Der Tod der Barmekiden

Die Sklavin

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Ein breiter schwarzer Steinrahmen schliesst das Bühnenbild ein; nur unten ist der Rahmen schmal.

Und in der schwarzen Umrahmung sehen die Europäer das Ankleidezimmer der Abbasah im hellen Tageslicht, das von oben niederscheint.

Die Onabba wandelt mit einem helllila Federpuschel langsam über die weissen Ziegenfelle, die den ganzen Boden bedecken, von einer Zimmerecke in die andre und stäubt die kleinen Ebenholztische, die Kruken mit den Seifen, Salben und Oelen, die bunten Flaschen mit den wohlriechenden Wassern, die Schminktöpfe, Spiegel, Kämme und Bürsten nachlässig ein bischen ab, puschelt auch an den kostbaren Wänden herum, deren Elfenbeinschnitzereien zu ihrem Aerger so viele Löcher und Kanten haben.

Eine andre Sklavin meldet währenddem, dass der ältere Bruder der Onabba aus Indien zurückgekehrt sei und seine Schwester im Specksteinsaal erwarte. Das rührt aber die gute Schwester sehr wenig, sie lässt den Bruder bitten, nur ruhig weiterzuwarten – sie komme bald.

Die holde Onabba wirft den Federpuschel fort und fächelt sich mit einem kleinen buntbemalten Papierfächer Kühlung zu, wobei sie sich an eine der vielen Säulen lehnt, die ganz mit Bernsteinschnitzereien, Korallenranken und Türkisen umkleidet sind. Aus den silbernen Räucherbecken wirbeln feine bläuliche Rauchbänder zur Decke empor. Es duftet nach Ambraholz und Kikânoblüten. Die Luft ist so weich – so weich wie die vielen Diwane, die mit gestreiften armenischen Teppichen bedeckt sind. In silbernen Schalen liegen hellgrüne Weintrauben. Die Schalen stehen überall herum.

Das ist ein Zimmer in dem Palaste, der einst dem Djafar gehörte. Djafar erscheint jetzt im Hintergrunde – herrlich gekleidet wie stets: das faltenreiche Gewand aus Baumwolle ist kirschroth und grasgrün gestreift, am dunkelblauen Turban brennt ein Rubin, der drei hohe steife schwarze Federn festhält.

Djafar hat hier natürlich von Rechts wegen Garnichts zu suchen, doch seine Rechte hält seinen krummen Goldsäbel trotzdem sehr stolz vor der Brust.

Die dunkelbraune Onabba trägt ein ganz feines weisses Spitzenhemd; die Arme und der Hals sind frei, die Beine sind mit den weiten weissen Seidenhosen der Abbasah umhüllt. Die Onabba steht ruhig an ihrer Säule und spielt mit ihrem Papierfächer, thut so, als wüsste sie garnicht, dass der Barmekide den Hintergrund ziert. Sie sagt daher wie zu sich selbst:

»Oh, wie ich den Djafar liebe! Ich möcht‘ ihn totküssen! Das ist ein Mann! Allah erbarme Dich meiner!«

Bei den letzten Worten breitet sie beide Arme aus, zieht sie aber heftig an die Brust, wie sie den Geliebten neben sich sieht. Ihre langen schwarzen Haare hängen aufgelöst in zottigen Strähnen um Arm und Hals.

»Auf wen,« fragt Djafar, »wartest Du hier?«

»Auf meinen Bruder!« erwidert die Sklavin.

»Mach keine Faxen, warum holst Du nicht die Abbasah?« fragt wieder der Barmekide.

»Sie ist krank und kann in jeder Stunde mit einem Kinde niederkommen.«

So antwortet leise mit glühenden Augen die Sklavin, die Alles weiss. Sie stürzt dann zitternd dem Djafar zu Füssen, doch den rührt das nicht. Er sagt ganz kalt, während er sich auf einem Diwan niederlässt:

»Melde mich der Abbasah! Schnell!«

»Das thu‘ ich nicht!« schreit die Sklavin auf, »und wenn Du mich erwürgen solltest, ich thu’s nicht!«

»Warum denn nicht?« fragt wieder der Barmekide.

»Abbasah,« sagt sie, »kann nicht kommen. Aber Djafar soll hier bleiben. Ich will seine Füsse küssen.«

»Du willst mich wohl verführen!« ruft er lachend.

»Djafar,« giebt sie zurück, »schlage mich, mach mit mir, was Du willst – aber stoss mich nur heute nicht zurück. Wenn Du’s doch thätest, würd‘ ich vielleicht der Versuchung nicht widerstehen können – von dem – Gebrauch – zu machen, was ich weiss!«

Sie umklammert seine Füsse und küsst sie, doch er schüttelt das Weib ab und sagt gähnend:

»So! So! Also drohen willst Du? Nun – wenn Du der Versuchung nicht widerstehen kannst – so widersteh ihr nicht, Du dumme Jöhre! Mir ist schon so Manches in der Welt langweilig geworden.«

Die Sklavin von vorhin ruft jetzt leise aber durchdringend: »Onabba! Vorsicht! Harun kommt!«

Die Onabba steht auf und blickt den Djafar mit Angst und Entsetzen an, sagt mit fliegendem Athem:

»Du wirst mich nicht rasend machen, ich weiss es! Wenn Harun kommt, muss er Dich in meinen Armen finden, und die Abbasah ist von jedem Verdacht befreit. Wenn Du noch einmal ›Nein‹ sagst, so zwinge ich Dich! Djafar, ich bin so rachsüchtig wie ein wildes Thier, hüte Dich!«

Stolz versetzt der Djafar: »Du Schaf, ein Barmekide hat niemals Angst. Sorglos, frech und toll! Jede Gefahr reizt mich! Ich lasse mich nicht zwingen. Kühl Dich im Eiskeller ein bischen ab! Es wäre lächerlich, wenn ich mich in diesem Palaste ertappen liesse – den kenn‘ ich besser als Du!«

Er verschwindet hinten, und die Sklavin ist wieder allein.

Man hört Stimmen nebenan, und nach einer Weile erscheint Harun. Er fragt die Onabba barsch, ob nicht ein Mann bei ihr war.

Sie wirft lachend den Kopf zurück und flüstert:

»Jawohl! Ein Mann war hier, doch ich werde ihn nicht verraten.«

»Wer war’s?« fragt Harun.

»Geht er frei aus?« fragt die Onabba.

»Ja!« stösst rauh der Chalif hervor.

Und die Onabba sagt: »Mein Bruder war’s! Er wartet im Specksteinsaal; lass ihn holen!«

Der Bruder wird herbeigeschleppt und gefällt dem Chalifen.

Die Schwester sagt zu ihm freundlich:

»Hab keine Angst! Du kannst ruhig sagen, dass Du hier bei mir warst. Dir geschieht Nichts.«

Harun lächelt und giebt dem Bruder der Sklavin ein Säckchen mit Gold, worauf diese zu schwatzen anfängt:

»Mein Bruder braucht immer Geld,« erzählt sie lebhaft, »er ist vor Kurzem aus Indien mit vielen Gauklern und Zaubrern nach Bagdad gekommen, um hier Geschäfte zu machen. Aber glaubst Du, dass er irgend etwas verdient? Ich hab‘ noch niemals drei Dirham in seiner Tasche gefunden. Und dabei hat er immer die grössten Pläne – lauter verrückte Geschichten – im Kopf. Mir stöhnt er immer die Ohren voll. Ich wäre glücklich, wenn’s ihm endlich mal besser ginge. Könnt‘ er Dir nicht mal mit seinen Zaubrern ein paar Kunststücke vormachen?«

Harun giebt ihm noch zwei Säckchen mit Gold und befiehlt ihm, sich in der nächsten Woche mit allen Zaubrern und Gauklern beim Tanzmeister Kuntar vorzustellen.

Der Chalif entlässt ihn gnädigst und bleibt mit der Onabba allein, die ihm sofort zu Füssen sinkt und ihm die Füsse küsst und ihm in wilden glühenden Worten ihre Liebe kundthut.

Der Chalif hebt sie freundlich auf und drückt sie heftig an seine breite Brust.

Ein Knax – und das ganze Bild fliegt mitsammt dem Rahmen in den Hintergrund, wo’s immer kleiner und kleiner wird – und dann ganz verschwindet.

Eine breite Felsenschlucht mit Wasserfall gähnt die Europäer an. Zwischen den Felsen kämpfen gefesselte Drachen mit gefesselten Pavianen.

Furchtbares Gefauche und Kettengerassel!

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Die Löwen fahren mit beneidenswerther Seelenruhe und Seelengrösse in ihrer Unterhaltung fort.

Pix: Eine begehrliche Frau wird nur von Hetärentrieben beherrscht. Man hüte sich vor solchen Frauen. Die Frau hat einen sehr rohen Sexualinstinkt. Verfeinerte Zuchtwahlabsichten kann nur der Mann haben. Den Frauen gefallen lockige Haare, grosse Augen, starke Muskeln – lauter Dinge, die für die Verfeinerung der Rasse noch Nichts besagen. Der Mann sieht aber auf Formen, Temperament und Charakter. Das ist doch wohl wichtiger.

Frimm: Das Weib ist garnicht im Stande, irgend eine feinere Zuchtwahl zu treffen. Wenn’s gebildet ist, wird’s einen ganz gewöhnlichen Dummkopf zum Manne begehren. Daran muss aber das gebildete Weib durch den Harem gehindert werden. Die Rasse kann nur durch die intelligenten Zuchtwahlarrangements intelligenter Männer veredelt werden. Die Frauen haben dabei wie stets nur eine passive Rolle zu spielen; die kommt ihnen eben zu. Ihr Widerstand gegen die männliche Brutalisirung darf ebenfalls nur ein passiver sein. Genügt der etwa nicht? Der Mann wird auch sehr kühl, wenn die Frau kühl bleibt. Er wird sie, wenn er die Rasse im Auge hat – und die Rasse ist bei jedem vernünftigen Manne allein massgebend – auch nicht übers Mass hinaus vergewaltigen; erzwingen lässt sich ja ein Nachkomme nicht. Schliesslich dürfte jeder Mann froh sein, wenn er von einer kühlen Widerspänstigen befreit ist.

Olli: Es ist auch so furchtbar närrisch, dass die meisten Europäer, wenn sie ein Weib lieben, so zart und taktvoll auf Gegenliebe warten – statt einfach zwingend und brutal aufzutreten, womit sie zehn Mal weiter kommen, dem Weibe viel besser gefallen und der Rasse viel mehr nützen – als mit Zartsinn und Takt, die bei allen möglichen Dingen – nur nicht bei Fortpflanzungsakten von Werth sind. Die meisten Frauen wissen Takt und Zartsinn garnicht zu schätzen, thun’s nur, wenn sie annehmen oder wissen, dass sie damit gefallen.

Knaff: Ihr redet thatsächlich mit Seelenruhe und Seelengrösse! Ich kann mich aber für Eure Gemüthlichkeit nicht sehr begeistern. So viel Zeit haben wir doch nicht.

Nach diesen Worten erschallt wieder mal des Riesen Raifu alter Basston – er sagt:

»Bis zur nächsten Nummer gehen anderthalb Jahre ins Land, darum wäre es nicht übel angebracht, wenn Ihr die lange Zeit durch Gemüthlichkeit markiren würdet. Knaff, sei nicht so hitzig!«

Das harmlose Geplauder wird also ruhig fortgesetzt.

Plusa: Ich möchte nur bezweifeln, dass die Männer des Orients ihren Weibern gegenüber viel häufiger die Oberhand behalten haben als die Männer des Occidents.

Pix: Ewig musst Du Dinge reden, die nicht hergehören. Du scheinst Dich über das Frauenbehandlungsthema nur lustig zu machen. Schäm Dich was. Bei diesem Thema lacht ein anständiger Mensch nicht.

Plusa: Ein blauer Löwe darf aber lachen.

Pix: So lach leise! Ich bemerke nur noch, dass die weiche Freundlichkeit nicht in allen Situationen ein Zeichen von Güte ist.

Frimm: Weiche Freundlichkeit ist nicht in allen Situationen ein Zeichen von Güte. Der Mann muss gegen die Frau sehr oft hart sein; er liebt sie nicht, wenn er’s niemals ist.

Olli: Erkrankungen des Gemüths infolge nicht befriedigter Zuchtwahldirektive können im Orient nur in sehr geringer Zahl vorkommen, da eine Neigung zu Frauen, die schon in andern Händen sind, des Harems wegen ja garnicht denkbar ist. So ist die unglückliche Liebe im Orient beinah zur Utopie geworden. Man kann sich doch erst dann in ein Weib verlieben, wenn man’s gesehen hat. Die Eltern sind nun so scharfsinnig, dass sie ihre Töchter nur den Männern zeigen, die im Stande sind, ohne Weiteres zu heiraten. Die unglückliche Liebe wird nach Einführung des Harems auch in Europa zum Ammenmärchen werden.

Plusa: Der Orient als Gesellschafts-Ideal macht mir Spass. Es lebe der Haremsroman!

Knaff: Schrei nicht so!

Plusa: Ihr bedenkt aber garnicht, dass auch die Frauen infolge nicht befriedigter Zuchtwahldirektive erkranken können.

Frimm: Bei Frauen ist die unglückliche Liebe nur ein verkappter Wunsch nach hetärischer Freiheit.

Plusa: Werdet blos nicht zu einfach. Eure Moral kommt obendrein nur in den Sphären, die sich einer leidlichen Wohlhabenheit erfreuen, in Betracht. Wenn das Weib mitarbeiten muss, kann’s nicht mehr in Harem und Bordell eingesperrt werden. Das leuchtet doch wohl meinen leuchtenden Brüdern ein, nicht wahr?

Pix: Die armen Frauen, die ihr Brot selbst verdienen müssen, thun mir in der Seele leid. Das arbeitende Weib ist das Sinnbild der europäischen Armuth. Wo das Weib arbeitet, herrscht die Rohheit. Das weibliche Arbeiten ist was Unsittliches, da der Verdienst doch blos in die Hände von Männern geht, die uns nicht grade imponieren können. Die Arbeit des Weibes verschlechtert ausserdem noch die Rasse, ist auch niemals ordentliche Arbeit. Der Orient muss den Europäern stets zum Muster dienen.

Knaff: Es ist sehr unsittlich, dass die Frauen Europas Geld in ihren Fingern haben – ein höchst gefährliches Gut! Der Teufel hole die ganze Frauenarbeit, an der klebt kein Segen. Führt den Harem ein, und Ihr habe keine alleinstehenden Frauen mehr. Die Abschaffung der europäischen Emancipation, die nur verkappter Hetärismus ist, liegt auch im Interesse der Frauenwelt.

Olli: Lassen wir das Thema fallen, denn die Europäer lächeln so verschmitzt, als wenn sie mehr von der Sache verständen wie wir. Die Europäer meinen wohl zuweilen, wir machen blos Spass. Irrt Euch nicht! Wir sind ernster als alle Priester der Welt.

Die Europäer lutschen an ihren Apfelsinen und wagen kaum, aufzublicken. Die Löwen reden weiter.

Frimm: Durch den Harem würde auch der dumme Luxus vernichtet werden. Die kindliche Nachahmungssucht der Frauen hat, da sie eine selbständige Wahlfähigkeit nicht aufkommen lässt, dem Kulturfortschritt zu allen Zeiten geschadet. Die Frau muss aus dem ganzen öffentlichen Leben raus und darf auch am Herde des Mannes keine Freiheit haben – die verführt sie ja blos zum Treubruch.

Plusa: Dass der Harem den dummen Luxus vernichtet, bemerken wir schon an der Zobaïda. Ja, Europäer, die Löwen reden sehr sachlich; Raifu illustrirt eigentlich nur unsre Reden. Er ist unsertwegen da – nicht umgekehrt ist das Verhältnis.

Knaff: Mein lieber Plusa, Dir hat wohl wieder lange nicht die Nase geblutet. Du willst augenscheinlich die Rolle des kritischen Rindviehs spielen.

Frimm: Die Frau hat keinesfalls ein Recht, die gleichberechtigte Lebensgefährtin des Mannes zu werden.

Raifu ruft jetzt laut:

»Die anderthalb Jahre sind um.«

Die Drachen und Paviane ziehen sich heulend zurück.

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Die vierzehnte Nummer beginnt:

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