Der Tod der Barmekiden

Die Einsamkeit

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Der alte Mond durchleuchtet die grauen Nebelschleier, sodass sie langsam emporsteigen und über die Bäume des Gartens dahinziehen und dann hinten hoch über den glitzernden Fluten des Tigris schweben – wie vertriebene Thauwolken.

Es duftet nach persischem Weidenblüthenwasser. Vorn auf dem Altan eines kleinen Holzhauses sitzt die Abbasah.

Die rehbraune Schwester des Chalifen ist alt geworden. Man macht mit ihr nicht mehr viel Umstände.

Die Zeit, in der die Männer so schrecklich viel über die kluge Abbasah nachdachten, ist längst vorüber. Die unzähligen Reize des Weibes sind dahin, es sieht hässlich aus – das Gesicht, in das wirr die grauen Haare fallen, zeigt nur Runzeln und Falten und keine Spur von Freundlichkeit. Drei Jahre Einsamkeit haben die Masslose, die immer unersättlich war, geknickt; die Ueberempfindliche wird bald ganz unempfindlich sein.

Der Vollmond scheint ihr ins Gesicht, und es kommt mit leisen Füssen eine Sklavin herbei. Sie sagt Nichts, sie stellt nur stumm eine kleine Kruke mit wohlriechender Seife vor die Abbasah und will dann gehen.

Doch die Abbasah hält sie zurück, sagt sanft:

»Geh noch nicht! Ich bin ja so einsam. Wie geht es denn meiner Feindin, der Schwester Holagga? Ach so, Du darfst nicht antworten. Wie ich das finde! Es ist so masslos! Weisst Du, dass wir uns schon drei Jahre kennen? Heute vor drei Jahren kamst Du zum ersten Mal mit Deinen wohlriechenden Seifen auf meinen Altan. Weisst Du auch, warum Du immer, wenn’s Vollmond ist, mit Deiner verfluchten Kruke zu mir kommst? Kind, weisst Du das nicht? Du schüttelst den Kopf, und ich mag es Dir nicht sagen. Mich ekelt Alles an. Aber wenn Du einmal den Harun siehst, so vergift ihn – vergift ihn! Kind, thu mir den Gefallen! Doch Du bist zu dumm. Geh nur! Sonst werden meine beiden stummen Eunuchen wüthend. Geh nur! Harun ist ein rachsüchtiges Schwein! Die verfluchte Kruke mit den wohlriechenden Seifen! Sag doch Deiner Herrin, dass sie es versteht, die Befehle des herrlichsten Chalifen auszuführen. Ich habe die grösste Hochachtung vor meiner Feindin Holagga. Mach, dass Du weg kommst, Du dummes Schaf«

Die beiden stummen Eunuchen erscheinen im Hintergrunde und gehen mit der Sklavin ab.

Die Abbasah ist wieder allein, sie stösst heftig die Kruke mit den Seifen um – und eine grosse Thräne rollt über die faltenreiche Wange des einsamen Weibes.

»Jetzt sah ich,« flüstert das einsame Weib, »drei Jahre keinen Menschen mehr. Meine beiden stummen Eunuchen bringen mir Essen und Trinken, und die dumme Gans bringt mir die wohlriechenden Seifen. Andre Menschen als diese Drei hab‘ ich seit drei Jahren nicht mehr gesehen und gehört. Es ist masslos. Harun, ich hab‘ Dich unterschätzt. Du verstehst es, Dich zu rächen. Und dass Du der Holagga aufgetragen hast, mich überwachen zu lassen – das war teuflisch. Doch wozu reg‘ ich mich auf? Wozu?«

Sie sitzt unbeweglich da und starrt in den Garten hinein. Der Vollmond glänzt in alter Pracht. Nachtigallen schlagen, und Fledermäuse flattern vorüber. Der weite Park der Chalifenburg ist so einsam und still wie ein Kirchhof.

Die Abbasah hebt hastig die Kruke auf und riecht an den neuen Seifen, lacht grell und wirft sich mit der Kruke auf ihren Diwan, vergräbt den Kopf in ein weiches Kissen und bleibt ohne Bewegung liegen – nur von Zeit zu Zeit geht ein heftiges Zittern durch ihre Glieder.

Der Vollmond glänzt in alter Pracht.

Und es fallen vorne grosse rothe Tropfen herab – immer mehr – immer mehr!

Ein dichter rother Regen, durch den man nicht durchsehen kann!

Gross sind die Tropfen – sehr gross – wie blutige Riesenthränen.

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Die hellblauen Löwen legen sich malerisch vor den rothen Blutregen und blicken schweigend in den gelben Wüstensand.

Pix in der Mitte hat wieder die Stirn den Europäern zugekehrt und die Andern liegen quer – wie vorm Diamantenschneefall.

Auch die grossen rothen Blutstropfen sind durch die hellblauen Löwenkörper zu sehen, sodass diese fein von oben nach unten gestreift werden, als wenn rothe Meteore sie durchleuchten.

»Jetzt wollen wir noch einmal,« flüstert Pix, »freundlich auf Euch einreden. Wir haben ja nicht mehr was Neues zu sagen – aber wir wollen Euch die Hauptsachen noch einmal einschärfen. Wir wollen Euch ja bekehren – daher dürft Ihr’s uns nicht übel nehmen, wenn wir uns öfters wiederholen.«

Und die Löwen reden noch einmal – leise – ganz leise – im Flüstertone. Nur Plusa’s Stimme hört sich brummig an, wenn er was sagt. Doch auch das Brummige tönt gedämpft.

Knaff: Kurzum: führt den Harem ein! Eure Ehebruchsromane mit all dem Blut und all dem Schmutz müssen Euch doch schon langweilig geworden sein. Möge Raifu Euch den Geschmack an Euren ekelhaften Romanen endlich mal gründlich verleidet haben.

Olli: Der Harem löst sämmtliche Frauenfragen mit einem Schlage. Nach Einführung des Harems giebt’s keine alleinstehenden Frauen mehr, und die ›öffentliche‹ Frauenarbeit ist damit auch beseitigt.

Frimm: Ueber Eure Theater, Concertsäle und die anderen öffentlichen Lokale werdet Ihr Euch nach dem Gehörten wohl selber das Nöthige sagen können.

Plusa: Ihr krempelt ja ganz Europa um – die Geschichte ist nicht so leicht.

Frimm: Leicht ist Garnichts.

Knaff: Alle Kunst, die sich um den Ehebruch dreht, ist schlecht und werthlos.

Plusa: Die Europäer werden nach Hause gehen und zunächst wieder mit ihren Frauen und denen ihrer Freunde und Bekannten ganz unverfroren zusammenkommen, mit ihnen essen, trinken und tanzen und gänzlich vergessen, dass das eigentlich hetärische Einleitungsmanöver sind.

Pix: Vergesst nicht, dass wir im Grunde genommen sehr tugendhaft sind und eigentlich nur das Ueberhandnehmen des Hetärismus und der Prostitution bekämpfen.

Plusa: Wir wollen uns nämlich mit dem alten Raifu zusammen einen europäischen Tugendpreis holen – denn wir sind sehr ehrgeizig.

Pix: Raifu hat Euch zeigen wollen, welche Rohheit und welchen Jammer Frauenfreiheit und freie Liebe erzeugt.

Frimm: Da kann einem anständigen Menschen jede Art von Liebe verleidet werden.

Plusa: Das wollte ja grade der kluge Raifu.

Knaff: Wozu ärgertest Du Dich denn über die Rohheiten, die uns Raifu vorführte?

Plusa: Weil diese Rohheiten so unerträglich waren.

Die rothen Tropfen, die so lange unaufhörlich herunterrieselten wie rother Schnee, bleiben auf ein Mal in der Luft stehen und fallen nicht mehr.

Die Körper der blauen Löwen sehen daher plötzlich gesprenkelt aus – gleich wie mit rothen runden Himmelssternen übersät.

Der Ton, in dem die Löwen reden, klingt jetzt noch gedämpfter als bisher. Das Geflüster ist jetzt so leise, dass die Europäer ihre Schallfänger noch weiter rausschrauben müssen.

Die rothen Blutstropfen – die Riesenthränen – stehen ganz unbeweglich in der Luft, sind aber von verschiedener Grösse.

Plusa will ein Nippchen Cognac trinken – die Reise ins rothe Meer ist ihm nicht gut bekommen.

Der Cognac wird dem Aermsten nicht vorenthalten.

Aber der Plusa kommt erst ganz allmählich wieder zu Kräften – auch Geister haben manchmal zu leiden.

Plusa: Das war Alles – Alles – Raifu’s Rache!! Ich habe leider am meisten darunter zu leiden.

Olli: Europäer, lacht über uns! Wir erlauben’s Euch! Aber denkt ein Nippchen über uns nach! Ihr werdet Euch eines Tages wundern, dass Ihr über uns mal gelacht habt und dann nie wieder über uns lachen – höchstens lächeln – glücklich lächeln – wenn Ihr der hellblauen Löwen gedenkt.

Frimm: Also immer kurz und zielbewusst! Entweder gleich das Weib in den Harem nehmen – oder links ab ins Hetärenheim! Wo’s das nicht giebt, macht Radau – so lange – bis es da ist! Also immer kurz und zielbewusst!

Plusa: Wie werden sich die grossen Männer, die gar keine Weiber brauchen, freuen, wenn sie wissen, dass das gemeine Volk von den Weibern schockweise geplagt wird.

Knaff: Nichtswürdiger! Ja – jede Sache hat auch unangenehme Begleiterscheinungen – die sind nun mal unzertrennlich von den ewigen Spässen des Weltalls. Der Spass ›Harem‹ hat natürlich auch manches Unbequeme. Nichts ist vollkommen. Aber – trotz Alledem – es lebe der Harem Europa’s!

Pix: Das absolute Glück haben wir leider noch nicht entdeckt – es ist nicht mal bei den Geistern zu Haus. Deswegen wollen wir aber nicht verzweifeln – das wäre zu dumm!

Olli: Jeder soll mit seinem bischen Glück vorsichtig umgehn, es sorgsam behüten.

Frimm: Man soll hauptsächlich nicht zu viel über sich selber nachdenken – das macht unglücklich.

Plusa: Macht manche Menschen sogar verrückt.

Knaff: Man sollte sich die grösste Mühe geben, glücklich zu werden – man sollte sich so recht ordentlich anstrengen.

Pix: Ja.. was.. sollte man nicht Alles!

Die rothen Tropfen steigen langsam in die Höhe und platzen oben – wie Seifenblasen.

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Die vierundzwanzigste Nummer beginnt:

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