Der Kaiser von Utopia

50. Die Veränderung der Irrlichter

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Die physikalischen und chemischen Experimente und Entdeckungen wurden aber sehr bald in den Hintergrund gedrängt, als man sah, daß die Irrlichter, die man jetzt im Himmel an verschiedenen Punkten über dem utopianischen Festlande beobachtete – als man sah, daß diese Irrlichter ihre Gestalt ganz wesentlich veränderten und mehr strahlenförmige Auswüchse erhielten.
Diese strahlenförmigen Auswüchse hatten die Helligkeit großer Scheinwerfer, die sich lebhaft bewegten und die Fesselballons mit kolossaler Gewalt seitwärts warfen, sodaß mehrere von ihren Stricken losgerissen wurden – und die Gelehrten nur mit Gefahr ihres Lebens den Erdboden erreichten.

 


51. Die neuen Kometen

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Gleichzeitig wurden auf verschiedenen Sternwarten eine ganze Reihe neuer Kometen entdeckt.
Die Entdeckung wirkte auf die Bewohner des Kaiserreichs einfach unheimlich; man sah nachts alle Utopianer fortwährend den Himmel mit dem Fernrohre beobachten.
Dann aber wurde von allen Seiten konstatiert, daß die neuen Kometen garnicht Kometen sein könnten, da ihre Bewegung am Himmel eine allzu schnelle war.
Und dann entdeckte man, daß die Irrlichter schon in der Nähe des Erdbodens Kometenform annahmen.
Und da wars denn klar, daß die neuen Kometen Erscheinungen der Erdatmosphäre vorstellten – Irrlichter waren.
Aber der Nachthimmel sah nun einfach großartig aus.

 


52. Die Volksangst

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Die neuen Kometen, die mit den neuen Irrlichtern identisch waren, machten nun das nächtliche Himmelsbild außerordentlich reich und glänzend – vornehmlich auch durch die Farbenpracht – und dann durch die stete Veränderlichkeit der Formen.
Dieses verhinderte aber nicht, daß sich des ganzen Volkes eine ungeheure Angst bemächtigte; viele Utopianer verfielen in ein heftiges Nervenfieber.
Es waren nur wenige, die ihre kalte Ruhe und Besonnenheit bewahrten – und zu diesen gehörte neben sorglosen Dichtern und Künstlern natürlich in erster Reihe der Herr Bartmann, was seinen Namen jetzt so bekannt machte, daß bald Jeder mit den Bartmannschen Ansichten über die Erscheinungswelt vertraut wurde.

 


53. Der zornige Bartmann

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Mit dem leeren Namen und dem fruchtlosen Ruhme war aber der Herr Bartmann keineswegs zufrieden; er wetterte gegen die Volksangst in einer sehr wilden und heftigen Form.
»Zeichen vom Himmel«, schrieb er, »flammen auf, um die faulen Utopianer endlich aus ihrer Ruhe herauszutreiben – und da packt den Utopianer die Angst? Auf den Knieen sollte er dem Geiste, der uns führt, danken, daß er uns ganz augenfällig die unerschöpfliche Lebensfülle der Welt offenbart. Sieht der Utopianer nicht, daß der Himmel und das Meer eine gewaltige Sprache zur Verfügung haben? Und sieht der Utopianer nicht, daß Himmel und Meer zu uns, den Utopianern, sprechen? Ist es da an der Zeit, wie Kinder ängstlich zu werden? Wahrlich – alle Bequemlichkeitseinrichtungen und alle Gerechtigkeitseinrichtungen sind viel zu schade für den Utopianer – der sollte wieder von Not und Unterdrückung gepiesackt werden, damit seine Lebensgeister wieder aufflammen können – wie die Irrlichter im Meeressumpf. Der Kaiser von Utopia sollte zum Tyrannen werden – und Waffen sollten wieder getragen werden – wie einst vor Jahrtausenden im barbarischen Zeitalter. Damals wars besser um uns bestellt – es war durch Hunger, Krankheit und Ungerechtigkeit dafür gesorgt, daß der Mensch nicht schlaff wurde. Unsre guten und angenehmen Zeiten sind zu früh gekommen. Utopia steckt noch in den Kinderschuhen und sollte mit harter Rute erzogen werden. Ist es etwa nicht das Zeichen eines kindischen Gemütes – wenn man Angst hat – vor der großen Natur? Und wenn die Irrlichter strafende Geister sind – weswegen können sie strafen? Doch nur unsrer Faulheit wegen können wir gestraft werden, damit wir ein gewaltigeres Leben führen – ein Leben, wie es einem reifen Volke geziemt. Auspeitschen sollte man den erwachsenen Leuten die alberne Kinderangst . . .«
In dem Tone gings immer weiter – und auch mündlich überall – Bartmann war zornig – und viele Utopianer gaben ihm Recht – seine Worte schlugen ein wie Blitze.

 


54. Die Natur der neuen Kometen

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Die Gelehrten erklärten allerdings den heiligen Eifer des Herrn Bartmanns für sehr unnütz; sie sagten, es wäre nicht nötig, daß jetzt auch noch die Worte wie Blitze wirkten – die neuen Kometen wirkten ja schon wie Blitze – teilten elektrische Schläge aus, entzündeten Fesselballons, erzeugten starke Gewitter, veränderten die Luft, erregten das Gemüt und brachten die gesamten Utopianer in eine so nervöse Stimmung, daß es einfach frevelhaft erscheinen müßte, jetzt grade noch immer die geistige Trägheit der Utopianer zur Zielscheibe des Witzes und des – Zornes zu machen.
Bartmanns Zorn erschien den Gelehrten sehr unpassend, und sie machten bald mit Erfolg Stimmung gegen diesen Zorn.


55. Schilda

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Als der Herr Sebastian von dem Bartmannschen Zorne hörte, mußte er laut auflachen.
»Also dieser Herr Bartmann«, sagte er im goldenen Schwan am Stammtisch, »erlaubt sich, auf den Kaiser von Utopia zu schimpfen? Der Kaiser von Utopia soll ein Tyrann werden – grade jetzt, wo wir augenscheinlich nahe daran sind, von überirdischen geisterhaften Kometen und Irrlichtern tyrannisiert zu werden? Wir müssen zeigen, daß noch ein Schilda existiert; arrangieren wir sofort ein lächerliches Tyrannenfest.«
Und das geschah, und der Herr Sebastian präsidierte diesem Feste in so lächerlicher Weise, daß nicht bloß Schilda – nein – daß ganz Utopia furchtbar lachen mußte; echte Soldaten mit Holzsäbeln, Polizisten mit Opernguckern, Scharfrichter in roten Gewändern und Zuchthäuser mit Gitterfenstern wurden vorgeführt – selbst pompöse Hinrichtungen ließ der Herr Sebastian aufführen.

 


56. Ulaleipu

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Der Staatsrat machte ein ganz verdutztes Gesicht, als er von diesem Schildaer Tyrannenfest hörte.
Aber man lachte.
Und es erschienen verschiedene Bücher, die das Tyrannenfest des Kaisers Philander über Gebühr verherrlichten; da mußte auch der Herr Bartmann lachen – die Komödie war wirklich komisch.
»Ich schimpfe auf mich selbst«, sagte der Herr Bartmann ganz leise, daß es Niemand hörte, »und dafür macht man sich über mich lustig – und deswegen werde ich verherrlicht. Das ist auch eine Komödie des Ruhmes. Wer die schreiben könnte! Jetzt heißt es aber: still sein!«
Frau Caecilie schüttelte aber in Ulaleipu sehr heftig mit dem Kopfe und erklärte der Lotte:
»Du, die Geschichte geht nicht mit rechten Dingen zu – hier haben wirkliche Geister ihre Hand im Spiel.«
Die Lotte fragte: »Warum?«
Aber die Frau Caecilie schwenkte ab und sprach nur noch von den Kometen; denken tat sie aber ganz was Andres.
Die Bewohner von Ulaleipu fanden jedoch das Schildaer Tyrannenfest so lustig, daß sie beschlossen, auch ein Tyrannenfest zu feiern, um die Volksangst zu zerstreuen.
Und man bereitete Alles sehr lustig zu dem Tyrannenfeste vor, sodaß es wirklich köstlich zu werden versprach.
Der Kaiser Moritz übernahm feierlich das Präsidium in dem Vergnügungs-Komitee und zeigte sich plötzlich so lebhaft bei der ganzen Spaßarie, daß Viele sagten:
»Kaiser Moritz lebt auf – dem hat der Spaß gefehlt.«

 


57. Der betrunkene Bartmann

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Als der Herr Bartmann nun auch von dem Tyrannenscherz in Ulaleipu vernahm, da fuhr er mit einem elektrischen Wagen in die Grottenschlucht, allwo die Litteratur-Zentrale in fieberhafter Tätigkeit an allen möglichen ernsten und weniger ernsten Werken arbeitete.
Und in der Grottenschlucht arrangierte der Herr Bartmann »ein Auferstehungsfest des Volkes«.
Und auf diesem Feste erkannten den Herrn Bartmann seine Freunde garnicht wieder – er trank furchtbar viel Bier und war bald schrecklich betrunken und sagte immer wieder:
»Mein liebes Volk! Mein gutes Volk! Komm wieder in meine Arme! Ich habe Dir weh getan! Verzeih!«
Alle hielten das für einen ausgezeichneten Witz; nur der Astronom Haberland, der auch das Fest mitmachte, wurde tiefernst und brachte bald den Kaiser fort und war sehr besorgt um ihn.

 


58. Die bunte Krankheit

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Doch mitten in all diesen Scherz kam plötzlich ein furchtbarer Ernst hinein: an der Sturmküste erkrankten plötzlich in einer Nacht über drei hundert Personen.
Und diese Krankheit war unheimlich: der ganze Körper wurde ganz bunt und fing an zu opalisieren.
Und mit blitzartiger Schnelligkeit verbreitete sich die Krankheit über das ganze Reich; die Kranken lagen reglos da mit lächelndem Gesicht, und dabei spielte ihr Körper in tausend Farben, als wollte er zu einem Irrlicht werden.

 


59. Die Ärzte

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Die Ärzte erklärten sämtlich einstimmig, daß diese Krankheit mit dem Meeressumpf und den Irrlichtern zusammenhängen müsse.
Und das erschien Allen sehr natürlich, da die bunte Haut der Kranken sehr bald zu leuchten begann.
Die Kranken lächelten nur und erklärten immer wieder, daß sie sich sehr wohl befänden, konnten aber kein Glied bewegen und nahmen auch garkeine Nahrung zu sich.
Die Festesfreude in Utopia verstummte plötzlich; Jeder sah mit entsetzten Augen seinen Nächsten an und fürchtete immer, daß er bunt werden würde.
Die Ärzte isolierten die Kranken, aber sie erklärten auch gleich:
»Eigentlich hat das garkeinen Zweck.«
»Was kommt jetzt?«
Das fragten jetzt alle Utopianer täglich hundert Mal.

 


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