Der Kaiser von Utopia

70. Der kranke Moritz

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Der Kaiser Moritz lachte laut auf, als er bemerkte, daß seine Haut die berühmten blauen grünen und roten Flecken zeigte.
»Endlich!« sagte er.
Und er tanzte im Zimmer herum und schrie, immer wieder: »Ich habs! Ich habs!«
Und dann brach er in einer Ecke zusammen und ließ sich forttragen – dabei lachte er wieder – aber so harmlos, wie Kinder zu lachen pflegen.
Als er ins Bett gebracht war, forderte er Feder und Tinte und wollte schreiben, doch ihm sank die Feder aus der Hand, und er glaubte plötzlich, daß viele Riesen neben ihm säßen und er murmelte:
»Liebe Riesen, wachsen Euch immer noch Köpfe aus den Armen und aus den Fingern? Verzeiht, daß ich Euch so quäle – aber Ihr braucht wirklich mehr Köpfe als Ihr habt – mit dem einen könnt Ihr das nicht alles zusammendenken, was wir zusammendenken müssen, wenn wir uns das Leben erträglich gestalten wollen. Wir müssen Alle immerzu unsern Witz zusammennehmen, um uns zu beweisen, daß unser Dasein wirklich ein herrliches ist. Wenn wir blos einen Kopf haben, fällt uns das sehr schwer – denn mit einem Kopf können wir nicht so viel Witz erzeugen. Ihr fragt mich, warum wir uns so anstrengen, da wir doch sterben können? Ja – hm – wir strengen uns eben so sehr an, um wenigstens mit Wonne sterben zu können, da es uns ja doch nicht gelingt, mit Wonne zu leben.«
Er sank müde in die Kissen zurück und schlief ein.

 


71. Lotte Wiedewitt

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Als der Moritz aufwachte, saß sein Weib neben ihm und weinte.
»Warum weinst Du?« fragte da der Moritz.
Da rief die Lotte schluchzend:
»Moritz! Moritz! Du darfst nicht sterben. Ich habe Dich so lieb – so sehr sehr lieb.«
Und die Lotte küßte den Moritz, aber der sagte:
»Du mußt mich, wenn Du mich wirklich lieb hast, ruhig sterben lassen. Willst Du mir nicht einmal diese einzige Freude gönnen? Glaubst Du, daß ich jemals in meinem Leben eine andere Freude gehabt habe? Sieh nur, wie mein Körper durch das Bettuch leuchtet – so leuchtet alles in mir auf – jetzt, da ich endlich sterben kann. Ich sehe lauter Narren, die mit ihren Köpfen Fangeball spielen – und dazu lachen die Köpfe. Und meine Lotte muß auch dazu lachen. Lach doch, Lotte!«
Da zwang sich die Lotte und wollte wirklich lachen – und sie lachte – aber es klang so schauerlich, daß ihr mit einem Male alles schwarz vor den Augen wurde – sie fühlte, daß sie umsank und von vielen Händen gehalten wurde – und dabei hörte sie neben sich den Moritz nochmals laut lachen und sagen:
»Es ist ja Alles Komödie – das ganze Leben. Nur das Sterben ist schön. Laß uns fröhlich sein – gebt mir Wein – und laßt Musik spielen.«
Es geschah, wie er sagte.
Die Lotte wurde ohnmächtig hinausgetragen.

 


72. Das Leichenwunder

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Da passierte in einer Leichenhalle am Schwantuflusse, in der über fünfhundert bunte Leichen von den Männern der Wissenschaft aufmerksam beobachtet wurden, abermals etwas Wunderbares: die astartigen neuen bunten Gliedmaßen, die aus den Leichen herauswuchsen und sich immerzu bewegten und veränderten, bekamen Wunden, die bluteten – und aus diesen Wunden schossen feurige Strahlen heraus, die zu großen Flammen wurden.
Da packte das Entsetzen die Herren Gelehrten, und sie liefen davon.
Und sie befahlen den Leichenträgern, die Leichen zu isolieren. Aber die beherzten Leute, die die Leichen anfassen wollten, bekamen so furchtbare Brandwunden, daß man beschloß, die Leichen mit langen eisernen Hebeln herauszuheben und einzeln am Flusse aufzubahren; jede Leiche wurde mit einem eisernen Schirmdach oben gegen Regen geschützt – jede Leiche lag von der nächsten hundert Meter entfernt.
Und nun wurden die Leichen von allen Seiten mit Fernrohren beobachtet – und man sah, daß sich bunte kleine Flammen von den toten Körpern loslösten, und diese Flammen flogen gegen die eisernen Schirmdächer und brannten da Löcher durch – und oben in der Luft bekamen die Flammen Kometengestalt wie die großen Irrlichter.

 


73. Der sterbende Moritz

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Und der sterbende Moritz rief den Staatsrat an sein Bett.
Und der Staatsrat kam.
Und der Kaiser Moritz sagte laut:
»Ich sterbe jetzt und sage Euch feierlich: ich war der richtige Kaiser, denn ich ließ Alles so gehen, wie es ging. Ihr aber seid die Narren, weil Ihr etwas Daseiendes in andre Bahnen lenken wollt – während es doch nur eine einzige Bahn gibt, die die richtige ist – die Bahn, die klar und sicher zum Tode führt. Warum lehrt Ihr nicht den Utopianern, daß sie sterben sollen vom ersten Moment ihres Lebens an? Nur das Sterben macht glücklich – das Hinschwinden – das stille Vergehen. Ich wollte, ich könnte das ganze Kaiserreich Utopia mitnehmen – mit Euch Allen zusammen sterben. Es ist wirklich das Beste von allem. Ich fühls. Sie tanzen wieder – die alten Greise – ich sehe sie – sie werden kindisch – und die Gedanken tanzen mit – und die Köpfe rollen über das Meer – hinaus in die Unendlichkeit – da brauchen sie nicht mehr zu leben – da ist es endlich zu Ende – da versinkt Alles – Alles – und es braucht kein Kopf mehr zu leiden – ich auch nicht. Ich segne mein Kaiserreich! Möge es sterben so selig –wie ich – jetzt – hingehe – in die – bunte Nacht – in der Alles – ruhig ist –«
Des Kaisers Kopf sank zurück.
Die Mitglieder des Staatsrates bewegten sich nicht.

 


74. Die Explosion

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Während der Kaiser Moritz die letzten Augenblicke seines Lebens durchschwärmte, geschah am Schwantuflusse etwas Ungeheuerliches; mit furchtbarem Knall explodierte eine der Leichen, daß das eiserne Dach in tausend Stücken hoch in die Luft flog; eines der Eisenstücke verletzte beim Herunterfallen einen Gelehrten nicht unerheblich am Knie.
Nun wurden sofort die anderen eisernen Dächer runtergerissen – aber kaum war das geschehen, so explodierte die zweite Leiche – sodaß kein Atom von ihr übrig blieb.
Und diesen ersten Explosionen folgten nun immer mehr – sodaß man die übrig bleibenden mit erhöhtem Eifer photographieren mußte – was sich auch verlohnte, da die Leichen kurz vor der Explosion die allerherrlichsten Gebilde zeigten; aus den Astknorren wurden große korallenartige Gewächse, die an den Spitzen fächerförmige Blätter bekamen.
Diese fächerförmigen Blätter opalisierten in allen Farben so glühend und strahlend wie die allerköstlichsten Blumen, und die Künstler waren ganz toll beim Anblick dieser entzückenden Leichenwunder, die immer herrlicher sich entfalteten. Es war so, als sollten alle Formen und Farben der Erde noch einmal im erstorbenen Menschenkörper in zusammenfassender Weise vorgeführt werden.
Von der menschlichen Körperform blieb am Ende blos der Kopf noch erkenntlich, der Leib sah wie ein riesiger Blumenkorb aus – mit Korallen und langen Tintenfischgliedern und muschelartigen Wölbungen und mit großen Seesternen und großen Krystallformen und mit Perlen von unbeschreiblicher schillernder weltspiegelnder Glanzpracht.

 


75. Philanders Rückkehr

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Kaum aber hatten die Ärzte den Tod des Kaisers Moritz konstatiert, so erschien in der hohen offenen Türe der Kaiser Philander im Purpurmantel mit der Krone auf dem schneeweißen Haupthaar und mit dem langen weißen Bart.
Der Kaiser Philander stand in der Türe ganz still und starrte seinen Staatsrat an, und der Staatsrat sah seinen alten Kaiser an, als säh er ein Gespenst.
Und es bedurfte einiger Minuten, ehe man sich wieder an die Gegenwart des alten Kaisers gewöhnte.
Der Philander mußte doch lächeln, als er sah, wie unheimlich sein Erscheinen wirkte; als ihm aber mitgeteilt wurde, daß der Kaiser Moritz soeben gestorben sei – da sträubten sich dem Kaiser Philander unter der Perrücke die Haare in die Höhe.
Dann aber ließ der alte Kaiser sofort die Maschinen, die für die Todesposaunen gebaut waren, in Bewegung setzen – und dann erdröhnten die mächtigen Posaunen so gewaltig, daß ganz Ulaleipu erwachte.
Und die Todesposaunen erschütterten die Luft drei volle Stunden hindurch, und alle Fenster in den Häusern der Residenz wurden hell; es war eine finstere Nacht – Wolken verhüllten den ganzen Himmel.


 

76. Der kranke Philander

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Am Abend des nächsten Tages wollte Philander seinen Staatsrat rufen lassen und seine ganze Kraft zeigen – da fühlte er etwas Schweres in den Beinen, und er sah zufällig seine linke Hand an und sah blaue rote und grüne Flecken auf dieser linken Hand.
Philander rief den Beamten zurück, der den Staatsrat rufen sollte.
»Laß den Staatsrat! Hole die Ärzte! Bringt mich zu Bett.«
Es geschah, wie er sagte.
Und die Trauerkunde von der Erkrankung des Kaisers ging durch das ganze Land; aber es zeigte sich keine Teilnahme – nur der Astronom Haberland erschrak sehr, als er vom kranken Philander hörte.

 


77. Die Hand

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Kaum lag der Philander im Bette, so zuckte ein Gedanke durch sein Gehirn, sodaß er sich plötzlich hoch aufrichtete.
»Messer! Messer!« schrie er.
Man verstand nicht, was er wollte. Doch da kamen die Ärzte, und denen schrie er schnell zu:
»Amputiert mir die Hand!«
Doch mit Blitzesgeschwindigkeit hatte ein jüngerer Arzt das Hemd vor der Brust aufgerissen – und da waren auch schon auf der Brust die Flecke.
»Es ist zu spät!« sagte er traurig.
Da brüllte der Kaiser auf wie ein wildes Tier – und sank dann weinend in die Kissen zurück.

 


78. Die Vorwürfe

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Und der kranke Philander sprach heftig in seinem Innern, während seine Lippen bebten:
»Ich habe mir in meinem Leben zu viel Zeit gelassen – Das nun ist die Strafe! Ich bin der Genußsucht nicht heftig genug begegnet. Das ist nun die Strafe! Kurz vorm Ziel ein kranker Mann! Und welche Krankheit! Der Triumph der Genußsucht ist diese Krankheit. Ich hätte schon früher begreifen sollen, daß ›Genießen‹ nicht ›Leben‹ heißt. Das wäre doch zu leicht. Warum habe ich nicht in meinen jüngeren Jahren das Volk aufgerüttelt – wie ichs jetzt wollte? Ich werde furchtbar bestraft. Und diese weiche Stimmung! Und diese Wonne in allen Gliedern! Oh – wie verführerisch ist das Genußleben – war ich für das große Weltenleben noch nicht reif?«
Er machte aus seinen beiden Händen zwei knochige Fäuste.

 


79. Die Wut

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»Ich will raus aus diesem Bett!« schrie er plötzlich.
»Ich will«, schrie er noch heftiger, »auf dem Seebalkon sterben – vor allem Volk! Hebt mich raus!«
Man hob den Kaiser auf und setzte ihn auf einen Sessel.
»Der Sessel ist mir zu weich!« schrie er wieder.
Das sagte aber der Oberarzt:
»Grandiosität dürfen nicht hart sitzen. Grandiosität dürfen auch nicht auf den Seebalkon getragen werden; es regnet. Es ist doch möglich, daß die Krankheit vorübergeht – und dementsprechend müssen wir vorsichtig sein.«
Da sah der Kaiser mit leuchtenden Augen auf und rief:
»Ja – ich will gesund werden – laßt mich allein!«
Und Alle gingen hinaus und ließen den Kaiser allein.

 


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