Der Tod der Barmekiden

Die Gemahlin!

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Auf dem dunkelblauen Meer wird’s stürmisch, aber die Wogen gehen von der Mitte aus, sodass sich da eine tiefe Mulde bildet, die immer breiter und tiefer wird; die Wogen zu beiden Seiten schäumen dagegen immer höher auf – haushoch – höher als die höchsten Minarets – so hoch wie die Pyramiden am Nil.

Und nach einem mächtigen Posaunenstoss verwandeln sich die hohen Wogen urplötzlich in hohe grüne Bäume mit dunklem kühlem Blätterschatten.

Und wo die Meermulde war, durchschneidet eine tief nach hinten gehende Allee das Bild, dessen Vordergrund eine breitere, schwarz und weiss gepflasterte Terrasse ausfüllt, die auf niedrigem Felssockel und ebenso hoch wie der Kiesweg, der schnurgrade nach hinten geht, liegt.

Wieder mitten im Garten der Chalifenburg! Im Hintergrunde der Allee der blaue Tigris wie ein übriggebliebenes Stück Meer! Die Bäume der Allee rechts und links grad‘ geschnitten, sodass sie wie glatte grüne Wände aussehn.

Die schwarz und weiss gepflasterte Terrasse hat die Form eines länglichen Rechtecks, dessen längere Seiten quer von links nach rechts gehn; auch das Rechteck wird von hohen grad‘ geschnittenen Bäumen an den Seiten und hinten eingerahmt. Die Bäume sind so hoch, dass man vom Himmel oben nur ein kleines Stückchen sieht; blos hinten am Ende der Allee steht über dem dunkelblauen Tigris ein grösseres senkrecht aufsteigendes Himmelsstück – ebenfalls ein längliches Rechteck. Der Kiesweg der Allee ist gelb, und die Blätterwände sind dunkelgrün.

Eilig kommt jetzt Harun mit Djafar und Abbasah die Allee herauf nach vorn. Die Drei sind ganz in weisse Seide gekleidet, tragen breite Beinkleider und weisse Rosenknospen. Die Abbasah schimpft über die schnelle Gangart, Harun sagt aber kühl: »Oh, das ist sehr gesund.«

Auf der Terrasse ruft der Chalif die Sklaven heran und befiehlt, das Mittagessen zu bringen, er setzt sich links mit dem Rücken dicht vor die kurze Blätterwand des Rechtecks. Für Djafar und Abbasah wird vor der rechts gelegenen Seitenwand gedeckt, sodass die Beiden sehr weit von ihrem Fürsten, der sie garnicht zu beachten scheint, entfernt sind. Man sitzt mit untergeschlagenen Beinen auf grossen rothgefärbten Strohmatten, das Essen wird in grossen rothen Thonschüsseln aufgetragen.

Und während die Drei, ohne zu sprechen, speisen – erscheint im Hintergrunde der grosse Elephant und nähert sich von den klugen Indern geführt gemächlich der Terrasse; das dicke Thierchen ist in ausgezeichneter Laune, spasst immer mit seinen beiden Führern, denen er die Turbane mit dem Rüssel abnimmt und auf seine Stosszähne steckt, worüber sich die Beraubten natürlich nicht ärgern.

Dem Elephanten folgt der alte Jahjah ibn Chalid und sein Sohn Fahdl, der Vezier. Hinter diesen schreiten an die fünfzig Sklaven, die kostbare Geschenke tragen.

Auf der Terrasse steht Alles still und Harun lässt sich die Geschenke zeigen – zuerst wunderbare Goldarbeiten mit vielen Edelsteinen, kostbare Waffen und herrliche Trinkgefässe für den Chalifen von Peking.

Ein Zelt, Räucherwerk, zwei Leuchter und eine Wasseruhr sind für den Frankenkönig Karl von Aachen bestimmt. Harun bemerkt kauend: »Das habt Ihr also für den Negerkönig ausgewählt, nicht wahr?«

Jahjah erwidert, dass Karl kein Neger sei, da er weisse Haut und rothe Haare besitze.

»Schön!« bemerkt da Harun, »also für den weiss und roth gefärbten Negerkönig. Aber merk Dir’s: Neger bleibt Neger, auch wenn er die Farbe wechselt. Kurl heisst der Kerl, nicht wahr?«

»Karl heisst er,« sagt Fahdl mit tiefer Verbeugung.

»Schön!« schreit nun Harun heftig, »diesem Karl, diesem Kerl, schickt auch meinen einzigen Elephanten, ich will das Thier nicht wiedersehen; es träumt sich schlecht auf solchem Elephanten. Macht, dass Ihr weg kommt.«

Der Zug macht Kehrt, die Inder nehmen schnell dem Elephanten ihre Turbane wieder ab und gehen mit dem Thier den Andern nach.

Stolz wandelt der Elephant die Allee hinunter; heut ist er unbekleidet, doch hebt er seinen Rüssel höher denn je, was vor dem blauen Himmel sehr drollig wirkt.

Während der Elephant würdevoll weitergeht und im Hintergrunde der Allee immer kleiner wird, befiehlt Harun seinem alten Kammersklaven, den Rebellen Jahjah ibn Abdallah vorzuführen und den Henker.

Djafar unterbricht aber den Chalifen:

»Halt,« ruft der Barmekide, »zieh den Befehl zurück und schick die Sklaven fort – ich hab‘ Dir was zu sagen, Harun!«

Des Barmekiden Wunsch wird sofort erfüllt.

Es wird unheimlich still auf der Terrasse.

»Sprich, mein Freund!« sagt endlich der Harun.

Djafar trinkt und spricht dann rauh:

»Du hast was gegen mich! Du hältst mich nicht für ehrlich! Ich hab‘ aber Nichts gethan, was Dich kränken kann. Ich wollte Deinen Argwohn zerstreuen. Ich wollte Dir zeigen, dass ich keine Furcht vor Dir habe. Ich brauche Nichts zu scheuen, und deswegen habe ich eigenmächtig gehandelt, um Deinen Argwohn zu verscheuchen – nur um Deinen Argwohn zu verscheuchen. Ich hatte kein anderes Mittel.«

»Und was that mein Freund?« fragt nun der Chalif.

»Er befreite,« entgegnet Djafar grob, »den Mann, den Du schon schwer genug bestraft hast, von allen weiteren Strafen – er gab dem Rebellen Jahjah ibn Abdallah die Freiheit wieder. Der stolze Barmekide wollte Dir beweisen, dass er keine Furcht vor Dir hat. Er wollte Dir zeigen, dass er zu allen Zeiten offen und ehrlich handelt, dass er’s ausserdem für eine Beleidigung erklärt, wenn man ihm Misstrauen entgegenbringt.«

»Das ist frech!« knirscht Harun.

»Djafar ist stets sorglos, frech und toll,« lautet die kalte Antwort des Freundes.

Es wird noch stiller auf der Terrasse, Alle trinken.

»Du willst,« beginnt Harun nach einer Weile, »den einen Fehler durch einen zweiten wieder gut machen. Ein seltsames Verfahren!«

»Ich wollte,« versetzt nun Djafar zitternd, »Dich davor bewahren, unklug zu handeln. Wenn Du den Rebellen jetzt noch, wo Du weisst, dass er unschädlich ist, köpfen liessest, so würde man Dir überflüssige Grausamkeit vorwerfen, und die Zahl Deiner Feinde würde sich unheimlich vermehren. Das sagte auch mein Vater und mein Bruder. Und da sagte ich ihnen, dass ich handeln würde. Und ich habe gehandelt und weiss, dass ich meine That vor dem höchsten Richter verantworten kann. Ich weiss auch, dass ich Dir durch meine freie That den Beweis geliefert habe – dass Du – kein Recht hast – die Geschichte – auf der breiten Brücke falsch zu deuten.«

Alle springen auf, und Harun umarmt seinen Freund und küsst ihn, flüstert dann aber leise:

»Warum erlaubtest Du der Abbasah, vor dem Volke mich zu begrüssen – unverschleiert?«

»Wie?« kreischt nun die Abbasah los, »ist das die Freiheit, die Du mir geben willst – so lass Dir sagen: die Freiheit, die der Frau nicht mal gestattet, Hosen anzuziehen und einen schwarzen Schnurrbart zu tragen – die Freiheit, sag‘ ich Dir, Harun, ist für die Katz.«

Harun sagt feierlich: »Es ist noch nicht Sitte bei uns, Hosen zu tragen.«

»Ach was!« schreit da das Weib, »ich dächte, Du wolltest ›freie‹ Sitten einführen. Die Perser tragen doch Alle Hosen, und im Harem Deiner Söhne Emin und Mamun tragen auch alle ›Weiber‹ Hosen. Warum soll’s mir denn verboten sein? Wir haben Dich überraschen wollen – Du bist aber die Aufmerksamkeit garnicht werth.«

Harun sagt wieder feierlich: »Dass die Frauen meiner ungerathenen Söhne Hosen tragen, hat seinen besonderen Beweggrund.«

»Ja!« versetzt höhnisch lachend die Abbasah, »damit Deine Herren Söhne ihre Mädels für ihre Knaben halten! bring Deinen Nachkommen gute Sitten bei – wir haben Deine Rathschläge nicht nöthig.«

»Mit Weibern,« braust nun der Chalif auf, »soll man sich überhaupt nicht in lange Reden einlassen – die haben immer Recht. Die Geschichte ist erledigt. Wir legen heute Abend noch die Kleider an, die wir bei Eurer Hochzeit anhatten – und Alles ist wieder wie früher.«

Die Abbasah umarmt den Harun und küsst ihn.

Alle Drei gehen langsam und in herzlichstem Geplauder die Allee runter; die Europäer sehen nur noch die Rückseite der seidenen Kleider.

Währenddem steigen vorn vor der Terrasse aus den Erdritzen giftgrüne Dampfwolken heraus – die wirbeln bis in den blauen Himmel hinauf und verdecken das ganze Bild. Die giftgrünen Wolken ballen sich und wälzen sich, als wenn sie zornig wären; das hellblaue Licht der Löwen kann dem giftigen Grün Nichts anhaben – das Grün bleibt grün.

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Die Löwen pfeifen so laut und schrill wie fünfzig europäische Lokomotiven, dass sich das gute Publikum die Ohren zuhalten muss.

Das Pfeifen ist unerträglich.

Raifu brüllt von oben herab: »Ihr Bestien, werdet Ihr wohl das Maul halten! Ihr seid wohl verrückt geworden!«

Die Löwen pfeifen nicht weiter, schütteln aber den Kopf und lachen, dass es donnernd durch die Wüste hallt; sie hören garnicht auf mit Lachen.

Plusa brüllt: »Wart’s nur ab, alter Riese! Wenn Du uns vor den Europäern blamiren willst, so kannst Du was erleben.«

Doch da schreit der Pix heftig: »Willst Du wohl ruhig sein, Du Bestie! Du hast doch gehört, dass Raifu unsre Reden nicht liebt. Wir sollen doch das Maul halten.«

»Wir werden das Maul halten!« bemerkt der vornehme Frimm. Und die Fünf halten’s.

Die Europäer flüstern und putzen ihre Operngucker und Schallfänger, knistern auch mit den Theaterzetteln und bewegen sich ein bischen freier, als wenn sie nicht mehr so grosse Angst vor den Löwen hätten.

Flinke Wiener Kellner überreichen den Europäern dicke Apfelsinen in grossen Kiepen – frische Apfelsinen!

Das Publikum lässt sich nicht nöthigen, es nimmt die Erfrischung mit herzlichem Dank entgegen.

Nicht weniger als fünfzehn Tausend Kiepen werden im Umsehen geleert.

Die ganze syrische Wüste duftet nach Apfelsinen.

Die Löwen sind ganz still.

Die Sterne des Himmels funkeln.

Die giftgrünen Wolken verblassen allmählich.

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Die zwölfte Nummer beginnt:

 

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