Der Kaiser von Utopia

10. Die Warnung

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Am Sonntag Abend fand der große Gottesdienst statt, der das Frühlingsfest alljährlich abschloß.
Der Kaiser Philander der Siebente stand hoch oben im großen Dom auf dem Säulenerker und segnete das Volk, und zur Linken des Kaisers stand der Oberpriester Schamawi und reichte die symbolischen Geräte.
Und die Orgeln und die anderen Instrumente, die großen Chöre und Lichtarrangements gehorchten den kaiserlichen Zeichen.
Schamawi stand etwas tiefer als der Kaiser, aber so, daß dieser jedes Wort des Oberpriesters verstehen mußte, ohne daß andere Ohren als die des Kaisers etwas vernahmen.
Und Schamawi, Philanders Oheim, sprach nun Dinge, die mit dem großen Gottesdienste garnicht zusammenhingen:
»Es ist Unrecht«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »daß meines Bruders Sohn sich trennen will von seinem Volke.«
»Es ist ja nur für ein Jahr«, flüsterte der Kaiser, während auf seinen Wink mit dem Zackenstabe zehn Tausend elektrische Flammen in allen möglichen grünen Farben erstrahlten.
Aber Schamawi fuhr fort:
»Ich weiß, daß meines Bruders Sohn mehr will, ihm paßt das Volk nicht, und er will sich befreien von diesem Volke, weil er sich für größer und bedeutender als dieses Volk hält. Und Philander vergißt, wie furchtbar es ist, einsam dazustehen. Weißt Du denn, wie es ist, wenn Alle dich nicht mehr sehen – wenn sie an Dir vorüber gehen, als wärst Du nicht da – wenn sie nicht hören, sobald Du sprichst – wenn sie Dich immerfort mißverstehen, als sprächest Du die Sprache eines wilden Tiers?«
Der Kaiser hob beide Hände empor, und brausend tönten die großen Sängerchöre.
»Mir ist«, sagte Philander der Siebente, »als wäre das heute schon Alles so – wie Du sagst.«
Schamawi fuhr fort.
»So ist es also wahr: Du willst Dich trennen von uns und allein gehen – ganz allein. Philander, Du weißt nicht, was Du tust. Du gehst schweren Zeiten entgegen. Und es ist wahr, daß Du Dich auch gegen unsre Gottheit, gegen den Volksgeist – gegen den Geist des Volkes – gegen den Geist der Menschheit, der nicht von Fleisch und Blut ist – auch auflehnen willst – daß Du Dich auch von ihm, der uns alle leitet, trennen willst?«
»Warum«, versetzte der Kaiser, »willst Du das von mir jetzt wissen? Ich werde Dirs sagen können übers Jahr –so hoffe ich.« Die Orgeln dröhnten, und die elektrischen Lampen wurden alle rot, und Schamawi sagte scharf:
»Meines Bruders Sohn ist klug und weiß, seine Worte fein zu wägen, aber ich sehe, daß er sich auch gegen den Geist, der uns führt, auflehnt – und das wird Dein Verderben sein. Überlege Dir nochmals, was Du vorhast. Was Du auch gegen das Volk sagen magst, bedenke, daß der Große, der Unsichtbare, der unser Volk führt – nicht dasselbe ist wie das Volk. Philander, er ist für uns der Allmächtige – und Du sollst bleiben bei ihm – schwöre mir – bei dem Andenken an Deinen Vater! daß Du mich noch einmal zu Dir rufen willst – bevor Du Dich trennst von ihm, der unser Aller Geist ist – der Geist unsres Volkes.«
Leise sagte der Kaiser:
»Ich schwöre Dirs!«
Und alle Musikinstrumente und alle Orgeln und alle Chöre donnerten in den Dom hinein, daß die Wände bebten.
Schamawi seufzte tief auf, doch des Kaisers Augen strahlten.

 


11. Die Einladung

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In Schilda hatte der Oberbürgermeister Wiedewitt das sehr grob gehaltene Schreiben des Kaisers von Utopia erhalten – und die geheimen Regierungssekretäre und die Ratsherren waren entsetzt – einige von den letzteren waren gleich bereit, die neuen Gründungen wieder abzuschaffen. Aber da kamen sie bei Käseberg und von Moellerkuchen schön an – die legten sich mächtig für den Uniform- und Titularverein ins Zeug. Und Moritz Wiedewitt hatte den gloriosen Einfall, den Kaiser einfach einzuladen, nach Schilda zu kommen.
Und diese Einladung lag nun auf dem Schreibtisch des Kaisers, und der Kaiser saß vor der Einladung und lachte laut auf, als er das zierliche Schreiben las.
»Die Einladung kommt mir sehr gelegen!« rief er schmunzelnd, ließ sich sofort Bart, Perücke, Kaisermantel und Kaiserkrone bringen und befahl, den Staatsrat zusammenzutrommeln.
Es war Dienstag, und der Staatsrat kam – natürlich ohne Schulterfedern – zusammen.
Der Kaiser begrüßte die Herren leutselig mit der Zigarre im Munde, ließ Wein, Bier und ein kleines Frühstück auftragen und zeigte die Einladung und erklärte den Herren, daß er nach Schilda fahren möchte und ein Jahr Oberbürgermeister von Schilda sein möchte.
Die Mitglieder des Staatsrates machten so große Augen, daß andre Leute Angst gekriegt hätten. Das Augenverdrehen genierte jedoch den Kaiser keineswegs; er erklärte vielmehr eifrig, daß ihm, da der Staatsrat noch immer keinen Stellvertreter gefunden hätte, sehr angenehm sein würde, wenn der Staatsrat den Oberbürgermeister von Schilda als Stellvertreter acceptieren möchte.
»Grandiosität«, rief der Zeremonieenmeister Kawatko, »der Moritz Wiedewitt soll Kaiser von Utopia werden?«
»Allerdings«, versetzte der Kaiser, »Kawatko sah mich ja schon als Oberbürgermeister von Schilda – warum sah Kawatko nicht gleich weiter? Merkwürdig! Kurzsichtigkeit! Propheten dürfen doch nicht kurzsichtig sein.«
Auf den Stiefelabsätzen drehten sich die Mitglieder des Staatsrates herum und tranken einen Kognac nach dem andern.
»Das geht einfach nicht!« sagten sie schließlich im Chor.
»So – so!« rief da der Kaiser, »die Herren vergessen ganz und gar, daß ich auch in der Lage bin, an das Volk zu appellieren. Die Schildbürger sind vom Volke abgefallen, und der Kaiser von Utopia will sich dazu hergeben, die Schildbürger in den allein seligmachenden Schoß des Volkes zurückzuführen – und da will mich mein Staatsrat verhindern, dieses gute Werk glanzvoll und mit Humor zu vollbringen ? Das fehlte auch noch. Das Volk ist ganz bestimmt auf meiner Seite. Wenn Sie nicht wollen, wie ich will – so wird das Volk wollen, wie ich will – die sieben Gerichtstürme am Schwantufluß sind auch für Philander den Siebenten da.«
»Grandiosität geruhen«, sagte Kawatko scharf, »eine andere Tonart als neulich anzuschlagen – neulich wollten sich Grandiosität vom Volke trennen – und heute sollen wir daran glauben, daß Grandiosität dem Volke einen Dienst erweisen will.«
»Aber Kawatko«, rief da der Kaiser lustig, »tu doch nicht so, als wenn du nicht mit Schamawi gesprochen hättest – der hat mich doch am letzten Sonntag Abend bekehrt.«
Da murmelten die Mitglieder des Staatsrates und wurden sehr ernst –der Kaiser aber lachte lustig und plauderte von Schilda, als wäre er schon da.

 


12. Der Entschluss

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Als nun die hundert Mitglieder wieder unter sich waren und kein Lauscher ihren Ausführungen folgen konnte, da saßen sie alle mit geradezu verzweifelten Mienen zusammen, und alle stöhnten laut, nur der Herr Malke, der Historiker, lächelte und sprach:
»Das kommt davon! Als vor vielen Jahrhunderten die Tageszeitungen sich zu den vortrefflichsten Dienern der Volksmeinung ausbildeten – da wurde die Volksmacht geboren – und sie ist heute wahrlich noch nicht tot.«
»Willst Du«, fragte Kawatko, »uns jetzt einen historischen Vortrag halten? Der Zeitpunkt ist außerordentlich günstig.«
»Laß ihn doch reden!« sagten ein paar andre Mitglieder, und Malke, der Historiker, fuhr unbeirrt fort:
»Die Volksmacht hat sich im Laufe der Zeit an allen Ecken und Kanten hübsch abgeschliffen – vornehmlich durch die großen Streiks. Als die Handarbeiter sich für unentbehrlich hielten, streikten sie und kamen ans Ruder – aber nicht für lange. Es folgte der große Streik der Ärzte – und dann streikten die Ingenieure – und dann streikten nach und nach Alle Alle – selbst die Dichter haben mal gestreikt. Und itzo streikt sogar ein Kaiser – jetzt fehlt blos noch, daß der Staatsrat des Kaisers streikt.«
»Dabei kommt aber«, bemerkte Kawatko, »nicht viel raus – da ja die Ersatzleute hinter uns stehen. Nein – mit dem Streiken geht es nicht – es ist auch nicht richtig, wenn wir sagen, der Kaiser streike. Das würden wir ihm schon hingehen lassen – er könnte ja hingehen, wohin er will – wir würden schon einen andern Kaiser bekommen – Malke würde sicherlich . . .«
Malke erhob sich ärgerlich und sagte ernst:
»Willst Du jetzt Witze machen? Der Zeitpunkt ist außerordentlich günstig.«
»Nicht zanken!« tönte es da von allen Seiten.
Und zehn Minuten später war man übereingekommen, dem Kaiser ein Jahr Urlaub zu geben – zwecks Wiederherstellung eines guten Verhältnisses zwischen Ulaleipu und Schilda.
Als dem Kaiser der Entschluß mitgeteilt wurde, tat er sehr ernst und sprach seinen Dank in den höflichsten Worten aus, sodaß Kawatko nicht wußte, was er davon zu halten hätte.

 


13. Der Abschied

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»Jetzt schnell fort – nach Schilda!« sagte der Kaiser und ließ seine Sachen packen und den Hofzug vorfahren.
Nun war aber des Morgens ein Lufttechniker Namens Sebastian gemeldet worden – den wollte der Kaiser noch vor seiner Abreise sprechen.
Herr Sebastian kam, und der Kaiser sah, daß der Lufttechniker ihm außerordentlich ähnlich sah, und das brachte ihn auf eine Idee, die er aber noch nicht aussprach, er erkundigte sich vielmehr ganz harmlos nach den gesellschaftlichen Beziehungen des Herrn Sebastian, und dieser Herr erklärte, daß er bislang nur seinen Arbeiten gelebt und jeden gesellschaftlichen Umgang peinlich gemieden habe.
Das gefiel nun dem Kaiser außerordentlich, und er bat den Flugtechniker, mit seiner Luftmaschine nach Schilda zu fahren und dort im goldenen Löwen abzusteigen.
Herr Sebastian erklärte sich selbstverständlich gerne bereit, nach Schilda zu fahren, wollte sich verabschieden, aber der Kaiser hielt ihn noch zurück und sagte:
»Lieber Herr Sebastian, könnten Sie aber vielleicht ganz unauffällig nach Schilda kommen? Könnten Sie nicht Ihr Fahrzeug drei Meilen vor Schilda verlassen und mit einem einfachen Bahnzuge nach Schilda kommen und dort unauffällig auf weitere Nachrichten von mir warten?«
Herr Sebastian erklärte sich auch dazu gerne bereit und wurde verabschiedet, und der Kaiser empfing noch einmal seinen Staatsrat und sagte zu ihm leise:
»Meine Herren, ich danke Ihnen und bitte Sie, vorläufig Stillschweigen über meine Reise und meine Absichten zu beobachten; ich werde schon Alles so hübsch einfädeln, daß Sie zufrieden sein sollen.«
Die Herren vom Staatsrat machten ein sauersüßes Gesicht, aus dem man Alles herauslesen konnte – nur nicht eine bestimmte Meinung; die Herren wußten eben selber noch nicht, was sie zu diesem ganzen Abenteuer sagen sollten.
Der Kaiser drückte allen Herren zum Abschiede die Hand und ging dann zu seiner Gemahlin, die ihn mit feuchten Augen empfing.
»Du willst fort?« sagte sie zitternd.
»Ja«, sagte er, »ich muß.«
Sie erwiderte leise:
»Meine Gedanken werden bei Dir sein.«
Und sie küßte seine rechte Hand, und der Kaiser küßte die Stirn seiner Gemahlin und sagte still:
»Bleibe fest! Es zieht mich zu neuen Pfaden. Ich will das Leben erkennen – so wie es ist. Ich will – vergiß das nicht! – eigentlich hinter das Leben kommen. Jeder Baum und jeder Fels soll mir was Großes sagen – darum will ich fort. Du wirst von mir hören.«
Und Philander küßte seiner Frau die beiden Hände und ging dann rasch hinaus und fuhr mit seinem Hofzuge nach Schilda – durch viele Tunnel – über Berge und Schluchten – über breite Flüsse und über weite Felder – durch die Frühlingslandschaft.

 


14. Schilda

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Die Schildbürger waren Leute, denen man die Lustigkeit nicht ansah, da sie fast immer betrübte Mienen zeigten, andrerseits konnte man sie nicht Vertreter der Traurigkeit nennen, da sie fast immer lustige Einfälle hatten; kein Utopianer wußte, wie er sich eigentlich zu den Bewohnern des neuen Schilda stellen sollte – lauter merkwürdige Käuze, die früher zu den klugen Leuten zählten, saßen da in Schilda zusammen und benahmen sich nicht so wie die andern Utopianer.
In dreieckigen Häusern wohnte man in Schilda, und das dreieckige Rathaus war das größte Haus der Stadt. Die schärfste Kante des Hauses ging immer zur Straßenseite hinaus, sodaß man von Frontarchitektur in Schilda nicht sprechen konnte.
Als es bekannt wurde, daß der Kaiser Philander die Einladung des Oberbürgermeisters Wiedewitt angenommen habe – da verbreitete sich eine seltsame Stimmung über die ganze Stadt – alle Schildbürger bildeten sich sofort die abenteuerlichsten Dinge ein – die meisten meinten, man würde ihnen Ulaleipu als Wohnsitz anbieten – usw. – usw.
Und es ging den armen Schildbürgern so schauderhaft schlecht; sie wohnten auf einem Höhenzuge am Strande des Meeres – aber die gute Aussicht übers Meer bereicherte nur das Phantasieleben der Schildbürger; die Lostrennung von der allgemeinen utopianischen Volksreligion hatte die Schildbürger in kurzer Zeit ganz arm gemacht; sie verloren immer mehr die große Kunst, den Witz zur Vermehrung der Lebensgüter zu verwenden; anfangs hatte man die Schildbürger, unter denen sich die klügsten Köpfe befanden, fast nur zum Scherze »Narren« genannt – und schließlich waren sie wirkliche Narren geworden – wie die Bewohner des alten Schilda. Das neue Schilda hieß auch anfänglich garnicht Schilda; die Stadt wurde nur von den Priestern in Ulaleipu Schilda genannt – und zum Scherze hatten die sogenannten »Narren«, die sich vom Volksgeiste lossagten, den Spottnamen zum Ehrennamen gemacht – und aus dem Scherze war dann sehr bald Ernst geworden.
So war es nun natürlich, daß die Schildaer jeden Scherz sehr ernst – und umgekehrt jeden Ernst sehr scherzhaft behandelten. Und so entstanden die dreieckigen Häuser und verkehrtesten Einrichtungen dazu.
Und die Priester triumphierten und sagten:
»Seht, so rächt sich unser Gott! Das kommt davon, wenn man mehr sein will als alle Andern – das kommt davon, wenn man anders sein will als alle Andern! Die Großtuer sind zu Narren geworden. Seht, so rächt sich unser Gott!«
Aber die Schildbürger sagten garnichts dazu, denn ihre Gedanken schweiften immer weiter hinaus – und das Nächstliegende kam ihnen fremd vor – und das Ferne und das Nahe konnten sie nicht zusammenbringen, sodaß ihr ganzes Leben so schlechte Töne von sich gab – wie eine zerbrochene Glocke.

 


15. Der Kaiser kommt

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Der Hofzug des Kaisers fuhr in den dreieckigen Bahnhof von Schilda, und der Kaiser quartierte sich mit seinem Gefolge im dreieckigen Bahnhofsgebäude ein; das Gefolge des Kaisers bestand nur aus Beamten zweiten Grades, die aber sämtlich ihre Galauniform trugen; feierlicher Empfang von Seiten des Rates war verbeten worden, da der Kaiser gleich die einfacheren Leute von Schilda kennen lernen wollte.
Die einfacheren Leute von Schilda gehörten natürlich ebenso gut wie die Ratsherren zu denen, die im Leben »mehr« erstrebt hatten – Erfinder, Gelegenheitsdichter, Journalisten, Wunderdoktoren, phantastische Geschäftsleute und ähnliche Leute bildeten das einfache Volk in Schilda. Der Kaiser bemerkte sogleich das komische Gemisch von Aufgeblasenheit und Verworrenheit, wie es die Priester nannten, in einem anderen Lichte; er sah zunächst nur Hilflosigkeit und ausschweifende Gedanken, die naturgemäß Alles ein bißchen verkehrt erscheinen ließen.
Und dann kam der Kaiser am nächsten Tage ins Rathaus und tat sehr zornig, mußte aber hören, daß sich die Schildbürger durchaus für treue Staatsbürger hielten, die durch die Uniformen und Titel bloß dick und fett werden wollten. Diese durchaus simple Art der Schildbürger machte dem Kaiser scheinbar vielen Spaß, und er fragte die Ratsherren, ob sie auch ihre Frauen uniformieren könnten, und als sie das bejahten, fragte er sie, ob sie auch ihre neugeborenen Kinder uniformieren könnten – und als sie auch das bejahten, fragte er sie, ob sie auch ihren Himmel uniformieren könnten. Da waren die Ratsherren erschrocken und verstummten. Und der Kaiser erklärte nun, daß er furchtbar in Schilda hausen würde, wenn die Schildaer nicht in acht Tagen wüßten, wie ihr Himmel zu uniformieren sei.
In scheinbar grimmigster Laune verließ der Kaiser das dreieckige Rathaus und speiste zu Abendbrot im goldenen Löwen, allwo er sich nebenbei nach dem Flugtechniker Sebastian erkundigte.
Der Herr Sebastian war da.

 


16. Der Himmel

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Drei Tage später saß der Kaiser Philander des Abends auf der Seeterrasse und blickte zu den Sternen empor, rauchte seine Zigarre und trank Wein dazu; er saß ganz allein und sprach plötzlich zu sich selbst: »Alle Wetter! Jetzt muß ich bald fort von diesem verdammten Schilda! Immer denke ich wirklich ernsthaft darüber nach, wie wohl dieser große Himmel uniformiert werden kann. Ich fürchte, die Narrheit steckt an. Die Sterne sind natürlich zu kompliziert, und die Farbe des Himmels ist immer wieder eine andre – so was läßt sich wirklich nicht uniformieren. Aber ich denke ja tatsächlich darüber nach. Hier werde ich auch ein Narr! Ich muß fort – fort!«
Er rief einen Diener und schickte ihn zum goldenen Löwen, und bald danach saß der Kaiser dem Flugtechniker Sebastian gegenüber und plauderte mit ihm über die Narrheit.
Der Herr Sebastian meinte:
»Diese Versunkenheit der Schildaer ist nach meinem Dafürhalten bloß eine gerechte Strafe für ein bummliges Leben, das keine festen Ziele im Auge behält, nur nach Vergnügungen strebt, in Ausschweifungen verfällt und dem lächerlichen Hochmute nicht bei Zeiten richtig zu begegnen weiß.«
»So würden Sie, Herr Sebastian«, entgegnete nun der Kaiser ernst, »ohne Schaden für Ihre geistige Gesundheit ein ganzes Jahr hier in Schilda leben können, nicht wahr?«
Herr Sebastian bejahte das lächelnd, und der Kaiser meinte so nebenhin:
»Könnten Sie mir versprechen, das zu tun, wenn mir sehr viel daran läge?«
»Das könnte ich ohne Weiteres!« versetzte der Herr Sebastian lächelnd.
Da hörten sie in der Stadt ein mächtiges Klappern und ein großes Gehämmer wie in einem Eisenwalzwerk.
Der Kaiser ließ sich erkundigen, was das Geräusch zu bedeuten hätte, und erfuhr, daß die Schildaer dabei wären, ihre Stadt mit gelben und roten Tuchstreifen zu überspannen, um eine Uniformierung des Himmels herbeizuführen.

 


17. Der Tausch

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Der Kaiser schlief in der darauf folgenden Nacht sehr schlecht; er träumte fortwährend von roten und gelben Flammen, die gegen den Himmel schlugen und die Sterne in Verwirrung brachten.
Und des Morgens fuhr der Kaiser sofort mit seinem Gefolge zum Rathause und setzte den Schildaer Ratsherren auseinander, wie sie durch ihren Bedachungsplan in gelben und roten Farben bewiesen hätten, daß sie garnicht so dumm seien wie sie sich immer anstellten – und daß sie wegen dieser fortwährenden Verstellungskunst nun erst recht strafbar wären.
Da waren natürlich die Schildaer Ratsherren sehr entsetzt; sie glaubten, die Sache mit der Bedachung ganz vortrefflich gemacht zu haben, und nun zeigte sich der Kaiser erst recht ungemütlich; Moritz Wiedewitt war ganz allein auf die Idee der Stadtbedachung durch seine rot und gelb gestreifte Oberbürgermeisterskappe gekommen und sehr stolz auf seine Himmelsuniformierung.
Indessen – Herr Wiedewitt ließ nicht so schnell die Flinte ins Korn fallen; er sagte dem Kaiser ganz einfach ungefähr Folgendes:
»Grandiosität! Daß Sie uns für so schrecklich klug halten, ist ein grausamer Irrtum. Seien Sie mal ein Jahr Oberbürgermeister von Schilda – dann werden Sie nicht mehr daran glauben, daß die Schildaer sich blos dumm stellen und dabei sehr klug sind.«
Und der Kaiser sagte darauf ungefähr dieses:
»Gut! So wollen wir unsre Kopfbedeckungen tauschen – nimm Du die Krone und ich nehme die gelb und rot gestreifte Kappe.«
Und so geschahs.
Und die Schildaer waren natürlich aus dem Häuschen.
Der Kaiser aber fuhr bald darauf zum goldenen Löwen und ließ den Herrn Sebastian zu sich kommen.
Und mit dem Herrn Sebastian begab sich Philander, der jetzt den Oberbürgermeister vorstellte, in ein kleines abgelegenes Zimmer und schloß die Türe hinter sich zu.

 


18. Die Getäuschten

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Als die beiden Herren nun allein waren, sagte Philander der Siebente leise:
»Herr Sebastian! Erschrecken Sie nicht!«
Und dabei nahm er den weißen Bart und die weißen Augenbrauen und die weißen Haupthaare ab.
Herr Sebastian erschrak aber wirklich. Und als er hörte, daß er die Kleider mit dem Kaiser tauschen sollte, erschrak er noch mehr.
Und als Herr Sebastian gar vernahm, daß der Kaiser willens sei als Flugtechniker Sebastian durch die Welt zu reisen und ihn, den Flugtechniker, als Oberbürgermeister von Schilda in der Gestalt des Kaisers Philander von Utopia zurücklassen wollte, da erschrak der Herr Sebastian am meisten.
Aber die Sache wurde glatt arrangiert, Herr Sebastian erhielt die schriftlich aufgesetzten Verhaltungsmaßregeln, und Philander der Siebente wanderte eine halbe Stunde später als Flugtechniker Sebastian zum Tore von Schilda hinaus.
Die Schildaer ahnten nicht, daß der Kaiser weg war, und bauten ihren uniformierten Himmel weiter aus, während Herr Sebastian seinen ersten Oberbürgermeistersbefehl in die Welt setzte; dieser Befehl setzte den Schildaern auseinander, daß sie zunächst darüber nachzudenken hätten, wie sie ihren uniformierten Himmel nützlich verwerten könnten – und daß sie natürlich die ganze Dachgeschichte gleich wieder abdecken müßten.
Das verdroß die Schildaer natürlich sehr; sie hatten geglaubt, jetzt ein ganz neues Leben unter ihrem neuen Himmel führen zu können. Herr Wiedewitt, der sich natürlich schon ganz als Kaiser gebärdete, sollte helfend eingreifen – lehnte das aber sehr kühl ab und machte überall Einkäufe und besichtigte den Hofzug und erkundigte sich bei den Beamten nach den Preisen, die in Ulaleipu für Schlachtvieh und Fische gezahlt werden.
Herr Sebastian wollte währenddessen sein Abendbrot verzehren, bemerkte aber, daß er mit seinem weißen Bart nicht essen konnte – und mußte aufstehen und hungrig auf sein Zimmer gehen, wo er eine Cervelatwurst ohne Bart aß und auf die Narrheit schimpfte – aber so, daß es Niemand hörte.

 


19. Im Luft-Waggon

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Der Herr Sebastian aß nun in des Kaisers rotem Mantel – aber ohne weißen Bart – sehr ärgerlich seine Cervelatwurst. Und zu derselben Zeit saß der Kaiser im Luft-Waggon des Herrn Sebastian und aß Kaviar und warmes Rostbrot, während die drei Maschinisten die Abfahrtsmanöver leiteten; der Waggon wurde langsam durch Röhrenfüße, die sich mechanisch verlängerten, immer höher gehoben – dann breiteten sich die breiten sehr beweglichen Flügel aus – und dann begannen hinten die Schraubenräder zu arbeiten – und das Luftfahrzeug schwebte zu den Wolken empor und hielt sich anfänglich über der Meeresküste.
Der Führer des Luftwagens, Herr Schlackenborg, betrat die Veranda, in der der Kaiser Philander sein Abendbrot verzehrte und dabei durch die großen Glasscheiben nach Westen blickte, wo die Sonne im Meere in großer Farbenpracht unterging. Herr Schlackenborg setzte sich dem Kaiser gegenüber und langte ebenfalls zu; ein längeres Schreiben des Herrn Sebastian hatte die drei Maschinisten genau informiert – wie sie sich seinem Freunde gegenüber zu verhalten hätten. Daß dieser Freund der Kaiser selber war, wußten die Drei nicht, doch daß er ein einflußreicher Mann und Bartmann genannt werden sollte – das wußten die drei Maschinisten. Auf ihre Verschwiegenheit konnte sich der Kaiser verlassen und Herr Schlackenborg war ein gebildeter Ingenieur.
»Es wäre nun«, begann Schlackenborg, »mir sehr erwünscht, wenn ich wissen könnte, wohin die Fahrt gehen soll.«
»Oh«, versetzte Bartmann, »darüber habe ich noch garnicht nachgedacht. Fahren wir doch, so lange es noch hell ist, über dem Meere – und vielleicht landen wir dann an einem Leuchtturm, wo Ihnen die Lotsen bekannt sind.«
»Soll geschehen!« sagte Schlackenborg, gabs weiter durchs Sprachrohr und entkorkte eine Porterflasche.
Bartmann sah in die Farbenpracht des Sonnenunterganges und sagte leise:
»Ich muß Ihnen schon erklären, Herr Schlackenborg, daß ich ein etwas sonderbarer Mensch bin; ich habe Jahrzehnte hindurch fernab vom Weltgetriebe wie ein Einsiedler gelebt und möchte nun das Leben kennen lernen – oder, wie ich zu sagen pflege, ich möchte hinter das Leben kommen; ich möchte hinter jedem Baum und hinter jedem Fels und hinter jedem Sonnenuntergang – noch mehr sehen – das, was eigentlich dahinter ist – die eigentlichen Lebensnerven – die Triebfeder, – den Mechanismus – Sie verstehen wohl.«
»O ja«, sagte da der Schlackenborg, »das möchte ich auch wohl – das Uhrwerk in der Natur kennen lernen – alle Maschinenteile – das ganze Kraftarrangement. Es ist mir das eigentlich ganz geläufig, da ich als Maschinentechniker immer gewohnt bin, überall die Schrauben aufzuschrauben und in das Innere zu sehen.«
»Nicht so ganz«, bemerkte der Bartmann, »verstehen wir uns. Ich möchte mehr den Duft der Natur in kondensierter Form – als Parfüm aufnehmen. Ich möchte die Quintessenz des Lebenden haben. Aber– darüber sprechen wir wohl noch öfters. Wichtig ist mir auch, hinter die Menschen zu kommen. Auch den Menschen möchte ich unter die Haut sehen. Ich möchte sehen, ob die innerlichen Freuden des Menschen sehr groß sind – ob die Menschen auch nicht im Kaiserreich Utopia verlernt haben, ein innerliches Leben zu führen; das äußerliche Leben ist in Utopia so bequem und angenehm, daß ich fürchte, das innerliche Leben könnte zu kurz kommen.«
»Ein bißchen viel auf einmal«, entgegnete Herr Schlackenborg, »verzeihen Sie gütigst, daß ich nicht gleich so folgen kann – aber ich werde mir die größte Mühe geben, Ihren interessanten Auseinandersetzungen mir verständliche Seiten abzugewinnen. Einstweilen muß ich bitten, mich zu entschuldigen – ich muß nach den Maschinisten sehen.«
Und er ging, und der Kaiser saß da und starrte in den Sonnenuntergang und in die Farbenpracht des Meeres, die tief unten flackerte und brannte.
Und die Augen des Kaisers sahen die goldenen Ränder der Wolken und die Glanzlichter in der Tiefe – und er wollte dahinter kommen – hinter dieses große mächtige schäumende Leben.

 


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