Der Kaiser von Utopia

90. Der Orkan an der Sturmküste

no images were found

Der Meeressumpf an der Sturmküste war noch immer nicht zur Ruhe gekommen, die Schlammmassen wälzten sich und rumorten ohne Unterlaß – nur die Irrlichter zeigten sich nicht mehr.
Da brach abermals ein furchtbarer Orkan über dem Meeressumpfe los, und aus dem Sumpfe schlugen plötzlich abermals ganz hohe Flammen heraus und lösten sich von der Erde los und wirbelten hoch in die Lüfte hinauf.
Es sah schrecklich aus.
Die Gelehrten vergaßen bei diesem neuen Ausbruch des unterseeischen Vulkans die photographischen Apparate und starrten wie abwesend das neue Wunder an und fürchteten, daß jetzt abermals jene entsetzliche bunte Krankheit kommen würde.
Dann aber gabs einen ohrenzerreißenden Lärm, und der ganze Meeressumpf sank in die Tiefe, sodaß ein meilengroßes Loch entstand, in das nun die Meeresmassen polternd hineinstürzten.
Daß die Granitfelsen der Sturmküste bei dieser Erschütterung stehen blieben, kam Allen als das größte Wunder vor.
Und von dem tiefen Loch wurden so viele Meeresmassen aufgesogen, daß das Meer an allen Küsten zurücktrat und sich viele neue Inseln bildeten.

 


91. Die Geisterscharen

no images were found

Die Flammen aber, die zum Himmel hinaufloderten, stiegen immer höher in den Weltenraum empor – und sahen oben wie große Geisterscharen aus.
Und die Gelehrten erklärten plötzlich einstimmig: das sind Geister der Tiefe, die da oben im Raume leben – das sind gar keine Flammen.
Ganz Utopia starrte Nachts den Himmel an und sah, wie sich oben die Flammen veränderten und, wie es Allen vorkam, sich zu körperlich wirkenden Gestalten umbildeten.
Dieses Naturereignis wirkte so mächtig, daß fast alle Utopianer volle acht Tage hindurch nicht einen Augenblick schlafen konnten.

 


92. Die Sternwarten des Herrn Haberland

no images were found

Als sich aber die erste Aufregung ein wenig gelegt hatte und die Ermüdung eintrat, da bat der Herr Haberland den Kaiser, die Erlaubnis zu geben, daß sofort auf den höchsten Bergen des Landes ein Dutzend neue riesige Teleskope aufgestellt würden.
Und der Kaiser erfüllte natürlich den Wunsch des Herrn Haberland; der Staatsrat bewilligte sehr große Summen.
Und dann wurden die Geisterscharen mit den alten Teleskopen fortwährend beobachtet, und die zwölf neuen Teleskope wurden so schnell wie möglich fertig gestellt, um die Beobachtungen in umfangreicherem Maße fortzusetzen.
Und diesen Beobachtungen gegenüber traten alle anderen Interessen des Landes für mehrere Wochen in den Hintergrund.
Und dann gab es eine Flut von Büchern, die das Wesen der neuen Geisterscharen festhalten wollten; leider veränderten sich die Flammengebilde so häufig und oft so schnell, daß man an ihre Geisternatur schließlich nicht mehr glauben wollte.
Sehr viele Gelehrten hielten aber doch daran fest, daß die Flammen nicht einfache Flammen sein könnten.
Das Leben im Innern der Erde beschäftigte die Utopianer bald mehr als das Leben auf der Oberfläche der Erde.

 


93. Der Herr Citronenthal

no images were found

Der Kaiser Philander war in Utopia wohl der einzige Mensch, der ganz ruhig blieb; doch diese Ruhe führte man allgemein auf die überstandene Krankheit zurück.
Philander pflegte jetzt häufiger mit seiner Frau zusammen zu sein und sprach viel zu ihr über seine Ruhe; er sagte, daß er so fest von einem großartigen Geisterleben, das hinter allen irdischen Erscheinungen tätig ist, überzeugt sei – daß ihm die Bestätigung seines Glaubens eben nur eine Befriedigung und nicht eine Aufregung verursache.
Und als nun die Zeiten etwas ruhiger wurden, da ließ sich eines Tages der Herr Citronenthal melden mit der Behauptung, daß er Wichtiges vom Herrn Bartmann zu melden habe.
Nun – der Kaiser sah seine Gemahlin bedeutungsvoll an und bat sie, im Nebenzimmer zu horchen.
Dann kam der Herr Citronenthal und erzählte alles das, was er mit dem Herrn Bartmann erlebt hatte – von dem Abendbrot in der Familie des Altertumsverehrers, von dessen Schnupftabaksdose und von der Rede im Bierpalast.
Der Kaiser hörte das Alles und bat den Herrn besonders, die Schnupftabaksdose genauer zu schildern.
Und das tat denn der Herr Citronenthal so umständlich, daß man die Dose hätte danach herstellen können; der Kaiser sprach dabei mit seinem Stimmverstärker und bat seinen Gast, recht laut zu sprechen, da er etwas schwerhörig sei, sodaß die Frau Caecilie im Nebenzimmer Alles deutlich hören konnte.
Und dann entließ der Kaiser den Herrn Citronenthal mit großem Danke und verehrte ihm noch zum Andenken eine sehr alte silberne Kette mit Emailmalerei.
Das Geschenk machte den Herrn Citronenthal aber so gesprächig, daß er noch was sagen wollte.
Und er sagte es:
»Der Herr Bartmann«, flüsterte er –
»Sprechen Sie laut!« rief der Kaiser.
»Der Herr Bartmann«, also sprach nun laut der Herr Citronenthal, »hat damals im Hause meines alten Freundes dessen älteste Tochter so lange und so innig angesehen, daß ich fest davon überzeugt bin: der Herr Bartmann verliebte sich damals in die älteste Tochter meines alten Freundes. Und diese Dame ist auch verschwunden. Und somit nehme ich an, daß diese Beiden zusammen ins Ausland gefahren sind.«
»Ach!« rief der Kaiser, »das ist interessant! Nehmen Sie diesen Ring zum Angedenken.«
Und er gab dem Herrn Citronenthal noch einen alten silbernen Ring mit aufgelegter Goldplastik.
Der Herr Citronenthal konnte sich vor Freude kaum fassen, und der Kaiser versprach, im Auslande weiter nach dem Herrn Bartmann suchen zu lassen.
Kaum war der Herr Citronenthal fort, so kam die Frau Caecilie wieder zum Vorschein – mit ganz rotem Kopf.
Der Kaiser sah sie an – und mußte plötzlich furchtbar lachen und rief:
»Ich glaube, Du bist eifersüchtig!«
Da mußte die Kaiserin ebenfalls lachen und fiel ihrem Gemahl ganz stürmisch um den Hals und küßte ihn.
Philander hob den Zeigefinger der rechten Hand in die Höhe und sprach ernst:
»Wie kann eine Kaiserin einen falschen Bart küssen? Ist das nicht eine Geschmacklosigkeit?«
Da lachte das kaiserliche Ehepaar so übermütig, wie es schon lange nicht gelacht hatte.
Und der Kaiser zeigte die bewußte Schnupftabaksdose, und die Kaiserin sagte:
»Nun hab ich den Beweis!«
Dann aber legte der Kaiser seinen Stimmverstärker fort und sprach leise:
»Du, Caecilie, solchen Witz reiß ich aber nicht noch einmal. Mir ist bei all diesem Bartmannsspaß schon mehr als ein Mal recht plümerant geworden. Bedenke bloß, wenn man davon was erfährt! Dann würde man mir plötzlich alle ernsthaften Absichten, die ich doch sonst habe, garnicht mehr glauben. Und meine ernsten Geschichten sind mir doch wahrhaftig so wertvoll, daß ich beinahe aus der Fassung komme, wenn ich denke, daß man schließlich auch hinter meinen ernsten Geschichten blos lustige Späße wittern könnte.«
»Ach, Philander«, flüsterte da die Caecilie, »ich schweige ja, und der Sebastian und der Haberland – die schweigen doch auch.«
»Nun wollen wir wieder«, sagte leise der Philander, »ganz ernst sein.«
Da lachte die Kaiserin ihren Kaiser aus – und sagte – immerzu lachend:
»Du Philander, jetzt mußt Du immer tun, was ich will – sonst erzähl ich die Bartmannsgeschichte aller Welt.«
»Aber Caecilie!« rief der Kaiser entsetzt.
Da sah die Caecilie ihren Philander lange an und sprach traurig:
»Du traust mir so was zu?«
Da bat der Kaiser sehr demütig um Entschuldigung.
Aber dann mußte die Caecilie abermals lachen – und der Philander ebenfalls.
Und er flüsterte dann:
»Wie ist es blos möglich, daß ich so furchtbar ernst sein kann, während ich ein solches Vergnügen am Spaße finde! Kannst Du das begreifen?«
Die Kaiserin schüttelte den Kopf, und dann ging sie mit ihrem Gatten auf den nächsten Balkon, allwo sie zusammen eine Flasche Wein tranken und Zigaretten dazu rauchten.
Der schwarze See lag in der Tiefe – ganz still.

 


94. Der Lebenstempel

no images were found

Und eines Abends saß der Kaiser Philander in seinem Perlmutterzimmer am Fenster und blickte hinauf zu den goldenen Rändern der roten Berggipfel und seufzte.
Vor dem Kaiser auf dem Tisch mit der Platte aus Lapis lazuli lagen Berichte der Priesterschaft, die sämtlich nur Erfreuliches enthielten und immer wieder betonten, daß die Utopianer nach der Schreckenszeit vollkommen umgewandelt seien – überall lebte ein straffer und innerlicher Zug, und von Schlaffheit bemerkte man nichts mehr.
»Wie wenig«, flüsterte der Kaiser wehmütig, »habe ich dazu beigetragen! Wären die allgewaltigen Naturereignisse nicht gekommen, so wäre in Utopia Alles im alten Schlendrian weitergegangen. Wie wenig kann der einzelne Mensch hervorbringen! Wir müssen mehr Intensität in uns erzeugen. Im Meeressumpf stak Intensität – in den explodierenden Leichen lebte auch eine störrische Kraft. Jetzt solls aber festgehalten werden! Und darum will ich einen Lebenstempel erbauen – der auch für die Folgezeit mächtige prickelnde Lebenskraft ausströmen soll.«
Und als des Kaisers Onkel, der Oberpriester Schamawi sich anmelden ließ, da setzte ihm der Philander in raschen Worten auseinander, wie er sich den Lebenstempel dachte.
»Sieh mal, lieber Oheim«, sagte er hastig, »der Tempel müßte schon so groß wie ein paar kräftige Städte sein – und sämtliche Photographieen vom Meeressumpf, von den Irrlichtern, von den neuen Kometen, von den Leichen und von den Geisterflammen – das Alles müßte in imposanten Hallen zur Aufstellung gelangen. Und dann müßten die sogenannten Bartmannbücher und Alles, was dazu gehört – besonders auch die wissenschaftlichen Erörterungen vom Denken mit Nase, Zunge und Gefühl – ebenfalls in dem Tempel untergebracht werden. Und für Erweiterung der Studien nach dieser Richtung hin müßte auch gesorgt werden. Eine ganze Galerie neuer Lehrinstitute müßte in dem Lebenstempel entstehen. Alles, was das ungeheuerliche Leben der Natur lebhaft zur Anschauung bringt, müßte künstlerisch dargestellt werden. Und schließlich – nicht zu vergessen! – das, was über unsre materielle Sphäre hinausgeht – von dem wir schon so viel in den neuen Kometen und Geisterflammen zu schmecken bekamen – das müßte auch da eine Stelle finden. Na, lieber Oheim, ich glaube wir verstehen uns.«
»Vollkommen!« versetzte der Oberpriester, und er ging mit einer Leidenschaft auf den Plan des Kaisers ein, daß dieser schließlich sagte:
»Wenn ich empfinde, wie Ihr alle das tut, was ich möchte, so kommt es mir oft so vor, als hätte ich Euch garnicht meine Ideen – sondern Eure Ideen zur Ausführung empfohlen.«
»Vergiß«, erwiderte lächelnd der Oheim, »den verschwundenen Bartmann nicht! Andrerseits ist Deine Empfindung ganz echt; ich habe auch immer nur das Gefühl, daß ich als Bevollmächtigter unsres erhabenen Volksgeistes tätig bin – und Du mußt mir schon verzeihen, wenn ich manchmal nicht so lebhaft mehr unterscheide zwischen dem Geiste, der uns Alle führt und nicht materiell für uns bemerkbar ist, und dem Geiste, der in allen Utopianern materiell bemerkbar ist. – Der ungewöhnliche Volksgeist und der erhabene Geist unsres Volkes, der hinter unsrer Erscheinungswelt lebt – diese Beiden scheinen mir zusammenzugehen – und wir Alle scheinen in ihm unterzugehen. Das Letztere wolltest Du im letzten Frühling nicht.«
»Heute«, sagte der Kaiser, »will ichs schon, da das Volk ein Andres geworden ist.«
Es wurde ganz dunkel im Perlmutterzimmer, aber die Beiden sprachen immer weiter, ohne die Dunkelheit zu bemerken.

 


95. Lotte Wiedewitt

no images were found

Die Lotte Wiedewitt hatte sich nach dem Tode ihres Gatten sehr verändert; sie war immer sehr ernst und zuweilen sehr zerstreut – sie dachte so viel über das Weiterleben nach dem Tode nach.
Und die Frau Lotte verkehrte mit der Frau Caecilie fast täglich, und es kam auch mal vor, daß der Kaiser mit den beiden Frauen zusammen war. Da sagte der denn mal so nebenbei:
»Der Lebenstempel soll größer als eine ganze Stadt werden – wo bauen wir den nur hin?«
»In Schilda!« meinte da die Lotte ganz ernst.
Da mußte der Kaiser lachen und sagte, daß das gar kein übler Platz sei – dicht am Meere – auf hohem Strande – auf historischem Boden – auf einem Boden, auf dem der Kaiser Philander mal Oberbürgermeister von Schilda war . . .
Diese Erörterungen brachten aber die Lotte Wiedewitt so unvermittelt in die Vergangenheit zurück, daß sie plötzlich laut zu weinen anfing.
Die Frau Caecilie wollte sie trösten, aber sie weinte immerzu und sagte dann schluchzend:
» Es kann doch nicht zu Ende sein! Es kann doch nicht zu Ende sein!«
Da sprach der Kaiser, während ihm auch ein paar Tränen in den falschen Bart rieselten:
»Es ist auch nicht zu Ende, Frau Lotte! Der Kaiser Moritz lebt – er lebt nur anders jetzt als die Frau Lotte.«
Da wollte die Lotte mehr hören, und dabei sagte sie, daß doch darüber eigentlich nur ganz alte Herren mit langen weißen Bärten sprechen könnten.
Als nun der Kaiser wieder mal das Lob seines weißen Bartes hörte, da war er nahe daran, ihn vor der Lotte abzunehmen – doch er besann sich noch zur rechten Zeit – und ließ die Frauen sehr bald allein.
Und da sprachen denn die beiden Frauen weiter über das Leben und über das Sterben – und die Lotte entwickelte zuweilen so drollige Ansichten, daß die Caecilie öfters lachen mußte.
Dabei lernte die Kaiserin Caecilie das Leben in Schilda sehr genau kennen, die Lotte konnte gar nicht genug von Schilda erzählen – aber sie mußte doch sehr viel weinen dabei – ihr wurde die alte Zeit so schwer, obgleich es doch auch eine recht böse Zeit war.

 


96. Die Maschinen des Herrn Sebastian

no images were found

Der Herr Sebastian hatte sich sehr bald nach seiner Flucht beim Kaiser vorgestellt, und dieser hatte gleich alle seine Unternehmungen mit reichlichen Geldmitteln unterstützt. Unter den neuen Maschinen, die der Herr Sebastian in Schilda erfunden, befanden sich aber drei Maschinen, die für den Häuserbau sehr wertvoll waren; durch die neuen Sebastianischen Baumaschinen ließen sich ganz große Häuser fast ohne Handtätigkeit herstellen – und so schnell arbeiteten die Maschinen, daß es leicht möglich gemacht werden konnte, in vierzehn Tagen eine ganze Stadt zu erbauen.
Da wars sehr natürlich, daß der Herr Sebastian vom Bau des Lebenstempels in Schilda sehr bald das Nähere zu hören bekam – und alle nötigen Baumaterialien nach Schilda schaffte, um im gegebenen Moment so schnell bauen zu können, wie Keiner zuvor.
Als ihm der Kaiser zu seinen neuen Erfindungen Glück wünschte, da sagte der Herr Sebastian leise:
»War alles nicht gekommen, wenn ich nicht Oberbürgermeister von Schilda ein halbes Jahr hindurch gewesen wäre. Den Schaffenden ist das Eingesperrtwerden zuweilen sehr dienlich.«
»Ja«, erwiderte der Kaiser, »das werde ich mir merken, Herr Sebastian.«
Bei einem Glase Bier sprachen die beiden Herren weiter über das Eingesperrtwerden – und ganz ernst – nur so zwischenein mußten sie mal auflachen.
Der Herr Schlackenborg, der Obermaschinist des Sebastianischen Luftschiffes, sprach dann auch noch mit dem Kaiser und erzählte auch vom Herrn Bartmann.
Da hielts der Kaiser nicht mehr aus, er stürmte wild davon und rief in seinem Perlmutterzimmer:
»Den Spaß mach ich wirklich nicht noch mal.«
Herr Schlackenborg aber wunderte sich sehr über des Kaisers hastiges Davonstürmen.

 


97. Schildas Ende

no images were found

Da durch die 70 000 Toten ein großer Mangel an Beamten entstanden war, so ging es leicht an, sämtlichen Bewohnern von Schilda vortreffliche Stellungen anzubieten, und die Schildbürger nahmen die Stellungen an, da sie der Kaiser in einem sehr höflichen Schreiben folgendermaßen gebeten hatte:
»Ich bin Euer Oberbürgermeister gewesen, und Ihr glaubtet, richtig zu handeln, indem Ihr später noch einen meiner Doppelgänger zum Oberbürgermeister wähltet. Deswegen tut aber auch, was ich Euch sage: die Zeiten sind zu ernst geworden – wendet Euch nicht mehr von dem Geiste des Volkes ab – dieser Geist des Volkes ist ja durch die letzten furchtbaren Naturereignisse ganz anders geworden – so ganz anders geworden, daß ich mich auch mit ihm versöhnen konnte. Also tut, was ich auch getan habe. Ich werde außerdem dafür sorgen, daß selbst denen, die sich vom Volksgeiste auch fernerhin emanzipieren wollen, kein wirtschaftlicher Schaden entsteht; die Geistlichkeit ist mit der Schonung der Emanzipierten durchaus einverstanden.«
Da klopften sich die Schildbürger, als sie das gelesen hatten, vergnügt auf die Schultern und lachten sich so lustig an – wie sie lange nicht getan hatten.
Und sie erklärten einstimmig:
»Dann hat ja alle Not für uns ein Ende.«
Danach dankten sie dem Kaiser in lustigster Form, schickten ihm den roten Mantel und die Oberbürgermeisterskappe zu, ließen alle ihre wertvolleren Sachen, die einen historischen Wert beanspruchten, in ein Altertums-Museum bringen – und zerstreuten sich über das ganze Land.
Hierauf wurde Schilda abgebrochen mit Sebastianischen Abbruchsmaschinen in acht Tagen.
Und vier Wochen später stand das Äußere des großen Lebenstempels fix und fertig dort – wo einstmals Schilda stand.

 


98. Die Asketen

no images were found

Das straffe Regiment der Priester hatte nun aus den Utopianern im Handumdrehen ein außerordentlich ernstes Volk gemacht, sodaß die Schildbürger nicht überall sehr freundlich aufgenommen wurden.
Da ließ der Kaiser ein großes Rundschreiben anfertigen, in dem zum Schluß zu lesen stand:
»Die Askese ist nur zur Erzeugung der größeren Lebensfreude da, die nicht identisch ist mit dem, was wir sonst Lebensgenuß nennen. Diese größere Lebensfreude können wir Menschen aber vorläufig noch nicht in einem fort vertragen, sodaß es gut scheint, den harmlosen Spaß nicht zu heftig zu verdammen, wenn er blos eine kleine Erholung sein will. Die Schildbürger sind in Utopia auch blos eine kleine Erholung.«
»Aber Herr Kaiser«, rief da die ganze Litteraturzentrale, »was verstehen Sie denn unter einer kleinen Erholung?«
Der Kaiser ärgerte sich über diese kühne Anrempelung und beschloß, sich dafür zu rächen.
Er ließ feierlich sagen:
»Eine kleine Erholung ist es zum Beispiel, wenn das Frühlingsfest in diesem Jahre ganz still ohne Festlichkeit gefeiert wird – und zwar so, daß jeder Utopianer drei Tage nicht seine Wohnung verläßt. Die Priesterschaft ist einverstanden.«
Da sagte die Litteraturzentrale:
»Der Kaiser bekommt einen bösartigen Humor. Wir wollen zu den Schildbürgern liebenswürdig sein.«
Und man wars.

 


99. Philanders Testament

no images were found

Am dritten Tage des Frühlingsfestes ließ der Kaiser Philander seine Priester kommen und sprach zu ihnen:
»Zur Erinnerung an dieses stille Frühlingsfest möchte ich einen geheimen Orden gründen – den Orden der Bartmänner! In ihn sollen die Oberpriester nur diejenigen Herren aufnehmen, die sich durch große diplomatische Geschicklichkeit auszeichnen – und diese Geschicklichkeit sollen sie dazu gebrauchen, die Schaffenden – als da sind: Erfinder, Dichter, Künstler, Gelehrte usw. – gelegentlich durch kleine Nadelstiche empfindlich zu reizen – damit mir die Gesellschaft nicht wieder schlapp wird. Ich vermache dem Orden neun Zehntel meines Vermögens; meine Frau ist damit einverstanden.«
Man war etwas verblüfft – aber die Sache wurde natürlich von Schamawi ganz ernstlich in die Wege geleitet.
»Hm«, sagte nachher der Kaiser, als er mit Schamawi allein war, »vor drei Tausend Jahren, als die Kultur des wilden Westens noch dominierte, da brauchte man den Orden der Bartmänner damals noch nicht – da wurden dem Schaffenden ganz von selbst so viele Unannehmlichkeiten in den Weg geworfen, daß er für Anregung nicht weiter zu sorgen hatte. Aber heute gehts uns zu gut; die Gerechtigkeits- und die Bequemlichkeitsliebe sind bei uns so weit ausgebildet, daß der Natur die natürlichen Sporen fehlen – die müssen wir ersetzen; der Lebenstempel muß die Bartmänner ganz besonders raffiniert ausbilden.«
»Das werden wir schon besorgen!« erklärte der Oberpriester Schamawi.
Da zog der Kaiser die Schnupftabaksdose, die der Herr Citronenthal so genau beschrieben hatte, aus der Westentasche heraus und bot seinem Oheim, dem Oberpriester Schamawi, eine Prise Schnupftabak an und nahm selber ebenfalls etwas.
Da mußte jeder der beiden Herren drei Mal niesen.
In ganz Utopia war es aber so still – wie in einer großen Kirche.
Der Kaiser lächelte.
Auch der schwarze See lag in der Tiefe ganz still.
»Wir wollen zu meiner Frau gehen!« sagte der Kaiser.
Und sie gingen zur Frau Caecilie, während der Kaiser in Gedanken immer noch seine alte Schnupftabaksdose in der linken Hand hielt.

Index: Bücher – Der Kaiser von Utopia

alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: der digitale Bettler Creative Commons-Lizenzvertrag Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.  Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten

Revision 06-01-2023</span

image_pdfimage_print