Der Tod der Barmekiden

Nieder!

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Ein hoher Hügel mit Sonnenschein schiebt sich vor die Stadt des Heils – es ist Haruns Myrthenhügel zu Rakkah.

Der reich gegliederte Hügel wird von dem luftigen, nur aus Holz erbauten Lampenschloss gekrönt, über dem eine grosse grasgrüne Flagge in den dunkelblauen Himmel flattert. Ein paar Palmen stehen schwankend links und rechts. Schmale Treppen mit weissem Birkengeländer schlängeln sich durch die Myrthengebüsche nach oben, und im oberen Theile des Hügels öffnet sich eine grosse ganz bunte Blumengrotte, aus der langsam zwei grosse braune Araber heraus treten: der rothe Masrar und Ibrahim, der Leibarzt des Chalifen.

Der Arzt sagt ernst und eindringlich: »So kann’s doch nicht weiter gehen. Nun sind wir schon lange drei Jahre in Rakkah, und der Chalif bleibt, wie er war: missmüthig mürrisch und traurig. Alle meine Kunst ist vergeblich gewesen. Jetzt muss etwas Neues probirt werden. Das ist Dir doch klar, dass eigentlich an diesem Jammerzustande nur der Djafar die Schuld trägt. Es ist nun leider verboten, in Haruns Gegenwart ein Wort von den Barmekiden zu erwähnen. Das halt‘ ich aber für falsch. Ich werde heute noch das Gespräch auf Djafar bringen und bedauern, dass er nicht mehr lebt. Dann wird sich der Kranke aussprechen – vielleicht auch wieder toben – aber schliesslich wird’s besser mit dem armen Menschen werden. Was meinst Du dazu?«

»Einen dümmeren Einfall,« erwidert der Henker, »konntest Du nicht haben. Das nützt dem Harun Garnichts, Dir aber kostet es den Kopf. Befiehlt er mir, Dir das Haupt vom Rumpfe zu trennen, so glaube nicht, dass ich mich seinem Befehle widersetzen werde. Ich bin meinem Herrn die vielen Jahre treu geblieben und werde ihm auch heute und morgen treu bleiben. Der Treubruch ist mir in jeder Form unter allen Umständen verhasst. Ich liebe den Harun, weil er gerade so denkt und nie vergessen kann, dass sein bester Freund ihm die Treue brach. Nieder mit dem Treubruch!«

»Das Wort ›Nieder!‹ hast Du Dir,« bemerkt lächelnd der Arzt, »schon gehörig in Haruns Diensten angewöhnt. Ich aber will den Chalifen munter machen und fürchte mich nicht. Da kommt er rauf!«

Harun steigt mit gerunzelter Stirn in gebückter Haltung die Treppen hinauf und murmelt mehrmals: »Nieder mit den Schurken! Nieder!«

Er schrickt zusammen, als er die Beiden vor der Blumengrotte sieht und geht auf sie zögernd zu.

Des Chalifen Bart ist schneeweiss, Körper und Gesicht scheinen zusammengeschrumpft zu sein. Die einst so mächtige Gestalt bewegt sich jetzt schlotternd und ohne die frühere Würde. Der grüne Seidenkaftan baumelt ihm schlaff um den Leib wie ein alter mürber Schlafrock. Harun giebt Nichts mehr auf sein Aeusseres; ›neue‹ Kleider zieht er garnicht mehr an.

»Warum ist der Beherrscher der Gläubigen so düster und missmüthig?«

Also fragt lauernd der Arzt.

Der Chalif krallt seine braunen Hände in die grüne Seide seines Kaftans und sagt zähneknirschend: »Wüsste das dieser Rock, den ich auf dem Leibe trage, ich würde ihn sofort zerreissen.«

Er bittet die Beiden, ihm nach oben ins Lampenschloss zu folgen.

Masrar murmelt: »Du bist gewarnt!« Doch der Ibrahim lächelt, als wenn er Alles besser weiss, meint leichthin: »Es ist wahrhaftig nicht bedeutend, wenn ein Mensch blos gut ist – aber auch nicht, wenn er blos bös ist.«

Harun schreit plötzlich: »Nieder mit dem Schurken! Nieder!«

Und dann lassen sich die Drei auf dem Altan des Lampenschlosses nieder. Der Chalif befiehlt die vielen Papierampeln anzuzünden, obgleich es noch garnicht dunkel ist. Gleichzeitig sollen die Sklaven Wein bringen und Hühner braten.

Während des Trinkens fragt Ibrahim:

»Denkst Du nicht öfters an Djafar?«

»Jawohl!« versetzt ruhig der Chalif, »der Gedanke an Djafar bereitet mir schlaflose Nächte.«

»Ich bedaure, dass er nicht mehr lebt,« giebt der Ibrahim zurück, »Du würdest in seiner Gesellschaft heitrer sein als in unsrer.«

Die Sonne geht unter, und die Ampeln brennen heller.

»Iss noch ein Huhn!« sagt heiser der Chalif, während seine Augen unheimlich funkeln, zu seinem Arzt.

Masrar schenkt Wein ein und sagt traurig:

»Wir wollen auch Wein trinken!«

Und sie trinken.

Es ist sehr still auf dem Altan, die Nacht zieht mit ihren Sternen herauf, die bunten Ampeln schaukeln vor der dunklen Himmelswand, eine Nachtigall flötet, ein paar Affen klettern schreiend auf eine Palme rauf, und der gute Mond hebt sich langsam über die Myrthengebüsche und kuckt um die Ecke nach dem Altan, auf dem Ibrahim noch ein zweites Huhn essen muss. Mond, Harun und sein Henker – sehen schweigend dem Essenden zu.

»Hast Du Deinen Säbel bei Dir?« fragt währenddem bedächtig der Chalif. Und der Henker bejaht die Frage, giesst dem Arzt noch einen Becher Wein ein und sagt gutmüthig: »Trink und iss, so viel Du kannst!«

»Schlag ihm sofort den Kopf ab!« spricht nun kalt der böse Harun.

Ibrahim lässt Wein und Huhn in seinen Schoss fallen, Masrar springt auf und holt zum Schlage aus, die Europäer sehen den Säbel den Henkers im Mondlicht aufblitzen – doch im selben Augenblick giebt’s einen furchtbaren Donnerschlag, und blitzschnell hat sich der Myrthenhügel Haruns in den schneebedeckten Demawand verwandelt.

Der Riese Raifu sitzt mittendrinn wie ein Riesengletscher da, die Zaubrer hängen in seinem langen rothen Bart. Und sämmtliche Geister des Demawands stehen aufrecht auf den vielen Felsenriffen; in den Höhlen und Schluchten haben sich die Drachen und Ungeheuer auch auf die Hinterbeine gesetzt.

Alles unbeweglich und still!

Der Vollmond steht links oben, wird aber von schwarzen Wolkenbändern etwas verdunkelt.

Raifu starrt mit weit aufgerissenen Augen unverwandt die Europäer an.

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Die Europäer sehen zitternd mit offnem Munde den Demawand und seine grossen Geister an.

Die Löwen knallen ein bischen mit den Schwänzen und springen dann in grossen Sätzen auf die Bühne in die Berge des Demawands hinein.

Bald stehen die Löwen ihrer Gewohnheit gemäss wieder brüllend und knallend auf ihren fünf Bergkegeln und schielen mit dem einen Auge zu den Europäern nieder, mit dem andern zum grossen Raifu auf.

»Wir nähern uns dem Schlusse des grossen Schauspiels!« spricht leise der scharfsinnige Olli.

»Die Geister des Demawands haben ihre Sache gut gemacht!« sagt der edle Frimm.

»Die Anstrengung war nicht von Pappe – auch auf unsrer Seite nicht!« bemerkt der liebe Pix.

Die Stimmen der Löwen haben einen singenden Tonfall und klingen so von den Felskegeln hernieder, wie’s abends von den Minarets herniederklingt. Es tönt Alles von oben herab wie aus weiter Ferne. Die Schwänze der Löwen knallen zuweilen leise mit.

Und Plusa sagt nach einer kleinen Pause:

»Eröffnen wir also zur Abwechselung mal ein ästhetisches Quintett! Wir können’s uns ja leisten, und die Abwechslung thut noth. Wir und die Kunst sind jedenfalls – Allah sei Dank! – frei!«

Und das ästhetische Quintett wird eröffnet!

Knaff: Die Europäer haben hoffentlich eingesehen, dass die Kunstwerke mit didaktischen Zwecken eben so viel Berechtigung haben wie die Kunstwerke ohne Zweck.

Plusa: Die Kunst hat mit dem Weibe, dem Kinde und dem Volke Nichts gemein – braucht nicht wie diese Drei stets unter Aufsicht zu leben – sondern darf frei sein wie der männliche Mann – ganz frei!

Olli: Der Dichter muss immer mit zwei Händen zugleich die Tasten seiner Sprache berühren – womöglich noch mit mehr als zwei Händen.

Pix: Daher ist die subjektive Färbung eines Kunstwerks kein Fehler. Der Dichter kann immer in seiner Weise mang reden, denn er ist das freiste Wesen der ganzen Welt und kann sich Alles erlauben.

Frimm: Sehr richtig! Und die Kunstwerke, die keine aparten Schnörkel besitzen, mögen in Europa geschätzt werden. Bei uns ist das anders! Im Orient pflegt der Dichter zu stolz zu sein, um sich zu verbergen.

Knaff: Objektive Kunst kennt man im Orient garnicht. Es ist nicht nöthig, das Publikum immerfort in einer Illusion zu erhalten. Beim vernünftigen Publikum wird das auch stets missglücken. Der Betrug ist in der Kunst überflüssig – sogar dumm.

Plusa: Und damit ist unsre Anwesenheit bei Vorführung des Raifu’schen Dramas vollauf berechtigt.

Knaff: Im Uebrigen müssen sämmtliche ästhetischen Regeln vom Dichter ordentlich verulkt werden – das gehört sich nun mal so!

Olli: Der Dichter muss allerdings ein Genie sein.

Knaff: Aber Mensch! Quassel blos nicht so viel! Wir wissen ja selber nicht einmal, wie ein Genie aussieht.

Pix: Jedenfalls wissen wir, wie ein Dilettant aussieht.

Plusa: Na – wie?

Pix: Den Dilettanten erkennt man an seinem Enthusiasmus.

Plusa: Pix, Du bist böse! Dann ist also die ganze Aesthetik nur Dilettanten-Werk – was?

Pix: Schon möglich – ich will aber Nichts gesagt haben.

Plusa: Feigling!

Olli: Die Kunst, die kein ethisches Rückgrat besitzt, führt in leeren Formalismus hinein oder ins Reich der puren Wissenschaftlichkeit. Die Ethik ist in der Kunst die Hauptsache – das ist nun mal so! Merkt es Euch!

Plusa: Dilettant! Aechte Dichter brauchen keine Regel.

Frimm: Das komplicirte Wesen der Kunst werden wir ebenso wenig begreifen können wie das komplicirte Wesen des Lebens. – Ja! Da sich Beides einander ähnen will, darf auch Beides unbegreiflich bleiben. Ach – Alles kommt immer wieder! Hat Einer bewiesen, dass ein Kunstwerk keine Tendenz haben darf, gleich kommt ein Andrer und beweist das Gegentheil. Es ist daher auch gleichgiltig, ob wir Raifu’s Arbeit grob-tendenziös oder fein-tendenziös nennen. Beides wär‘ berechtigt.

Pix: Wie tiefsinnig Du bist!

Plusa: Kinder, wir kritisiren jetzt zu viel! Und da die Kritiker sämmtlich Parasiten sind, so sind wir’s auch!

Pix und Knaff: Halt’s Schandmaul!

Olli: Schälen wir nun den Kern aus der Arbeit unsres Riesen heraus!

Frimm: Der Treubruch mit seinen Folgen ist der Kern.

Olli: So hätten wir also eine Treubruchstragödie vor uns, nicht wahr?

Plusa: Wir hätten, wenn wir nicht sehr irren, die letzte Treubruchstragödie vor uns. Zum Abgewöhnen hat sie Raifu den Europäern vorgesetzt. Und wir wollen hoffen, dass nach diesem Stück die europäischen Romane der hetärischen Monogamie ein für alle Mal aus der Mode kommen.

Frimm: Hoffen wir’s!

Pix: Es ist die höchste Zeit, sich über den Treubruch herzlich lustig zu machen.

Frimm: Wenn man der Frau die Freiheit lässt, so soll man sich nicht wundern, wenn die Frau mit ihrer Freiheit anfängt, was ihr beliebt.

Plusa: Nun – das Thema vom Treubruch hätten wir gründlich abgeklappert. Das nenn‘ ich Energie!

Olli: Die Energie hat sich erst in den letzten Nummern des Dramas gezeigt.

Frimm: Wir wollen aber den Europäern nicht die Gelegenheit benehmen, auch noch Bemerkungen über Raifu’s Drama loszulassen.

Pix: Aber nur in ihrer Heimath dürfen sie das thun.

Olli: Richtig – nur das selbständig Gedachte reizt zu Thaten, und es kommt uns auf diese mehr an als auf jenes.

Plusa: Blödsinn! Selbständige Denker waren niemals grosse Thatmenschen.

Pix: Schluss der Debatte!

Plusa: Ich möchte nur noch bemerken, dass es mir persönlich nicht angenehm ist, wenn ein Kunstwerk fast in seinem eigenen Blute ersäuft. Dabei kann ich nur wehmüthig ausrufen: Pfui Deiwel! So viel Kunst und so viel bodenlose Gemeinheit! Pfui Deiwel!

Der Ausruf schallt lauter als alles Andre.

Raifu’s Gestalt löst sich langsam in graue Nebelschleier auf – der Demawand und die Geister ebenfalls.

Die Löwen springen mit furchtbarer Geschwindigkeit, als wenn sie auch befürchten müssten, in Nebelschleier aufgelöst zu werden, in die syrische Wüste hinunter – zehn gute Sprünge haben’s gethan!

Doch plötzlich steht der gewaltige Riese auch in der Wüste, bückt sich, holt mit der flachen Rechten zum Schlage aus, dass alle Europäer durch den Windzug auf den Rücken fallen, und giebt dem Plusa eine Ohrfeige, dass der tief nach Süden kullert und ins rothe Meer plumpst….

Raifu brummt: »Europäer, nehmt den starken Luftzug nicht weiter übel! Habt Ihr Euch gestossen?«

Die Europäer murmeln: »Nein!«

Plusa kommt pudelnass wieder herbeigelaufen und schimpft mächtig – spuckt auch viel salziges Meerwasser aus.

Die Europäer reiben sich die Rücken.

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Die dreiundzwanzigste Nummer beginnt:

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