Der Tod der Barmekiden

Der Treubruch

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Oben wird’s heller. Unten werden Blätterschatten sichtbar; dunkle Palmen recken sich in einen Himmel, der immer heller wird. In der Mitte wächst ein altes Gemäuer aus dem Boden heraus —  mit einem viereckigen Thurm.

Und Alles wird immer deutlicher; Mondlicht dringt überall durch —  das wird immer stärker.

Bald steht der viereckige Thurm im grellsten Mondlicht da —  doch der Mond selbst ist nicht zu sehn.

Das Mondlicht macht die Blätter der Palmen flimmernd und hell glänzend.

Oben auf dem Thurm reckt sich langsam ein Weib in die Höhe —  es ist die Abbasah. Neben ihr kommt der Djafar zum Vorschein. Des Chalifen Schwester wird von dem Barmekiden auf die Stirn geküsst und sanft gestreichelt.

Sie blicken dann lange Arm in Arm in die Mondespracht und lassen sich dann los und athmen tief auf, als wären schwer lastende Ketten ihnen abgenommen; lautlos recken sie die Arme und die Hände hoch auf, als fühlten sie sich zum ersten Male —  fessellos.

»Jetzt bin ich frei!« schreit die Abbasah.

»Du bist sehr drollig!« sagt leise der Barmekide. Und er küsst ihr lächelnd beide Hände. Doch die schöne Frau wird sehr ärgerlich.

»Wie?« zischt sie, »drollig bin ich? drollig bin ich, weil ich jetzt frei bin? Djafar, bin ich Dir nicht mehr als alle andern Weiber? war Dir meine Liebe blos ein Spass? Hab‘ ich Dir nicht mehr gegeben, als Dir die Weiber Deines Harems bieten? Willst Du mich beschimpfen? Djafar, mach mich nicht rasend! Ich bin nicht Deine Sklavin, ich bin auch nicht Dein Kebsweib! Ich bin ein freies Weib! Und ich habe mich ohne Zwang als freies Weib Dir hingegeben, weil ich in Dir den freien Mann erkannte, der meine ›freie Liebe‹ verstehen kann. Hast Du nicht gewusst, warum ich Dich liebte? Lüge nicht! Du weisst, was uns vereint. Weil uns Beide das Leben mit so masslosem Ekel erfüllt —  deswegen lieben wir uns. Du verachtest dieses Leben wie ich —  deswegen gehören wir zusammen. Warum sprichst Du nicht? Djafar, wir wollen endlich ›freie‹ Menschen sein. Ja, ich bin Dein Weib, aber ich bin Dein ›freies‹ Weib! Ich verachte dieses Leben so leidenschaftlich wie Du! Djafar, das vereint uns!«

Sie fällt vor ihm nieder und umklammert seinen Leib.

Und der Barmekide spricht väterlich— ernst —  von oben herab:

»Liebes Kind, mit dieser Wildheit verachtest Du das Leben? Leidenschaftlich verachtest Du das Leben? Du irrst Dich! In so heftiger Form verachtet man dieses Leben nicht. Nein —  für Dich hat das Leben noch immer einen grossen Werth. Die Verachtung des Lebens vereint uns nicht. Es ist was Andres.«

»Djafar,« spricht sie leise, »Du siehst immer so sicher aus, so heiter und ruhig —  und doch blitzt Etwas in Deinem Auge, das mich wie wilde freche Verzweiflung anstiert. Die wilde freche Verzweiflung, die Dich nie aus ihren Klauen lässt und Dich zu Allem fähig macht —  die hat’s mir angethan. Ich habe dasselbe Blut wie Du, mich hat es auch toll gemacht. Unsre Natur hetzt uns, wir müssen Beide immer rücksichtslos drauf losgehn —  ohne Furcht —  wie gereizte Stiere —  —  und das vereint uns.«

»Gut!« ruft Djafar, »sehr gut! ausserordentlich gut! wir sind wie zwei alte Schurken, die ganz genau wissen, dass sie dem Galgen doch nicht entfliehen können und daher nie daran denken, sich zu bessern. Wir sind wie zwei Mücken, die ganz genau wissen, dass sie doch in der nächsten Laterne verbrennen, wenn sie auch noch so weit wegfliegen. Die Galgenlustigkeit vereint uns, die Du nicht so ohne Weiteres freche wilde Verzweiflung nennen solltest. Du nimmst unsre Tollheit ein bischen zu ernst. Wozu redst Du ausserdem noch so viel von der Freiheit? Warum willst Du immer ›frei‹ sein? Es ist so drollig, wenn man das noch will. Wir werden niemals frei sein.«

»Es quält mich was,« entgegnet die Abbasah, »ich weiss nicht, was es ist. Harun ist’s nicht allein. Er hat mir ja so viele Freiheit gelassen. Ja! Ja! Aber was für Freiheit war das! Es liegt immer auf meiner Brust wie ein Druck. Ich glaubte manchmal, es sei nur die ganze Luft dieses Hofes daran schuld. Ich möcht‘ oft so gerne raus —  raus! Verstehst Du mich nicht? Ich will immer Etwas. Aber ich kann garnicht sagen, was das eigentlich ist…  f r e i  will ich sein! Djafar, ich liebe Dich! Und meine Liebe zu Dir hat mich frei gemacht. Glaub’s mir! Du bist mein Erlöser!«

»Na, denn ist ja Alles gut!« sagt darauf der herrliche Barmekidenspross, »also jetzt bist Du doch wenigstens frei! Na, wenn Du nur frei bist! Wunderhübsch, dass Dir das so leicht fällt. Vergiss nur nie, dass Du frei bist… Ja, wodurch wollen wir uns  n i ch t  frei machen? Wir wollen immer in den Himmel hineinspazieren, können’s aber nicht. Schliesslich glauben wir, dass ein verrücktes Leben uns dazu befähigt. Es ist aber Alles Unsinn —  Thorheit! Wir sind nicht frei —  Du auch nicht.«

»Doch!« schreit sie heftig, »jetzt fühle ich mich frei, und daher bin ich’s. Meine Liebe macht mich frei!«

»Der alte Irrthum!« erwidert er, »leider hält er nicht vor. Wenn wir mal tot sind —  dann könnten wir vielleicht frei sein. Nur der Tod —  der lustige Tod —  kann uns ›frei‹ machen.«

»In Deinen Armen!« kreischt das Weib.

Djafar fasst es an den Schultern und reisst es empor, thut bös, dass es so lange vor ihm auf den Knieen lag, behauptet, dass sich solche Lage für ›freie‹ Weiber nicht schicke.

Doch plötzlich bemerkt er, dass Abbasah die Kleider ihrer Sklavin Onabba anhat, dass die Onabba demnach um die Zusammenkunft auf dem alten Thurme weiss.

»Schöne Geschichte!« murmelt er dumpf, »mein Liebchen, mir wackelt schon der Kopf. Nun, wir wollen uns vor dem Tode nicht fürchten. Wir verachten ja Beide dieses Leben so masslos, uns erfüllt ja dieses Leben mit so masslosem Ekel. Ja! Ja! Hast Recht! Vor seinem Sarge soll der Mensch lieben. Jawohl, die Liebe macht frei —  wenn Einem zum Dank dafür der Kopf abgeschlagen wird. Abbasah, komm wieder an mein Herz! Die Mondnacht ist kühl. Wir wollen in den Saal hinuntergehn. Dort drüben seh‘ ich Fackeln.«

»Feigling!« flüstert die schöne Frau, »Dein Eunuchenhabit ist vorsichtiger gewählt als mein Sklavenkleid. Hast Recht! Die freien Menschen sollen sich vor den Sklaven in Acht nehmen —  ich war unvorsichtig. Komm, wir wollen unsern Sarg suchen —  hier im Thurm muss einer sein. Djafar,  i m  Sarge lieben —  hei! das ist noch besser als  v o r  dem Sarge —  das macht frei! Nicht? Komm in den Keller hinunter! Ich weiss genau: dort steht noch ein leerer Sarg —  der ist breit! Djafar, dadrinn feiern wir das Fest unsrer ›freien‹ Liebe —  komm schnell!«

Beide verschwinden im Thurm.

Ueber den Palmen erscheint plötzlich ein helles Bild —  Mekka mit dem Grabe des Propheten und unzähligen Pilgern! Das Bild zittert in der Luft.

Mit donnerndem Gekrach stürzt die Mondlandschaft mit den Palmen und dem viereckigen Thurm in die Tiefe.

Und Mekka rückt mit einem Ruck in den Vordergrund.

Die Europäer sehen den Markt und die grosse Moschee ganz gross und deutlich. Die Pilger ziehen in langen Scharen in geschäftiger Eile vorüber.

Grelles Sonnenlicht durchleuchtet das bewegte Bild.

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Die Löwen brechen in schallendes Gelächter aus.

Die Löwen wälzen sich im Wüstensande und stehen plötzlich auf den Vorderpfoten, recken die Hinterpfoten so hoch in die Luft, dass sie mit den Krallen beinah die zum Himmel anfragende Schwanzspitze berühren.

Ein Anblick für Götter!

Das schallende Gelächter donnert durch die syrische Wüste wie eine europäische Kanonenschlacht —  den Europäern wird ungemüthlich zu Muthe.

Glücklicher Weise ergreift nach Beruhigung der unmässigen Heiterkeit der gemüthliche Pix zuerst das Wort, was auch zur Beruhigung der Europäer beiträgt.

»Also nun sind wir endlich,« bemerkt er mit Gebrülle, »mittendrinn in der Geschichte! Europäer, ich sage Euch: die Geschichte kann gut werden! Starker Toback! Starker Toback! Die Freiheit des Weibes ist eine sehr feine Freiheit. Kinder, jetzt wollen wir mal ein bischen mitreden! Knaff, wie denkst Du über die freie Frau? Rede, mein lieber Bruder!«

»Pix!« ruft Knaff, »ich bin einfach empört. Diese Sucht nach Freiheit ist Nichts weiter als Hetärenbrunst. Diese Abbasah ist ein ganz freches Frauenzimmer. Entschuldige die groben Worte —  aber ich kann mir nicht helfen! Der Harun ist allerdings auch ’ne gute Nummer. Hier im Orient werden die Weiber im Allgemeinen so vortrefflich behandelt: man sperrt sie einfach ein. Und da will dieser Harun die Weiber wieder mal in voller Freiheit sehen, statt froh zu sein, dass sie durch die guten und edlen orientalischen Haremssitten unschädlich gemacht wurden. Harun ist ein unsittlicher Wüstling, er sollte doch wissen, dass jede Art von Frauenfreiheit ins schmutzige Gebiet der Sittenlosigkeit hineinführt. Dass bei den weiblichen Freiheitskämpfen heroische Reden gehalten werden, darf uns nicht in Erstaunen setzen —  das Klugreden ist ja bei allen jenen Versuchen, die die alte Zucht und Ordnung umkrempeln wollen, von jeher an der Tagesordnung gewesen. Wundern muss ich mich nur, woher manchmal die Weiber ihre Weisheit hernehmen. Die Abbasah redet zuweilen trotz vieler Quasselei genau so verständig wie ein Buch. Woher hat sie all die Weisheit?«

»Aber Knaff!« schreit da der scharfsinnige Olli, »wie kannst Du nur so einfältig fragen! Du bist ja so kurzsichtig wie ’n blinder Elephant! Die Frauen haben ihre Weisheit stets von den Männern her, denen sie in Liebe angehörten. Die Abbasah macht keine Ausnahme. Die Geburt der Frauenbildung geht stets in derselben Weise vor sich. Die Freiheitsgeschichte hat die Abbasah vom Harun —  das Uebrige vom Djafar. Nun sucht sie beide Einflüsse mit einander zu verquicken. Das ist doch so einfach und klar. Knaff, ich muss mich sehr wundern, dass Du so unreife Fragen laut werden lässt. Ich glaube, Du siehst noch garnicht, wie schrecklich es ist, dass die beiden Männer so viel von der Abbasah halten —  das ist eigentlich das Traurigste an der ganzen Geschichte. Ja, die Beiden leiden an der Ueberschätzung des Weibes beinah so heftig wie die armen Europäer.«

Bei diesen Worten räuspert sich der Frimm sehr vernehmlich und sagt danach brummig:

»Für das Traurigste an der ganzen Geschichte halte ich die Thatsache, dass die Freiheit, die nur auf Treubruch abzielt, beim besten Willen nicht für vornehm —  nicht einmal für anständig gehalten werden kann. Nur der Treubruch macht frei: das ist die Quintessenz der Weiberweisheit. Ich befasse mich nicht gern mit so unsauberen Geschichten.«

Frimm knallt lässig mit dem Schwanz und geht langsam südwärts, Pix meint freundlich:

»Wir wollen dem armen Frimm den vornehmen Abgang nicht weiter übelnehmen. Uns macht es ja ebenfalls keinen Spass, hier die lustigen Schulmeister zu spielen. Meine lieben Europäer, Ihr seid sonst ganz gute Menschen, aber beklagenswerth ist in jedem Falle Eure Unwissenheit in allen den Dingen, durch die der Orient für alle Zeiten seine unerschütterliche Weltstellung begründete. Der Orient hat namentlich in der Frauenfrage schon vor vielen Jahrtausenden das entscheidende Wort gesprochen. Er hat die Frauen in drei Klassen eingeteilt: in Mütter, Kebsweiber und Hetären; die beiden ersteren werden in den Harem, die letztere ins Bordell gethan —  und Alles ist gut und schön. Wir werden im weiteren Verlaufe des Schauspiels noch öfters Gelegenheit haben, die Vortrefflichkeit der orientalischen Behandlung aller Frauenfragen auf allen Seiten hübsch und kräftig zu beleuchten.«

»Nicht zu hastig!« donnert anitzo der Löwe Plusa, »die Einsperrungsarie scheint mir im Orient doch nicht so ganz glatt von Statten zu gehen; so einfach ist das Alles nicht. Mein erlauchter Bruder scheint die verschiedenen Stadien der Frauenbändigung in allzu rosigen Farben malen zu wollen. Jedenfalls ist das orientalische Einkapselungssystem sehr praktisch. Es liegt ja Garnichts daran, dass die Frau bei der Zuchtwahl mitredet —  aber so ganz gleichgiltig kann ihr die Angelegenheit doch nicht sein.«

»Du wirst wieder,« brüllt jetzt Pix, während er vor Erregung ganz dunkelblau wird, »mächtig unverschämt. Du scheinst Dich über Deine Brüder lustig zu machen. Wir verbitten uns das ernstlich. Hört weiter, Europäer! Dadurch, dass der Orientale die Frauen dem öffentlichen Leben entzieht, reinigt er dieses, und es werden jene langweiligen Liebesromane, die bei Euch in Europa eine so unangenehme Rolle im Kunstleben spielen, vollständig beseitigt. Diese Liebesromane sind ja nur ein Produkt der Monogamie. Der Orient hat den ganzen Liebesrummel so vereinfacht, dass langweilige Romane nach europäischem Muster hier niemals Wurzel fassen könnten!«

»Auch das,« entgegnet Plusa mit seiner klaren Stimme, »möchte ich höflichst bezweifeln. Wir müssen in unseren Schulmeisterreden ein wenig vorsichtiger sein.«

Kaum aber hat der freche Plusa das gesagt, so drehen ihm die vier anderen Löwen den Rücken und schlagen so heftig kratzend mit den Hintertatzen aus, dass der gelbe Wüstensand in wirbelnden Wolken dem frechen Plusa in die Nase, in den Rachen, in die Ohren und in die Augen fliegt.

Diese That der Vier findet der Betroffene gemein und niederträchtig.

»Rohe Lümmels!« brüllt er in heller Wuth —  kommt aber nicht weiter.

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Die achte Nummer beginnt:


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