der rechten Faust und stösst ihm mit den Knöcheln der linken so furchtbar ins Gesicht, dass dem armen Kinde das Blut aus Nase, Mund und Augen quillt.

Dann fasst der Wütherich dem Kinde an beide Ohren und reisst sie ihm mit einem Ruck vom Kopf ab, dass der verstümmelte Kleine mit grässlichem Gekreisch zu Boden fällt.

Harun brüllt wie ein Stier und reisst den Knaben an einem Bein empor und schwingt ihn in der Luft herum und umklammert dann das Bein mit beiden Händen und haut mit dem Körper auf einen Palmenstamm los, als hätt‘ der Grausame eine Axt in den Händen. Er schlägt so mit dem Kinde zehn Mal auf den Stamm los, dass der kleine Kopf abfällt und Harun mit dem Rumpfe hinstürzt.

Der Knecht sinkt auf die Kniee und betet.

Harun aber springt wieder auf und brüllt:

»Masrar! Masrar! Masrar!«

Der Henker kommt mit seinen Knechten, und Alle fallen vor dem Gewaltigen auf die Kniee und beugen das Haupt; Jeder zittert und bebt.

Nur Masrar bewahrt seine Ruhe, denn er ist der stärkste Riese im ganzen arabischen Reiche und dem ungeheuren Weltherrscher an Grösse und Kraft ebenbürtig.

Harun spricht kalt:

»Jener Sklave dort – der mit dem rothen Turban und dem Tigerfell – hat hier gegen meinen Willen ein kleines Kind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und totgeschlagen. Ich kam leider zu spät und konnte dem Wütherich nicht mehr in die Arme fallen; er hatte sein Werk schon vollbracht. Masrar, trenn dem Vieh das Haupt vom Rumpfe! Ihr Andern aber, Ihr vergrabt das Kind dort hinter der Lehmhütte – da drüben liegt des Kindes Kopf – hier sind seine Ohren!«

Harun schwankt und fällt schwer gegen den blutigen Palmenstamm. Die Henkersknechte tragen das zerstümmelte Kind fort, und Masrar haut mit einem Hiebe dem Sklaven mit dem rothen Turban und dem Tigerfell den Kopf ab.

Der Chalif sinkt ohnmächtig nieder.

Die beiden kleinen Ziegen kommen herbei und beschnuppern den ohnmächtigen Fürsten und lecken ihm das Blut von den Händen.

Wie der Chalif erwacht und das sieht, befiehlt er, die beiden Thiere sofort zu schlachten, er will das Blut der Ziegen mit starkem Wein vermischt trinken.

Die Knechte beeilen sich, den Befehl zu erfüllen.

Wieder röthet die Abendsonne die Kuppeln und Minarets von Mekka. Die Palmen rauschen leise. Und kleine bunte Vögel schwirren vorüber, sie zwitschern munter und machen einen grossen Lärm.

Harun sieht zu Masrars Füssen den Kopf des unvorsichtigen Sklaven und befiehlt, den Kopf wegzubringen – auch den Rumpf sollen die andern Knechte wegbringen.

Es geschieht Alles, was der Allmächtige befiehlt. Er liegt aber noch immer an der Erde. Masrar steht neben ihm auf sein blutiges Schwert gestützt in seinem blutrothen Mantel, starrt seinem Herrn unverwandt ins Gesicht und bewegt sich nicht.

Die Sklaven bringen den Blutwein in einer irdenen Kanne und füllen den Trank in einen silbernen Reisebecher.

Harun trinkt.

Und plötzlich wird Alles so hell, es wird Alles so weiss glänzend, dass die Europäer die Augen schliessen müssen – so hell ist der Glanz!

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Selbst die Löwen müssen sich abwenden.

Auch sie können die weisse blendende Helligkeit nicht ertragen – die ist so hell wie die grosse Sonne um die Mittagszeit.

Aber die Löwen lassen sich’s nicht gefallen, dass die Europäer ihnen die Hinterköpfe zudrehen.

Pix bemerkt empört:

»Nun thut nur nicht so, als wenn Euch die Sache allzusehr an die Nieren ginge. Dreht Euch wieder um und haltet die Hand vor die Augen, dann werdet Ihr besser hören, was wir Euch noch zum hundertsten Male wieder von Neuem auseinandersetzen müssen. Dadurch, dass Ihr dripsnäsig seid, bessert Ihr Nichts.«

Und Knaff fügt heftig hinzu:

»Ihr braucht Euch mit Eurer Gerührtheit und Eurem moralischen Widerwillen nicht dicke zu thun. Wir sind zwar sehr kalte Kerle, haben kein Gemüth wie die Menschen – aber ›gut‹ sind wir im Grunde unsres Löwenherzens doch – wir sind nur grösser als Ihr.«

»Dass wir grösser sind als Ihr,« sagt Frimm, »hat Euch wohl schon der Augenschein gelehrt. Ihr thut nur manchmal so, als wenn Ihr nicht deutsch verstündet. Das ist keine vornehme Art! Ihr versteht die deutsche Sprache ganz gut, denn sie ist die herrschende Sprache Europas. Ihr werdet noch so lange machen, bis wir Euch sammt und sonders mal gehörig vertobacken.«

Olli meint, dass die Europäer nach all der vielen Löwenweisheit jetzt wohl so scharfsinnig sein könnten, sich das übrige Alles selber zu sagen. Doch seine Brüder streiten den Europäern jede Art von Scharfsinn ab. Und somit lassen denn die Löwen auch jetzt wieder ihre weisen und belehrenden Bemerkungen in der gewohnten Weise vom Stapel.

Pix: Ich bemerke also noch einmal: die Europäer sollen durch Raifu’s Schauspiel erschreckt werden. Sie sollen merken, wohin die freie Liebe führt – in den gemeinsten Mord und Totschlag hinein.

Plusa: Aber Kinder, Ihr dürft doch nicht verlangen, dass jeder Europäer so schlau ist wie Ihr! So was dürft Ihr doch nicht machen.

Olli: Europäer, Ihr braucht nicht das, was wir sagen, so einfach wörtlich hinzunehmen. Denkt über unsre Worte zu Hause gründlich nach – notirt Euch auch was! Ihr könnt immer nicht wissen, ob Ihr unsre Worte nicht gelegentlich gebrauchen könntet. Die Ereignisse werden Euch sicherlich mal zu energischem Handeln zwingen – und dabei ist ein weises Wort oft wichtiger als Pulver und Blei. Zum blossen Spass reden wir nicht, aber auch nicht, um blos ehrpusselig zu thun. Immer nachdenken!

Knaff: Hast Du Dich nun endlich ausgequasselt? Allah sei Dank! Europäer, ich sag‘ Euch blos das Eine: Die Monogamie ist einfach eine Schamlosigkeit.

Frimm: Jawohl, Europäer, Ihr solltet dem grossen Propheten von Mekka mit mehr Ehrfurcht entgegenkommen, denn er hat den Werth des Harems in der nachdrücklichsten Weise aller Welt verkündet. Ehre seinem heiligen Namen! Im Harem werden ja eigentlich alle Weiber zu gefügigen Huris, den ewigen Idealgestalten des göttlichsten aller Propheten.

Plusa: Stimmt Alles! Im Harem wird das anreizende Feuer der Eifersucht allein von den Weibern unter einander geschürt. Die Eifersucht braucht nicht mehr wie bei Euch in Europa von den Männern unter einander erweckt zu werden. Die ganze Liebesmüh und auch das ganze Liebesglück fällt im Harem allein den Frauen zu, die doch für diese beiden Angelegenheiten das grösste Verständnis besitzen.

Pix: Ich fürchte, die Europäer werden Dir das kleinste Verständnis entgegenbringen.

Olli: Wir sehen namentlich in der gebildeten Frau, die ekelhafte Männer ›interessant‹ zu nennen belieben, eine öffentliche Gefahr, die nicht unterschätzt werden soll. Aber unsre Rede ist nicht blos eine Rede für die ›ungebildete‹ Frau.

Frimm: Ihr müsst Euer sexuales Leben eben ›vornehmer‹ gestalten.

Knaff: Es ist bald nicht mehr vornehm genug, vornehm zu sein. Wort ist nur Wort.

Plusa: Knaff ist nur Knaff! Aber Raifu will sich mit Euch zusammen wahrscheinlich einen europäischen Tugendpreis holen.

Ein Donnerschlag erdröhnt oben im Himmel.

Und Raifu’s Stimme brüllt:

»Ruhe!«

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Die achtzehnte Nummer beginnt:

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