Der Tod der Barmekiden

Das Wiedersehen

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Es duftet nach Geranien—  und Levkojenöl.

Es fallen langsam nur noch ein paar grosse Demantsteine zur Erde nieder —  die brennen ganz dunkelviolett…

Und dann liegt gross und frei Bagdad, die Stadt des Heils, vor den trunkenen Augen Europas.

Links seitwärts erhebt sich das hohe Thor mit der breiten Brücke, die den Wallgraben überspannt und fast bis zur Mitte des Bildes sich hinzieht. Hinter der Brücke sieht man die grünen Festungswälle, über denen die Spitzen der Minarets und die Palastkuppeln der Chalifenburg sichtbar werden. Zur Rechten biegt der Weg von der Brücke nach hinten um und geht ganz tief in den Hintergrund hinein.

Dunkelblau leuchtet der Himmel. Und zu beiden Seiten des Weges rechts steht viel Volk —  das wartet auf die Ankunft des siegreichen Harun. Ein leises Brausen geht durch die Luft. Auf der Brücke ist kein Mensch —  nur dicht vorm Thore steht der Thorwächter und schaut auf den hinteren Theil des Weges —  mit der Hand die Augen überschattend.

Und dann wird das Brausen des Volkes stärker und stärker, und ganz hinten rechts blitzt es auf von glänzenden Waffen —  Harun mit seinen Heerscharen naht.

Es ist noch früh am Morgen, aber Alles ist schon auf den Beinen, denn von den fünfzig Tausend Kriegern, die Harun ins Feld rief, sind wohl mehr als die Hälfte in Bagdad ganz bekannt. Und wer Verwandte in der Stadt hat, der kann sicher sein, dass die ihm über die breite Brücke entgegengekommen sind.

Das Volk ist in fieberhafter Erwartungsstimmung, die vielen Hofbeamten in ihren goldstrotzenden Uniformen theilen mit wichtiger Miene die neuesten Nachrichten mit; jeder Beamte ist von einem Kreis lauschender Zuhörer umringt. Dadurch werden die Volksmassen zu beiden Seiten der Landstrasse wirksam gegliedert.

Im gestreckten Galopp sprengt die Leibgarde des Chalifen heran —  Beduinen in citronengelben Gewändern auf pechschwarzen Rossen; mit hallendem Getrappel geht’s über die breite Brücke durchs hohe Thor in die Stadt; es sind nicht weniger als tausend Mann.

Und dann erscheint ganz hinten auf der Landstrasse der grosse Harun selbst. Das Brausen der Volksstimme schwillt immer mächtiger an, immer wilder jubelt dem allmächtigen Sieger der Gruss seines Volkes entgegen. Näher und näher kommt das Brausen, und alle Araber, die vor den Thoren der Stadt sind, stimmen plötzlich ein altes Schlachtlied an, mit dem einst der Prophet in den Kampf gegen die Ungläubigen zog.

Die Strasse ist vor Harun frei, er kommt ganz langsam hoch zu Elephant nach vorn. Er, der Herr der Heerscharen, sitzt in voller Grösse und Seligkeit mit untergeschlagenen Beinen auf hohem Polstersattel, sodass Alles Volk seinen angebeteten Chalifen mit eigenen Augen anschauen kann; zwei kluge Inder führen den Elephanten.

Es duftet nach Geranien—  und Levkojenöl, denn damit ist die ganze Strasse besprengt. Auch viele bunte Blumen wirft das Volk dem Herrscher zu Füssen, dessen Elephant Alles sorgfältig zertrampelt.

Der Gesang und der Blütenduft berauschen den Chalifen. Und er giebt sich wieder Erinnerungsbildern hin; in den letzten Monaten hat er dazu garkeine Zeit gehabt. Aber jetzt ergreift es ihn gewaltig; er denkt an Djafar und Abbasah. Er malt sich aus, wie sie ihn im einsamsten Kiosk am Tigrisstrande erwarten —  wie sie sich gegenseitig von seinen Vorzügen und edlen Sitten erzählen —  wie sie seinen Muth und seine Kraft bewundern —  ihn den grössten Fürsten aller Zeiten nennen —  und garnicht aufhören mögen, ihn zu preisen und zu loben. Er möchte so gern unsichtbar bei ihnen sein und zuhören und dann plötzlich den Schleier abwerfen und Beide stürmisch umarmen —  das möcht‘ er —  ja das möcht‘ er!

Harun lässt bei diesen Gedanken ganz den Kopf sinken und achtet nicht auf das jubelnde singende Volk, das immer stürmischer ihm seine Liebe kundthut, denn es denkt, er verrichte ein stilles Gebet und danke Allah in Demuth für den Sieg; nur die Europäer haben in das Innere Haruns geschaut; in den Schallfängern war das Selbstgespräch ganz deutlich zu hören und in den Opernguckern der Kiosk mit Djafar und Abbasah für ein paar Sekunden ganz klar zu sehen.

Der Elephant dreht zierlich den Rüssel nach allen Seiten und nickt verständnisvoll mit dem Kopf, dass die schlappen grauen Ohren wackeln. Der riesige Körper des Thieres ist in buschige gelbe Seide gehüllt; die dicken Beine stecken in weiten Pluderhosen. Harun steckt in knallrother Seide, denn er kommt als Richter zurück, er hat zu Gericht gesessen über dem Rebellen Jahjah ibn Abdallah —  und als Richter tragen die Könige des Orients die Farbe des rothen Henkers.

Jetzt ist Harun dicht vor der Brücke.

Das breite Thor geht klirrend und rasselnd auf.

Und bevor noch der Elephant den ersten Schritt auf der Brücke gethan, sprengen auf schneeweissen Schimmeln zwei Reiter auf der Brücke dem Chalifen entgegen; die Reiter sind ganz in weisser Seide —  herrlich sehen ihre weissen Pluderhosen aus. Mit vielen weissen Rosenknospen sind die Beiden geschmückt; auch die Schimmel sind mit weissen Rosenknospen geschmückt. In den Händen tragen die Beiden eine goldene Kanne mit goldenen Bechern. Und die Becher füllen sie mit rothem Wein, den sie dem Chalifen hinaufreichen.

Harun hält mit der einen Hand den Säbel fest, der in seinem Schooss liegt und bückt sich tief, um mit der andern den einen Becher zu nehmen, den er träumerisch zum Munde führt und austrinkt. Doch dann schreit er gellend auf! »Djafar!« schreit er, denn dieser reichte ihm den Becher hinauf. Ein langes Lachen mit Thränen und Armbewegungen! Der Säbel wär‘ beinah vom Schoosse runtergefallen.

Harun fragt dann flüsternd, wer der andre Reiter sei. Doch Djafar zuckt die Achseln. Harun trinkt auch den Becher des andern Reiters aus, lässt aber plötzlich den Becher fallen. »Wer ist das?« ruft der Chalif ganz erschrocken. Doch auf diese Frage antwortet der Reiter dadurch, dass er seinen Schnurrbart und seinen Turban abnimmt. Da erkennt der Chalif das Gesicht —  es ist das der Abbasah. Er ist aber nicht erfreut; er ruft den Indern zu, den Elephanten über die Brücke zu führen.

Dröhnend stampft das dicke Thier mit dem dicken Harun über die Brücke; Djafar und Abbasah folgen in peinlichster Verlegenheit. Der Barmekide beisst sich in die Lippen, während die Abbasah den falschen Schnurrbart in den Wallgraben wirft und ihren Turban schief aufsetzt.

Die Europäer hören, wie der Harun leise zu sich selber redet: »Wie konnte mir Djafar diese Schmach anthun? Wie konnte er die Abbasah unverschleiert dem Volke zeigen? Wollte er mich beleidigen? Ist es ein verrückter Einfall des Weibes gewesen? Er hätt‘ ihm nicht nachgeben sollen! Das war nicht freundschaftlich gehandelt.«

Dann verschwinden die Drei im Thorweg.

Und das siegreiche Heer folgt.

Reiterscharen und Fussvolk kommen ungeordnet durch einander gemischt die Landstrasse entlang. Alles jubelt den braunen Gesellen zu und bekränzt sie mit duftenden Blumen und stärkt sie mit kräftigem Wein. Ochsenwagen mit erbeuteten Waffen, Kameele mit Gepäck, Esel und Viehherden drängen sich zwischen den Kriegern durch. Für einen Wagen wird besonders Platz gemacht: für den, in dem der Rebell Jahjah ibn Abdallah sitzt.

Der Rebell blickt mit finsterer Stirn vor sich auf einen Fleck und spricht kein Wort, denkt auch Nichts.

Das Gedränge wird auf der Brücke ganz beängstigend. Die Thiere und Menschen gerathen in Streit, und man könnte fürchten, dass die Brücke zusammenbricht. Das Volk brüllt jetzt und schreit, und die Krieger bahnen sich den Weg mit den Fäusten.

Plötzlich sinkt Alles in die Tiefe —  und ein stilles dunkelblaues Meer bedeckt Alles.

Kleine weisse Schaumkämme durchzucken die dunkelblaue Flut.

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Die Löwen erheben sich und stellen sich auf die Hinterbeine, was ihnen garnicht schwer fällt.

Und Pix sagt etwas müde:

»Kinder, jetzt wollen wir im Gänsemarsch etwas auf und ab wandeln. Das Stück strengt an wie alle starken Stücke. Wir wollen im Gänsemarsch genau so langsam vorwärts gehen wie das Barmekidenschauspiel.«

Der Vorschlag findet Anklang, und die Löwen gehen nun langsam vor dem tiefblauen stillen Meere im gleichen Schritt auf und ab. Die Vordertatzen haben sie der Bequemlichkeit halber sich gegenseitig auf die Schultern gelegt. Pix führt und Plusa beschliesst den Zug.

Plusa meint, dass sie mit dem Gänsemarsch den richtigen Kriegstanz aufführen; die Europäer lächeln verschmitzt, als wenn sie den Plusa ganz und gar verstanden hätten.

Die weiteren Reden der Löwen beschränken sich darauf, die Regie zu loben —  und namentlich die grosse Verwirrung zum Schluss als scenisches Meisterwerk zu preisen! Sie verrathen bei dieser Gelegenheit doch eine sehr grosse Kenntnis im ästhetischen Raisonnement.

Plusa findet glänzend die stummen Denkerrollen, meint mit merkbarem Hohne, dass die Europäer so was noch nicht eingeführt hätten —  es käme eben nur darauf an, die Ohren des Publikums sensibler zu machen. Er preist Harun und die Schallfänger.

Olli meint dazu: »Eigentlich sind’s blos nicht laut werdende Monologe, die Dir so imponiren!«

Pix sagt darauf. »Die sind aber das Wichtigste in der gesammten Kunst. Es liegt uns ja viel mehr daran, das zu wissen, was die Leute  n i ch t  aussprechen —  als das, was mit einem permanenten Mangel an Offenheit öffentlich geredet wird und der Rede zumeist garnicht werth ist.«

Leider wird dieses ästhetische Gespräch nicht fortgesetzt der Gänsemarsch auch nicht.

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Die elfte Nummer beginnt:


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