Der Tod der Barmekiden

Die Feueranbeter

 

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Nach einer Weile steigen in der schwarzen Finsternis ruhig drei rothe, breite Feuersäulen aus dem Boden heraus. Sie werden zusehends grösser und steigen senkrecht in die Höh. Der Schaft brennt ganz ruhig, nur die dünnen Spitzen wackeln —  wie gegen den Strom schwimmende Aale. Lautlos lodern die steifen majestätischen Flammen in den Nachthimmel.

Die beiden seitlich brennenden Feuersäulen erscheinen breiter und grösser, da sie mehr im Vordergrunde stehen. Das mittlere Feuer brennt hinten, und vor ihm liegt ein grosser runder Opferstein; neben und hinter diesem werden menschliche Gestalten sichtbar.

Persische Priester sind’s. Sie reden viel. Doch was sie reden, hat Nichts zu thun mit den heiligen Flammen. Diese Priester denken an Opfer und Gottesdienst ganz und gar nicht. Über die Zustände in der Chalifenburg reden sie. Auch ein alter Zindyk, ein Gottesleugner, ist unter ihnen —  dem erklären sie flüsternd und mit wichtigen Mienen, wer eigentlich in der Chalifenburg regiert.

»In Bagdad,« sagt der eine Priester unter Anderm, »geht’s am Hofe nicht viel besser zu als an den übrigen Höfen des Orients. Es ist überall derselbe mühselige Kampf. Und es ist natürlich kein offener ehrlicher Kampf. Alle wollen mitregieren. Jeder Beamte der Chalifenburg will mitregieren. Das will sogar jeder Eunuch —  selbst der gemeinste Stallknecht will das. Aber eins ist sicher: nur Wenige haben höhere Ziele im Auge —  die Meisten sind mit ein paar Tausend Dirham vollauf zufrieden. Stopf ihnen das Maul mit Gold, und sie sind für Alles zu haben. Die Barmekiden aber, die es nie vergessen, dass sie Perser sind wie wir, haben augenblicklich die grösste Macht in ihren Händen —  das glaub nur!«

Ein lautes Gemurmel unterbricht das Gespräch. Dreissig Barmekiden erscheinen neben der hinteren Feuersäule. Sie werden mit Eifer begrüsst. Es sind jüngere und ältere Leute, die zumeist mit den Vezieren verschwägert sind. Fahdl schreitet seinen Verwandten voran. An seiner Hand blitzt des Chalifen grosser Siegelring, der immer noch die grösste Macht in sich birgt.

Man plaudert zunächst sehr lebhaft über die sechs Millionen, die Harun den Sängerinnen an die Köpfe warf. Man schimpft sehr heftig darüber, hält es für unverantwortlich, in den Staatskassen so viel loses Geld aufzubewahren, und wirft der Regierung in verblümter Form grobe Fahrlässigkeit vor.

Fahdl vertheidigt die Verwalter der Staatskassen und bemerkt am Schluss seiner Rede:

»So einfach ist die Regierungskunst nicht zu erlernen. Ihr versteht uns noch nicht. Die lumpigen sechs Millionen Dirham sind nicht der Rede werth. Harun fing wieder die dümmsten Geschichten an: er ärgerte sich, dass seine Befehle nicht so ausgeführt wurden, wie die der Barmekiden. Daher kam uns der Goldregen durchaus nicht ungelegen; er befestigte wieder das Selbstbewusstsein des Chalifen. Die sechs Millionen waren auch sonst noch ganz schön. Ihr wisst doch, dass Haruns Schwester Holagga die Sängerinnen unter sich hat, leitet und schützt. Und Ihr wisst auch, dass die Regierungspartei der Holagga sehr viel zu sagen haben möchte und aussergewöhnlich habgierig ist. Diesem Sängervolk ist nun für längere Zeit das freche Maul gestopft. Ist das nicht ein grosses Glück? Ausserdem ist Harun wieder mal auf andre Gedanken gekommen, was wahrscheinlich  a u ch  nicht schaden kann. Er hat doch immer noch die lächerliche Neigung, bei allen Regierungsgeschäften dreinreden zu wollen. Seine so wenig vornehmen Angewohnheiten müssen durch andre ungefährliche ersetzt werden. Ein Chalif muss die Regierungsgeschäfte einfach vergessen. Das kann schon ein paar Millionen kosten —  viel mehr noch als sechs —  es geht doch nicht anders. Man soll ausserdem den Menschen, die man lenken will, möglichst viele Freiheiten gewähren, damit sie die Lenkstange nicht so bemerken. Jeder Fürst muss sich immer einbilden, dass Alles nach seiner Pfeife tanzt. Er muss sich stets für ganz unabhängig halten. Nur ein Narr, der fest daran glaubt, dass er machen darf, was er will, kann in eine gehorsame Gliederpuppe verwandelt werden.«

Es wird still im Kreise.

Die Priester reichen alten Wein herum.

Fahdl ertheilt viele Aufträge, verbreitet Gerüchte und thut geheimnisvoll, hetzt und verleumdet, schöpft Verdacht gegen die Unschuldigsten, schreibt Haftbefehle und viele andre Befehle aus, horcht immer mit allen Ohren und schwatzt dabei kaltblütig drauf los. Doch er weiss, dass er schwatzt. Er will nur, dass die Andern auch schwatzen, was sie natürlich thun —  und nicht zu knapp. Er lügt und sagt, dass er lügt. Er giebt der Wahrheit öfters einen unglaubwürdigen Anstrich. Er wirft immer mit Absicht Wahres und Falsches durcheinander und sagt, dass er das thut. Er verwirrt und erheitert —  fesselt aber Alle, sodass sie seine Worte nicht vergessen. Er ist sehr lebhaft und sehr aufgeräumt. Der Zindyk ist entzückt von dem Vezier. Man trinkt gemüthlich den alten Wein, sitzt mit untergeschlagenen Beinen auf dem alten Opferstein und ist in so fröhlicher Laune, als wenn man ohne jede Absicht zusammengekommen wäre —  während doch Jeder mit Beharrlichkeit nur seine besonderen Wünsche durchzusetzen sucht.

Die Gesellschaft ist sehr klug —  aber sie betont ihre Klugheit nicht.

Mit dem Zindyk unterhält sich der Vezier ganz besonders und in höflichster Form. Fast vertraulich sagt er:

»Ja, wenn wir unsern Bruder Djafar nicht hätten —  wo wären wir dann? Ein harmloser Bruder ist mehr werth als ein harmloser Freund. Harun hat seinen Narren an dem Djafar gefressen. Von der Heirat hast Du gehört, nicht wahr? Na, Allah sei gelobt! Entschuldige die Redensart! Das Schrecklichste ist nur die unersättliche Habsucht der verschiedenen Parteien —  und dann ihre Verschwendungssucht! Djafar leistet darin auch was Gehöriges. Die Partei der Zobaïda muss jetzt viel schärfer im Auge behalten und überall verdächtigt werden. Zobaïda ist die einzige Frau, die dem Harun zwei Kinder geboren hat, die ohne Weiteres ein Erbrecht besitzen. Ihre beiden Söhne Emin und Mamun sind schöne Pflänzchen —  die haben schon ihren eigenen Anhang, der auch bald wieder unterstützungsbedürftig ist. Diese beiden Prinzen fehlten uns auch grade noch. Dabei soll ein Mensch seine Laune behalten. Vergiss nicht, die Zobaïda zu verdächtigen!«

Der Zindyk will was erwidern, er meint bedächtig:

»Am Hofe sind also Alle einander zu Danke verpflichtet —  und in Folge dessen nur die Undankbaren frei!«

»Hoho!« ruft da der Vezier, »Dankbarkeit ist die alte Münze, mit der immer noch bezahlt werden muss. Fällt es Einem ein, mit dieser Münze nicht herauszurücken, so nimmt man ihm einfach die gelieferten Wohlthaten wieder weg und jagt ihn zum Teufel. Doch entschuldige —  es erscheint der Papa!«

Der alte Jahjah ibn Chalid ibn Barmek naht in der That, und Alles eilt ihm ehrfurchtsvoll entgegen.

Jahjah ist in sehr schlechter verdrossener Gemüthsverfassung.

»Ihr seid ja ausserordentlich vergnügt!« hebt er mürrisch an, »und dabei hat sich der Alide Jahjah ibn Abdallah gegen Harun empört und bedroht ihn mit Waffengewalt. Es kommt wahrscheinlich zum Kriege.«

Alle drängen sich mit grossen Augen in des Alten Nähe, und der fährt barsch fort:

»Wir wollen aber nicht blos  h o f f e n , dass es zum Kriege kommt. Wir wollen thun, was wir können,  d a s s  es so weit kommt. Es ist ein Glück, dass dieser Alide da ist —  den müsst Ihr jetzt ordentlich reizen. Ich hab‘ Euch aufgeschrieben, was Ihr zu thun habt.«

Er giebt Jedem ohne Ausnahme eine kleine Papyrus— Rolle und spricht auf Jeden mit Nachdruck ein.

Jahjah wendet sich, nachdem er die Rollen vertheilt hat, väterlich an seinen Sohn Fahdl, sodass es Alle sehen und hören, mit diesen Worten:

»Fahdl, seien wir glücklich, dass dieser Jahjah ibn Abdallah lebt. Wenn er nicht da wäre, müssten wir einen andern Helden zum Rebellen machen —  was nicht leicht ist, wie Du weisst. Harun muss von Zeit zu Zeit Rebellen bekriegen, sonst ist ihm nicht wohl. Er wird auch durch Djafar und Abbasah viel zu heftig aufgeregt. Kein Mensch kann alle Tage Feste feiern. Jeder Mensch muss sein Steckenpferd haben, auf dem er ausruhen kann. So braucht Harun die Rebellen, Djafar muss die Weiber haben, Fahdl muss Ränke spinnen —  und ich muss meine herrlichen Söhne haben —  muss mich als alter Papa fühlen —  ja! ja! so hat Jeder sein Steckenpferd.«

Fahdl nickt mit dem Kopf und blinkt mit den Augen.

Die Priester und Barmekiden studiren eifrig ihre Papyrus— Rollen; der Zindyk hat auch eine.

Die drei Feuersäulen verkleinern sich währenddem —  und verlöschen plötzlich.

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Wieder stockdunkle Nacht —  in der Nichts zu sehen ist.

Doch wie die kühle Nachtluft auf die Europäer zudringt, entstehen kleine Sonnen in der Finsternis —  die brennen alle.

Die Flammen der brennenden Sonnen schlagen sämmtlich nach links, als wenn der Wind von rechts weht.

Die Flammen lodern wie rothe flackernde Haare.

Riesensterne sind die Sonnen, die da flackernd im Nachthimmel brennen.

Die Europäer fragen sich, ob Freudenfeuer oder Kriegsfackeln den Brand entzündet haben. Zuletzt meinen sie, es seien die heiligen Riesenflammen ferner Feueranbeter.

Die Europäer sprechen aber ihre Gedanken nicht laut aus; es ist so unheimlich still in dem feurigen Himmel, dass das Wort auf der Lippe stirbt.

Der Sonnenbrand bringt keinen Ton hervor, knistert nicht mal.

Es ist so grabesstill im ganzen All wie nachts in der kalten Moschee.

Eine Welt voll Feuer —  und doch —  eine schweigende Welt.

*

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Die Stimme der Löwen tönt, als sie wieder mit ihren Reden loslegen, ungemein laut.

Pix, der gemüthliche Dicke, sagt, indem er die Europäer aufmerksam mustert:

»Das nennt man ein Kapitel aus der höheren Politik! Ihr scheint dafür sehr viel Verständnis zu haben. Man merkt, dass Ihr Eure papiernen Zeitungen mit Aufmerksamkeit zu lesen pflegt. Eigentlich könntet Ihr in Europa was Besseres lesen —  aber Ihr werdet ja niemals klug werden. Ihr benehmt Euch immerhin so anständig, dass Ihr ruhig mit einander sprechen dürft. Ihr könnt uns auch gelegentlich Etwas fragen, wenn Ihr Etwas nicht verstehen solltet.«

Pix stochert sich nach dieser Rede mit der Lanze eines alten Syrers in den Zähnen herum. Pixens Brüder reinigen sich mit Schinkenmessern die Krallen.

Die Europäer flüstern sich gegenseitig was zu. Es wagt aber Keiner, sich jetzt schon mit einer Frage an die Löwen zu wenden; die Löwen warten darauf vergeblich.

Die brennenden Sonnen verlöschen allmählich —  einzeln —  langsam —  nie zwei auf ein Mal.

Die Löwen putzen sich die Krallen.

Die Europäer flüstern.

Es wird wieder ganz dunkel.

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Die siebente Nummer beginnt:


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