Der Tod der Barmekiden

Die Herren Söhne

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Die grünen Wolken vergehn.

Ein stilles Abendbild entschleiert sich: die hohe Pforte der Chalifenburg, zu der fünf und zwanzig grosse breite Marmorstufen hinaufführen.

Hoch zu Ross erscheinen die Söhne Haruns, Emin und Mamun, die von einem längeren Stadtbummel heimkehren. Sie geben ihre Pferde ihren Begleitern, die rasch mit den Thieren verschwinden, und wollen nun langsam die Stufen hinansteigen. Doch Mamun, der Jüngere, zieht seinen Bruder zurück und flüstert geheimnisvoll: »Emin, dort kommen die Dichter, die hier stets vor der hohen Pforte herumlungern und sich über das unterhalten, was in der Chalifenburg vorgeht. Verstecken wir uns im Gebüsch und hören wir mal zu! Es wird einen grossartigen Spass geben, wenn wir nachher plötzlich erscheinen und sagen, wer wir sind.«

Emin nickt, und sie verstecken sich.

Die Dichter kommen und schimpfen natürlich, wie sie’s immer thun, auf Alles. Nur Einer schimpft nicht – das ist der berühmte Abu Nuwâs, denn der ist wieder mal so betrunken, dass er blos noch schlafen kann.

Der langen Reden kurzer Sinn ist, dass sich die Barmekiden auf dem Gipfel ihrer Macht befinden und dass es vollkommen unnütz ist, die Lobgedichte an das Herrscherhaus der Abbassiden zu richten, da sich das doch nicht bezahlt mache – nur Djafar, Fahdl und Jahjah seien zu preisen.

Wie die Herren Söhne im Gebüsch diese grossen Wahrheiten vernommen haben, springen sie plötzlich hervor und geben sich zu erkennen, loben die Dichter ihrer edlen Gesinnung wegen, beschenken Alle mit dickem Golde und steigen so vergnügt die fünfundzwanzig Stufen zur hohen Pforte hinauf, dass man glauben könnte, sie seien nicht blos die Herren Söhne – sondern die Herren schlechtweg.

Die Dichter gehen selbstverständlich mit Gebrülle in die nächste Kneipe, doch lassen sie in ihrer Aufregung den Abu Nuwâs ruhig weiterschlafen, er redet daher im Schlafe: »Was? Ihr gebt mir Nichts zu trinken? Was ist denn los? Bin ich dazu Euer grösster Dichter, dass…« Er wird unverständlich. Von oben aber kommt Fahdl, der oben gelauscht hat, mit dem Hauptmann der Thorwache herunter, lässt den Dichter wecken, schenkt ihm Gold und schickt ihn lachend nach Haus – zwei Soldaten müssen ihn in einer Sänfte tragen.

Währenddem kommen von oben noch zwei schwarze vermummte Gestalten herunter, die dem Hauptmann die berüchtigten goldenen Kugeln zeigen, die unbehinderten Durchlass gewähren. Doch der allmächtige Fahdl erkennt die Hände, die die Kugeln halten, nimmt die eine der vermummten Gestalten bei Seite und befiehlt dem Hauptmann, die andre mit sichren Leuten in das Schloss des alten Jahjah zu bringen; er verspricht, nachzukommen.

Die zurückgebliebene Gestalt nimmt, wie sie sich dem Fahdl allein gegenüber befindet, das Kopftuch ab – und die Europäer erkennen natürlich sofort den herrlichen Djafar, wissen auch gleich, dass die andre Gestalt nur die Abbasah sein konnte, und wundern sich garnicht, wie Fahdl seinem Bruder in leisem Tone eine Strafpredigt hält.

»Dir rappelt’s wohl!« bemerkt der Fahdl zum Schluss, »um dieser Abbasah willen willst Du fliehen und uns Alle im Stich lassen? Das geht nicht, mein lieber Bruder! Lass Dich doch nicht von diesem verrückten Weibe an der Nase herumführen. Ich werde Euch für die Zukunft auf Schritt und Tritt beobachten lassen. So was darf nicht wieder vorkommen. Wir wollen wieder raufgehn! Du bist doch zu Allem fähig!«

Und sie gehen wieder die fünfundzwanzig Stufen rauf und verschwinden im Thorweg.

Die ganze hohe Pforte verschwindet zur selben Zeit ebenfalls, und die Europäer sehen im Hintergrunde die herrlichen Lusthäuser der Gebrüder Emin und Mamun.

Die Gebrüder empfangen den allmächtigen Fahdl – denn die Barmekiden stehen auf dem Gipfel ihrer Macht, und Fahdl lenkt die Welt. Diese Thatsache veranlasst die braven Prinzen, den Barmekiden täglich ein Schock der unsinnigsten Wünsche vorzutragen. Und der gewandte Fahdl versteht es, wie sich denken lässt, ausgezeichnet, die biederen Knaben völlig von sich abhängig zu machen. Er hat sie schon ganz in der Tasche. Um sie von ihren unsinnigen Plänen abzubringen, erzählt er ihnen Wunderdinge vom herrlichen Bruder Djafar, der so edel und tapfer sei, dass ihm Harun jeden Wunsch erfülle. Er empfiehlt nun den Knaben, auch recht edel und tapfer zu sein – dann würde er, Fahdl, ihnen auch jeden Wunsch erfüllen. Salbungsvoll sagt der Schlaue den Grossäugigen: »Ja! ja! Jahjah kann lachen. Djafar ist gross und Fahdl lenkt die Welt. Jahjah kann lachen. Warum lacht ihr nicht ebenso?«

Nun lachen alle Drei und verschwinden im Kuchenkiosk, wo zweihundert hübsche Knaben sich den Bauch mit Kuchen vollschlagen.

Der Kuchenkiosk fällt mit der ganzen Umgebung in die Tiefe, und es steigt dafür der grosse Palast der Zobaïda würdevoll in den duftblauen Märchenhimmel empor. Da funkelt wieder Alles von edlen Steinen. Des Chalifen hohe Gemahlin schwelgt wie stets im Glanz der schönsten Diamanten, sie empfängt auf ihrem goldenen Altan den alten Jahjah ibn Chalid ibn Barmek – stehend – von zwei Sklaven gestützt.

Als ›Mutter‹ spricht sie zu dem alten Mann, klagt ihm, dass ihre Söhne Emin und Mamun ganz aus der Art schlagen, sich garnicht an die Mädchen gewöhnen können und immer dumme Streiche im Kopfe haben – garnichts Ernstes – nichts Gesetztes.

»Diese ungezogenen Rangen,« ruft sie weinend und schluchzend, »die wissen noch garnicht, was es bedeutet: eine Welt zu beherrschen. Das ist doch schwerer als Kuchenessen und Unzucht treiben.«

Sie heult, und Jahjah verspricht Alles – selbst das Unmögliche!

Die Barmekiden sitzen auf dem Gipfel ihrer Macht, und Jahjah kann lachen – was er auch thut – es ist Alles gut. Das Geschäft blüht.

Die Landschaft mit dem Schloss dreht sich um, und aufm Tigris sehen anitzo die Europäer im Uferschilf eine grosse Barke, in deren Mitte Haruns Schwester Holagga sitzet und auch den Fahdl empfängt – ganz allein. Sie sieht verführerisch aus.

Die feurige Holagga, deren Stirn ein blitzendes Diadem umkränzt, setzt dem geplagten Vezier auseinander, dass es sich für ihn doch nicht schicke, sich mit den Knaben Emin und Mamun abzugeben. Und die schöne Frau reizt den Allmächtigen gegen die unreifen Herren Söhne auf, um selber reizend zu erscheinen. Doch Fahdl küsst ihr nicht als Liebhaber, sondern als Staatsmann feurig die Hand. Die Barke fährt um die Ecke herum, und es wird stockdustre Nacht.

Und die drei Flammen der Feueranbeter tauchen aus dem Boden heraus – in der Mitte auf dem runden Opferstein stehen die Gebrüder Emin und Mamun.

Die Barmekiden feiern ein Prinzenfest.

Nackte Mädchen und nackte Knaben tanzen johlend mit Fackeln in den Händen um die heiligen Flammen, küssen die Füsse der gediegenen Prinzen und beten diese Chalifen der Zukunft an.

Die Flammen flackern und wackeln stark, die Priester der Barmekiden krümmen sich vor Lachen, und die nackten Mädchen und Knaben werden immer verrückter – einfach wahnsinnig.

Die Herren Söhne amüsiren sich göttlich.

Der Vorhang fällt.

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Die blauen Löwen liegen da wie die Sphinxe im Aegypterland – rühren kein Glied.

Die Europäer sehen sich wieder den neuen Vorhang an, der ganz schneeweiss ist und nur in seiner Mitte ein kleines braunes Kind zeigt, das mit bunten Eiern spielt.

Vor den Löwen spaltet sich der Wüstenboden, und unsichtbare Hände reichen in starken Granitschalen ein neues Gericht hinauf: Gestampfte Tomaten mit gefrornem Papagei. Die Wüste wird kühler.

Die Löwen sind aber auch sehr kühl. Pix bemerkt mit zitternder Pfote: »Das ist ausserordentlich liebenswürdig! Jawohl, wir wissen bereits: Ihr gebt uns immer so viel zu essen, damit wir nicht so viel reden sollen. Wirklich sehr liebenswürdig!«

Doch da ertönt über dem Vorhang Raifu’s Stimme, sie spricht knarrend: »Ich hab Euch nicht das Reden verboten! Ihr sollt nur nicht pfeifen.«

Olli murmelt darauf: »Der alte Raifu ist doch so eitel wie ein ächter Bühnendichter! Hätt’s garnicht geglaubt, wenn das früher jemand behauptet hätte! Die Abneigung gegen abfällige Kritik gehört wohl zum Handwerk. Schändlich, dass das Handwerk stets den Charakter verdirbt!«

»Redet Euch nur,« erwidert Raifu einfach, »ordentlich aus! Im weiteren Verlauf der Handlung dürftet Ihr nicht mehr viel Gelegenheit finden, thatkräftig und beredt in den Gang der Handlung einzugreifen.«

Nach diesen Worten erklären die Löwen, dass sie wieder gemüthlich sein wollen, lassen sich die gefrornen Papageien gut schmecken und finden auch die gestampften Tomaten nicht übel.

Der heftige Knaff äussert sich beim siebenten Papagei folgendermassen: »Liebe Europäer, warum seid Ihr so still? Ihr seht doch, dass wir mit unsern Vögeln genug zu thun haben. Nun redet auch mal was! ihr könnt doch nicht verlangen, dass wir in Einem zu Euch unterhalten.«

Die Europäer sehen das ein, sie schicken einen hageren Engländer vor, und der sagt:

»Wir bewundern an dem grossen Schauspiel, dem beizuwohnen wir die Ehre haben, in allererster Linie die vorzügliche Farbe; das koloristische Element erscheint uns bedeutend. Ausserdem wundern wir uns über die herrliche üppige Ausstattung, über die vielen Vorhänge und Wandeldekorationen. Wir haben die Empfindung gehabt, dass das dekorative Element zu stark betont sei. Wir wollen das nicht tadeln, wüssten aber gern, warum das Dekorative so überreich zur Geltung gelangt.«

»Der Orient,« antwortet Frimm, »ist an den Luxus gewöhnt. Der Orient ist nicht so armselig wie Europa. Er ist sogar ans Ueberladene, Ueberüppige, Hyperbarocke – kurzum ans Masslose gewöhnt. Und es erscheint uns völlig gerechtfertigt, dass in einem Drama der Masslosigkeit die grossartige Dekoration mehr Spielraum einnimmt als sonstwo. Ich freue mich, dass Ihr nicht so albern wie junge Hunde fragt. Indessen – schweigt jetzt! Wir wollen wieder ein ethisches Quintett reden – das scheint uns immer noch das Interessanteste an dieser ganzen Aufführung zu sein. Entschuldigt, dass wir dabei ruhig weiteressen – wir haben Hunger!«

Das Quintett beginnt:

Pix: In Wirklichkeit wählt die Frau niemals den Mann – sie folgt dem, der sie zwingt. Der Frauen höchstes Glück ist, sich vom Manne vollkommen unterdrücken zu lassen. Das Glück können nicht mal die Hetären entbehren – man sehe sich nur ihre Cinäden an.

Frimm: Die Männer thun manchmal so, als müssten sie die Frauen, die ihrem Manne nicht die grosse Liebe entgegenbringen können, bedauern. Das ist aber Alles Unsinn, denn ein ächtes Weib will garnicht viel gefragt werden. Nur Hetärennaturen sind wählerisch und wollen wählen.

Olli: Bei der Zuchtwahl können aber nicht beide Theile wählen. Allzu viel Scharfsinn gehört doch nicht dazu, das zu begreifen. Es kann doch immer nur das Weib oder der Mann wählen. Thut’s aber das erstere Geschöpf, so wird die Rasse nicht veredelt werden – woraufs doch ankommt!

Knaff: Ach, das Schlimmste ist, dass Ihr so viel Umstände mit den ›gebildeten‹ Weibern macht! Die Liebe zur Gebildeten ist ja ebenso gut wie die zur Hetäre nicht für die Dauer – denn Beide wollen Abwechslung haben.

Plusa: Der Europäer ebenfalls.

Pix: Dazu ist aber der Harem und das Bordell da. Da weiss man doch immer, woran man ist – während man bei den gebildeten Weibern genau so wie bei den Hetären eigentlich nie weiss, woran man ist.

Frimm: Europäer, Ihr dürft Euch nicht über unsre stete Betonung der Zuchtwahlinteressen wundern. Wir Löwen stammen nun mal aus Arabien, wo die Zuchtwahlinteressen sowohl bei Thieren wie bei Menschen mordsmässig viel zu sagen haben.

Raifu erscheint wieder überm Vorhang und räuspert sich. Da die Löwen nicht drauf achten, schreit er wüthend mit geballten hocherhobenen Fäusten:

»Na? Wird’s bald? Ich soll Euch wohl Beine machen! Wir haben nicht so lange Zeit!«

Die Löwen erheben sich und laufen im Trabe in die Mitte des Vorhangs hinein, der bald wieder zerrissen ist.

Die Europäer wundern sich über die Verschwendung und können sich nicht erklären, warum die schönen Vorhänge so rücksichtslos entzwei gemacht werden.

Aber das schadet Nichts.

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Die dreizehnte Nummer beginnt:

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