Der Kaiser von Utopia

60. Das neue Delirium

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Das Lächeln der Kranken machte nach einigen Tagen einen furchtbaren Eindruck – es war so, als erstarrte das Lächeln. Und dabei sprachen die Kranken ganz ruhig von der Herrlichkeit des Sterbens.
Ein alter Botaniker sagte, während sein Gesicht das erstarrte Lächeln zeigte und seine ganze Körperhaut in blauen, roten und grünen Farben leuchtete und flimmerte:
»Das hätte ich doch nie geglaubt. Ich fühle, daß ich sterbe. Und ich fühle, daß ich so glücklich bin – wie ichs noch niemals war. Es geht die ganze Welt mit mir zusammen. Große Wolken schaukeln mich und umhüllen mich. Ich versinke und sehe unendliche weiche Räume mit stillen Rauchstreifen, die sich um meinen Hals winden. Das Sterben ist herrlicher als alles Leben. Ich will sterben und mich auflösen und fortschweben und vergehen. Es ist nicht zu beschreiben. Aber es wird immer köstlicher. Alles wird so weich und warm. Ich versinke. Es verschwimmt Alles. Ich sehe nicht mehr. Ich fühle nur – so als wenn die ganze Welt mich leise zusammendrückte. Ein Duft von sterbenden Blüten! Und es geht in meinen Hals, und ich schmecks mit meinem ganzen Innern. Jetzt steige ich auf – wie Rauch – zu den Wolken. Und nun langsam fallend seitwärts in immer wärmere Welten – die seh ich glühen und brennen. Ich verbrenne. Unbeschreiblich! Köstlich! Das Sterben ist es wert, daß man gelebt hat. Ich sterbe.«
Der Kranke starb aber noch nicht, dafür wiederholte er in ermüdender Eintönigkeit immerfort diese Reden von der Herrlichkeit des Sterbens.
Und die anderen Kranken sprachen ein Ähnliches.
Und die Ärzte sagten kopfschüttelnd:
»Das ist das neue Delirium.«

 


61. Die Sprache der Natur

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Der Herr Bartmann hatte auch in heftigsten Ausdrücken erklärt, daß die bunte Krankheit ebenfalls eine wilde großartige Sprache der Natur sei; die uns sagen wolle, daß wir das Leben – das großartige Weltleben – schärfer ins Auge fassen müßten.
Als nun die Deliriumsphantasieen bekannt wurden, wandten sich die Ärzte und Gelehrten an den Herrn Bartmann mit lächelnden Mienen und baten ihn, seine Meinung zu sagen – ob die Sprache der Kranken auch eine Sprache der Natur sei.
Und als nun der Herr Bartmann die Deliriumsreden der Kranken mit eigenen Ohren hörte, ward er ganz verwirrt und sprach unzusammenhängende Worte.
Da fürchteten die Ärzte für den Verstand des Herrn Bartmann und ließen ihn nicht mehr in die Krankenzimmer hineinkommen.

 


62. Der rasende Bartmann in Schilda

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Danach aber erschien der Herr Bartmann plötzlich in einem langen weißen Gewande, das hinten eine lange weiße Schleppe hatte, auf dem großen Markte zu Schilda und bestieg dort eine große Teertonne und hielt eine Rede an die Schildbürger, die sich grade zum Ratshause begeben wollten und nun natürlich vor der Teertonne stille standen.
Auf dem Haupte trug der Herr Bartmann einen Kranz von taubenei-großen Rubinen, die mächtig funkelten, und er sprach mit donnernder Stimme:
»Ganz Utopia versteht mich nicht; Ihr aber, werte Bürgersleute von Schilda, Ihr werdet mich verstehen, obgleich man Euch für Narren hält. Mich hält man auch für einen Narren, und das hat mir auch noch nichts geschadet. Aber weil man mich für einen Narren hält, so will ich auch wie ein Narr zu Euch Narren ein Narrenwort reden. Die Zeiten sind ernst, und daher sind wir lustig.«
Da lachten die Schildbürger, der Ton war ihnen vertraut; aber die Stimme des Kaisers erkannten sie nicht wieder, da er mit einem Stimmverstärker sprach; Bartmann fuhr nun fort:
»Die bunte Krankheit ist doch die gewaltigste Stimme der Natur, die uns sagen will, daß wir leben sollen – immer mehr und heftiger leben sollen – immer lustiger und großartiger leben sollen – ein Weltleben – das große, kräftige Leben der Natur – des großen Geistes, der uns führt. Und wenn diese verdammten Kranken vom Sterben so sprechen, als wärs viel herrlicher als alles Leben – merkt Ihr da nicht, daß da die Natur durch die Kranken eine Hohnsprache zu uns spricht? Wenn die Kranken das Sterben preisen wollen, so müssen sie doch erst gestorben sein. Sie sprechen aber vom Sterben, während sie noch leben – also sprechen sie von einem großen Lebenszustande und nicht von einem Sterbenszustande – denn den kennen sie ja doch noch garnicht.«
Da lachten die Schildbürger abermals und klatschten Beifall mit den Händen, und der Herr Bartmann berührte mit dem rechten Zeigefinger seine Nasenspitze und lächelte – und sprang dann von der Tonne herunter – und ließ zum Tanze aufspielen – und tanzte mit den Frauen der Schildbürger wie ein Rasender und erklärte, daß die Kranken das Delirium hätten – das neue Delirium – und daß ihre Reden voll Hohn seien – damit die Utopianer endlich aufgerüttelt würden – zum neuen strahlenden Weltleben – deshalb seien auch die neuen Kometen so hell strahlend.
Es war währenddem Abend geworden – und siehe – unter Fackelbeleuchtung wurde plötzlich die Leiche des Herrn von Moellerkuchen vorübergetragen – und neben der Leiche schritt würdig im langen weißen Bart der Herr Sebastian als Bürgermeister.
Alles verstummte; die Leiche wurde mitten auf dem Markte enthüllt – und da sahen die Schildbürger mit Entsetzen, daß sich die Glieder der Leiche bewegten und überall große Blasen und astartige Gewächse herauswuchsen.
Und der Herr Sebastian sagte:
»Der Herr Bartmann hat Recht. Selbst die Leichen leben. Geht nach Hause und lebt auch. Die Sprache der Natur wird immer deutlicher.«
Da rannten Alle fort.
Aber der Herr Bartmann sprang wie ein Rasender um die Leiche herum und wollte ihre beweglichen Teile küssen.
Doch die Fackelträger drängten den Herrn Bartmann zurück, und der Herr Sebastian flüsterte dem Herrn Bartmann ins Ohr:
»Verlassen Sie Schilda und gehen Sie nach Ulaleipu – dort sind Sie am richtigen Platze – nicht hier.«
Der Kaiser von Utopia sah seinen Doppelgänger verblüfft an, aber er verließ die Stadt Schilda noch am selbigen Abend.

 


63. Die Todessehnsucht in ganz Utopia

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Mit Blitzesschnelle hatte sich nun das, was sich in Schilda mit dem toten Körper des Herrn von Moellerkuchen zugetragen hatte, in ganz Utopia verbreitet.
Und die alten Leute sagten:
»Sollen wir denn täglich etwas Unerwartetes vernehmen? Wir kommen ja ganz aus der Fassung. Jetzt könnte man bald glauben, daß die Toten auferstehen.«
Und es ward Allen unheimlich zu Mute.
Gleichzeitig hatten aber die Gesunden die merkwürdige Neigung, auch krank zu werden.
Nachts gingen viele Utopianer in die Leichenhallen und berührten die gräßlichen astartigen Bildungen, die bis zu Meterhöhe aus den toten Körpern herauswuchsen und bunt leuchteten, als wäre ein anderes neues Leben darin. Die Utopianer wollten bald alle die bunte Krankheit haben – aber glücklicher Weise übertrug sie sich nicht so einfach wie andre pestartige Erkrankungen; es wurden grade nur die krank, die am wenigsten daran gedacht hatten.
Doch die Todessehnsucht packte so viele Utopianer, daß viele Selbstmorde vorkamen.
Da wetterte der Herr Bartmann in allen Städten des Reiches gegen das Sterbenwollen so heftig, daß der Staatsrat in Ulaleipu beschloß, Herrn Bartmann zu einer größeren Tätigkeit aufzufordern.

 


64. Der energische Staatsrat

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Der Herr Bartmann sollte im Auftrage der Regierung Leute um sich versammeln, die im Stande wären, durch lustige Laune wieder Lebensmut in die Bevölkerung zu bringen; Herr Bartmann sollte diese Leute möglichst rasch zu Predigern – d. h. zu sehr lustigen Predigern – ausbilden.
Und das tat denn auch der Herr Bartmann mit großem Eifer, und er freute sich dabei über einen energischen Staatsrat und amüsierte sich königlich darüber, daß er immer noch nicht erkannt wurde.
»Sollte ich mich so verändert haben?«
Also fragte er sich eines Morgens und sah dabei in einen Spiegel – und erschrak – er sah wirklich ganz anders aus als einst.

 


65. Der verfluchte Kaiser

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Jetzt verlangte aber ganz Utopia, daß der Kaiser Philander Schilda verlassen und sich wieder an die Spitze der Regierung stellen sollte; die Zeiten seien doch danach.
Aber der Herr Sebastian telegraphierte aus Schilda sehr kurz.
»Meine Zeit ist noch nicht gekommen.«
Da fluchte man überall auf den Kaiser Philander, und in fünfzig Broschüren, die sämtlich in der Rechtszentrale am Schwantufluß geschrieben waren, wurde erklärt, daß des Kaisers Handlungsweise unverantwortlich sei.
Herr Bartmann aber wurde täglich populärer.

 


66. Der Herr Haberland

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Der Astronom Haberland schrieb an den Herrn Bartmann kurz und bündig:
»Jetzt glaube ich, daß die Possenreißerei ein Ende haben könnte.«
Aber der Herr Bartmann besuchte den Herrn Haberland auf der Sternwarte und setzte ihm bei einem Glase Grog heftig auseinander, daß jetzt vor allen Dingen nicht der Herr Bartmann verschwinden dürfe.
Herr Haberland sah schließlich ein, daß das auch gefährlich sei – und dann fuhren die beiden Herren im Sebastianischen Luftwagen in die nahe gelegene Gletscherwelt und beobachteten die neuen Kometen, die ihre Irrlichternatur in der Kälte zu verändern schienen, da sie über den Gletschern tagelang an einer Stelle blieben.

 


67. Der Herr Sebastian

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Der Herr Sebastian befand sich als Oberbürgermeister von Schilda in einer peinlichen Lage und schrieb das dem Kaiser.
Der Kaiser aber telegraphierte:
»Bitte, Feste feiern lassen – ich sende drei meiner jungen Leute mit genauen Instruktionen. Bartmann.«
Herr Sebastian raufte sich die Haare aus; er war nahe daran, auf und davon zu gehen – doch der Kaiser hatte ihm versprochen, alle sebastianischen Erfindungen – auch die teuersten – ausführen zu lassen – und das war für Herrn Sebastian bestimmend.
Und so wurden in Schilda die Narrenfeste gefeiert; und ganz Utopia wunderte sich über den närrischen Kaiser.

 


68. Der Kaiser Moritz

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Als der Kaiser Moritz von den Festen in Schilda hörte, da packte ihn der Neid, und er ließ sofort seinen Vergnügungsrat zusammentrommeln und befahl, daß die bunte Krankheit auf einem Nachtfest parodiert werden sollte.
Und dieser Befehl wurde ausgeführt – ein paar große leuchtende Ballonriesen wurden über dem schwarzen See aufgelassen – und diesen Ballonriesen wuchsen neue höchst komische Köpfe aus den Armen und Händen heraus.
Die Bewohner von Ulaleipu ärgerten sich über diesen Scherz.

 


69. Die Krankheit in Ulaleipu

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Die Bewohner von Ulaleipu hörten nun an dem Morgen, der der Festnacht folgte, daß plötzlich gegen tausend Erkrankungen in der Nacht gemeldet waren. Und diese Nachricht erfüllte Alle mit Entsetzen. Und Viele wollten, daß der Kaiser Moritz sofort aus dem Lande gewiesen werden sollte; vor der Festnacht waren in Ulaleipu kaum 80 Erkrankungs- und nur vier Sterbefälle vorgekommen.

Der Staatsrat wollte grade einen feierlichen Entschluß fassen, da wurde gemeldet, daß auch der Kaiser Moritz erkrankt sei.

 


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