Der Kaiser von Utopia

80. Das Gebet

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Wie Alle draußen waren, wollte Philander allein aufstehen, und dabei fiel er lang auf dem Teppich hin und blieb liegen.
Da faltete er die Hände zusammen und sprach leise und schnell:
»Erhabener Geist, der Du uns Alle führst und dem wir keinen Namen geben wollen, erhöre mich – vernichte nicht mein irdisches Leben. Ich will leben – leben – wie eine Welt lebt – so will ich leben – nicht blos will ich ein einfaches menschliches Genußleben leben. Vergib mir, daß ich doch so oft ihm nicht widerstanden habe. Aber – es soll anders werden. Erhöre mich noch ein einziges Mal. Ich werde kämpfen um das große Leben und meinem Volke das große Leben begreiflich machen. Ich werde mich bessern. Ich werde stark werden. Vergib mir meine Schwäche. Laß mich nicht versinken. Rette mich. Ich will meine Sehnen anspannen. Ich will mir Schmerz machen, daß ich nicht versinke.«
Und mit gewaltiger Anstrengung kroch er nun auf Allen Vieren zum nächsten Tisch, auf dem Instrumente lagen, und mit einer spitzen Nadelbürste stach er sich in den Arm, daß es blutete.
Da schrak er aber zusammen – der Blutverlust konnte gefährlich werden – er klingelte.
Und die Ärzte kamen und verbanden den kranken Philander, sodaß der Arm nicht mehr blutete.
Dann aber ließ sich der Kranke ein hartes Holzlager machen und lag nun ganz still.

 


81. Der Kampf

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Jetzt jagten sich die Gedanken durch Philanders Kopf mit größter Schnelligkeit und wollten immerzu in reizende weiche feine Phantasieen hinein – es war so, als ob überall kleine feine Engelsköpfchen auftauchten und den Philander anlächelten und winkten und fortzuführen suchten in weiche Wolkenbetten, allwo man versinken kann.
Aber der Philander zwang andre Bilder hervor – schauderhafte – gräßliche – blutige – wilde Raubtiergestalten, die sich bissen und sich zerrissen.
Und immer glühender wurde Philanders Körper, die blauen grünen und roten Körperflecke leuchteten durch die Bettdecke.
Und dann befahl der Kranke, mit Gläsern und Schüsseln zu klappern.
Und das geschah; es mußte aber bald eingestellt werden, da dadurch eine Verwirrung der Gedanken herbeigeführt wurde.
Wieder machte der Kranke Fäuste aus seinen Händen und sah starr gradaus und begann zu reden:
»Haltet fest am Leben! Laßt nicht los! Werdet hart! Immer härter! Wie Steine müßt Ihr werden! Der größte Teil des Sterns Erde besteht auch aus Steinen! Die Sterne werden auch hart – und die führen ein Weltleben – das größer ist als ein irdisches Genußleben!«
Und so sprach er weiter, bis er heiser wurde.

 


82. Der Sieg

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Und die Flecke verschwanden nach furchtbaren drei Tagen und drei Nächten.
Und als sie ganz fort waren, da schrie der Kaiser mit rauher Stimme immerfort:
»Sieg! Sieg!«
Und dann faltete er die Hände und murmelte:
»Erhabener, ich danke Dir!«
Und dann verließ er sein hartes Lager und richtete sich hoch auf.

 


83. Der Doppelgänger

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Der Herr Sebastian hatte in Schilda von der Rückkehr und von der Krankheit Philanders des Siebenten nicht eine Silbe gehört; der Herr Sebastian pflegte nämlich im goldenen Löwen Wochen hindurch ganz zurückgezogen zu leben und auch kein Zeitungsblatt anzusehen.
So kam es, daß der Oberbürgermeister in Philanders Haar und Bart just an dem Tage wieder über den Marktplatz ging, als der Kaiser Philander grade gesund geworden war.
Die Schildbürger liefen zusammen, betasteten die Kleider des Herrn Sebastian, faßten sich an den Kopf und sahen ihren Oberbürgermeister mit so entsetzten Augen an, als wäre er ein Gespenst.
Dem Herrn Sebastian wurde ganz unheimlich, aber er beschloß gleich, nicht aus der Rolle zu fallen, und fragte ruhig:
»Was ist los, liebe Leute?«
Und da hörte er denn, was geschehen war – und er mußte laut auflachen.
Dann sagte er ruhig:
»Es geschehen heute Zeichen und Wunder. Ihr sollt eben große Augen machen. Wißt Ihr, was ein Geist ist? Wißt Ihr, was ein Doppelgänger ist? Versammelt Euch Alle hier auf dem Markte und zündet Fackeln an, wenns dunkel wird. Und wenns dunkel geworden ist, werde ich kommen und Euch eine Geschichte erzählen.«
Nach diesen Worten ging der Herr Sebastian in den goldenen Löwen und schloß sich ein.
Die Schildbürger taten, wie ihnen geheißen ward.

 


 

84. Die Flucht

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»Endlich bin ich erlöst!« murmelte der Herr Sebastian.
Und dann packte er seine Papiere zusammen und machte ein kleines Paket daraus, zog seine alten Kleider an, verbrannte im Ofen den weißen Bart und die weißen Haare sehr sorgfältig und stieg, als es dunkel geworden war, mit Hilfe einer Strickleiter zum Fenster hinaus, löste die Strickleiter ab und machte das Fenster wieder so zu, als wärs von innen zugemacht – und ging davon – zu der Station, die zwei Meilen hinter Schilda lag.
Als er so durch die Nacht ging und die neuen Kometen am Himmel sah, wurde er ganz ernst. Dann aber sagte er:
»Diese einsame Zeit war mir recht heilsam; ich habe doch viel zu Stande gebracht – sieben neue Maschinen!«
Er lächelte und ging rüstig weiter.
Die Schildbürger standen auf ihrem Marktplatz und warteten – bei Fackellicht.

 


85. Der verschwundene Bartmann

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Nun wurde festgestellt, daß der Kaiser Philander, als er auf dem Markte zu Schilda vor den Schildbürgern erschien, auch in Ulaleipu war und in Gegenwart zweier Ärzte ganz fest schlief und dabei ganz wie ein Gesunder schnarchte. Und es ließ sich somit nicht in Abrede stellen, daß der Kaiser in Schilda ein Doppelgänger war.
Diese Doppelgängergeschichte wäre zu andern Zeiten niemals so ohne Weiteres geglaubt worden, aber da sich zur selben Zeit so viele andre wunderbare Erscheinungen zeigten – die Irrlichter, die wachsenden und explodierenden Leichen und die Kometen und der bewegliche Meeressumpf – so nahm man den Doppelgänger wie etwas Selbstverständliches hin; es wurde nicht einmal in einer einzigen Broschüre der Versuch gemacht, die Realität des Doppelgängers in Zweifel zu ziehen.
Viel mehr Verwunderung erregte das plötzliche Verschwinden des Herrn Bartmann, und man fing an, den Doppelgänger mit dem Herrn Bartmann in eine gewisse Verbindung zu bringen, doch dachte man nicht klar darüber, da die explodierenden Leichen allen Gelehrten einfach den Kopf verwirrten.
Daß der Herr Bartmann nicht aufzufinden war, erklärte der Kaiser für ganz unbegreiflich – und er tat ganz verzweifelt darüber – und schickte Boten durch das ganze Reich, die den Herrn Bartmann suchen sollten.
Aber der Herr Bartmann war und blieb verschwunden, und der Kaiser sagte sich im Stillen:
»Daß mir die Komödie so glücken würde, das hätte ich doch nicht gedacht.«
Und er nahm sich fest vor, dem Staatsrate nie mehr Vorwürfe über die Maskerade zu machen; der weiße Bart und das weiße Haupthaar gestatteten doch, Dinge in Szene zu setzen, die wirksam gemacht werden konnten; die Verschwiegenheit der Hofbeamten erschien hierbei auch im allerbesten Lichte.
Und nach diesen Erwägungen ließ der Kaiser seinen Onkel, den Oberpriester Schamawi, und andre Priester rufen und erklärte ihnen Folgendes:
»Daß dieser Bartmann verschwunden ist, scheint mir ein großes Unglück für das Kaiserreich zu sein; er war der Einzige, der den Kopf oben behielt, als Alle in Verwirrung gerieten. Ich habe genug von dem Herrn und über ihn gelesen, daß ich wohl bitten möchte, eine vollständige Sammlung dieser Skripturen zu besitzen. Aber das bekomme ich ja schon. So weit ich nun die Sache übersehen kann, hat Alles, was er sagte, eigentlich einen religiösen Charakter, und deshalb habe ich die Herren gebeten, herzukommen.« Der Kaiser bot den Priestern gute Zigarren an, und man rauchte und plauderte dabei ganz gemütlich über den verschwundenen Herrn Bartmann. Und Alle bedauerten lebhaft, daß sie den Herrn nie persönlich vor sich gesehen hätten.
Nach einiger Zeit fuhr dann der Kaiser also fort:
»Fassen wirs kurz so: Herr Bartmann meinte, das Leben der gewöhnlichen Menschen bestände blos aus Arbeiten und Genießen – das Leben der größeren Menschen müßte aber hauptsächlich ein Weltlebenmiterleben sein. Das ist das, was man vor ein paar tausend Jahren im wilden Westen ein Leben in Gott nannte. Wir sind ja nun heute nicht mehr so arrogant, uns einem Allwesen nähern zu wollen – aber wenn wir von dem Geiste sprechen, der uns führt und den wir nur des Volkes wegen Volksgeist nennen, so denken wir da doch an einen größeren Geist – dem wir ohne Weiteres ein Weltlebenmiterleben zugestehen. Und daß dieser Geist uns auch so weit haben möchte, wie er selbst ist, werden wir ja begreiflich finden. Demnach ist die Aufgabe, die Menschen zu einem höheren Weltleben hinzuleiten, wohl die Aufgabe des Priesterstandes.«
Das wurde nun von den Priestern lebhaft bejaht, und der Kaiser bat nun die Priester, im Sinne des Herrn Bartmann zu wirken und diesen so zu ersetzen.
Und die Priester erklärten, daß die großen wunderbaren Naturereignisse der letzten Zeit wohl geeignet wären, einem religiösen Leben mehr Zugänge zu verschaffen als bisher.
Und diese ganze Angelegenheit wurde nun bis ins Kleinste durchgesprochen, und Schamawi drückte dem Kaiser zum Schlusse den Dank des Priesterstandes für die Förderung der religiösen Interessen in lebhaften bewegten Worten aus.
Der Kaiser konnte sich ganz fest darauf verlassen, daß alles, was er wünschte, mit peinlicher Genauigkeit ausgeführt werden würde.
Der verschwundene Herr Bartmann erhielt somit für Utopia täglich – fast stündlich – eine größere Bedeutung.
Der Kaiser Philander lächelte.

 


86. Der Mantel und der Käseberg

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Als der Herr Sebastian als Doppelgänger des Kaisers auf dem Markte von Schilda erschien, da hatten die Schildbürger grade eine halbe Stunde vorher die Nachricht bekommen, daß der Kaiser in Ulaleipu bereits vier Tage anwesend und dort krank geworden sei; die explodierenden Leichen hatten alle Telegraphenlinien so in Anspruch genommen, daß nicht einmal der Tod des Moritz Wiedewitt früher bekannt geworden war.
Während nun nachher die Schildbürger auf ihrem Markte standen und warteten, trafen weitere Nachrichten ein – auch die vom Tode des alten Oberbürgermeisters Wiedewitt. Und das Alles steigerte noch die Verwirrung, sodaß die Schildbürger erst beim Morgengrauen wagten, in den goldenen Löwen zu dringen und dort die Türen zu den kaiserlichen Gemächern aufzubrechen.
Und da fand man nun Alles in schönster Ordnung; der rote Mantel lag auf einem Diwan und auf dem roten Mantel lag die rot und weiß gestreifte Kappe des Oberbürgermeisters.
Die Fenster waren fest verschlossen; das hatte der Herr Sebastian von außen mit der Strickleiter bewirkt, an der sich ein sinnreicher Mechanismus befand.
Die Sache war Allen unbegreiflich.
Schließlich redete der Regierungssekretär Käseberg zu den Schildbürgern folgendermaßen:
»Meine Herren! Wir wissen vom menschlichen Leben nicht viel Genaues. Wir wissen, daß das Kaiserreich Utopia östlich von Kallekutta liegt – und damit ist bekanntlich nicht viel gesagt. Wir wissen, daß der Kaiser Philander sechs Monate hindurch unser Oberbürgermeister war. Aber das wissen wir auch nicht sehr genau. Ich glaube, wir tun gut, wenn wir annehmen, daß ein Doppelgänger des Kaisers unser Oberbürgermeister war. Und da ein Doppelgänger ein Geist ist, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn dieser Geist jetzt unsichtbar ist. Ich schlage daher vor: Legen wir Mantel und Kappe im Ratshause nieder und lassen wir den Geist auch fürderhin Oberbürgermeister von Schilda sein – auch wenn er unsichtbar bleiben sollte. Vielleicht wird er uns nochmals sichtbar. Wählen wir aber keinen neuen Oberbürgermeister – wir haben zwei in einer Nacht verloren.«
Und man tat, wie Herr Käseberg vorgeschlagen.

 


87. Der Kaiser Philander im Hintergrunde

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Diejenigen, die jetzt noch an der bunten Krankheit darniederlagen, wurden jetzt sämtlich gesund – und die Leichen derer, die an der bunten Krankheit gestorben waren, explodierten in den nächsten Wochen allesamt, sodaß die furchtbare Krankheit plötzlich von der Bildfläche verschwand und den anderen Lebensinteressen wieder Spielraum ließ.
Da kam nun gleich die kräftige Agitation der Priester in den Vordergrund, und der verschwundene Herr Bartmann wurde täglich berühmter.
In der Litteraturzentrale erschienen verschiedene Schriften, in denen das Benehmen des Kaisers Philander scharf getadelt wurde; grade in der schwersten Zeit der Verwirrung hatte sich der Kaiser in Schilda aufgehalten – und über die Doppelgängergeschichte konnte der Kaiser auch nichts Aufklärendes sagen.
Kurzum: Der Kaiser kam in den Hintergrund, und der Bartmann wurde immer höher gestellt, und man schätzte es durchaus nicht, daß der Kaiser für den Bartmann eintrat – das erschien Allen ganz selbstverständlich.
Der Kaiser lachte sehr oft, wenn er allein war.
»Fehlt nur noch«, sagte er, »daß sie den verschwundenen Bartmann zum Kaiser machen wollen! Jawohl – es ist nicht so leicht, Gedankenkaiser zu werden – besonders dann nicht, wenn man verpflichtet ist, eine sichtbare goldene Krone zu tragen.«
Aber etwas verstimmt sah der Kaiser bald aus.

 


88. Die Umgewandelten

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Der Kaiser Philander zeigte auch nur noch ein ernstes und sorgenvolles Gesicht.
Und die Kaiserin Caecilie deutete dieses Gesicht ihres Gemahls ganz anders als die Andern.
»Es ist Dir«, sagte sie, »doch nicht so ganz recht, daß der Herr Bartmann so die Utopianer beschäftigt, nicht wahr? Weißt Du, was ich immer geglaubt habe?«
»Nun?« fragte der Kaiser.
»Ich glaubte«, versetzte die Kaiserin, »Du selbst seist der Bartmann gewesen.«
Der Kaiser erschrak und sah seine Gemahlin lange an und wußte nicht recht, ob er ihr trauen sollte, und grübelte immerzu darüber und sah sie immerzu groß an.
Da sprang die Frau Caecilie auf und lachte und sagte:
»Jetzt weiß ich, daß das stimmt.«
Da fiel der Herr Philander darauf hinein und gab Alles zu.
Aber da wurde die Frau Caecilie sehr unruhig und fragte leise:
»Wer weiß es denn noch?«
»Es wissen das«, versetzte der Herr Philander, »nur noch die Herren Haberland und Sebastian.«
»Werden die«, fragte Frau Caecilie, »auch schweigen?«
»Wenn Du nur schweigst!« antwortete darauf ihr Gemahl.
»Ich schweige!« sagte Frau Caecilie.
Und dann erzählte der Philander seiner Frau alle seine Abenteuer ganz genau.
Und die Kaiserin mußte oft so lachen, daß ihr die Tränen über die Backen rollten.

 


89. Die Kaiserin

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Der Kaiser Philander zeigte auch nur noch ein ernstes und sorgenvolles Gesicht.
Und die Kaiserin Caecilie deutete dieses Gesicht ihres Gemahls ganz anders als die Andern.
»Es ist Dir«, sagte sie, »doch nicht so ganz recht, daß der Herr Bartmann so die Utopianer beschäftigt, nicht wahr? Weißt Du, was ich immer geglaubt habe?«
»Nun?« fragte der Kaiser.
»Ich glaubte«, versetzte die Kaiserin, »Du selbst seist der Bartmann gewesen.«
Der Kaiser erschrak und sah seine Gemahlin lange an und wußte nicht recht, ob er ihr trauen sollte, und grübelte immerzu darüber und sah sie immerzu groß an.
Da sprang die Frau Caecilie auf und lachte und sagte:
»Jetzt weiß ich, daß das stimmt.«
Da fiel der Herr Philander darauf hinein und gab Alles zu.
Aber da wurde die Frau Caecilie sehr unruhig und fragte leise:
»Wer weiß es denn noch?«
»Es wissen das«, versetzte der Herr Philander, »nur noch die Herren Haberland und Sebastian.«
»Werden die«, fragte Frau Caecilie, »auch schweigen?«
»Wenn Du nur schweigst!« antwortete darauf ihr Gemahl.
»Ich schweige!« sagte Frau Caecilie.
Und dann erzählte der Philander seiner Frau alle seine Abenteuer ganz genau.
Und die Kaiserin mußte oft so lachen, daß ihr die Tränen über die Backen rollten.

 


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