Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart
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Tarub Bagdads berühmte Köchin
Arabischer Kulturroman
Das erste Kapitel
Helles Gelächter schon durch ganz Bagdad. Der Prinz Ali war aus Ägypten zurückgekehrt. Und er war gekommen hoch zu Roß mit stolzem Gefolge. Doch das Roß, auf dem der Prinz saß, war ein Schimmel gewesen. Und diesen Schimmel hatte der Prinz grün färben lassen. Da mußte natürlich ganz Bagdad hell auflachen. Alis grüner Schimmel war ein Ereignis.
Es hatte sich wieder einmal gezeigt, wie gut es der Prinz verstand, von sich reden zu machen. Kein Mensch wurde klug aus diesem Ali. War er durch sein Selbstbewußtsein wirklich geschmacklos geworden? Oder gab er sich nur so geschmacklos aus Berechnung? Wäre der Schimmel nach alter Sitte mit Henna rot gefärbt gewesen, dann würde Niemand gelacht haben — doch grün? Nein, das ging übern Spaß.
Man konnte sich ja erklären, was sich der Prinz gedacht hatte — er wollte die neue Farbe der Abbassiden zu höheren Ehren bringen. Einst glänzte das Haus Abbas unter der schwarzen Flagge. Diese schwarze Flagge vertauschte man später mit der grünen. Das gefiel nun dem jungen Ali so gut, daß er die neue Farbe seines Hauses überall sehen wollte. Und so mußte denn schließlich auch der Schimmel — grün werden.
Unglaublich!
Unzählige Sterne glänzen aus dem tiefblauen Himmel auf Bagdad hinab; sie spiegeln sich in den lauen Fluten des Tigris, und an den bunten Kacheln der Minaretts, der Palast— und Moscheekuppeln werden auch die Glanzlichter der Sternenwelt glitzernd umhergestrahlt. Die Kalifenburg mit ihren prächtigen Türmen, Kiosken und Galerien hebt sich hoch heraus aus dem Häusergewirr der großen Stadt, aus der ein Nebeldunst — magisch leuchtend — aufsteigt. Und am Tigris entlang leuchten die weißen Mauern der Landhäuser; in deren Gärten schwanken die ruhigen Palmen im Abendwinde…
Aber aus den Straßen und Gassen der herrlichen Stadt schallt helles Gelächter zu den ewigen Sternen empor. Jetzt endlich in der stillen Nacht kann ganz Bagdad lachen nach Herzenslust, denn der Prinz Ali hört das Lachen nicht; der ruht schon wieder in den weiten kühlen Prunkgemächern der Kalifenburg von seinen vielen Reisen aus. Der Kalif Mutadid hat seinen Sohn wohlwollend empfangen, und die Sklaven eilen in den Palästen auf den Zehen umher, um die Ruhe des gefeierten Prinzen nicht zu stören.
Wie Ali am frühen Morgen auf seinem grünen Schimmel durch das große Tor im Westen stolz hineinritt in die festlich geschmückte Stadt, da mußten seine Kammerdiener Goldmünzen unter die Menge streuen. Dadurch entstand ein wüstes Geschrei. Kein Araber war zu stolz. Alle balgten sich um die Goldstücke, sodaß es viele blutige Köpfe gab.
Durch die langen breiten Straßen, die zur Kalifenburg führen, zog der lange Zug des stattlichen Gefolges auf Pferden und Kamelen unter betäubendem Lärm dahin. Das Volk jubelte wie rasend dem freigebigen Prinzen zu. Es wurde beim Herumschwirren der Goldstücke gejohlt und gelacht — als hätte sich der blaue Himmel aufgetan, wie wenn sich die Huris aus dem Paradiese zur Erde niederbeugten.
Jetzt ist es Nacht, und die Araber freuen sich über das blanke Gold. Sie werfen jetzt die Münzen ebenso verschwenderisch wie die Prinzen auf die Straße. Die guten Araber geben das gute Gold den dicken Weinhändlern, guten Freunden und lustig lachenden Mädchen. Dabei fällt ihnen aber der grüne Schimmel öfters wieder ein — und über den freuen sich Alle schließlich noch viel mehr als über das Gold.
Der Prinz Ali ist ein guter Mensch, aber die Bürger Bagdads lachen ihn doch von ganzem Herzen aus. Und wenn er noch viel viel besser wäre, sie würden ihn trotzdem auslachen. In dieser Nacht tragen die reichen Jünglinge Bagdads ihre Säbel an grünen Schärpen, um das Volk an Ali zu erinnern. Das Volk versteht den Scherz und lacht darüber immer wieder von Neuem — immer wieder von Neuem.
Ausgelassene Spottlieder, wüste Zechgesänge, mekkanische und persische Liebesweisen — tolle wilde Jubelstürme brausen und wogen durch die Straßen und Gassen der herrlichen Kalifenstadt. In allen Weinkneipen, in den Buden, in denen getanzt wird, in den Häusern, in denen reizende Sängerinnen mit feiner Kunst zu singen verstehen — überall wird gepraßt und gezecht.
Eine sehr lustige Nacht!
Abseits in einem kleinen Gäßchen steht vor seiner Haustür ein christlicher Weinhändler mit einem alten Parsenpriester im Gespräch. Sie schütteln sich beide Hände zum Abschied. Doch der Wirt redet noch immer, obgleich der Priester Eile zu haben scheint. Der christliche Wirt sagt:
»Bedenkt nur das Eine! 892 Jahre, man schreibe und sage: achthundertundzweiundneunzig Jahre — die sind nun schon vergangen, seit Christus geboren ward, und seine Lehren sind hier noch immer verachtet. Man läßt wohl uns Christen in Ruh, läßt uns auch unsern Glauben — aber das beweist doch nur, daß sich diese Araber garnicht um religiöse Dinge kümmern, ihnen ist die Religion überhaupt ganz gleichgültig — selbst ihre eigene. In Bagdad gibt es gar keine Religion mehr.«
Der Christ schüttelt traurig den Kopf.
Der Parse versetzt aber hastig:
»Verzeiht! Ihr übertreibt! In nächster Woche hol‘ ich Euch ab. Die Parsen — die sollt Ihr kennen lernen — die haben noch Religion.«
Der Parse entfernt sich schnell als wenn er wirklich Eile hat.
Währenddem hört man auch hier wieder heisre Zecherstimmen erschallen. Im Keller des Weinhändlers ruft man laut und herrisch nach dem christlichen Wein. Indes — der Wirt zögert noch; auf der andren Seite der Gasse sieht er zwei bekannte Dichter vorüberwandeln, die grüßt er erst noch — recht freundlich. Dann jedoch verschwindet der Christ; er darf seine Gäste nicht warten lassen.
Die beiden arabischen Dichter haben den Gruß des Christen garnicht erwidert. Sie sind mit ihren eigenen Gedanken so sehr beschäftigt, daß sie den allgemeinen Jubel nicht mehr mitempfinden.
Suleiman, der ältere Dichter, träumte so im Gehen, er wäre der Kalif Harun und neben ihm plauderten indische Märchenerzählerinnen von den Tempeln ihrer Götter am fernen Ganges. Der alte Dichter glaubte zu hören, wie neben ihm die nackten Füße der Mädchen sich weich und gelenkig in den feuchten Sand schmiegten und wie unter den gekrallten kleinen Zehen die Steinchen knirschten. Dann dachte der Alte an die schlanken Tänzerinnen, die er gestern Abend unter einem jener rotseidenen Zelte auf dem Karawanenplatze bewundert hatte. Die Tänzerinnen sahen sehr schön und prächtig aus. Er aber — ach! er hatte sich unter jenem rotseidenen Zelte seines alten geflickten Ehrenkleides geschämt — eine sehr peinliche Erinnerung! Dieses Ehrenkleid war ein Geschenk des Kalifen Motawakkil. Doch der lag längst im Grabe. Suleiman seufzte, nickte mit dem Kopfe so vor sich hin und murmelte was.
Safur, der den Suleiman begleitete, hörte das Murmeln und erriet gleich den Gedankengang des alten Freundes, denn sie gingen an einem seltsamen Hause vorüber. Über dessen Eingangspforte befanden sich kleine Fenster mit eisernen Stäben. Hinter den Stäben saßen Schneider bei hellem Lampenlicht und nähten fleißig. Sie nähten unzählige kostbare Gewänder für die Kalifenburg. Und diese kostbaren Gewänder blieben nicht in der Burg; sie wanderten als Geschenke, als »Ehrenkleider« aus den großen Palästen hinaus in die weite Welt nach allen Himmelsrichtungen bis nach Ägypten und Persien, bis nach Indien und Afrika, ja — bis nach China und Spanien. Der Kalif hatte sehr sehr viel — zu verschenken.
Safur, der jüngere Dichter, wußte das Alles, lächelte und fragte den älteren Dichter listig:
»Nun? Denkst Du an Dein Ehrenkleid?«
Suleiman, unter dessen braunem Gesicht ein gut gepflegter weißer Spitzbart glänzte, blickte traurig auf sein Gewand. Das war einst gute Seide gewesen — ledergelb mit großen lilafarbigen persischen Blumen.
Auf dem Rücken des Ehrenkleides sah man noch das große Wappen des Kalifen — schwarze schwungvolle Schriftzüge. Die helleren Farben des Kaftans waren nicht mehr ganz reinlich, an vielen Stellen etwas blank und fettig, und an den Ärmeln und unter den Knien zeigten sich kleine Löcher und große Flicken.
Suleiman gürtete seinen alten lilafarbigen Seidengurt fester um die Lenden und schaute unter seinem nicht sehr reinen weißen Leinenturban dem jungen Safur lange nachdenklich ins Gesicht.
Safur ging in Beduinentracht. Sein langes, hellblau und braun gestreiftes Gewand, das aus dünner Baumwolle bestand, es hing ihm faltig ins Gesicht. Ein alter Lederriemen schnallte das Tuch um Stirn und Hinterkopf zusammen. Die hellblauen und braunen Streifen des feinen Kleides schlotterten lässig mitgezogen in unregelmäßigen Falten um Körper und Beine herum — was sehr reizvoll aussah — was Safur wußte.
Das zweite Kapitel.
Hoch oben auf dem Mittelturm der Sternwarte schaut der Sterndeuter Abu Maschar durch ein dreieckiges Blechrohr zum schwarzen Saturn.
In seinem weißen Beduinengewande steht Abu Maschar da oben unter den Sternen wie ein Gespenst. Ein pechschwarzer Vollbart wallt ihm bis auf den ledernen Leibgurt hinab. Zur Rechten und zur Linken des Sterndeuters stehen hohe wunderliche Meßgeräte. Auf dem alten sehr breiten Holzgeländer sind lange Papierstreifen — mit Bleistücken beschwert — ausgebreitet. Und uralte vergilbte Bücherrollen liegen am Boden.
Abu Maschar murmelt was in seinen schwarzen Bart, er murmelt in einer unverständlichen Sprache, die wohl nur die Bürger Alt— Babylons verstanden hätten. Er schreibt dabei Zahlen auf einen der langen Papierstreifen und blickt dann stolz nach allen Seiten umher — in die große funkelnde Sternenwelt. In seinem braunen Antlitz leuchten die großen schwarzen Augen unheimlich auf, sie starren in das tiefe Himmelsblau, als wenn sie Geister sähen.. Abu Maschar steht still — gebannt — wie eine Bildsäule.
Die Sternwarte war eigentlich eine Ruine.
Bald nach Mamuns Tode hatten sich Räuber der Sternwarte bemächtigt, da nach Mamuns Tode fast Niemand mehr Geld für die Himmelskunde erübrigen wollte.
Als man nun später dahinterkam, daß sich in den fünf Türmen, auf denen sonst nur gelehrte Männer emsig arbeiteten, Räuber verborgen hielten, ward das prächtige Bauwerk von den Soldaten eines arabischen Hauptmanns gestürmt. Und bei diesem Sturm stürzten zwei Türme um und begruben viele Räuber und Soldaten unter ihren Trümmern. Auf dem Schutt wächst jetzt Gras mit wilden Blumen.
Die Türme hatten einen Halbkreis gebildet und waren durch vier schwere Holzbrücken miteinander verbunden; von diesen überlebten nur zwei den Sturm des Hauptmanns.
Vom Mittelpunkte der durch die fünf Türme gegebenen Kreislinie aus hatte eine mit Backsteinen erbaute feste Treppe fast bis zur Spitze des Mittelturmes geführt. Diese Treppe war bei dem Kampf mit den Räubern auch über den Haufen geworfen worden.
Über den Trümmern der Treppe wächst nun gleichfalls Gras.
Nur das oberste Stück der Treppe hängt noch wie ein Widerhaken oben am Mittelturm, auf dem Abu Maschar wie eine Bildsäule dasteht.
Die beiden andern Türme erreichen nicht dieselbe Höhe wie der, welcher einst der mittlere gewesen; der diesem zunächst gelegene sieht sogar recht niedrig aus — dafür geht er allerdings mehr in die Breite, befindet sich doch in seiner Spitze der große Empfanpsaal, in dem die Astronomen einst von Mamun die fürstlichen Geschenke empfingen.
Auf dem großen fünfeckigen Altan, der vor dem Empfangssaal hoch über den Palmen in den Garten hinausragt, spricht der berühmte Astronom Al Battany mit Jakuby, dem großen Weltreisenden, über die Wissenschaft…
Al Battany hat die Sternwarte wieder bewohnbar gemacht. Mit seinen wissenschaftlichen Instrumenten sitzt er oft im dritten der drei noch übrig gebliebenen Türme. Im Empfangssaal pflegt er seine Freunde zu empfangen, die dort gern aus— und eingehen und besonders gern auf dem fünfeckigen Altane weilen, der sich auf der Außenseite des durch die drei Türme beschriebenen Kreisabschnittes befindet.
Der Empfangssaal mit dem Altan wird von den bedeutendsten Männern Bagdads besucht. Die Freunde des reichen Battany, der sich, wenn er allein sein will, in sein nicht weitab am Tigris gelegenes Landhaus begibt, sind zum größten Teil nicht sehr wohlhabend — das aber beeinträchtigt ihre Bedeutung nicht im Geringsten. …
In der Tiefe des Gartens unterm Altan und zwischen den Trümmern reiten zwei Mongolen mit langen Lanzen auf schäumenden Rossen langsam fast schleichend auf und ab. Die gelben Mongolen mit ihren blanken Helmen wachen in jeder Nacht, aufdaß kein Unberufener feindselig nahe. Die Mongolen stehen im Solde des reichen Al Battany, der auch ein Dutzend schwarzer Sklaven in den unteren Gelassen der Türme verteilte. Hunde sind aber nicht da.
Tiefernst ist das Gespräch zwischen dem großen Astronomen und dem großen Weltreisenden, der Jakuby heißt. Die Beiden ergründen oben auf dem fünfeckigen Altan die Bedeutung der arabischen Literatur.
Der Battany schließt eine längere Auseinandersetzung über Bagdads Gelehrtenwelt mit den folgenden heftigen Worten:
»Überhaupt — was weißt Du von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen? Du pilgerst durch alle Länder und schreibst Dir Alles auf, was Du hörst und was Dir grade zufällig dicht vor die Nase geführt wird. Was verstehst Du von Bagdader Zuständen und Verhältnissen? Garnichts — mehr als Garnichts, denn Du pflegst Alles falsch aufzufassen. Der berühmte Geograph Jakuby denkt natürlich garnicht daran, daß er sich jemals irren könnte — ih, wo wird er denn! Du bist beneidenswert!«
Und bei diesen Worten hob der Astronom bald den rechten bald den linken Arm bald beide Arme zugleich höchst malerisch — wenn auch etwas zu schnell — in die Höhe. Malerisch sah das aus, weil bei dieser Armbewegung eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei prächtige weit aufschweifende Falten warf. Der Astronom verehrte sehr die alten Griechen; er hatte sich ganz abenteuerliche Vorstellungen von dem wissenschaftlichen Geist des Aristoteles gebildet, sodaß er schließlich nicht umhin konnte, eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei zu tragen. Den Aristoteles kannte der Gelehrte natürlich nur vom Hörensagen — er verstand nicht einmal so viel syrisch, um den alten Griechen in syrischen Übersetzungen zu lesen — geschweige denn im Urtext…
Daher durfte man sich auch nicht wundern, daß der berühmteste Astronom Bagdads gleichzeitig eine indische ganz mit Gold überstickte Kappe, die so rund und klein wie ein flacher Suppentopf war, auf dem Kopfe trug.
Battanys Kopf — ja — der hatte so was vom Neger und was vom Inder; sehr fein sah er nicht aus, aber trotzig straff — die Nase dick und klein, die Augen heftig und nicht groß, der Mund voll und die Ohren abstehend… neben der dicken braunen Nase gingen tiefe Falten zu den Backenknochen hinunter, die dunkelbraune Stirn schien sehr hoch, da die indische Kappe fast im Nacken saß.
Viel freundlicher schaute dagegen der Jakuby in die Welt. Dessen Gesicht lächelte unter einem hellila Seidenturban. Spitz ragte die braune Nase unter diesem Turban hervor. Ein kleines graues Spitzbärtchen zierte das Kinn. Der Bart auf der Oberlippe und auf den Backen war sorgfältig abrasiert, sodaß die braune schon vielfaltige Gesichtshaut eigentümlich zur Geltung gelangte.
Jakuby hatte was Eigenes, das durch seinen sauberen schwarzen Seidenkaftan noch erhöht wurde.
Der kleine zierlich gebaute Gelehrte erwiderte nach sehr langer Pause mit feiner heller Stimme in jener überlegenen Art, die in den Moscheen beim gelehrten Gespräch üblich zu sein pflegte:
»Oh mein lieber Freund! Deinem heftigen persönlichen Angriffe will ich aus dem Wege gehen. Doch hör nur dieses: Wir Araber haben nun bald die ganze Welt erobert, erobert mit der scharfen Damaszenerklinge. Jetzt, dünkt mich, ist es an der Zeit, die Welt auch in andrer Weise zu erobern. Nicht dürfen wir mehr mit den Augen des Kriegers, die Alles nur besitzen wollen, die Welt durchstreifen. Wir müssen mit wissensdurstigen Augen durch die Länder wandeln und Alles kennen lernen — Alles, was da kreucht und fleucht. Auch der gelehrte Mann kann erobern — erobern, indem er sein Wissen bereichert. Deshalb habe ich mit meinen schwächlichen Gliedern meine großen Reisen unternommen — einerseits durch Ägypten und Afrika bis nach Spanien, andererseits durch Persien und Indien bis nach China. Und Jedermann weiß, daß mein Buch der Länder, das ich im vorigen Jahre herausgab, wirklich ein Werk wurde, das auch den, der niemals über die Mauern Bagdads hinauskam, mit allen Ländern der Erde bekannt machen muß. Das »Buch der Länder« weist ja noch viele Lücken auf, aber es ist doch in diesem Werke eine unvergleichliche Sammlung von Wissensschätzen angehäuft…«
Nun aber kann sich der heftige Astronom nicht mehr halten, er unterbricht den redseligen Freund mit hocherhobenen Armen: »Sammlung?« schreit er, »hab ich’s nicht gleich gesagt, daß Du keine Ahnung von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen hast? Ja wohl — sehr richtig! Unsre Zeit leistet was in Sammelwerken. Wir sammeln alle unsre Kenntnisse, als hätten wir nichts Andres zu tun. Und ein einziges Buch soll immer Alles umfassen — natürlich! An Selbstbewußtsein fehlt es unsern gelehrten Sammlern nicht. Wir tun so, als hätten wir garnicht mehr nötig — noch fürderhin zu forschen, zu ergründen oder klarzustellen — ih wo! Jeder Gelehrte glaubt, wir hätten bereits Alles begriffen und vollkommen erklärt — — — und es wäre heute nichts Anderes nötig als Sammeln — Sammeln — Sammeln!«
»Laß nur den Spott!« gibt da Jakuby lächelnd zurück, »hör nur dieses: Sind nicht die Geographen und Astronomen die Hauptgelehrten unsrer Zeit? Die Einen erforschen die Erde, die Andern den Himmel. Ist es nicht so?«
Battany nickt und wird milder.
Jakuby aber fährt jetzt mit stolz erhobener Nase fort: »So, mein Freund! Wer hat nun Recht? Wenn somit die Geographen und Astronomen die ganze Welt kennen lernen wollen — müssen sie da nicht sammeln? Müssen sie nicht? Müssen wir nicht Sammelwerke schreiben? Mein ‚Buch der Länder‘ nenne ich mit Stolz ein Buch, das alles Wissenswerte der Erde zusammenfaßt.«
Battany wird unwillig; es kommt ihm so vor, als sei er plötzlich in die Enge getrieben. Er hustet verlegen, stützt sich mit dem rechten Unterarm auf das Geländer des Altans, blickt in den Garten hinunter, in dem die Mongolen langsam herumreiten, hustet wieder, um den Jakuby am Weitersprechen zu hindern, sammelt sich und sagt dann hastig:
»Nein — so ist es nicht. Umgekehrt ist es. Weil die Araber eigentlich überhaupt nur Sammelwerke schreiben, deswegen spielen die Geographen und Astronomen, deren Tätigkeit am meisten zum Sammeln verleitet, eine so große Rolle unter uns. Aber wir haben noch gar kein Recht zum Sammeln. Ans Sammeln darf man erst denken, wenn man eine Unmenge erforscht, entdeckt und begriffen hat. Wir haben aber noch lange nicht so viel wissenschaftlich feststehende Tatsachen erkannt, um die jetzt schon sammeln zu können. Du fragtest mich vorhin nach der Mondfinsternis. Siehst Du sie schon? Sie müßte nach meinen Berechnungen da sein — und sie ist noch nicht da. Ich habe genau gerechnet — und die Mondfinsternis ist doch nicht da. Ich stehe als Astronom immer vor unzähligen Fragen, die ich nicht beantworten kann — und trotzdem soll ich sammeln? Was denn? Etwa meine Fragen?«
Und unter den kräftigen Armbewegungen zitterte der ganze Leib des Astronomen.
Der Halbmond stand unglaublich ruhig da, ohne sich zu verfinstern. Nur der große Al Battany verfinsterte sich.
Jakuby allerdings glich eher in seiner Ruhe dem Halbmonde, wenn auch sein spitzes Gesicht durchaus nichts Mondartiges an sich hatte. Mit dem Gleichmut eines unüberwindlichen Siegers bemerkte er mit seiner hellen Fistelstimme so von oben herab:
»Du magst sagen, was Du willst! Die Geographen und Astronomen sind dennoch die größten Gelehrten, die man sich denken kann. Wir wollen eine ganze Welt kennen lernen, eine ganze Welt wissenschaftlich in uns aufnehmen. Wir stehen vor der größten Aufgabe, die man sich denken kann. Und wir werden diese Aufgabe überwältigen — wir haben sie bereits zum größten Teil überwältigt. Ich erinnere Dich nur an mein Buch der Länder…«
»Hör auf!« schreit Battany dazwischen, »Du bist und bleibst beneidenswert. Aber Du bist auch ein Kind. Du weißt garnicht, was in der Welt vorgeht. Du hast von der Welt keine Ahnung. Du willst eine Welt begreifen? Lächerlich! Albern! Was man nicht Alles wollen kann! Ein Prahlhans bist Du mit Deinem Wollen. Du erinnerst mich an einen Vielfraß, den unser Dichter Safur sehr schöne Verse sprechen ließ. Paß mal auf! Der Vielfraß sagt, als er hungrig zwar doch so prahlerisch wie ein echter arabischer Gelehrter in eine große Gesellschaft kommt, die mit der Mahlzeit beinahe fertig ist, also:
Weiß Allah, wann Ich mich mal verschnauf! Ich aß heut schon hundert Hammel auf, Verdaute sie gleich im Dauerlauf Und löschte den Durst mit dem ganzen Nil; Mir stak mang den Zähnen manch Krokodil; Ihr nennt das doch hoffentlich nicht zu viel — Mehr kann ich trotzdem noch essen.«
Und der Astronom steht breitbeinig da und brummt.
Jakuby macht ein verblüfftes Gesicht und versteht nicht, was Battany sagen will. Der indessen erklärt gleich, indem er fortfährt: »Du mußt eben nicht vergessen, daß unserm Können denn doch so manche Grenzen gezogen sind. Daß wir uns oft verrechnen — das ist noch nicht das Schlimmste. Du willst die ganze Welt kennen lernen. Nun sag‘ aber mal — ganz leise — unter uns! Ist Dir das auch von unserm Kalifen ausdrücklich erlaubt? Darfst Du das? Wir hier in Bagdad wissen sehr genau, daß der Kalif uns gar nicht erlauben will, der Wissenschaft so obzuliegen, wie wir möchten; denken und schreiben sollen wir eigentlich nicht. Wenn wir aber das nicht mal sollen, sind wir dann noch die ‚größten‘ Gelehrten?«
Und nun streiten die Beiden nicht mehr über Sammeln und Forschen — sie flüstern nur noch ganz leise, zischeln sich immer wieder was ins Ohr — was von der Kalifenburg, von der Verfolgung der freien Wissenschaft und ähnlichen halb heiteren halb traurigen Dingen.
Der Schreiber Osman sitzt währenddem im Empfangssaal auf einem großen persischen Teppich mit untergeschlagenen Beinen finster brütend wie ein chinesischer Pagode da. Seine dünnen braunen baumwollenen Beinkleider hängen schlaff um die wulstigen Kniegelenke. Wie eine dicke Tonne steht der breite Fettleib des Schreibers auf dem Teppich. Ein ganz kurzes braunes Jäckchen ohne Ärmel umspannt des Schreibers breite Brust, auf der ein schneeweißes Leinenhemd vorschimmert. Die weiten Ärmel des Hemdes sind auch sehr sauber — der weiße Leinenturban ebenfalls. Das glatte braune Gesicht mit den dicken Pustbacken ist rund und voll. Die kleinen Augen starren auf die roten und blauen Muster des Teppichs, der geheimnisvoll wie ein Sterndeuterbuch aussieht und fast den ganzen Boden bedeckt. Osmans Stirn zeigt dicke Falten.
Der Empfangssaal ist eine offene Halle. Unter den zackig geschwungenen Säulenbogen sieht man den dunkelblauen Himmel mit den Sternen. Durch die offenen Säulenbogen geht es zum fünfeckigen Altan hinaus, auf dem Battany und Jakuby eifrig flüstern. Ein großer Himmelsglobus aus Kupfer thront vorn an der einen Seite des Saales. Hinten in den beiden Ecknischen der mit roten und silbernen Querstreifen bemalten Wände brennt in zwei Kohlenbecken duftiges arabisches Räucherwerk. Die leichten wirbelnden Rauchwolken schweben durch das ganze Gemach in langen bläulichen Fäden dahin. Osman sitzt mitten auf dem Teppich mit der Stirn dem Himmel zu und grübelt…
Neben dem dicken Schreiber Osman rechts auf einem kleinen fünfeckigen Ebenholztische dampft heißer chinesischer Tee in feiner Porzellanschale. Der Schreiber Osman ist kein gewöhnlicher Schreiber, er läßt seine Gehilfen schreiben; er handelt nur mit den Büchern der großen Gelehrten, die ihre Schriften ihm zur Vervielfältigung und Verbreitung übergeben. Der Buchhändler hat schwere geschäftliche Sorgen, er sitzt und rechnet und brütet und nickt dabei zuweilen mit dem dicken Kopf langsam bedächtig wie ein Pagode beim Kalifen von Peking.
Bücherrollen liegen auf dem Teppich kreuz und quer. Dem Globus gegenüber in einer Alabasternische funkelt ein kupfernes Waschbecken — fein getriebene Arbeit; das Gestell besteht aus drei schweren reich verzierten Eisenfüßen, die sich unten auf dem schwarzen Fliesenboden schneckenartig umkrümmen…
Von der zierlichen Decke oben, über die sich geometrische Figuren in blauen und grünen Linien auf goldnem Grunde durcheinander spinnen, hängen an eisernen Ketten bunte maurische Lampen hernieder. Sie beleuchten das braune Fettgesicht des dicken Schreibers und lassen auch eine indische sitzende Götterfigur mitten im Hintergrunde sichtbar werden. Der Götze sitzt aber höher als der Schreiber…….
Im Empfangssaal ist es ganz still. Nur die glühenden Kohlen knistern ein bißchen. Die duftigen blauen Räucherwolken wirbeln zur zierlichen Decke, ziehen in langen Fäden langsam durch die Säulenbogen in die Mondnacht hinaus.
Zu Osman in die Empfangshalle kommen nun mit dem gelehrten Kodama die beiden Dichter Suleiman und Safur. Kodamas wohltönende Stimme wird von Osman schon von fern, als die Drei noch unten auf der Treppe waren, gehört. Kodama ist auch ein Geograph, aber er läßt sich nicht gern so nennen, weil er nicht gern reisen mag… er ist zu dick.
Osman blickt die Kommenden traurig an.
Kodama schmunzelt so recht inniglich vergnügt, er ist fast ebenso dick wie der dicke Schreiber.
Osmans Mondgesicht glänzt, des Geographen Mondgesicht glänzt auch. Dessen gelbseidener Turban ist sehr schön. Ach — Kodamas kurzer schwarzer Sammetrock ist auch sehr schön, und gar seine breiten schwarzseidenen Hosen — die sind die schönsten Pluderhosen in ganz Bagdad.
»Aber Osman, warum bist Du denn so traurig?« ruft der Geograph, und er schüttelt sich vor Lachen, daß ihm die hellen Tränen über die rasierten braunen Wangen rollen.
Osman schweigt, und seine Miene wird noch kummervoller.
Safur betrachtet das indische Götzenbild. Suleiman wärmt sich die Hände vor dem einen Kohlenbecken. Kodama streichelt den runden kupfernen Himmelsglobus und wendet sich plötzlich ganz ernst zum jungen Safur und sagt sehr wohltönend: »Sieh nur, mein Teurer, hier kannst Du was lernen. So rund wie diese Kugel ist auch unsre Erde — ja! ja! Hast Du denn schon meine kleine Schrift über die Kugelgestalt der Erde zu Ende gelesen? Nein? Ich kann Dir nur raten — lies, was ich da geschrieben. Das könnte Dich auch dichterisch anregen. Glaubst Du nicht, daß der Mensch auch so rund wie eine Kugel werden könnte? Ich sage Dir: möglich ist das. Zum mindesten sollten wir immer bestrebt sein, runder zu werden. Dürfte nicht mein Leib noch schöner aussehen, wenn er noch runder werde? Bist Du auch rund? Nein? Warum nicht?«
Safur lacht laut auf und geht hinaus auf den Altan, wendet sich aber gleich zur Linken und schreitet eilig über die Brücke zum Mittelturm; seinen Freund Abu Maschar, der noch immer oben auf dem Turme wie eine Bildsäule dasteht, will er besuchen.
Indessen — Kodama setzt sich behaglich neben Osman auf den persischen Teppich und fragt den traurigen Schreiber:
»Na, was hast Du denn?«
Kodama bekommt leider keine Antwort.
Battany und Jakuby treten grade — immer noch flüsternd — mit mürrischen Gesichtern in den Empfangssaal. Sie sehen Bagdads dickste Freunde merkwürdig steif auf dem Teppich sitzen. Suleiman wärmt sich noch immer die Hände an dem einen Kohlenbecken.
Man begrüßt sich, indem man schweigend leicht das Haupt nach vorne beugt, was sehr drollig aussieht…
Es ist einen Augenblick wieder still.
Dann jedoch knarren die Treppenstufen, und herein stürmt wie ein Wilder der große Philosoph Abu Hischam.
Malerisch schlottert ihm sein alter Kittel um die dürren Beine, die armenische Pelzmütze sitzt ihm schief auf den lockigen braunen Haaren, sein zottiger Bart zittert ihm, und die großen braunen Augen rollen ihm im Kopfe.
Abu Hischam haut mit der Faust auf den Globus und stampft mit dem rechten Fuß auf den Boden.
Kodama springt empor. Suleiman, Battany und Jakuby kommen erschrocken näher.
»Was ist denn los?« schreit der dicke Kodama.
Doch der Philosoph reckt die Faust zum Himmel auf und fragt heiser: »Wißt Ihr noch Nichts?«
»Ich weiß Alles!« ruft traurig der dicke Schreiber.
Die Andern aber wollen nun wissen, was los ist. Und Abu Hischam erzählt wirr und erregt: »Was wir immer gefürchtet, ist geschehn. Der Kalif Mutadid — dieser Hund — er hat’s gewagt — er hat ein neues Gesetz erlassen. Er hat verboten — man höre nur! — Bücher herauszugeben, die einen philosophischen oder politischen Inhalt haben. Das heißt: wir dürfen überhaupt keine Bücher mehr herausgeben. Ist das nicht stark? Weder Philosophisches noch Politisches soll ins Volk dringen — das heißt: wissenschaftliche Bücher sollen nicht mehr geschrieben werden. Was sagt Ihr nun? Er hat’s gewagt! Der Hund! Der Hund! Dieses verfluchte Aas!«
Und alle Sechs werden fürchterlich wütend — sie schreien gellend durcheinander.
Battanys Toga fliegt umher wie ein Segel im Sturm. Jakuby fuchtelt mit dem rechten Zeigefinger vor seiner Nase herum. Kodama schlägt sich immerfort mit den Fäusten vor die Brust. Suleiman ringt die Hände. Osman stöhnt.
Der Philosoph Abu Hischam brüllt wie ein Stier, schimpft wie ein Kameltreiber und hält, wie sich der Lärm ein wenig gelegt, eine Rede:
»Freunde!« ruft er, »was ich schon immer empfahl, das empfehle ich jetzt noch einmal — das muß jetzt endlich zur Tat werden. Wir müssen einen Geheimbund gründen und unsre Bücher unter uns herausgeben — nicht fürs Volk. Was haben wir davon, wenn unsre Bücher gekauft und gelesen werden von Leuten, die uns gar nicht verstehen können? Bilden wir lieber endlich eine abgeschlossene gelehrte Gesellschaft, die ihre Bücher nur unter ihren Mitgliedern verteilt. Wir Gelehrte schreiben doch nur für die andren Gelehrten — laßt uns drum einen Bund schließen, wie ich’s schon öfters empfohlen habe. Wir brauchen unsre Bücher garnicht öffentlich herauszugeben. Fürs Volk schreiben wir ja doch nicht. Wir versenden unsre Bücher nur an die einzelnen Mitglieder des zu uns gehörenden Gelehrtenbundes und pfeifen dann auf die Gesetze des dummen Mutadid, der besser täte, wenn er in den Wallgräben Bagdads die Schweine hütete.«
Nach dieser unerwarteten Rede springt auch endlich der Schreiber Osman auf, der bis dahin still auf dem persischen Teppich saß und chinesischen Tee trank. Osman erhob sich furchtbar schnell, was so aussah, als wenn ein Gummiball einen Klaps bekommt.
»Ihr habt ja kein Geld!« schreit der Schreiber. »wollt Ihr Eure Bücher verschenken?«
Und es entsteht ein neuer Lärm — der ist noch wüster als der erste. Jakuby bemüht sich vergeblich, das Gespräch auf die bevorstehende Mondfinsternis, die gar nicht erscheinen will, zu lenken.
Schließlich reden Alle zugleich, sie schreien die Worte mit vermengendem Glutblick einander zu. Niemand versteht, was sie so heftig sagen…
Safur aber oben auf dem Mittelturm schwärmt dem großen Sterndeuter Abu Maschar von Himmelsgeistern und herrlichen Huris, von den alten Göttern und von den alten Gespenstern begeistert etwas vor — er sagt: »Wenn ich so im tiefen unendlichen Blau die strahlenden Himmelsblüten schaue, dann fühlt sich meine Seele oft so mächtig bewegt, und ich träume mir dann da oben eine Welt zusammen, in der Götter hausen, übermenschliche Wesen, die noch viel feiner empfinden können als die besten Dichter der Erde. Oh, Abu Maschar, muß es nicht dort oben in den freien Weltallüften viel wundervoller sein als hier bei uns?«
Abu Maschar erwidert mit ganz leiser Stimme:
»Kein Ort der Erde ist wirklich schöner als der andre. Wir können überall glücklich sein. Die Zustände sind überall gleich gut und gleich schlecht, wie man gerade sagen will. Und in andren Welten kann’s eigentlich auch nicht anders sein. Sieh, Safur, das ist eigentlich das Geheimnis meiner Prophetengabe, daß ich nirgendwo und auch nirgendwann einen besseren Zustand vermute als den, welchen ich grad‘ in den einzelnen Augenblicken meines Lebens empfinde. Die Zukunft ist für uns kein verschlossenes Buch. Zu allen Zeiten war es im Grunde genau so gut und genau so schlecht um die Menschen bestellt als zu unsrer Zeit hier in Bagdad. Daß ich fest daran glaube, die Welt wird weder besser noch schlechter, eine wirklich wesentliche Weiterentwicklung der Menschen gibt es garnicht — dieser Glaube hält mich grade, macht mich sicher, stolz, fest und bewußt — das macht mich zum Propheten…. wie mich die Gelehrten in der Moschee spöttisch nennen. Ja, Safur, ich bin ein Prophet; wenn ich in die Sterne schaue, so sehe ich die Zukunft — — — unsre Welt ist eben so wenig veränderlich wie der Sternenhimmel. Scheinbar nur bietet sich uns ein ewiger Wechsel dar. Die Zukunft wird ebenso aussehen wie die Gegenwart. Dieses Wort vergiß nicht, Safur! Was ich sonst noch prophezeie, ist im Grunde leerer bedeutungsloser Scherz. Die Welt bleibt — wie sie ist. Werde so ruhig wie dieser Sternenhimmel und hoffe nicht auf andre oder bessere Zeiten.«
Ein duftender Blütenwind weht durch Abu Maschars weißes Beduinengewand. Safur schaut mit trunkenen Blicken zum schwarzen Saturn… Der Dichter versteht den Propheten.
Der Lärm in der Empfangshalle dringt jetzt schwächer zum Mittelturm empor.
Ruhig steht der Halbmond — glänzend — ohne jeden Schatten über der alten Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für seine Himmelsfreunde erbauen ließ.
Safur und Abu Maschar schauen schweigend in die Sterne, die verblassen, da der Mond zu hell ist.
Doch jetzt klopft es leise.
Ein schwarzer Sklave steigt langsam die letzten Stufen der Treppe hinauf und sagt ganz behutsam, um nicht zu stören:
»Der Herr Battany will auf’m Boot im Tigris hin— und herfahren — läßt bitten, mitzukommen.«
»Eine Kahnfahrt?« ruft Safur.
»Was gibt die Veranlassung?« fragt Abu Maschar.
»Der Mond scheint dem Herrn Battany zu hell«, erwidert ernst der schwarze Sklave.
Die beiden Freunde schauen sich an und — lächeln. Schmunzelnd folgen sie dem Schwarzen, der hurtig die Treppe hinunterstolpert.
Unten zügeln die beiden Mongolen ihre schäumenden Rosse.
Die Sklaven rennen treppauf und treppab.
Alles ist in Bewegung — auf der Sternwarte.
Der Halbmond steht ruhig am Himmel — und glänzt.