Tarub Bagdads berühmte Köchin

Paul Scheerbart

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Tarub Bagdads berühmte Köchin

 

Arabischer Kulturroman


Das erste Kapitel

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Helles Gelächter schon durch ganz Bagdad. Der Prinz Ali war aus Ägypten zurückgekehrt. Und er war gekommen hoch zu Roß mit stolzem Gefolge. Doch das Roß, auf dem der Prinz saß, war ein Schimmel gewesen. Und diesen Schimmel hatte der Prinz grün färben lassen. Da mußte natürlich ganz Bagdad hell auflachen. Alis grüner Schimmel war ein Ereignis.

Es hatte sich wieder einmal gezeigt, wie gut es der Prinz verstand, von sich reden zu machen. Kein Mensch wurde klug aus diesem Ali. War er durch sein Selbstbewußtsein wirklich geschmacklos geworden? Oder gab er sich nur so geschmacklos aus Berechnung? Wäre der Schimmel nach alter Sitte mit Henna rot gefärbt gewesen, dann würde Niemand gelacht haben —  doch grün? Nein, das ging übern Spaß.

Man konnte sich ja erklären, was sich der Prinz gedacht hatte —  er wollte die neue Farbe der Abbassiden zu höheren Ehren bringen. Einst glänzte das Haus Abbas unter der schwarzen Flagge. Diese schwarze Flagge vertauschte man später mit der grünen. Das gefiel nun dem jungen Ali so gut, daß er die neue Farbe seines Hauses überall sehen wollte. Und so mußte denn schließlich auch der Schimmel —  grün werden.

Unglaublich!

Unzählige Sterne glänzen aus dem tiefblauen Himmel auf Bagdad hinab; sie spiegeln sich in den lauen Fluten des Tigris, und an den bunten Kacheln der Minaretts, der Palast—  und Moscheekuppeln werden auch die Glanzlichter der Sternenwelt glitzernd umhergestrahlt. Die Kalifenburg mit ihren prächtigen Türmen, Kiosken und Galerien hebt sich hoch heraus aus dem Häusergewirr der großen Stadt, aus der ein Nebeldunst —  magisch leuchtend —  aufsteigt. Und am Tigris entlang leuchten die weißen Mauern der Landhäuser; in deren Gärten schwanken die ruhigen Palmen im Abendwinde…

Aber aus den Straßen und Gassen der herrlichen Stadt schallt helles Gelächter zu den ewigen Sternen empor. Jetzt endlich in der stillen Nacht kann ganz Bagdad lachen nach Herzenslust, denn der Prinz Ali hört das Lachen nicht; der ruht schon wieder in den weiten kühlen Prunkgemächern der Kalifenburg von seinen vielen Reisen aus. Der Kalif Mutadid hat seinen Sohn wohlwollend empfangen, und die Sklaven eilen in den Palästen auf den Zehen umher, um die Ruhe des gefeierten Prinzen nicht zu stören.

Wie Ali am frühen Morgen auf seinem grünen Schimmel durch das große Tor im Westen stolz hineinritt in die festlich geschmückte Stadt, da mußten seine Kammerdiener Goldmünzen unter die Menge streuen. Dadurch entstand ein wüstes Geschrei. Kein Araber war zu stolz. Alle balgten sich um die Goldstücke, sodaß es viele blutige Köpfe gab.

Durch die langen breiten Straßen, die zur Kalifenburg führen, zog der lange Zug des stattlichen Gefolges auf Pferden und Kamelen unter betäubendem Lärm dahin. Das Volk jubelte wie rasend dem freigebigen Prinzen zu. Es wurde beim Herumschwirren der Goldstücke gejohlt und gelacht —  als hätte sich der blaue Himmel aufgetan, wie wenn sich die Huris aus dem Paradiese zur Erde niederbeugten.

Jetzt ist es Nacht, und die Araber freuen sich über das blanke Gold. Sie werfen jetzt die Münzen ebenso verschwenderisch wie die Prinzen auf die Straße. Die guten Araber geben das gute Gold den dicken Weinhändlern, guten Freunden und lustig lachenden Mädchen. Dabei fällt ihnen aber der grüne Schimmel öfters wieder ein —  und über den freuen sich Alle schließlich noch viel mehr als über das Gold.

Der Prinz Ali ist ein guter Mensch, aber die Bürger Bagdads lachen ihn doch von ganzem Herzen aus. Und wenn er noch viel viel besser wäre, sie würden ihn trotzdem auslachen. In dieser Nacht tragen die reichen Jünglinge Bagdads ihre Säbel an grünen Schärpen, um das Volk an Ali zu erinnern. Das Volk versteht den Scherz und lacht darüber immer wieder von Neuem —  immer wieder von Neuem.

Ausgelassene Spottlieder, wüste Zechgesänge, mekkanische und persische Liebesweisen —  tolle wilde Jubelstürme brausen und wogen durch die Straßen und Gassen der herrlichen Kalifenstadt. In allen Weinkneipen, in den Buden, in denen getanzt wird, in den Häusern, in denen reizende Sängerinnen mit feiner Kunst zu singen verstehen —  überall wird gepraßt und gezecht.

Eine sehr lustige Nacht!

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Abseits in einem kleinen Gäßchen steht vor seiner Haustür ein christlicher Weinhändler mit einem alten Parsenpriester im Gespräch. Sie schütteln sich beide Hände zum Abschied. Doch der Wirt redet noch immer, obgleich der Priester Eile zu haben scheint. Der christliche Wirt sagt:

»Bedenkt nur das Eine! 892 Jahre, man schreibe und sage: achthundertundzweiundneunzig Jahre —  die sind nun schon vergangen, seit Christus geboren ward, und seine Lehren sind hier noch immer verachtet. Man läßt wohl uns Christen in Ruh, läßt uns auch unsern Glauben —  aber das beweist doch nur, daß sich diese Araber garnicht um religiöse Dinge kümmern, ihnen ist die Religion überhaupt ganz gleichgültig —  selbst ihre eigene. In Bagdad gibt es gar keine Religion mehr.«

Der Christ schüttelt traurig den Kopf.

Der Parse versetzt aber hastig:

»Verzeiht! Ihr übertreibt! In nächster Woche hol‘ ich Euch ab. Die Parsen —  die sollt Ihr kennen lernen —  die haben noch Religion.«

Der Parse entfernt sich schnell als wenn er wirklich Eile hat.

Währenddem hört man auch hier wieder heisre Zecherstimmen erschallen. Im Keller des Weinhändlers ruft man laut und herrisch nach dem christlichen Wein. Indes —  der Wirt zögert noch; auf der andren Seite der Gasse sieht er zwei bekannte Dichter vorüberwandeln, die grüßt er erst noch —  recht freundlich. Dann jedoch verschwindet der Christ; er darf seine Gäste nicht warten lassen.

Die beiden arabischen Dichter haben den Gruß des Christen garnicht erwidert. Sie sind mit ihren eigenen Gedanken so sehr beschäftigt, daß sie den allgemeinen Jubel nicht mehr mitempfinden.

Suleiman, der ältere Dichter, träumte so im Gehen, er wäre der Kalif Harun und neben ihm plauderten indische Märchenerzählerinnen von den Tempeln ihrer Götter am fernen Ganges. Der alte Dichter glaubte zu hören, wie neben ihm die nackten Füße der Mädchen sich weich und gelenkig in den feuchten Sand schmiegten und wie unter den gekrallten kleinen Zehen die Steinchen knirschten. Dann dachte der Alte an die schlanken Tänzerinnen, die er gestern Abend unter einem jener rotseidenen Zelte auf dem Karawanenplatze bewundert hatte. Die Tänzerinnen sahen sehr schön und prächtig aus. Er aber —  ach! er hatte sich unter jenem rotseidenen Zelte seines alten geflickten Ehrenkleides geschämt —  eine sehr peinliche Erinnerung! Dieses Ehrenkleid war ein Geschenk des Kalifen Motawakkil. Doch der lag längst im Grabe. Suleiman seufzte, nickte mit dem Kopfe so vor sich hin und murmelte was.

Safur, der den Suleiman begleitete, hörte das Murmeln und erriet gleich den Gedankengang des alten Freundes, denn sie gingen an einem seltsamen Hause vorüber. Über dessen Eingangspforte befanden sich kleine Fenster mit eisernen Stäben. Hinter den Stäben saßen Schneider bei hellem Lampenlicht und nähten fleißig. Sie nähten unzählige kostbare Gewänder für die Kalifenburg. Und diese kostbaren Gewänder blieben nicht in der Burg; sie wanderten als Geschenke, als »Ehrenkleider« aus den großen Palästen hinaus in die weite Welt nach allen Himmelsrichtungen bis nach Ägypten und Persien, bis nach Indien und Afrika, ja —  bis nach China und Spanien. Der Kalif hatte sehr sehr viel —  zu verschenken.

Safur, der jüngere Dichter, wußte das Alles, lächelte und fragte den älteren Dichter listig:

»Nun? Denkst Du an Dein Ehrenkleid?«

Suleiman, unter dessen braunem Gesicht ein gut gepflegter weißer Spitzbart glänzte, blickte traurig auf sein Gewand. Das war einst gute Seide gewesen —  ledergelb mit großen lilafarbigen persischen Blumen.

Auf dem Rücken des Ehrenkleides sah man noch das große Wappen des Kalifen —  schwarze schwungvolle Schriftzüge. Die helleren Farben des Kaftans waren nicht mehr ganz reinlich, an vielen Stellen etwas blank und fettig, und an den Ärmeln und unter den Knien zeigten sich kleine Löcher und große Flicken.

Suleiman gürtete seinen alten lilafarbigen Seidengurt fester um die Lenden und schaute unter seinem nicht sehr reinen weißen Leinenturban dem jungen Safur lange nachdenklich ins Gesicht.

Safur ging in Beduinentracht. Sein langes, hellblau und braun gestreiftes Gewand, das aus dünner Baumwolle bestand, es hing ihm faltig ins Gesicht. Ein alter Lederriemen schnallte das Tuch um Stirn und Hinterkopf zusammen. Die hellblauen und braunen Streifen des feinen Kleides schlotterten lässig mitgezogen in unregelmäßigen Falten um Körper und Beine herum —  was sehr reizvoll aussah —  was Safur wußte.

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Das zweite Kapitel.

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Hoch oben auf dem Mittelturm der Sternwarte schaut der Sterndeuter Abu Maschar durch ein dreieckiges Blechrohr zum schwarzen Saturn.

In seinem weißen Beduinengewande steht Abu Maschar da oben unter den Sternen wie ein Gespenst. Ein pechschwarzer Vollbart wallt ihm bis auf den ledernen Leibgurt hinab. Zur Rechten und zur Linken des Sterndeuters stehen hohe wunderliche Meßgeräte. Auf dem alten sehr breiten Holzgeländer sind lange Papierstreifen —  mit Bleistücken beschwert —  ausgebreitet. Und uralte vergilbte Bücherrollen liegen am Boden.

Abu Maschar murmelt was in seinen schwarzen Bart, er murmelt in einer unverständlichen Sprache, die wohl nur die Bürger Alt— Babylons verstanden hätten. Er schreibt dabei Zahlen auf einen der langen Papierstreifen und blickt dann stolz nach allen Seiten umher —  in die große funkelnde Sternenwelt. In seinem braunen Antlitz leuchten die großen schwarzen Augen unheimlich auf, sie starren in das tiefe Himmelsblau, als wenn sie Geister sähen.. Abu Maschar steht still —  gebannt —  wie eine Bildsäule.

Die Sternwarte war eigentlich eine Ruine.

Bald nach Mamuns Tode hatten sich Räuber der Sternwarte bemächtigt, da nach Mamuns Tode fast Niemand mehr Geld für die Himmelskunde erübrigen wollte.

Als man nun später dahinterkam, daß sich in den fünf Türmen, auf denen sonst nur gelehrte Männer emsig arbeiteten, Räuber verborgen hielten, ward das prächtige Bauwerk von den Soldaten eines arabischen Hauptmanns gestürmt. Und bei diesem Sturm stürzten zwei Türme um und begruben viele Räuber und Soldaten unter ihren Trümmern. Auf dem Schutt wächst jetzt Gras mit wilden Blumen.

Die Türme hatten einen Halbkreis gebildet und waren durch vier schwere Holzbrücken miteinander verbunden; von diesen überlebten nur zwei den Sturm des Hauptmanns.

Vom Mittelpunkte der durch die fünf Türme gegebenen Kreislinie aus hatte eine mit Backsteinen erbaute feste Treppe fast bis zur Spitze des Mittelturmes geführt. Diese Treppe war bei dem Kampf mit den Räubern auch über den Haufen geworfen worden.

Über den Trümmern der Treppe wächst nun gleichfalls Gras.

Nur das oberste Stück der Treppe hängt noch wie ein Widerhaken oben am Mittelturm, auf dem Abu Maschar wie eine Bildsäule dasteht.

Die beiden andern Türme erreichen nicht dieselbe Höhe wie der, welcher einst der mittlere gewesen; der diesem zunächst gelegene sieht sogar recht niedrig aus —  dafür geht er allerdings mehr in die Breite, befindet sich doch in seiner Spitze der große Empfanpsaal, in dem die Astronomen einst von Mamun die fürstlichen Geschenke empfingen.

Auf dem großen fünfeckigen Altan, der vor dem Empfangssaal hoch über den Palmen in den Garten hinausragt, spricht der berühmte Astronom Al Battany mit Jakuby, dem großen Weltreisenden, über die Wissenschaft…

Al Battany hat die Sternwarte wieder bewohnbar gemacht. Mit seinen wissenschaftlichen Instrumenten sitzt er oft im dritten der drei noch übrig gebliebenen Türme. Im Empfangssaal pflegt er seine Freunde zu empfangen, die dort gern aus—  und eingehen und besonders gern auf dem fünfeckigen Altane weilen, der sich auf der Außenseite des durch die drei Türme beschriebenen Kreisabschnittes befindet.

Der Empfangssaal mit dem Altan wird von den bedeutendsten Männern Bagdads besucht. Die Freunde des reichen Battany, der sich, wenn er allein sein will, in sein nicht weitab am Tigris gelegenes Landhaus begibt, sind zum größten Teil nicht sehr wohlhabend —  das aber beeinträchtigt ihre Bedeutung nicht im Geringsten. …

In der Tiefe des Gartens unterm Altan und zwischen den Trümmern reiten zwei Mongolen mit langen Lanzen auf schäumenden Rossen langsam fast schleichend auf und ab. Die gelben Mongolen mit ihren blanken Helmen wachen in jeder Nacht, aufdaß kein Unberufener feindselig nahe. Die Mongolen stehen im Solde des reichen Al Battany, der auch ein Dutzend schwarzer Sklaven in den unteren Gelassen der Türme verteilte. Hunde sind aber nicht da.

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Tiefernst ist das Gespräch zwischen dem großen Astronomen und dem großen Weltreisenden, der Jakuby heißt. Die Beiden ergründen oben auf dem fünfeckigen Altan die Bedeutung der arabischen Literatur.

Der Battany schließt eine längere Auseinandersetzung über Bagdads Gelehrtenwelt mit den folgenden heftigen Worten:

»Überhaupt —  was weißt Du von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen? Du pilgerst durch alle Länder und schreibst Dir Alles auf, was Du hörst und was Dir grade zufällig dicht vor die Nase geführt wird. Was verstehst Du von Bagdader Zuständen und Verhältnissen? Garnichts —  mehr als Garnichts, denn Du pflegst Alles falsch aufzufassen. Der berühmte Geograph Jakuby denkt natürlich garnicht daran, daß er sich jemals irren könnte —  ih, wo wird er denn! Du bist beneidenswert!«

Und bei diesen Worten hob der Astronom bald den rechten bald den linken Arm bald beide Arme zugleich höchst malerisch —  wenn auch etwas zu schnell —  in die Höhe. Malerisch sah das aus, weil bei dieser Armbewegung eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei prächtige weit aufschweifende Falten warf. Der Astronom verehrte sehr die alten Griechen; er hatte sich ganz abenteuerliche Vorstellungen von dem wissenschaftlichen Geist des Aristoteles gebildet, sodaß er schließlich nicht umhin konnte, eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei zu tragen. Den Aristoteles kannte der Gelehrte natürlich nur vom Hörensagen —  er verstand nicht einmal so viel syrisch, um den alten Griechen in syrischen Übersetzungen zu lesen —  geschweige denn im Urtext…

Daher durfte man sich auch nicht wundern, daß der berühmteste Astronom Bagdads gleichzeitig eine indische ganz mit Gold überstickte Kappe, die so rund und klein wie ein flacher Suppentopf war, auf dem Kopfe trug.

Battanys Kopf —  ja —  der hatte so was vom Neger und was vom Inder; sehr fein sah er nicht aus, aber trotzig straff —  die Nase dick und klein, die Augen heftig und nicht groß, der Mund voll und die Ohren abstehend… neben der dicken braunen Nase gingen tiefe Falten zu den Backenknochen hinunter, die dunkelbraune Stirn schien sehr hoch, da die indische Kappe fast im Nacken saß.

Viel freundlicher schaute dagegen der Jakuby in die Welt. Dessen Gesicht lächelte unter einem hellila Seidenturban. Spitz ragte die braune Nase unter diesem Turban hervor. Ein kleines graues Spitzbärtchen zierte das Kinn. Der Bart auf der Oberlippe und auf den Backen war sorgfältig abrasiert, sodaß die braune schon vielfaltige Gesichtshaut eigentümlich zur Geltung gelangte.

Jakuby hatte was Eigenes, das durch seinen sauberen schwarzen Seidenkaftan noch erhöht wurde.

Der kleine zierlich gebaute Gelehrte erwiderte nach sehr langer Pause mit feiner heller Stimme in jener überlegenen Art, die in den Moscheen beim gelehrten Gespräch üblich zu sein pflegte:

»Oh mein lieber Freund! Deinem heftigen persönlichen Angriffe will ich aus dem Wege gehen. Doch hör nur dieses: Wir Araber haben nun bald die ganze Welt erobert, erobert mit der scharfen Damaszenerklinge. Jetzt, dünkt mich, ist es an der Zeit, die Welt auch in andrer Weise zu erobern. Nicht dürfen wir mehr mit den Augen des Kriegers, die Alles nur besitzen wollen, die Welt durchstreifen. Wir müssen mit wissensdurstigen Augen durch die Länder wandeln und Alles kennen lernen —  Alles, was da kreucht und fleucht. Auch der gelehrte Mann kann erobern —  erobern, indem er sein Wissen bereichert. Deshalb habe ich mit meinen schwächlichen Gliedern meine großen Reisen unternommen —  einerseits durch Ägypten und Afrika bis nach Spanien, andererseits durch Persien und Indien bis nach China. Und Jedermann weiß, daß mein Buch der Länder, das ich im vorigen Jahre herausgab, wirklich ein Werk wurde, das auch den, der niemals über die Mauern Bagdads hinauskam, mit allen Ländern der Erde bekannt machen muß. Das »Buch der Länder« weist ja noch viele Lücken auf, aber es ist doch in diesem Werke eine unvergleichliche Sammlung von Wissensschätzen angehäuft…«

Nun aber kann sich der heftige Astronom nicht mehr halten, er unterbricht den redseligen Freund mit hocherhobenen Armen: »Sammlung?« schreit er, »hab ich’s nicht gleich gesagt, daß Du keine Ahnung von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen hast? Ja wohl —  sehr richtig! Unsre Zeit leistet was in Sammelwerken. Wir sammeln alle unsre Kenntnisse, als hätten wir nichts Andres zu tun. Und ein einziges Buch soll immer Alles umfassen —  natürlich! An Selbstbewußtsein fehlt es unsern gelehrten Sammlern nicht. Wir tun so, als hätten wir garnicht mehr nötig —  noch fürderhin zu forschen, zu ergründen oder klarzustellen —  ih wo! Jeder Gelehrte glaubt, wir hätten bereits Alles begriffen und vollkommen erklärt —  —  —  und es wäre heute nichts Anderes nötig als Sammeln —  Sammeln —  Sammeln!«

»Laß nur den Spott!« gibt da Jakuby lächelnd zurück, »hör nur dieses: Sind nicht die Geographen und Astronomen die Hauptgelehrten unsrer Zeit? Die Einen erforschen die Erde, die Andern den Himmel. Ist es nicht so?«

Battany nickt und wird milder.

Jakuby aber fährt jetzt mit stolz erhobener Nase fort: »So, mein Freund! Wer hat nun Recht? Wenn somit die Geographen und Astronomen die ganze Welt kennen lernen wollen —  müssen sie da nicht sammeln? Müssen sie nicht? Müssen wir nicht Sammelwerke schreiben? Mein ‚Buch der Länder‘ nenne ich mit Stolz ein Buch, das alles Wissenswerte der Erde zusammenfaßt.«

Battany wird unwillig; es kommt ihm so vor, als sei er plötzlich in die Enge getrieben. Er hustet verlegen, stützt sich mit dem rechten Unterarm auf das Geländer des Altans, blickt in den Garten hinunter, in dem die Mongolen langsam herumreiten, hustet wieder, um den Jakuby am Weitersprechen zu hindern, sammelt sich und sagt dann hastig:

»Nein —  so ist es nicht. Umgekehrt ist es. Weil die Araber eigentlich überhaupt nur Sammelwerke schreiben, deswegen spielen die Geographen und Astronomen, deren Tätigkeit am meisten zum Sammeln verleitet, eine so große Rolle unter uns. Aber wir haben noch gar kein Recht zum Sammeln. Ans Sammeln darf man erst denken, wenn man eine Unmenge erforscht, entdeckt und begriffen hat. Wir haben aber noch lange nicht so viel wissenschaftlich feststehende Tatsachen erkannt, um die jetzt schon sammeln zu können. Du fragtest mich vorhin nach der Mondfinsternis. Siehst Du sie schon? Sie müßte nach meinen Berechnungen da sein —  und sie ist noch nicht da. Ich habe genau gerechnet —  und die Mondfinsternis ist doch nicht da. Ich stehe als Astronom immer vor unzähligen Fragen, die ich nicht beantworten kann —  und trotzdem soll ich sammeln? Was denn? Etwa meine Fragen?«

Und unter den kräftigen Armbewegungen zitterte der ganze Leib des Astronomen.

Der Halbmond stand unglaublich ruhig da, ohne sich zu verfinstern. Nur der große Al Battany verfinsterte sich.

Jakuby allerdings glich eher in seiner Ruhe dem Halbmonde, wenn auch sein spitzes Gesicht durchaus nichts Mondartiges an sich hatte. Mit dem Gleichmut eines unüberwindlichen Siegers bemerkte er mit seiner hellen Fistelstimme so von oben herab:

»Du magst sagen, was Du willst! Die Geographen und Astronomen sind dennoch die größten Gelehrten, die man sich denken kann. Wir wollen eine ganze Welt kennen lernen, eine ganze Welt wissenschaftlich in uns aufnehmen. Wir stehen vor der größten Aufgabe, die man sich denken kann. Und wir werden diese Aufgabe überwältigen —  wir haben sie bereits zum größten Teil überwältigt. Ich erinnere Dich nur an mein Buch der Länder…«

»Hör auf!« schreit Battany dazwischen, »Du bist und bleibst beneidenswert. Aber Du bist auch ein Kind. Du weißt garnicht, was in der Welt vorgeht. Du hast von der Welt keine Ahnung. Du willst eine Welt begreifen? Lächerlich! Albern! Was man nicht Alles wollen kann! Ein Prahlhans bist Du mit Deinem Wollen. Du erinnerst mich an einen Vielfraß, den unser Dichter Safur sehr schöne Verse sprechen ließ. Paß mal auf! Der Vielfraß sagt, als er hungrig zwar doch so prahlerisch wie ein echter arabischer Gelehrter in eine große Gesellschaft kommt, die mit der Mahlzeit beinahe fertig ist, also:

Weiß Allah, wann Ich mich mal verschnauf! Ich aß heut schon hundert Hammel auf, Verdaute sie gleich im Dauerlauf Und löschte den Durst mit dem ganzen Nil; Mir stak mang den Zähnen manch Krokodil; Ihr nennt das doch hoffentlich nicht zu viel — Mehr kann ich trotzdem noch essen.«

Und der Astronom steht breitbeinig da und brummt.

Jakuby macht ein verblüfftes Gesicht und versteht nicht, was Battany sagen will. Der indessen erklärt gleich, indem er fortfährt: »Du mußt eben nicht vergessen, daß unserm Können denn doch so manche Grenzen gezogen sind. Daß wir uns oft verrechnen —  das ist noch nicht das Schlimmste. Du willst die ganze Welt kennen lernen. Nun sag‘ aber mal —  ganz leise —  unter uns! Ist Dir das auch von unserm Kalifen ausdrücklich erlaubt? Darfst Du das? Wir hier in Bagdad wissen sehr genau, daß der Kalif uns gar nicht erlauben will, der Wissenschaft so obzuliegen, wie wir möchten; denken und schreiben sollen wir eigentlich nicht. Wenn wir aber das nicht mal sollen, sind wir dann noch die ‚größten‘ Gelehrten?«

Und nun streiten die Beiden nicht mehr über Sammeln und Forschen —  sie flüstern nur noch ganz leise, zischeln sich immer wieder was ins Ohr —  was von der Kalifenburg, von der Verfolgung der freien Wissenschaft und ähnlichen halb heiteren halb traurigen Dingen.

 

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Der Schreiber Osman sitzt währenddem im Empfangssaal auf einem großen persischen Teppich mit untergeschlagenen Beinen finster brütend wie ein chinesischer Pagode da. Seine dünnen braunen baumwollenen Beinkleider hängen schlaff um die wulstigen Kniegelenke. Wie eine dicke Tonne steht der breite Fettleib des Schreibers auf dem Teppich. Ein ganz kurzes braunes Jäckchen ohne Ärmel umspannt des Schreibers breite Brust, auf der ein schneeweißes Leinenhemd vorschimmert. Die weiten Ärmel des Hemdes sind auch sehr sauber —  der weiße Leinenturban ebenfalls. Das glatte braune Gesicht mit den dicken Pustbacken ist rund und voll. Die kleinen Augen starren auf die roten und blauen Muster des Teppichs, der geheimnisvoll wie ein Sterndeuterbuch aussieht und fast den ganzen Boden bedeckt. Osmans Stirn zeigt dicke Falten.

Der Empfangssaal ist eine offene Halle. Unter den zackig geschwungenen Säulenbogen sieht man den dunkelblauen Himmel mit den Sternen. Durch die offenen Säulenbogen geht es zum fünfeckigen Altan hinaus, auf dem Battany und Jakuby eifrig flüstern. Ein großer Himmelsglobus aus Kupfer thront vorn an der einen Seite des Saales. Hinten in den beiden Ecknischen der mit roten und silbernen Querstreifen bemalten Wände brennt in zwei Kohlenbecken duftiges arabisches Räucherwerk. Die leichten wirbelnden Rauchwolken schweben durch das ganze Gemach in langen bläulichen Fäden dahin. Osman sitzt mitten auf dem Teppich mit der Stirn dem Himmel zu und grübelt…

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Neben dem dicken Schreiber Osman rechts auf einem kleinen fünfeckigen Ebenholztische dampft heißer chinesischer Tee in feiner Porzellanschale. Der Schreiber Osman ist kein gewöhnlicher Schreiber, er läßt seine Gehilfen schreiben; er handelt nur mit den Büchern der großen Gelehrten, die ihre Schriften ihm zur Vervielfältigung und Verbreitung übergeben. Der Buchhändler hat schwere geschäftliche Sorgen, er sitzt und rechnet und brütet und nickt dabei zuweilen mit dem dicken Kopf langsam bedächtig wie ein Pagode beim Kalifen von Peking.

Bücherrollen liegen auf dem Teppich kreuz und quer. Dem Globus gegenüber in einer Alabasternische funkelt ein kupfernes Waschbecken —  fein getriebene Arbeit; das Gestell besteht aus drei schweren reich verzierten Eisenfüßen, die sich unten auf dem schwarzen Fliesenboden schneckenartig umkrümmen…

Von der zierlichen Decke oben, über die sich geometrische Figuren in blauen und grünen Linien auf goldnem Grunde durcheinander spinnen, hängen an eisernen Ketten bunte maurische Lampen hernieder. Sie beleuchten das braune Fettgesicht des dicken Schreibers und lassen auch eine indische sitzende Götterfigur mitten im Hintergrunde sichtbar werden. Der Götze sitzt aber höher als der Schreiber…….

Im Empfangssaal ist es ganz still. Nur die glühenden Kohlen knistern ein bißchen. Die duftigen blauen Räucherwolken wirbeln zur zierlichen Decke, ziehen in langen Fäden langsam durch die Säulenbogen in die Mondnacht hinaus.

Zu Osman in die Empfangshalle kommen nun mit dem gelehrten Kodama die beiden Dichter Suleiman und Safur. Kodamas wohltönende Stimme wird von Osman schon von fern, als die Drei noch unten auf der Treppe waren, gehört. Kodama ist auch ein Geograph, aber er läßt sich nicht gern so nennen, weil er nicht gern reisen mag… er ist zu dick.

Osman blickt die Kommenden traurig an.

Kodama schmunzelt so recht inniglich vergnügt, er ist fast ebenso dick wie der dicke Schreiber.

Osmans Mondgesicht glänzt, des Geographen Mondgesicht glänzt auch. Dessen gelbseidener Turban ist sehr schön. Ach —  Kodamas kurzer schwarzer Sammetrock ist auch sehr schön, und gar seine breiten schwarzseidenen Hosen —  die sind die schönsten Pluderhosen in ganz Bagdad.

»Aber Osman, warum bist Du denn so traurig?« ruft der Geograph, und er schüttelt sich vor Lachen, daß ihm die hellen Tränen über die rasierten braunen Wangen rollen.

Osman schweigt, und seine Miene wird noch kummervoller.

Safur betrachtet das indische Götzenbild. Suleiman wärmt sich die Hände vor dem einen Kohlenbecken. Kodama streichelt den runden kupfernen Himmelsglobus und wendet sich plötzlich ganz ernst zum jungen Safur und sagt sehr wohltönend: »Sieh nur, mein Teurer, hier kannst Du was lernen. So rund wie diese Kugel ist auch unsre Erde —  ja! ja! Hast Du denn schon meine kleine Schrift über die Kugelgestalt der Erde zu Ende gelesen? Nein? Ich kann Dir nur raten —  lies, was ich da geschrieben. Das könnte Dich auch dichterisch anregen. Glaubst Du nicht, daß der Mensch auch so rund wie eine Kugel werden könnte? Ich sage Dir: möglich ist das. Zum mindesten sollten wir immer bestrebt sein, runder zu werden. Dürfte nicht mein Leib noch schöner aussehen, wenn er noch runder werde? Bist Du auch rund? Nein? Warum nicht?«

Safur lacht laut auf und geht hinaus auf den Altan, wendet sich aber gleich zur Linken und schreitet eilig über die Brücke zum Mittelturm; seinen Freund Abu Maschar, der noch immer oben auf dem Turme wie eine Bildsäule dasteht, will er besuchen.

Indessen —  Kodama setzt sich behaglich neben Osman auf den persischen Teppich und fragt den traurigen Schreiber:

»Na, was hast Du denn?«

Kodama bekommt leider keine Antwort.

Battany und Jakuby treten grade —  immer noch flüsternd —  mit mürrischen Gesichtern in den Empfangssaal. Sie sehen Bagdads dickste Freunde merkwürdig steif auf dem Teppich sitzen. Suleiman wärmt sich noch immer die Hände an dem einen Kohlenbecken.

Man begrüßt sich, indem man schweigend leicht das Haupt nach vorne beugt, was sehr drollig aussieht…

Es ist einen Augenblick wieder still.

Dann jedoch knarren die Treppenstufen, und herein stürmt wie ein Wilder der große Philosoph Abu Hischam.

Malerisch schlottert ihm sein alter Kittel um die dürren Beine, die armenische Pelzmütze sitzt ihm schief auf den lockigen braunen Haaren, sein zottiger Bart zittert ihm, und die großen braunen Augen rollen ihm im Kopfe.

Abu Hischam haut mit der Faust auf den Globus und stampft mit dem rechten Fuß auf den Boden.

Kodama springt empor. Suleiman, Battany und Jakuby kommen erschrocken näher.

»Was ist denn los?« schreit der dicke Kodama.

Doch der Philosoph reckt die Faust zum Himmel auf und fragt heiser: »Wißt Ihr noch Nichts?«

»Ich weiß Alles!« ruft traurig der dicke Schreiber.

Die Andern aber wollen nun wissen, was los ist. Und Abu Hischam erzählt wirr und erregt: »Was wir immer gefürchtet, ist geschehn. Der Kalif Mutadid —  dieser Hund —  er hat’s gewagt —  er hat ein neues Gesetz erlassen. Er hat verboten —  man höre nur! —  Bücher herauszugeben, die einen philosophischen oder politischen Inhalt haben. Das heißt: wir dürfen überhaupt keine Bücher mehr herausgeben. Ist das nicht stark? Weder Philosophisches noch Politisches soll ins Volk dringen —  das heißt: wissenschaftliche Bücher sollen nicht mehr geschrieben werden. Was sagt Ihr nun? Er hat’s gewagt! Der Hund! Der Hund! Dieses verfluchte Aas!«

Und alle Sechs werden fürchterlich wütend —  sie schreien gellend durcheinander.

Battanys Toga fliegt umher wie ein Segel im Sturm. Jakuby fuchtelt mit dem rechten Zeigefinger vor seiner Nase herum. Kodama schlägt sich immerfort mit den Fäusten vor die Brust. Suleiman ringt die Hände. Osman stöhnt.

Der Philosoph Abu Hischam brüllt wie ein Stier, schimpft wie ein Kameltreiber und hält, wie sich der Lärm ein wenig gelegt, eine Rede:

»Freunde!« ruft er, »was ich schon immer empfahl, das empfehle ich jetzt noch einmal —  das muß jetzt endlich zur Tat werden. Wir müssen einen Geheimbund gründen und unsre Bücher unter uns herausgeben —  nicht fürs Volk. Was haben wir davon, wenn unsre Bücher gekauft und gelesen werden von Leuten, die uns gar nicht verstehen können? Bilden wir lieber endlich eine abgeschlossene gelehrte Gesellschaft, die ihre Bücher nur unter ihren Mitgliedern verteilt. Wir Gelehrte schreiben doch nur für die andren Gelehrten —  laßt uns drum einen Bund schließen, wie ich’s schon öfters empfohlen habe. Wir brauchen unsre Bücher garnicht öffentlich herauszugeben. Fürs Volk schreiben wir ja doch nicht. Wir versenden unsre Bücher nur an die einzelnen Mitglieder des zu uns gehörenden Gelehrtenbundes und pfeifen dann auf die Gesetze des dummen Mutadid, der besser täte, wenn er in den Wallgräben Bagdads die Schweine hütete.«

Nach dieser unerwarteten Rede springt auch endlich der Schreiber Osman auf, der bis dahin still auf dem persischen Teppich saß und chinesischen Tee trank. Osman erhob sich furchtbar schnell, was so aussah, als wenn ein Gummiball einen Klaps bekommt.

»Ihr habt ja kein Geld!« schreit der Schreiber. »wollt Ihr Eure Bücher verschenken?«

Und es entsteht ein neuer Lärm —  der ist noch wüster als der erste. Jakuby bemüht sich vergeblich, das Gespräch auf die bevorstehende Mondfinsternis, die gar nicht erscheinen will, zu lenken.

Schließlich reden Alle zugleich, sie schreien die Worte mit vermengendem Glutblick einander zu. Niemand versteht, was sie so heftig sagen…

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Safur aber oben auf dem Mittelturm schwärmt dem großen Sterndeuter Abu Maschar von Himmelsgeistern und herrlichen Huris, von den alten Göttern und von den alten Gespenstern begeistert etwas vor —  er sagt: »Wenn ich so im tiefen unendlichen Blau die strahlenden Himmelsblüten schaue, dann fühlt sich meine Seele oft so mächtig bewegt, und ich träume mir dann da oben eine Welt zusammen, in der Götter hausen, übermenschliche Wesen, die noch viel feiner empfinden können als die besten Dichter der Erde. Oh, Abu Maschar, muß es nicht dort oben in den freien Weltallüften viel wundervoller sein als hier bei uns?«

Abu Maschar erwidert mit ganz leiser Stimme:

»Kein Ort der Erde ist wirklich schöner als der andre. Wir können überall glücklich sein. Die Zustände sind überall gleich gut und gleich schlecht, wie man gerade sagen will. Und in andren Welten kann’s eigentlich auch nicht anders sein. Sieh, Safur, das ist eigentlich das Geheimnis meiner Prophetengabe, daß ich nirgendwo und auch nirgendwann einen besseren Zustand vermute als den, welchen ich grad‘ in den einzelnen Augenblicken meines Lebens empfinde. Die Zukunft ist für uns kein verschlossenes Buch. Zu allen Zeiten war es im Grunde genau so gut und genau so schlecht um die Menschen bestellt als zu unsrer Zeit hier in Bagdad. Daß ich fest daran glaube, die Welt wird weder besser noch schlechter, eine wirklich wesentliche Weiterentwicklung der Menschen gibt es garnicht —  dieser Glaube hält mich grade, macht mich sicher, stolz, fest und bewußt —  das macht mich zum Propheten…. wie mich die Gelehrten in der Moschee spöttisch nennen. Ja, Safur, ich bin ein Prophet; wenn ich in die Sterne schaue, so sehe ich die Zukunft —  —  —  unsre Welt ist eben so wenig veränderlich wie der Sternenhimmel. Scheinbar nur bietet sich uns ein ewiger Wechsel dar. Die Zukunft wird ebenso aussehen wie die Gegenwart. Dieses Wort vergiß nicht, Safur! Was ich sonst noch prophezeie, ist im Grunde leerer bedeutungsloser Scherz. Die Welt bleibt —  wie sie ist. Werde so ruhig wie dieser Sternenhimmel und hoffe nicht auf andre oder bessere Zeiten.«

Ein duftender Blütenwind weht durch Abu Maschars weißes Beduinengewand. Safur schaut mit trunkenen Blicken zum schwarzen Saturn… Der Dichter versteht den Propheten.

Der Lärm in der Empfangshalle dringt jetzt schwächer zum Mittelturm empor.

Ruhig steht der Halbmond —  glänzend —  ohne jeden Schatten über der alten Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für seine Himmelsfreunde erbauen ließ.

Safur und Abu Maschar schauen schweigend in die Sterne, die verblassen, da der Mond zu hell ist.

Doch jetzt klopft es leise.

Ein schwarzer Sklave steigt langsam die letzten Stufen der Treppe hinauf und sagt ganz behutsam, um nicht zu stören:

»Der Herr Battany will auf’m Boot im Tigris hin—  und herfahren —  läßt bitten, mitzukommen.«

»Eine Kahnfahrt?« ruft Safur.

»Was gibt die Veranlassung?« fragt Abu Maschar.

»Der Mond scheint dem Herrn Battany zu hell«, erwidert ernst der schwarze Sklave.

Die beiden Freunde schauen sich an und —  lächeln. Schmunzelnd folgen sie dem Schwarzen, der hurtig die Treppe hinunterstolpert.

Unten zügeln die beiden Mongolen ihre schäumenden Rosse.

Die Sklaven rennen treppauf und treppab.

Alles ist in Bewegung —  auf der Sternwarte.

Der Halbmond steht ruhig am Himmel —  und glänzt.


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Das dritte Kapitel.

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Lange feine Lichtfäden glitzern auf den lustigen kleinen Wellen des Tigris; das Licht von vielen Böten und das Licht von den helleren Sternen spiegelt sich in der lauen Flut.

Battany steht auf der äußersten Spitze des großen Bretterstegs, an dem die Lustbarken Bagdads zu landen pflegen, und starrt hinein in den großen breiten Strom, auf dessen Wellen die langen Lichtfäden glitzern.

Der Astronom atmet tief auf.

Er ist einen Augenblick allein.

Die kleinen Wellen plätschern um den Brettersteg.

Ein kühler Wind weht sacht übers Wasser dahin.

Der Tigris ist groß und breit.

Die Rechte hat Battany fest aufs Herz gepreßt. Sein Hals reckt sich sehnig nach vorn. Seine Stirn ist von tiefen Falten durchfurcht. Und seine Augen brennen.

Er murmelt:

»Jakuby ist beneidenswert! Jakuby ist beneidenswert!«

Dem großen Gelehrten treten Wuttränen in’s Auge.

Er stöhnt laut —  erschrickt dann und spricht zu sich selbst —  leise —  mit knirschenden Zähnen:

»Jetzt werden sie kommen und mich höhnen! Der Mond ist hell —  er steht hinter mir —  hinter den Bäumen und lacht! Bei Allah! Ich versteh’s nicht! Ich versteh‘ Nichts! Wir können —  Garnichts! Nur die Esel bilden sich ein, was zu können! Wenn ich nur Etwas vollbracht hätte —  nur Etwas! Aber —  mir ward es versagt! Ich habe gearbeitet wie ein Steinträger und Nichts dafür errungen —  Nichts! Ich bin nur einsam geworden. Kein Freund tröstet mich —  kein Freund! Ich hab allein meine Qual zu tragen —  allein!«

Und er stöhnt wieder und atmet hastig —  mit der Linken fährt er sich über die nassen Augen.

Er blickt nach rechts —  er wartet auf seine Barke.

Doch die Barke kommt nicht.

»Heute kommt Garnichts«, murmelt er Zähne knirschend.

Seine schwarzen Sklaven stehen mit Pechfackeln am Strande.

Das Schilf wird grell beleuchtet.

Von der Seite, von der Battanys Barke kommen soll, kommt Nichts. Aber auf der andren Seite werden nun vier grüne Lampen sichtbar —  es nahen sehr rasch vier große Böte, auf denen sehr laut gelärmt wird.

Battany horcht und will zum Ufer zurück —  er kennt die Stimmen, die da in den vier Böten lärmen.

Die Tofailys nahen.

Doch Battany besinnt sich und bleibt trotzig stehen.

Die Tofailys sind tolles Volk —  sie bilden Bagdads berüchtigte Prassergilde. Schlemmer sind die Tofailys. Aber sie schlemmen nicht auf eigene Kosten —  sie lassen sich immer einladen. Geld besitzen die Tofailys fast niemals —  aber betrunken sind die Tofailys fast immer —  auch jetzt.

Battany stampft zornig mit dem Fuß auf, daß der Brettersteg poltert und wackelt, denn am Ufer erscheinen grade seine sieben Freunde —  Kodama und Abu Maschar an der Spitze.

Ein Zusammenstoß mit den Tofailys ist unvermeidlich.

Auf dem größten der vier Böte steht der alte bucklige Dichter Al Rumy —  der hat den Al Battany schon gesehen, ruft ihm gleich höhnisch zu:

»Mondprophet! Die Halbmonde wollen ja nicht so, wie Du willst! Laß den Glanz Deiner Goldstücke heller strahlen, dann werden die Halbmonde sich eher verdunkeln lassen! Halbmondprophet! Du Lichtfeind!«

Da —  im Handumdrehen —  blitzt Battanys krummer Säbel drohend über seiner indischen Mütze.

Und —  wie natürlich —  blitzen auf den Böten der Tofailys sofort ebenfalls die Säbel.

Der bucklige Al Rumy holt sein grades Schwert langsam und lachend hervor und deutet mit der Spitze des graden Schwertes tückisch auf den Astronomen.

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Die Tofailys sind nur noch wenige Schritte vom Brettersteg entfernt.

Die Zahl der auf den vier Böten aufleuchtenden Klingen ist nicht allzu groß; die meisten Tofailys haben ihre Säbel in den Weinkneipen der Stadt als Pfand hinterlassen —  versetzt —  was in Bagdad sehr häufig vorzukommen pflegt.

Indes —  Battany ist fast allein.

Die schwarzen Sklaven mit ihren Pechfackeln schreien nur, sind nicht sehr tapfer.

Battanys Freunde sind gleichfalls ihrer Tapferkeit wegen nicht berühmt —  nur Safur läuft auf den Steg, zieht seinen langen Dolch und hält diesen wie einen kleinen Speer wurfbereit.

Der Kampf erscheint unvermeidlich.

Doch da —  plötzlich —  spritzt das Wasser am Ufer hoch auf. Unverständliche Flüche schallen durch die Luft —  und zwei schnaubende schwarze Hengste schäumen in den Tigris hinein. Auf den Hengsten sitzen die beiden Mongolen; wild funkeln ihre Augen. Die Spitzen der langen Lanzen blitzen im grellen Fackellicht —  ganz hoch in der Luft.

Und im selben Nu verschwinden die Säbel der Tofailys.

Die betrunkenen Prasser springen danach lachend, als wenn Garnichts los wäre, aus den Böten raus, patschen durchs Wasser zum Ufer —  oder klettern auf den Brettersteg.

Torkelnd und johlend ziehen die Betrunknen die Kähne ans Land.

Die Mongolen senken die Lanzen und sehen zu —  reiten dann gemächlich an den Strand zurück.

Die Tofailys sind nicht Bagdads Dummköpfe —  im Gegenteil —  Gelehrte und Dichter sind’s zumeist.

Der junge Geograph Hamadany ist zum Beispiel ein sehr gescheiter Mann —  und dennoch hat er wieder viel zu viel getrunken; bewußtlos liegt er in dem einen Kahn, sein Kopf hängt laut schnarchend hinten über. Die Schiffer haben große Mühe, die schlaffen Glieder des Trunkenbolds ans Land zu schleppen.

Die Weinschläuche der Tofailys sind fast sämtlich leer. Ein paar jüngere Weinhändler zanken sich deshalb —  denn sie wollen von einander erfahren, wer von ihnen die fernerhin noch für die Gesellschaft nötigen Schläuche beschaffen wird. Ein derartiger Zank dauert immer sehr lange.

Währenddem höhnt ein Krämer den Safur, meint so leichthin: »Na, Freundchen! Hat Dir auch Deine Tarub, Bagdads berühmte Köchin, wieder ein paar Pasteten in die Tasche gesteckt? Gib mir was ab! Ich hab Hunger!«

Safur dreht sich um —  nach der andren Seite.

Battanys Barke ist endlich angekommen.

Osman und Kodama sind die Ersten, die in den schönen langen Kahn steigen.

Jakuby und Suleiman folgen gleich dem Beispiel der Dicken —  sind aber nicht so sicher wie diese in den Arm—  und Beinbewegungen.

Abu Hischam und Abu Maschar sprechen so eifrig, daß sie erst von Safar zum Einsteigen aufgefordert werden müssen.

Wie diese letzten Drei im Kahne Platz gefunden, überreichen die schwarzen Sklaven die Fackeln den Ruderern, heben den Battany sehr gewandt auch ins Boot und stoßen das Fahrzeug in den Strom hinein.

Die Tofailys lärmen wieder lauter.

Der Dichter Buchtury rennt jetzt mit einem halben Dutzend verrufener Tänzerinnen auf den Brettersteg und ruft den Abfahrenden noch einige Bosheiten nach —  die versteht man aber nicht mehr.

Battanys Barke wird sacht in die Mitte des Stroms hineingerudert —  dort stößt heftig der Wind in die Segel.

Und fort geht’s stromabwärts.

Die Pechfackeln knistern, flammen, lodern und werfen lange rote Farbenbündel, die immerfort wackeln, ins Wasser.

Die Wellen klingen plätschernd um die Planken der langen Barke… sie brodeln und murmeln vorn um den weißen Holzschwan, der die Spitze des Schiffes verziert…

Die eine Pechfackel hängt —  vorn an einer Stange befestigt —  hoch über dem langen Schwanenhals, ragt aber noch weiter vor als dieser… in den dunkelblauen Himmel hinein.

Hinter dem Schwan sitzt Abu Maschar in seinem weißen Beduinengewande und streichelt mit seinen langen braunen Fingern seinen langen schwarzen Bart.

Neben dem Propheten sitzt Safur. Der steckt jetzt seine rechte Hand vorsichtig in die laue Flut, und die Wasser wirbeln schäumend um seine braunen Finger.

Der Dichter fühlt, wie der Tigris wohlig um seine Handfläche strudelt, wieder und wieder durch die Finger gleitet und so weich die Gedanken belebt —  auch so voll sich anpackt wie flüssiger Schlamm.

Kitzelnd spülen die Wogen um die Fingerspitzen des Dichters.

Jasminduft weht vom Strande herüber.

Battany und seine Freunde heben lächelnd die Nasen höher —  Suleiman besonders —  der spricht dabei zu Jakuby von Narzissen und Lilien, von Wasserrosen und Riesenveilchen…

Die Gärten Bagdads liegen an den Ufern des Tigris wie schlafende Jungfraun, und ihre überreiche Blütenpracht schwebt vollen Wohlgeruch auf den breiten Strom hinaus…

Prachtvoll ist die Nacht.

Die Sterne funkeln, die Fackeln flackern, und die Wellen klingen plätschernd gegen die Barke an.

Der Astronom ist leider noch immer nicht heiter —  in dieser herrlichen Nacht, in der selbst Indiens verwöhnte Götter selig lächeln würden.

Die Stimmung ist auf der Barke ein bißchen gedrückt.

Osman —  der Schreiber —  ist entschieden der Traurigste.

Kodama unter seinem gelben Turban scheint am lustigsten zu sein.

Von den Fackeln werden grell beleuchtet —  die Dichter, die Gelehrten und die Sklaven.

Dem Philosophen Abu Hischam wird die Pelzmütze zu warm, er nimmt sie ab. Battany wundert sich darüber —  —  —  er sieht den Osman unter dem weißen neben Kodama unter dem gelben Turban, Jakuby unter dem lila gefärbten neben Suleiman unter dem schmutzigen Turban ganz schweigend dasitzen. Auch Safur und Abu Maschar in ihren Beduinengewändern sitzen vorn ganz schweigend da…

Und der Astronom erinnert sich plötzlich, daß er seine Freunde zu einer »Vergnügungsfahrt« einlud.

Und er flüstert einem älteren Sklaven einen kurzen Befehl zu.

Und gleich darauf packen die gehorsamen Diener geschäftig die Wein—  und Eßkörbe aus.

Das verbessert die Stimmung.

Der große Goldpokal wird mit Scherbett, dem berühmten würzigen Eiswein, gefüllt.

Bald geht der Pokal von Hand zu Hand.

Alle trinken schmunzelnd mit der Zunge schnalzend das eiskalte duftende Getränk…..

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Alsdann werden Datteln und Bananen, Feigen und Kirschen, Äpfel und Mandeln, Weintrauben, Pfirsiche, Nüsse, Oliven, Erdbeeren und kleine ovale Honigkuchen in fein getriebenen Metallschalen herumgereicht…

Kodama knackt eine Nuß und fragt den Safur, der in der Linken den Pokal und die Rechte noch immer im Wasser hält: »Sage mal, lieber Freund, Du siehst so träumerisch mich an —  denkst Du an Deine Tarub? wie geht es denn Deiner berühmten Köchin? wird sie nicht bald wieder eine neue Torte backen? —  mit Zucker, Zitronen und —  und frischen Kräutern oder so was weich Zerfließendes? Hm?«

»Frag sie doch selber«, gibt Safur zurück, »warum soll ich jetzt an die Tarub denken? Die Nacht ist so prächtig, und ich fühle nur, wie wohlig sich das Wasser anfassen läßt. Die Empfindungen der Hand scheinen mir augenblicklich noch viel feinsinniger als dieser Eiswein. Trink Du, Abu Maschar! Und wenn Du mir einen Apfel schälen wolltest, würd‘ ich Dir dankbar sein. Hier ist mein Dolch.«

Abu Maschar nickt, nimmt den Dolch und schält den Apfel.

Kodama wendet sich an Osman und versucht, ihn wieder zu trösten.

Osman lächelt schwach und meint:

»Die Luft ist sehr erquickend. Wenn jetzt ein Dichter Obstverse vortrüge, würd‘ ich mich sehr freuen.«

Dabei lächelt der Dicke schon ganz behaglich, ißt eine rote Kirsche nach der andern —  und fühlt sich allmählich immer wohler —  vergißt sein Geschäft und seine Sorgen.

Die Kirschen sind gut.

Safur, der sonst für jede Speise, für alles Süße und für alles Saure prickelnde Vierzeiler aus seinem Beduinengewande herauszuschütteln pflegt, schweigt —  schweigt hartnäckig.

Suleiman, der am Maste sitzt, beugt sich daher bedächtig zu den beiden Dicken hinüber und spricht laut mit emporgezogenen Augenbrauen:

»Ich sah im Traume eine Apfelkrone, Und die stülpt ich mir behutsam auf den kahlen Kopf. Doch Osman schenkte stöhnend mir zum Hohne Einen Kirschenzepter, tragen sollt ich den als Zopf.«

Alle lachen nun sehr laut. Suleiman muß seine Verse wiederholen. Selbst Battany muß lachen.

Nur Osman lacht nicht. Der nimmt behutsam seinen weißen reinen Turban ab und reicht ihn dem alten Dichter, der kopfnickend für den neuen seinen alten gibt.

Jetzt wird’s gemütlich.

Wieder geht der Goldpokal mit dem köstlichen Scherbett von Hand zu Hand. Der Wind bläst noch kräftiger in die Segel. Die Wellen klingen hell plätschernd um die Planken. Die Sterne funkeln. Die Barke schaukelt

 

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Abu Hischam spielte mit seiner Pelzmütze. Bald gab er ihr einen Puff mit der Faust, bald streichelte er das schwarze Fell. Er knillte die Mütz‘ und preßte sie, hielt sie mit zwei Fingern an ein paar Haaren fest und ließ sie baumeln. Dann warf er sie ein wenig empor, fing sie geschickt wieder auf, schlug sie, wie man ein Kind schlägt, versuchte sie auch auszuwringen, wie’s die Wäscherinnen mit schmutziger Wäsche zu tun pflegen… schließlich fuhr er sich mit der rechten Hand durch die wüst ins Gesicht hängenden Haare und klopfte gleich darauf dem Battany aufs Knie. Da ihm Jakuby gleichzeitig den Goldpokal reichte, so setzte er rasch seine Pelzmütz‘ wieder auf den Kopf und trank hastig… aber alsdann sprach er:

»Battany, hör mal! Du, Suleiman, paß auch auf! Sagt doch! Noch einmal! Auf der Sternwarte ließet Ihr mich nicht ordentlich ausreden. Warum sollen wir denn nicht?Ist es denn nicht wirklich an der Zeit, einen großen Gelehrtenbund zu gründen? Alte Gelehrten müssen, wie ich’s schon öfters empfahl, diesem Gelehrtenbunde angehören. Wir könnten uns vielleicht ‚die aufrichtigen Brüder‘ nennen —  oder —  oder —  ‚die lauteren Brüder’…. Wie denkt Ihr darüber? Könnten wir nicht einmal ganz in Ruhe die Sache überlegen? Was? Ein Gelehrtenbund muß es sein, und alle Gelehrten müssen dem Bunde angehören. Niemand darf fehlen. Auch die Tofailys dürfen nicht vernachlässigt werden. Werde nicht gleich wütend, Battany! Schufte sind es zwar, doch trotzdem sind sehr viele feine Köpfe unter diesen Tofailys. Eigentlich müssen wir uns doch auch zu den Tofailys zählen. Gewiß, Battany! Rede nicht! Glaub’s mir! Boshaft sind ja die Schurken, wir sind’s aber auch. Du kennst mich ja, Battany. Du wirst mich nicht mißverstehen. Was sagst Du, Jakuby?«

Jakuby versetzte mit seiner Fistelstimme:

»Ich bin der Ansicht, daß eine so gänzlich abgeschlossene Stellung der Gelehrtenwelt dieser nicht zum Vorteile gereichen kann.«

»Und ich«, warf Battany verächtlich die Mundwinkel runterziehend dazwischen, »habe mich niemals zu den Tofailys gerechnet. Ich pflege in andrer Weise die Genüsse der Erde durchzukosten —  niemals in bezechter Bewußtlosigkeit.«

Weiche feine Saitenklänge dringen aus den Gärten, die am Ufer liegen, auf den breiten Tigrisstrom hinaus.

Auch eine Flöte ist zu hören.

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Abu Hischam fängt nach kurzer Pause wieder an —  heftig —  also:

»Aber Prasser sind wir dennoch! Jeder praßt nur in seiner eigenen Art. Ich mache mir auch Nichts aus feinen Fressereien. Was geht’s mich an, wie eine Torte schmeckt… ich bin froh, wenn ich meinen Hunger stillen kann. Doch —  genießen —  prassen —  will ich auch. Ich bin nur derber als Ihr. Wenn wir auch nicht so reich sind, wie Du, lieber Battany, so bist Du doch nicht mehr als wir. Du bist ein Astronom, und ich bin ein Philosoph. Das heißt: wir sind zwei Gelehrte. Wir sind sämtlich Gelehrte.«

»Außer Osman«, ruft Safur von der Spitze der Barke nach hinten hinüber.

»Ganz recht, Safur«, sagt der Philosoph, »daß hier Niemand etwas vor dem Andern voraus hat —  das ist also klar.«

»Ja! Ja!« meint nun Jakuby liebenswürdig, »Dein Buch ‚Der Zweifler‘ scheint mir sogar sehr —  höchst bedeutsam zu sein. Zwar —  ich habe nicht Alles verstanden…«

»Ich auch nicht«, schreit lustig Kodama, klopft dabei dem noch immer nicht so recht vergnügten Osman herzhaft auf die Schulter.

Alle müssen lachen.

Abu Hischam spielt wieder mit seiner Pelzmütz und schwenkt sie schließlich überm Kopf, damit die Andern wieder auf ihn aufmerksam werden.

Kodama jedoch reicht dem Philosophen den Goldpokal; der Philosoph soll erst wieder trinken. Nach dem Trunk läßt der sich aber nicht mehr behindern, er redet wieder —  folgendermaßen:

»Kommen wir also zum Schluß! Sagt! Seid Ihr jetzt nicht mit mir der Überzeugung, daß wir gezwungen sind, uns zusammenzutun? Das Verbot des dummen Kalifen sagt doch genug. Die Nacht ist sehr schön. Die Möwen krächzen. Wir segeln einer großen Zukunft entgegen. Der entscheidende Augenblick ist gekommen. Demnach! Brüder! Hört! Wollen wir jetzt nicht gleich unsern Bund, den ‚Bund der lauteren Brüder‘, in aller Form begründen? Jetzt gleich muß es geschehen. Warum sollen wir’s denn aufschieben?«

»Ihr wollt wohl eine neue Prassergilde schaffen?« stößt nun aufgeregt der dicke Osman hervor.

»Nein, wir wollen«, entgegnet Abu Hischam klug, »der Prassergilde eine Gelehrtengilde gegenüberstellen. Nicht wahr, Battany? Bist Du nicht auf meiner Seite, wenn wir eine Gelehrtengilde gründen, die im vollen bewußten Gegensatz zu Prassergilde der Tofailys steht?«

»Du willst wohl nur«, wirft da höhnisch der Kodama ein, »daß wir uns aufregen und demgemäß rascher zechen als sonst. Nimm! Hier hast Du den Krug! Keiner wehrt Dir heute mehr zu trinken als sonst. Ich trink auch immer mehr —  immer mehr!«

Abu Hischam lacht und trinkt.

Battany pfeift dazu.

Jakuby räuspert sich —  so verständnisinnig. Osman bricht aber in ein schallendes Hohngelächter aus, sodaß sich selbst der gutmütige Suleiman unwillig umwendet.

Eine andere Barke, auch von Pechfackeln erleuchtet —  wird dabei vorübergerudert —  stromaufwärts.

Eine tiefe Frauenstimme tönt dunkel und tieftraurig aus dieser Barke hervor; ein südarabisches Totenlied hallt unheimlich übers Wasser hin.

Battany und seine Freunde lauschen.

Abu Maschar, dem vorn allmählich zu häufig die Wellen über Bord spritzen, geht jetzt in die Mitte des Kahnes und setzt sich dem Abu Hischam gegenüber.

Kodama gibt einem Sklaven, der nicht schnell genug dem Sterndeuter Platz macht, einen sanften Klaps auf den Hinterkopf

Wie das südarabische Totenlied in der Ferne verhallt, ergreift Abu Maschar, der bisher ganz still war, etwas feierlich das Wort. Er spricht leise, fast flüsternd:

»Warum sollen wir eigentlich einen neuen Geheimbund gründen? Wir Gelehrten bilden doch bereits in der Menschenwelt eine so abgeschlossene Gesellschaft, daß wir diese auch schon einen Geheimbund nennen könnten. Sind nicht die alten Gesellschaftsformen, so wie sie sind, für unser Gesellschaftsbedürfnis vollauf genug? Wer wüst prassen und zechen will, kann sich jederzeit unter die Tofailys begeben. Wer feinere Gesellschaftsgenüsse verlangt, findet sie bei unsrem gastfreien Battany auf schaukelnden Barken und auf unsrer Sternwarte. Sind nicht schon in den Verhältnissen, in denen wir jetzt grade leben, eigentlich sämtliche Glückserreger, die uns in den verschiedenen Augenblicken unsres Lebens unentbehrlich erscheinen enthalten? Was wir bedürfen, verlangen und wünschen, das können wir unter den augenblicklich obwaltenden Verhältnissen ebenso leicht und bequem erreichen wie in den erhofften anderen Zuständen, die wir immer erst schaffen müssen. Jedoch —  wir haben garnicht nötig, etwas Neues zu schaffen. Alles, was wir wirklich brauchen, ist bereits da. Glaubt Ihr, die Welt könnte noch besser werden? Glaubt Ihr, ein Geheimbund könnte jemals irgend etwas besser machen? Die Welt ist, wie sie war —  und —  wird —  so —  bleiben. Wir haben keine Ursache, die sogenannte Entwicklung der Menschheit irgendwie zu fördern. Eine Entwicklung gibt es ja garnicht. Wir werden nicht klüger werden, als wir sind. Die Menschen werden nach tausend Jahren grade so klug und grade so dumm sein —  wie wir’s heute sind.«

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Abu Maschar hielt inne, seine Augen glänzten im grellen Fackellicht —  wunderbar schön.

Alle hatten aufmerksam zugehört.

Safur und Suleiman sahen —  —  bewundernd den großen Propheten an; den Dichtern paßte die Weisheit des großen Sterndeuters.

Jakuby jedoch und auch Battany sträubten sich gegen diese Weisheit, hätten gerne gleich erwidert… wenn sie nur gewußt hätten —  wie —  und was.

Osman und Kodama fühlten sich auch nicht angenehm berührt. Kodama mochte nicht allzu viel nachdenken, liebte die längeren, umständlichen Erörterungen ganz und gar nicht —  liebte die bequeme Kürze, den gedrungenen Witz, das abschneidende Schlagwort…

Und Osman —  ja —  der wußte nicht recht, ob Abu Maschar die richtige Persönlichkeit sein würde, den Abu Hischam mit seinem dummen Gelehrtenbunde mundtot zu machen. Der dicke Schreiber kannte den leicht erregbaren Philosophen sehr genau —  so leicht war der nicht tot zu kriegen.

Und richtig —  es dauerte auch garnicht lange, und der Philosoph machte durch deutliche Hand—  und Armbewegungen der Gesellschaft verständlich, daß er bereit wäre, dem Propheten mit kräftiger Lunge Bescheid zu sagen. Abu Hischam rief gellend —  zornig mit den Fäusten gen Himmel drohend:

»Prophet! Der Unsinn, den Du uns da auftischen willst, schreit zum Himmel wie Abels Blut!«

Die Gesellschaft wird erregt.

Die Sklaven blicken scheu zur Seite.

Doch Battany wird plötzlich auch lebhaft.

»Halt!« stößt er heftig vor, »jetzt haben wir, dächt‘ ich, für heute genug reden gehört. Sehr schöne Reden waren’s —  sie waren nur leider zu schön. So was strengt an. Ich möchte was vorschlagen. Wir sind morgen Abend bei Said ibn Selm zum Abendessen geladen. Wir könnten also morgen Abend weiter reden. Überlegen wir uns bis dahin, wie wir dem weisen Abu Maschar am besten antworten könnten! Seid Ihr einverstanden? Ja? Ich bin müde!«

Lautes »Ja!« in den verschiedensten Formen tönt von allen Lippen… erleichtert fühlen sich Battanys Freunde.

Nur Abu Hischam murrt ein bißchen.

Doch das geht vorüber.

Die Sklaven verteilen schon die Wolldecken.

Und Alle freuen sich auf den Schlaf.

Die Fackeln werden ins Wasser geworfen.

Die Sterne werden blasser und blasser.

Die Sklaven ziehen die Segel ein.

Der Steuermann dreht um.

Und die langen Riemen heben plätschernd die Barke immer wieder höher, bringen sie langsam stromaufwärts —  langsam.

Dicht am Uferschilf rudern die Sklaven.

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Auf Battanys Barke ist es mäuschenstill.

Safur liegt in seiner Wolldecke auf dem Rücken und betastet mit den Fingern das Holz auf seiner rechten Seite. Er blickt zu den verblassenden Sternen hinauf und träumt von seiner Tarub.

Das Boot schaukelt so wohlig, und die Augenlider fallen auch dem jungen Dichter zu. Er tastet im Traum überall umher. Bald befaßt er die Sterne, bald die Kochtöpfe. Dann träumt er, der Kalif hätte ihm befohlen, aller Menschen Nase zu befühlen. Und er atmet sehr schwer, denn die Aufgabe dünkt ihn nicht leicht.

Suleiman denkt an sein stilles Zimmer bei seinem alten Gärtner. Dort duften seine Reseden auf dem Tischchen neben der alten breiten Matratze. Und Rosenduft weht hernieder. Und junge Märchenprinzen beugen sich über das Lager des alten Suleiman und der Rosenduft entströmt den kostbaren Kleidern der jungen Prinzen. Suleiman sinkt zurück —  ihm ist, als läge sein Haupt mit seinem reinen weißen Turban in einem duftigen —  Veilchenbeet.

Laut schnarchen jetzt die Schläfer, die langsam —  behutsam —  fast lautlos nach Hause gerudert werden.

Es wird Tag.

Bagdad —  die Stadt —  erwacht.

Der glühende Sonnenball taucht im Osten hinter der Stadt brennend empor.

Hellauf glänzt die hohe Kalifenburg im strahlenden Tageslicht.

An den Ufern des Tigris —  in den Gärten der —  Reichen wird’s lebendig.

Hübsche junge Sklavinnen baden hinterm Schilf —  kichernd.

Und der Tau blitzt auf allen bunten Blumen im Sonnenschein.

Ein Morgenwind umsäuselt die ruhigen Palmen, die Schläfer und die kichernden Mädchen, die im Tigris —  baden.

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Das vierte Kapitel.

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Und Safur lehnt an Tarubs Küchentür, er ruft mit seitwärts geschobenem Kopf:

»Ich stünde nimmer ganz allein, Wenn ich ewig könnte bei Dir sein.«

Doch die Tarub stemmt die Fäuste in die Seiten und sagt zornig:

»Jetzt kommst Du erst? Ist jetzt Morgen? Die Sonne geht ja bald wieder unter. Ich laß mir das nicht mehr gefallen!«

»Tarub!« erwidert wehmütig der Dichter, »sei nicht so böse! Battany lud uns zu einer Kahnfahrt ein. Wir sind eben erst zurückgekehrt. Ärgre Dich nicht! Nein?«

Tarub —  schnell besänftigt —  sagt rasch:

»Na ja! Ausreden hast Du immer —  daran fehlt es Dir nicht!«

Bei diesen Worten hebt sie schon wieder geschäftig einen Kochtopf vom Feuer runter, stellt ihn auf die Platte und holt mit einem Blechlöffel vorsichtig das Fleisch aus dem Topfe heraus. Das Feuer schlägt lodernd in den rußigen Schornstein empor.

In der Küche des reichen Said ibn Selm schaltet die Tarub wie eine Herrin. Sie wird fast rot vor Eifer.

Der Dichter flüstert ihr ins Ohr:

»Ja, ja! sei nur schön ernst —  das steht Dir gut —  ich weiß ja.«

Und da lacht die Tarub über das ganze Gesicht. Safur aber greift nach ihrer Hand, die noch immer den Blechlöffel hält, berührt sehr demütig mit den Lippen die braunen Finger und sieht dann mit hochemporgezogenen Augenbrauen unter seinem braun und blau gestreiften Beduinengewande zur lachenden Köchin auf.

Tarub schüttelt vergnügt den Kopf, schreit aber plötzlich: »Nein —  wie Du wieder aussiehst!«

Indes das kümmert den Dichter, der nie an seiner Schönheit zweifelt, sehr wenig, denn er schließt seiner braunen Köchin den Mund mit einem Kuß.

Safur wandelt alsdann in der mit roten Mauersteinen gepflasterten Küche langsam auf und nieder. Er schaut immer wieder Tarubs grünen Wollrock an, der wie ein Sack in steifen Falten den Körper umschließt.

Der grüne Rock hängt an roten Lederriemen, die über die Schulter gehen und hinten sich kreuzen.

Das weiße Leinenhemd, das den Oberkörper faltig umschließt, sieht auch sackartig aus. Ganz kurz sind die Ärmel des Hemdes, das so bläulich— weiß aussieht wie Kuhmilch, die verwässert wurde.

Die kräftigen braunen Arme wirtschaften am Herde so eifrig herum, daß der für gewöhnlich nicht sehr lebhafte Dichter ganz überrascht ist durch diese flinken braunen Arme…

Die Tarub ist fest gebaut wie aus Erz. Ihr schwarzer Zopf fliegt bei jeder Bewegung bald nach rechts —  bald nach links.

Jetzt wendet sie das breite Gesicht zu ihrem Dichter. Ihre großen schwarzen Augen glänzen unter buschigen Brauen. Sie zeigt ihm ihre weißen Zähne, schüttelt sich das schwarze strähnige Haar aus der niedrigen Stirn und fragt leise:

»Was ist Dir denn wieder in die Krone gefahren?«

Safur blickt seine Köchin nachdenklich an und sagt ernst:

»Ich habe Hunger, Tarub!«

»Pfui!« ruft sie da, »schämst Du Dich nicht? Ein solcher Feinschmecker wie Du hat Hunger?«

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Safur versetzt ernst:

»Ein wahrer Feinschmecker ist niemals satt.«

Tarub ärgert sich über diese Worte, sagt schnippisch: »Warum kamst Du denn nicht früher? Jetzt, wo ich so viel zu tun habe, bist Du hier. Zieh doch den Vorhang fort!«

Safur zieht den safrangelben Vorhang vom breiten offenen Fenster zurück und schaut in Saids grellbunten Garten hinein.

Die Sonne scheint dem Dichter von links oben ein bißchen auf den Kopf und auch auf die rechts gelegene weiße Küchenwand, an der eine lange Reihe starker Messer mit prächtigen Griffen glänzend aufblitzt.

Tarub geht dann mit ihrem Blechlöffel zu dem sinnenden Dichter, dreht ihn um und blickt ihn an, steht breitbeinig da und wackelt mit dem ganzen Körper lustig von rechts nach links und von links nach rechts —  wie ein Bär.

Und indem sie die Augenbrauen so hochzieht wie vorhin der Safur, fragt sie schmeichelnd:

»Nu? Na? Was möchtest Du jetzt wohl essen? Nu? Na? Sag! Ja?«

»Alles!« ruft da lachend der Dichter.

Drob freut sich die Tarub, wackelt wie ein Bär durch die ganze Küche und spricht darauf sehr ernst, indem sie die Hände faltet:

»Oh! Oh! mußt Du aber hungrig sein! Setz Dich gleich da drüben auf die Bastdecke —  schnell! Ich werde vor Dir auch ein weißes Tuch auf die Erde breiten. Setz Dich!«

Safur setzt sich denn auch mit untergeschlagenen Beinen und zufriedenen Gesichtszügen auf die Bastdecke. Und Tarub breitet das weiße Linnenzeug auf den roten Ziegeln mit rasch bewegten Händen vor ihm aus.

Danach bringt sie ihm das Essen.

Sie erklärt:

»Hier hast Du hartgesottene Steppeneier mit gelber Sonnentunke. Der Holzteller, auf dem die Eier ruhen, ist ganz neu und von einem ganz alten Beduinen am Rande geschnitzt. Und hier hast Du auf dunkelblauem Porzellan sauren Waldsalat…. Nachher gibt’s Bratfisch. Willst Du noch die Ölflasche?«

Safur bittet um die braune mit dem langen Halse.

Und auf einem Wandbrett unter alten Kruken und Gläsern, Bechern und Näpfen findet die Tarub nach längerem Suchen auch diese braune Ölflasche mit dem langen Halse….

Safur freut sich drüber.

Tarub auch —  sie hebt die Lederriemen, an denen das grüne Wollkleid hängt, höher. Sie spannt die Sehnen des gedrungenen braunen Halses kräftig an, stößt das Kinn und die Unterlippe vor und sieht zu, wie ihr Dichter ißt. Sie hofft, Safur werde ihr so recht was Nettes über die gelbe Sonnentunke sagen. Der hört aber gleich wieder mit dem Essen auf und redet jetzt die Finger der braunen Rechten groß ausspreizend mit weicher Stimme:

»Ich fühle mich so sehr wohl. Ein großes Wohlbehagen empfand ich soeben. Ich empfinde das jetzt noch. Kennst Du das auch? Es war mir in meinem ganzen Körper so unbeschreiblich wohlig. Es überkam mich so plötzlich eine ganz selige Stimmung. Ich dachte Nichts, ich fühlte nur. Mein ganzer Körper fühlte. Nur ein paar Augenblicke hielt es an. Aber es war nicht eine einfache Sinnesempfindung. Ich schmeckte Nichts und sah Nichts —  ich fühlte auch nicht nur in den Fingern —  Alles fühlte an mir und in mir. Ob eine so allgemeine körperliche Gesamtempfindung nur eine Magenstimmung ist? Ich habe noch garnicht Lust zum Essen. Ich fühle mich so sehr wohl. Jetzt merke ich etwas über dem Magen —  unter der Brust…«

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Besorgt fragt die Tarub:

»Hast Du Leibschmerzen?«

Safur schüttelt den Kopf und zerteilt wieder mit dem zierlichen kleinen Spatenmesser die Steppeneier, tut Sonnentunke mit einem Porzellanstäbchen hinauf —  und ißt wieder —  langsam —  bedächtig —  schmeckend.

Der Dichter will dann Kamelsmilch.

Und in einer feinen Tonschale, die mit krausen Blumen bemalt ist, reicht Bagdads berühmte Köchin die Milch ihm hin. Und er trinkt in langen Zügen —  schlürfend —  mit der Zunge schnalzend —  lächelnd.

Die Tarub pökert währenddem mit der Feuerzange in den glühenden Holzkohlen herum, rückt den Dreifuß zurecht, setzt eine Bratpfanne hinauf und schmilzt Fett darin. Sie legt sodann einen großen Windfisch ins Fett und bratet den Fisch.

»Mir ist behaglich zu Mute«, sagt der Dichter.

Er kaut den frischen sauren Waldsalat, und dabei schweift sein Blick über die langen Reihen buntfarbiger irdener Kruken und Krüge, die auf den Wandbrettern stehen und sich prächtig von der weißen Kalkwand abheben. Viele Schüsseln stehen auch ringsum an den Wänden.

Neben der Wassertonne liegt gehacktes Holz und brauner Torf.

Auf einem geheizten schwarzen Holzgestell thronen feierlich Porzellanschalen und Tassen —  mit Blumen und seltsamen Figuren bemalt. Das Porzellan ward aus dem fernen China auf Dschunken nach Bagdad gebracht. An diesem Porzellan bleiben Safurs Blicke hängen, und er meint lachend:

»Du, Tarub! Jetzt habe ich bald aus allen jenen Schalen und Tassen, die dort auf dem schwarzen Gestell stehen, gegessen und getrunken, nicht?«

»Ei ja!« erwidert das braune Mädchen, »aber sage mal: schmeckt es Dir denn auch? Du sagst heute Nichts!«

»Wie sollte mir«, ruft der oftmals überschwängliche Dichter, »das, was Du kochst, jemals nicht schmecken? Ist doch unmöglich. Ich habe ja schon Alles aufgegessen. Tarub, Niemand kocht wie Du —  glaub’s mir! Gib mir Brot und den Salzbottel.«

Tarub nickt vergnügt, als wär‘ ihr was geschenkt.

Der Windfisch ist gebraten —  ganz knusprig. Die große Köchin kostet ihn und sagt: »Hm!«

Danach stellt sie Brot, Salz und Fisch vor ihren lieben Dichter und sagt: »Nun?«

Er streichelt ihre Hand und will noch eine Zitrone —  bekommt sie auch gleich.

Der braun gebratene knusprige Windfisch liegt auf einem silberblanken Zinnteller.

Tarub kauert sich Safur gegenüber an die Erde, betrachtet ihn —  —  —  freut sich, daß es ihm schmeckt.

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»Weißt Du, Tarub!« hebt nun der Dichter lachend an, wie er sich die letzten Gräten des Windfisches aus den Zähnen zieht, »während ich so aß, hatte ich einen prächtigen Traum, denn der Windfisch schmeckte vortrefflich —  den lieb ich —  besonders gebraten. Ich träumte —  mir war so, als wäre ich ein Riese und säße vor dem großen Meer —  und mir kamen die einzelnen Fischteile wie wunderliche kleine Inseln vor. Verstehst Du nicht? Ich glaubte, kleine Inseln zu essen und das Meer brausen zu hören, in dem die Windfische herumspringen.«

»Was Du auch Alles glaubst!« ruft da erstaunt die Tarub.

Safur aber fährt fort:

»Man muß noch viel mehr beim Essen denken. Ich verstehe nur das Eine nicht: denke Dir nur —  der große Weltreisende Jakuby, doch sonst ein wirklich feingebildeter Mann, versteht vom Essen Nichts —  wahrhaftig —  Nichts; er hält die Genüsse der Zunge für ganz niedrige —  für tierisch.«

Entrüstet ruft die braune Köchin:

»Ist es möglich?«

Der Dichter spricht nun weiter:

»Ich versuchte den großen Gelehrten, der doch fast alle Länder der Erde kennt —  China, Arabien, Spanien, Afrika —  zu widerlegen. Ich sagte: warum soll ich mich für eine köstlich schmeckende Speise nicht ebenso herzlich begeistern wie für eine neue Stadt oder für ein neues Buch? Warum nicht? Ich empfinde doch beim Essen ebenso leicht was wie beim Lesen und Reisen. Doch er verstand mich nicht. Und der alte Querkopf Abu Hischam —  den Philosophen meine ich —  der stand dem Jakuby noch bei.«

»Weißt Du«, erklärt eifrig die Tarub, »vom Essen verstehen eigentlich die meisten Menschen Nichts. Dieser dicke Vielfraß, der Schreiber Osman! ich sage Nichts —  aber ich habe sehr oft das Gefühl, als wär’s ihm ganz gleichgültig, was er ißt —  wenn’s nur Viel ist.«

Safur schiebt die Schuld an dieser Vielesserei den Tofailys in die Schuhe —  diese Schlemmer müßten Alles unmäßig treiben, anders wäre ihnen nicht wohl…

Jetzt plaudern die Beiden, erzählen sich was.

Der Tarub fällt dabei was Neues ein.

»Bei Allah!« fängt sie erschrocken an, »ich vergaß ja —  hast Du denn noch Nichts von dem Morde heute Morgen gehört? Nein?«

Safur hält diesen Mord nicht für besonders merkwürdig, ist der Meinung, daß so was alle Tage in Bagdad vorkommt.

Das bringt aber die Tarub ganz aus der Fassung, sie redet ihrem Dichter ins Gewissen:

»Safur!« sagt sie eindringlich mahnend wie eine Mutter, »wie kannst Du so sprechen? Es ist doch schrecklich, einen Menschen zu morden. Über den Tod darfst Du nicht so ‚leichtfertig‘ denken. Sieh, diese wüsten Tofailys haben den Mord begangen —  einen alten Wollkrempler haben sie totgestochen. Du solltest doch nicht mehr mit den Tofailys verkehren —  sonst stechen sie Dich auch noch tot! Versprich’s mir!«

»Hier hast Du meine Hand!« ruft feierlich der Dichter aus, »ich will mich um Deinetwillen niemals totstechen lassen.«

Die Tarub springt ärgerlich auf, sie ist bös —  immer, wenn sie ernst wird, ist er spöttisch —  so recht nichtswürdig kann er sein.

Safur tröstet seine ärgerliche Köchin in ganz eigener Art, sagt:

»Höre, liebe Tarub! Mord ist Mord —  Mord bleibt auch Mord —  ob Du darüber traurig oder vergnügt bist, wird aus dem Morde nicht etwas Andres machen —  Tatsachen sind und bleiben unveränderlich. Du kannst Dich über Alles grämen, über Alles kannst Du Dich ärgern —  kannst Dich aber auch über Alles freuen —  über Alles lachen, Alles verspotten —  darfst auch Alles beweinen. Wie man sich nach einer Tat —  oder einer festen Tatsache gegenüber benimmt, das ist grausig gleichgiltig.«

Diese weisheitsvollen Worte versteht die Tarub natürlich nicht —  das ist ihr viel zu schwer.

Sie wird aber immer ruhig, wenn sie das Gefühl hat, daß er doch eigentlich schrecklich klug ist… das weiß natürlich der schlaue Dichter.

Er bekommt jetzt Durst, und sie —  vergißt den Mord —  reicht ihm in einer Muschel kniend ein paar duftende Oliven dar.

Er beißt in eine Olive hinein und umarmt dann seine Tarub, küßt ihr die Stirn und die Augen, die Wangen und den Hals, die kleinen kalten Ohren und die heißen Lippen.

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Wie er die Tarub losläßt, eilt sie an den Pumpenschwengel und pumpt einen hohen Silberbecher halb voll Wasser, gießt Wein aus einer kleinen Kanne hinzu und reicht es ihrem geliebten Dichter mit der Linken, lächelt ihn innig an. Der schwarze Zopf liegt ihr dabei auf der linken Brust.

Safur zieht die gute Tarub zu sich nieder —  und sie trinken Beide…

Jedoch —  leichtfertig hat sie ihn genannt. Das vergißt er nicht so schnell, er mutzt ihr das auf.

»Leichtfertig«, spricht er spitz, »leichtfertig hast Du mich genannt. Das bin ich ja noch garnicht. Ich möcht‘ es ganz gern werden. Aber:

O! glaube mir, es ist nicht leicht, Das ganze Leben leicht zu nehmen.«

Pause…

Sie trinken.

Die Tarub bewundert des Dichters weiche Stimme, die jetzt wieder recht nachdenklich durch die Küche hallt —  folgendermaßen:

»Ja das Leben! Ich glaube, ich nehme das Leben viel zu ernst. Zwar —  ich will nur genießen. Doch ich kann nie fein genug genießen. Ich möchte den Genuß so fein machen wie einen Geist —  wie ein Frauenhaar. Man muß so mit allen Fingerspitzen genießen —  die feinste Reizung der Haut muß empfunden werden. In jedem Augenblicke müßte man anders erregt und bewegt werden —  und zwar bewußt. Man muß die Bewegung jedes fallenden Blattes mitfühlen. Da ich so viel Neues in jedem Augenblicke genießen will —  so bin ich auch immer wieder ein Andrer. Jeden Tag will ich auch was Andres.

Was ich gestern war, Bin ich heute nicht. Jeder neue Morgen Zeigt ein neu Gesicht.«

Wieder Pause.

Die kleine Tarub denkt —  er hat ’ne Andre.

Er muß sie beruhigen.

Er streichelt sie, ist sehr zärtlich.

Er flüstert ihr Schmeichelnamen in’s Ohr, nennt sie »lieber Bär«… »protter Bär«… »Busselbär«…

Sie lachen und essen Oliven und trinken Wein aus Bassora dazu —  der schmeckt sehr schön.

»Bär«, fragt er, »wie lange ist es schon her, daß ich zu Dir in die Küche komme?«

Bär weiß nicht, denkt, es sei schon schrecklich lange. Doch das glaubt er nicht, er meint:

»Nicht doch! Mir ist, als wenn es erst ganz kurze Zeit wär‘. Oh! Der Genuß der Menschen ist so flüchtig. Man genießt eigentlich immer nur den einzelnen Augenblick. Ich glaube, ein ständiges unveränderliches Glück gibt es garnicht. Wirklich! Wir kennen nur Augenblicksgenüsse. Darum darf man sich nicht darauf beschränken, bloß große hocherhabene Gefühle zu suchen und zu pflegen —  die kann man doch nicht immer haben. Man muß auch an Allem, was klein ist, sich ergötzen. Sonst wird man sehr oft unbefriedigt und unglücklich sein. Da drüben die blanken Messingkessel und die bunten irdenen Tiegel —  die sind mir auch allmählich lieb und wert geworden. Ich suche an jeder Kleinigkeit etwas zu finden. Deshalb esse ich auch so bedächtig —  mit Verstand, wie Du zu sagen pflegst. Man muß sich an den Augenblicksgenüssen festklammern, als wären sie Alles, was wir jemals erreichen könnten. Die großen erhabenen Stimmungen sind eigentlich auch nur für den Augenblick da. Ja —  immer kann man sich nicht für große Dinge und für große Empfindungen —  für das stark und heftig Erregende —  begeistern —  oder man lügt sich was vor —  oder das Große ist nicht mehr groß.«

»Ich möchte noch viel öfter«, bemerkt zaghaft die kleine Tarub, »mit Dir zusammen sein. Du mußt mir noch Vieles erklären. Ich verstehe Dich zuweilen nicht so rasch. Willst Du noch Wein, Safur?«

»Gutes Kind!« entgegnet er freundlich, »ach ja! ein wenig!«

Safur sitzt da in seinem braun und blau gestreiften Beduinengewande —  wie ein hockendes Zebra.

Er stützt den Kopf in die Hand. Das feine schmale Gesicht mit dem ganz schmalen feinen Nasenrücken sieht nachdenklich auf die schimmernde große Muschel, in der noch wie eine große grüne Perle eine Olive ruht.

Aus Saids Garten weht ein starker Blumenduft in die Küche. Vom Feuer her riecht man jetzt das kochende Fleisch —  ganz schön ist das.

Im rußigen Schornstein hängen geräucherte Lammrippen.

Der rote Ziegelboden ist sauber gescheuert. Neben dem Herde steht noch der schmutzige Scheuereimer.

Und die Tarub in ihrem grünen Wollrock wirtschaftet in ihrer Küche so eifrig herum, daß Safur ganz erstaunt ist —  der versteht niemals, wie man das Wirtschaften so wichtig nehmen kann.

Wieder bringt sie Wein —  aber sie hat ihn diesmal gewürzt mit alten getrockneten Kräutern, die sie aus alten Büchsen und Dosen hervorkramte.

Der Wein duftet nun noch schöner als das Fleisch im Kochtopf —  fast schöner als Saids Blumen.

Safur und Tarub trinken.

Der Wein macht den Dichter ganz tiefsinnig.

»Der Mensch«, flüstert er —  so als wenn er allein wäre, »kann nicht in einem fort lachen, kann auch nicht fortwährend weinen, kann nicht immer traurig sein und auch nicht ewig sich selig fühlen. Dieses glaube ich. Daher muß man die einzelnen Augenblicke des Lebens gesondert genießen und vor allem nicht immer geneigt sein, jeden Augenblick zu verlängern. Jede Lust währt ihre Zeit —  wenn sie vorbei ist —  dann ist sie vorbei. Daran muß man sich gewöhnen. An jedem Tage —  in jeder Stunde sieht unser Wohlbehagen und unsre Erregung ganz anders aus. Oft ist uns auch die Unruhe und das Unbehagen nötig. Die schmerzlichen Empfindungen sind auch von manchen Genüssen gar nicht zu trennen. …«

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Das Alles ist nun Nichts für die Tarub —  die will ihn daher auf andre Gedanken bringen, er soll nicht soviel denken —  sie erzählt ihm:

»Du, Dichter! Hör bloß! Die Abla steht jetzt den ganzen Tag vor ihrem neuen Spiegel. Schrecklich! Nicht?«

»Das verleidet ihr«, entgegnet der Dichter, »den Genuß. An einer und derselben Sache kann man nicht stets das nämliche Wohlgefallen empfinden. Der Genuß läßt sich nicht wie ein Gummiband verlängern. Wir müssen immer wieder neue Reize suchen —  sonst stumpfen wir ab. Selbst gebratenen Windfisch kann man nicht alle Tage essen.«

Der Dichter, der sich jetzt sehr weise vorkommt, erhebt sich, bewundert die Sauberkeit der Küche, vergleicht Tarubs Küche mit einigen andren sehr schmutzigen Küchen und schaut dann nachdenklich in eine tiefe Holzwanne, in der sich ein paar dicke Aale wild herumtummeln; sie winden sich durcheinander und hauen sich mit den Schwanzspitzen….

Tarub rührt Teig —  aus dem dunkle Kronenklöße gemacht werden sollen —  hurtig zurecht. Alles geht sehr flink….

Und beim Teigrühren erzählt die Tarub, daß sie des Morgens jene schöne gelbe Schüssel, aus der Safur zum ersten Male in ihrer Küche gegessen —  und zwar junge Hühner in altmekkanischer Brühe —  fallen gelassen habe und daß die schöne gelbe Schüssel zerschlagen sei.

Diese Nachricht stimmt den Dichter sehr sehr traurig, er umarmt seinen Bären und wird ganz gerührt.

Und die Tarub beginnt nun, in alten Erinnerungen zu kramen; das Kramen mag sie für ihr Leben gern. »Safur«, hebt sie an, »weißt Du auch, daß Du mir damals noch die schöne Zuckerbüchse mit Deinem alten Säbelknauf verbeultest?«

»Ich weiß«, sagt der Dichter.

Er berührt gleichzeitig mit den Fingerspitzen ein paar dicke blutige Rindskeulen, die an kräftigen Eisenhaken vor der weißen Kalkwand hängen.

»Oh!« fährt aber der Bär fort, »weißt Du auch noch, wie Du da drüben an der Wand auf den weißen Mehlsäcken saßest, mit den Füßen strampeltest und mir Dein erstes Gedicht an Deine Tarub vorlasest? Weißt Du noch? Mir waren gerade die Speckstücke ins Feuer gefallen.«

»Ich weiß«, ruft lachend der Dichter.

Er schiebt einen leeren Weinschlauch mit dem rechten Fuße an die Wand, nimmt das Beil vom Nagel und hackt seiner braunen Köchin ein bißchen Holz klein.

Das Kochgeschirr aus blankem Messing, das neben dem Herde hängt, blitzt und funkelt. Die grün und blau gesprenkelten Honiggläser glitzern hinter dem Pumpenschwengel.

Die große Stahlschaufel lehnt am Türpfosten.

Die blau und rot gestickten Leinentücher baumeln —  etwas schmutzig sind sie —  über dem Kehrichteimer.

In den Eiseimern taut das Eis.

Es ist so schrecklich ruhig in der großen Küche des reichen Said.

Eier quirlen soll der Dichter schließlich.

Er tut es und denkt daran, wie er die kleine Öllampe mit dem langen Docht an der Schnauze zum ersten Mal in einer dunklen Nacht hier in der Küche brennen sah —  er half da der Tarub noch die vielen Löffel putzen.

Als er mit dem Quirlen fertig ist, will er die kleine Öllampe, die zwischen kleinen lila gefärbten Näpfchen steht, anstecken.

Aber da kommt er schön an.

»Bist Du verrückt?« schreit die Tarub, »jetzt am hellen Tage willst Du die Lamp‘ anstecken? Du fängst ja wieder gut an. Solche Dummheiten kann ich nicht leiden.«

»Sei doch nicht gleich so!« spricht milde der Dichter, dem die rauhen Worte wie Faustschläge vorkamen, »diese Heftigkeit ist mir schrecklich —  mir wird gleich ganz heiß, wenn Du in so roher grober Weise redest.«

Doch die Tarub geht an den hölzernen Pumpenschwengel und pumpt, daß das Wasser überschäumt und den blank gescheuerten Ziegelboden naß macht… sie lacht darüber aus vollem Halse; ihr Lachen schallt in den Garten hinaus.

»Da hättest Du bald das Wasser in die Milch gespritzt —  die großen Milchschalen könnten auch mal bedeckt werden.«

Also der Dichter.

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Doch seine dralle Köchin sagt rauh:

»Wasch Dir doch die Hände!«

»Nein —  sei nicht so rücksichtslos!« sagt er.

Doch gleich darauf wäscht er sich wirklich die Hände; sie waren ja tatsächlich sehr sauber nicht.

Wie die Hände sauber sind, ist Safur wieder ruhiger —  er lächelt sogar, lächelt über seinen protten Bären, der ihn immer wieder verletzt —  immer wieder.

Die Erinnerungen an alte Zeiten machen den Dichter wieder friedlich —  er freut sich über die vielen Kiepen mit Pfirsichen , Birnen, Gurken, Waldbeeren und Kirschen. Am Fenster in einer Ecke liegen auch ein paar Dutzend Tauben —  in einer Reihe —  ihre toten Köpfchen hängen trübselig auf der Seite.

Tarub geht hinaus, sie muß nach der eitlen Abla sehen, ob die auch mit ihrer Zuckerbäckerei fertig wird —  Saids Abendessen soll fürstlich werden.

»Sollst doch nicht so die Stirn krausen!« ruft sie noch, als sie schon beinahe draußen ist, ihrem Dichter freundlich zu.

Der Safur nickt und befühlt mit seinen reinen Händen die fein getriebene Arbeit des großen kupfernen Eiskübels, in dem künstlich Eis erzeugt wird.

Er denkt —  spricht dabei zuweilen ganz laut:

»Wie seltsam alle diese Küchengeräte auf mich einwirken. Ich erinnere mich heute fast an meine halbe Vergangenheit. Als Tarub Kopfschmerzen hatte und ich ihr Eisumschläge machte, da war sie so dankbar —  so weich und zärtlich. Dieses Aufbrausen berührt mich so entsetzlich roh. —  —  Aber die Erinnerung verschärft doch die Genüsse. Wenn ich aus einem alten, mir vertrauten Kochtopf esse —  so empfinde ich die früher genossenen Speisen noch einmal auf der Zunge —  nur so halb —  aber sie würzen doch das neue Gericht. Mit solcher Wiederholung eines Genusses kann man wohl eine sehr verfeinerte verschärfte Empfindung erzielen. … Wenn man nur alle Arten der Genußverschärfung genauer kennen würde! … Verschärfen läßt sich ein Genuß, aber nicht verlängern —  das ist wichtig. … Zum Beispiel: eine Liebesstimmung soll man auch nicht länger machen wollen —  als sie ist —  sie ist auch kein Gummiband. … Jedenfalls ist mir nun das Eine klar: man muß in jedem Augenblick einen neuen Genuß oder einen verschärften Genuß zu empfinden trachten —  man darf nicht kleben bleiben an der einzelnen Lustempfindung. Der verschärfte Genuß ist nur eine besondre Art von den neuen Genüssen… die Erinnerung spielt hier die Rolle eines feinen Gewürzes. —  —  Und dann darf man nie vergessen, daß man einen andauernden Glückszustand nicht in sich erzeugen kann. Man muß immer im Auge behalten, daß der einzelne Genuß nicht allzu lange genießbar ist —  man darf sich daher nicht bloß einer besondren Gattung von Genüssen zuwenden —  man muß alle —  alle —  alle Genüsse durchkosten wollen —  immer wieder andre —  immer wieder neue, feine, vergeistigte Gefühle —  aus dem trockenen Brot muß man ebenso viel Genußerreger rausziehen können —  wie aus der rasendsten tollsten glühendsten Liebesleidenschaft. Das höchste Lebensglück besteht in dem Leben, das da aufweisen kann: die größte Zahl von glücklichen Augenblicken —  die man nicht verlängern soll —  die man auch nicht verlängern kann —  die man nur zuweilen durch Erinnerungen und lustige Verse verschärfen darf. Verlieben darf man sich nicht in die einzelnen Genüsse —  kleben bleiben darf man nicht an den einzelnen Augenblicken. Man muß ohne Schmerz weiterspringen —  wenn die eine Wiese ein bißchen abgegrast ist. Nur nicht traurig werden! Mit geballten Fäusten oder anders will ich unermüdlich danach streben, die größte Zahl fein verzückter Augenblicke zu durchkosten. Ich will der glücklichste Mensch sein. Nichts soll mir zu klein und Nichts zu groß sein. Genießen will ich —  genießen!«

Ein durchdringender Blütenwind strömt aus dem Garten kühl in die Küche.

Safur fröstelt. Er dreht sich um.

Die Küchentür steht splarweit offen.

Und die Tarub, Bagdads berühmte Köchin, kniet dort auf der Schwelle —  faltet die Hände —  tut so, als ob sie ihren Dichter anbetet….

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Das fünfte Kapitel.

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Piepsend schießen Schwalben vorüber —  vorüber an dem reichen Said ibn Selm, der unter seinem kostbaren Zeltdache steht und eine lange Küchenrechnung liest.

Und er murmelt in seinen rechteckigen Bart:

»Die Gewürze werden zu teuer —  viel zu teuer; die Tarub verbraucht zu viel —  viel zu viel. Alles viel zu teuer —  viel zuviel!«

Saids ältester Sklave, der Hausmeister, wagt es, mit dem Kopfe zu schütteln.

Said fragt erstaunt:

»Oh, mein Hausmeister, warum schüttelst Du mit dem Kopf?«

»Oh, Herr!« antwortet der alte Sklave treuherzig, »die Tarub ist die sparsamste Köchin, die ich jemals sah.«

»Das glaubst Du selbst nicht!« ruft zornig der Herr des Hauses —  er wendet sich und geht ab.

Der Hausmeister steht einen Augenblick allein und denkt nach.

Dann klatscht er in die Hände, und es erscheinen hübsche junge Knaben mit Räuchergefäßen und kupfernen Waschbecken, mit prachtvollen Teppichen und großen gurkenförmigen Papierampeln, die ganz dunkelrot sind.

Unter dem kostbaren Zeltdache, das schräg von der Hauswand in den Garten hinuntergeht —  wie ein schlaffes Segeltuch —  auf Saids berühmter Estrade —  soll gleich das üppige Abendessen eingenommen werden, zu dem Battany und seine Freunde feierlich geladen wurden.

Die viereckige sehr geräumige Estrade ist vorn offen und führt da in den Garten —  rechts, links und hinten wird sie durch Teppiche abgeschlossen, die man zurückziehen oder leicht an die Seite schlagen kann, wenn Jemand durch will…

Die Knaben hängen flink vorn am Zelttuch die Ampeln auf, stellen die Räucher—  und Waschgeräte in die Ecken, breiten die Teppiche, die sie mitbrachten, auf den Boden und verschwinden dann wieder —  fast geräuschlos.

Der Hausmeister ist abermals allein.

Der Springbrunnen im Garten plätschert sehr laut und sehr lustig.

Es wird allmählich dunkler.

Und wie’s nun so dämmerig ist, schiebt sich vorsichtig rechts durch die Teppiche ein reizendes weißes Gesicht durch —  mit feuerroten Haaren, in denen weiße Rosen stecken —  das ist die eitle Abla.

Und links erscheint ein gelbes Gesicht mit großen braunen Augen und schwarzen Haaren, in denen blaue Veilchen stecken —  das ist die Sailóndula —  ein Mädchen aus dem fernen Indien.

»st!« macht das Mädchen rechts.

»st!« macht das Mädchen links.

Und dann kommen sie Beide vor und umarmen den Hausmeister.

Der schaut erstaunt erst die Abla an —  die so reizend aussieht in ihren Beinkleidern aus hellblauer Seide —  ihr Oberkörper ist nur mit einem zarten, ganz dünnen, weißen Spitzenhemd umhüllt. Dann schaut er ebenso erstaunt die Sailóndula an, die einen weingrünen Seidenrock trägt, der nur bis zum Knie reicht. Die schlanken Beine des gelben Mädchens sind vom Knie ab unverhüllt.

»Kinder!« bemerkt dann bedächtig der Hausmeister, »wo habt Ihr denn die schönen Kleider her?«

»Die hat uns Said«, erwidert die weiße Abla, »beim Schneider Dschemil gekauft. Weißt Du auch warum?«

»Ach, wie soll ich das wissen?« versetzt der Alte.

Und nun erklären die beiden Mädchen flüsternd und hastig, daß sie zu den Gästen fürchterlich liebenswürdig sein sollen, damit die Gäste nicht zu viel essen…

Und kichernd erzählen auch die Beiden, daß sie einen Plan ausgeheckt haben: sie wollen dem Said, dem alten Geizhals, beim letzten Gericht einen Schlaftrunk geben… d. h. der gute Hausmeister soll dem Said den Schlaftrunk geben. Die Mädchen küssen den Alten —  und er weiß sich nicht zu helfen —  er verspricht Alles zu tun, was man von ihm verlangt…

Jetzt ist es aber ganz dunkel geworden.

Die Knaben stecken die Öllämpchen in den gurkenförmigen roten Ampeln an…

Wie die brennen —  erscheint die Tarub.

Sie hat dunkelrote Rosen im schwarzen Haar, der Zopf liegt ihr auf der Brust. Ein gelbseidener Rock umhüllt ihren braunen breiten Körper bis zum Knie, und schwarzseidene Beinkleider umhüllen bauschig ihre dicken Beine.

Die sechs Arme der Mädchen sind ganz unbekleidet, doch die sechs Füße stecken in kleinen roten Lederpantoffeln.

Was jedoch tut die Tarub?

Oh —  die schimpft gleich wieder.

Die muß immer schimpfen, sonst kann sie nicht leben.

Sie schimpft, daß das Räucherwerk noch nicht brennt.

Na —  die Knaben beeilen sich, Myrrhen, Weihrauch, Sandarakholz und andre wohlriechende Stoffe vorsichtig anzuzünden.

Die Rauchwolken wirbeln empor.

Und die Gäste erscheinen.

Es kommen immer zwei zugleich, Arm in Arm —  aber schweigend.

Abu Maschar kommt mit Abu Hischam.

Battany kommt mit Jakuby.

Osman naht am Arm des Kodama.

Die Mädchen kichern, wie diese beiden Dickbäuche feierlich eintreten.

Zuletzt erscheint Safur mit Suleiman.

Der Letztere hält eine Rolle in der Hand.

Die acht Freunde begrüßen die lachenden Mädchen —  die Tarub mit ganz besondrer Hochachtung — , die benimmt sich daher auch ganz königlich —  die ist so glücklich und so stolz.

Die acht Freunde warten alsdann.

Said pflegt immer —  seine Freunde warten zu lassen. Das ist so Sitte in seinem Hause.

Nach einer guten Weile aber kommt der Hausherr endlich zum Vorschein —  er trägt einen schwarzen Seidenkaftan und einen schwarzen Seidenturban.

Zwei schwarze Knaben fächeln dem Hausherrn mit indischen axtförmigen Fächern Kühlung zu.

Die Gäste verbeugen sich.

Said lächelt.

Dann treten Alle zur Seite, und Suleiman geht dem größten Geizhals von ganz Bagdad —  diesem unglaublichen Said ibn Selm —  mit einer Ehrfurcht entgegen, mit der man in Bagdad gewöhnlich nur dem verrückten Kalifen zu nahen pflegt.

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Suleiman hebt dabei seine Rolle hoch empor und spricht:

»Said ibn Selm, wir grüßen Feierlich Dein festlich Nahn. Said ibn Selm, wir lächeln Selig, daß du endlich kamst.

Deine Augen, Said, grüßen Alle, die Dich heute sahn, Wie zwei stille Märchenblüten In der Hand des Bräutigams.

Immer kann man nicht verliebt sein, Ewig währt kein einzger Wahn, Aber heut muß ich Dich preisen — So wie Du’s noch nie vernahmst.

Said, milder Freund, wir ahnen, Was wir heut von Dir empfahn. Du verbreitest märchentrunken Ach —  die Lust des Bräutigams

Wenn im Abenddunkel träumend Deinen Garten wir durchschaut, Konnte Nichts uns mehr beglücken Als ein stiller Mondenschein.

Said, kannst Du darum zürnen, Wenn ich überseltsam kühn Dich mit Mondenschein vergleiche? Ach —  ich bin in Dich verliebt!

Said, sieh! in Deiner Nähe Müssen wir vor Freude glänzen, Denn wir fühlen vor Dir —  horch‘ nur! Einen neuen Mondesglanz.

Alle Blumen schließen schamhaft Ihrer Kelche zarte Ohren, Denn die Winde flüstern lüstern Ach —  von wilden Liebespaaren.

Tolles Jauchzen tönt nun selig Durch des Gartens Blumenpracht — Das sind lustverzückte Verse — Die durchsprühn die Mondesnacht —

Und wir stehen träumend stumm, Hörn ein himmlisches Gedicht.

—  —  —  —  —  —  —  —  —

Ging der Mond schon auf? —  Oh nein! Said —  wir —  gedachten —  Dein!«

Leise klagend flötet eine Nachtigall in Saids Blumengarten.

Said empfängt gerührt die Rolle, in die das Lobgedicht fein säuberlich hineingeschrieben.

Darauf setzt man sich im Halbkreis auf die Teppiche —  der Hausherr in der Mitte mit dem Gesicht zum dunklen Sternenhimmel, vor dem die roten Ampeln schaukeln.

Links von Said sitzen vier Gäste.

Rechts von Said ebenfalls.

Feine weiße Tücher mit Fransen breiten flink die Knaben vor den Gästen aus.

Die Tarub erteilt leise die Befehle.

Alles gehorcht der Tarub.

Zuerst gibt’s Tigriskrebse in buttergelben Porzellanschüsseln.

Wie die roten Schalen knacken und knistern, ertönt im Garten in der Ferne wunderbare Flötenmusik denn ein Gastmahl bei Said ist ohne Flötenspieler nicht denkbar.

Und die Nachtigallen schlagen zuweilen ganz verständig dazwischen.

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Der zweite Gang ist saurer Aal in Panthertunke —  Al Battanys Leibgericht.

Der Springbrunnen plätschert.

Die Flöten verstummen.

Und die drei Mädchen überreichen jedem Gast einen Becher mit Wein.

Feierlich heben alle die Becher empor, und dann wird getrunken.

Alten Wein aus Bassora trinkt man.

Verständnisinnig trinkt man den alten Wein.

Und dann gibt’s indische Schnecken.

Die Gesichter der Gäste glänzen.

Das Gespräch beginnt.

Battany setzt dem Abu Maschar in wohlgesetzter Rede auseinander, daß eine Fortentwicklung der Welt und der Menschen durchaus nicht zu leugnen sei —  das sähe man schon an der großen Stadt Bagdad, die einst ein armseliger Marktflecken gewesen —  das sähe man an den indischen Schnecken, die in dieser Zubereitung sicherlich in früheren Zeiten nicht gegessen worden wären…

Said lächelt stolz, daß son gelehrtes Zeug bei ihm geredet wird —  er versteht natürlich kein einziges Wort von dem ganzen Gespräch, an dem sich außer Abu Maschar und Al Battany auch Abu Hischam und Jakuby lebhaft beteiligen. Man erhitzt sich beinah.. deswegen läßt der Hausherr kälteren Wein bringen.

Und die Flötenspieler flöten immerfort.

Man ißt Antilopenschinken mit gefrorenem Wurzelsalat —  und zwar nicht wenig.

Die Liebenswürdigkeit der drei Mädchen dringt nicht durch.

Als aber Kamelsgehirn gebacken aufgetragen wird auf flachen silbernen Tellern —  da kann sich Safur nicht mehr halten.

»Freunde«, ruft er laut, »Ihr eßt nich‘ mit der nötigen Andacht. Oh dieses Kamelsgehirn —  entzückend —  wir müssen auf Tarubs Wohl trinken —  auf Tarubs…«

Alle trinken auf ihr Wohl.

Und dann essen Alle Kamelsgehirn und danach —  Schildkröten gesotten.

Safur vergeht fast vor Seligkeit.

Er ißt mit so großem Entzücken, daß Alle lachen müssen.

Seine Augen leuchten wie dicke große Glühwürmer.

Und der Said sagt schmunzelnd zum Safur:

»Junger Freund! Gib Verse zum Besten!«

Der junge Freund läßt sich diesmal nicht lange bitten, spricht mit dem Messer drohend:

»Glaubt mir! Den Hund ich töte, Der mir die schöne Kröte Zu rauben wagen sollte.

Der Ampeln dunkle Röte Durchglühet meine Kröte Als wenn sie brennen wollte.

Weh‘ dem, der mir verböte, Die wunderbare Kröte Zu speisen und zu preisen!

O Kröte! Schöne Kröte!«

Und des Dichters Messer funkelt hell. Saids Gäste lachen und trinken.

Das Gespräch über die Entwicklungsfähigkeit von Welt und Menschen kommt ganz ins Stocken. Battany kann nur noch dem Abu Hischam versichern, daß der Plan, einen geheimen Gelehrtenbund zu gründen, durchaus nicht übel sei und später wohl zur Ausführung kommen könne.

Abu Hischam reibt sich drob vergnügt die Hände.

Jetzt wird aber armenische Rübenpastete aufgetragen —  und die macht den Philosophen noch vergnügter, denn die Rübenpastete ist sein Leibgericht.

»Donnerwetter!« brüllt er stürmisch, »Said, Du bist ja fürchterlich aufmerksam gewesen.«

Den andern Gästen schmeckt allerdings die armenische Rübenpastete ganz und gar nicht.

Sie verziehen die Gesichter.

Said lächelt.

Erst wie die gebratenen Tauben vom Demawand erscheinen, wird die Stimmung wieder gemütlicher.

Wie die Knöchlein der Tauben knacken und knistern, wird dem Safur, der schon sehr viel Wein getrunken, so gereizt zu Mute.

Die Flötenspieler flöten wieder.

Und die drei Mädchen sind so aufdringlich.

Allerdings —  das rührt die Gäste sehr wenig.

Dem Battany ist die Liebenswürdigkeit der Mädchen sehr unangenehm —  er ist daran gewöhnt, daß die Frauen bescheiden in der Ecke stehen und kaum zu atmen wagen.

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Kodama und Osman essen, als wenn sie vierzehn Tage gehungert hätten.

Said ärgert sich —  ärgert sich, daß er den Mädchen ganz zwecklos die neuen Kleider kaufte.

Safur aber sieht auch mit Unwillen auf die beiden Dicken —  sie essen ihm wieder zu schnell.

»Langsam«, fängt er an, »essen diejenigen Menschen, die das Essen verstehen.«

Said wirft dem Dichter einen dankbaren Blick zu, und der Dichter fährt fort:

»Unbegreiflich erscheint mir doch Manches. Wir haben eigentlich sämtlich hier in Bagdad die beste Gelegenheit, unsere Gaumen auszubilden —  wer aber bildet seinen Gaumen wirklich aus? Ich glaube —  ich tu‘ das nur allein. Wer nicht zu essen versteht, versteht auch nicht zu genießen. Wir müssen doch, wenn wir das Leben genießen wollen, alle unsre Sinne ausbilden —  den Geschmackssinn dürfen wir nicht vernachlässigen. Wer sich immer den Magen überladet —  wie Osman und Kodama —  der ist doch eigentlich nur ein ganz gewöhnlicher Tofaily.«

Osman und Kodama grinsen.

Die Andern schweigen und essen bedächtiger.

Said macht ein sehr schlaues Gesicht.

Abu Hischam räuspert sich, er will reden.

Die chinesischen Fasanen, die ihm die Sailóndula anbietet, weist er barsch zurück und beginnt nun —  bedächtiger als sonst:

»Lieber Safur! Du wirst uns bei allen Gelegenheiten umständlich auseinander setzen wollen, daß Du Deine Sinne ständig verfeinerst —  so als wenn darin die einzige Aufgabe Deines Lebens besteht. Du denkst eben, etwas Feineres als verfeinerte Sinne gäb’s garnicht. Es gibt aber doch noch feinere Genüsse, die mit der Verfeinerung der Sinne ganz und gar Nichts zu tun haben. Wenn ich an der Weiterentwicklung der Welt arbeite oder über die wichtigsten philosophischen Fragen nachdenke, so empfinde ich doch mehr als bei Deiner Fresserei.«

Alles lacht.

Kodama sagt mit wohltönender Stimme, während er drohend ein chinesisches Fasanenbein schwingt:

»Oh, Abu Hischam, um die Verfeinerung der Sprache wirst Du Dir auch keine Verdienste erwerben. Redet aber nur ruhig weiter, es ißt sich dabei ganz gut.«

Doch nun reden Alle durcheinander.

Die Süßigkeiten werden herumgereicht.

Abla verteilt ihr Zuckergebäck und eine große Zobaïda— Torte.

Sailóndula bietet ihren mit Mandeln und Bananen gefällten Kataïf, der in Nußöl schwimmt, so zärtlich bittend an, daß ihr Niemand einen Korb gibt.

Zwar —  Abu Hischam will nur noch altmekkanischen Kirschenpudding essen, den die Knaben auch schon herbeigeschleppt haben.

Abla gibt ihm den Pudding, läuft dann aber in den Garten —  und singt —  sie singt ihr berühmtes Gazellenlied, das sie schon öfters gesungen und das die Gäste schon kennen.

Safur wendet sich während des Gesanges flüsternd an den Philosophen und fragt spöttisch:

»Ei, Abu Hischam, über welche philosophischen Fragen denkst Du denn so eifrig nach?«

»Aber Safur«, erwidert leise der Philosoph, »Du mußt ja nicht das Eine vergessen: wir leben nur in einer Scheinwelt. Du glaubst immer nur, daß Du Dich an die greifbaren Genüsse halten müßtest —  und doch —  Du mußt nicht vergessen, daß ich in Indien war und auch einmal ein Buch ‚Der Zweifler‘ schrieb. Es gibt wirklich noch eine andere Welt als die, die wir mit unseren Sinnen begreifen können.«

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Doch was ist das?

Said fallen die Augen zu, der Kopf fällt ihm auf die Brust und nun —  nein —  hätte ihn nicht der Hausmeister aufgefangen, der Herr des Hauses wäre mit der Nase in den Kirschenpudding gefallen..

Die Gäste springen erschrocken empor.

Aber die Tarub und die Sailóndula kichern —  und tanzen vor Vergnügen.

»Er hat ja ein Schlafpulver bekommen«, sagt die Sailóndula, »denn wir wollen mit Euch auf der Sternwarte Wein trinken. Beruhigt Euch!«

Battany und seine Freunde müssen nun so laut lachen, daß Said, den der Hausmeister vorsichtig auf die Seite legte, beinahe wieder aufgewacht wäre…

Ablas Gazellenlied verhallt —  sie eilt auf die Estrade und wird vom dicken Kodama stürmisch geküßt.

Die Gäste waschen sich alsdann in bester Laune die Hände —  und wandeln davon —  zur nahen Sternwarte —  die drei Mädchen —  und die Sklaven mit den Weinschläuchen folgen —  die Flötenspieler ebenfalls.

Auf der Estrade bleibt nur der schlafende Said —  der schnarcht.

Die roten Papierampeln schaukeln ein bißchen.

Der Springbrunnen plätschert.

Die Blumen duften stark.

Das Räucherwerk duftet noch stärker.

Wie verwüstete Dörfer liegen die Überreste der Torte und des Puddings auf den kostbaren Teppichen umher —  —  —

Die sauberen weißen Tücher mit den Fransen sind zerknillt und durcheinandergeworfen.

Die Estrade gleicht jetzt einem verlassenen Schlachtfelde.

Der Halbmond steht schief über der Gartenmauer.

Die Sterne sind wieder sehr hell.

Die roten Ampeln verlöschen allmählich.

Die Nachtigallen flöten wunderbar.

Und Said schnarcht…

 

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Das sechste Kapitel.

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Die Mongolen reiten langsam um die Sternwarte rum und spitzen die Ohren —  sie hören was.

Sie zügeln ihre schwarzen Rosse und horchen weit über den Kopf der Pferde gebeugt in das Dunkel hinein.

Dann erkennen sie die Stimmen, reiten rasch an den Turm, der oben den Empfangssaal trägt, und wecken die Schwarzen.

Nach ein paar Augenblicken sind die zwölf schwarzen Sklaven mit zwölf Fackeln draußen.

Die Sklaven eilen mit den Fackeln dem Herrn Battany, der mit seinen Freunden, den Mädchen, den Flötenspielern und Weinschläuchen langsam näher kommt, diensteifrig entgegen.

Die Fackeln erleuchten den Pfad.

Die Mongolen sitzen auf ihren Pferden ganz stramm.

Und bald sind Alle oben im Empfangssaal.

Nur die Mongolen sind unten geblieben.

Der Herr Battany ist guter Dinge und schickt gleich die Flötenspieler in den dritten Turm, in dem er gewöhnlich zu arbeiten pflegt.

Die Sklaven mit den Fackeln werden auf den Galerien, den beiden anderen Türmen und auf dem Altane verteilt.

Auf dem fünfeckigen Altan leuchten jetzt fünf Fackeln in fünf schwarzen Fäusten.

Die drei Mädchen schenken den Wein in die großen Becher.

Und Alle trinken die großen Becher in einem Zuge aus.

Und dann küssen die drei Mädchen den Battany und seine sieben Freunde so stürmisch, daß Allen ganz schwindlig wird.

Jetzt wird’s sehr laut.

Alles lacht und schreit.

Der Wein berauscht.

Und Abla will singen —  doch sie will nur singen auf Abu Maschars hohem Turm —  Abu Maschar soll mitkommen.

Der Prophet geht schließlich lächelnd mit der weißen Abla auf seinen Turm.

Und Abla singt oben den neuesten Gassenhauer —  die berühmten Sareppastrophen, die im Jahre 892 nach Christi Geburt in allen Schänken Bagdads gesungen wurden.

Die Strophen waren von einem unbekannten Sänger der berüchtigten Sareppa gewidmet.

Die Sareppa ist eine schlitzäugige Mongolin, die besser reiten kann als die Beduinen.

Die Abla singt:

»Warum bist Du bös auf mich, Wilder brauner Wüstensohn? Warum bist Du ärgerlich? Ist das meiner Liebe Lohn? Schenk mir Dein Roß Und schenke mir Rosen! Liebst mich heute ganz allein — Morgen muß es anders sein. Komm wieder rein! Ich schenk Dir Wein! Willst Du eifersüchtig sein? Ach, Du bist es nicht allein — Hör doch meine Freunde schrein — Jeder will mich heut schon frein — Schenk mir Dein Roß! Komm wieder rein! Willst Du meine Freunde schlagen, Steigst Du noch in meiner Gunst. Mußt Dein Leben für mich wagen, Sonst ist Lieben keine Kunst. Schenk mir Dein Roß — Und schenke mir Rosen! Liebst mich heute ganz allein — Morgen muß es anders sein.«

Alle lauschten —  die Strophen klangen weich und voll durch die Nacht.

Die Fackeln flammten unheimlich in den Sternenhimmel hinauf.

Unten flüsterten die Mongolen —  oh —  die kannten die Sareppa.

Die Abla hatte nicht so gesungen, wie man die Sareppastrophen in den Schänken zu singen pflegt —  Manches hatte so schwermütig geklungen.

Im Empfangssaal hätten die Männer beinah das Trinken vergessen…..

Doch die Menschen werden so anders, wenn sie beim Trinken sind.

 

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Jakuby wackelt immer mit dem Kopf und mit seinem lila Turban —  redet fortwährend zu Osman von Byzanz und von Damaskus, setzt dem dicken Schreiber auseinander, daß er in diesen beiden Städten jede einzelne Sängerin gehört habe. Osman will das garnicht glauben.

Battany ist zur Sailóndula sehr höflich, ist entzückt von ihren kleinen Füßen, ihren Veilchen und ihren Augen —  nur ihr weingrünes Gewand will ihm nicht gefallen.

Kodama streichelt der Tarub die braunen Wangen und raubt ihr eine dunkelrote Rose.

Suleiman sitzt auf dem großen Teppich, trinkt und lacht, wundert sich, daß die Andern nicht auch sitzen und lachen. Die Andern lächeln nur.

Abu Hischam und Safur stehen auf dem fünfeckigen Altan und reden mit einem fürchterlichen Eifer über die Welt und über den Genuß. Die Schwarzen mit den Fackeln staunen.

Kodama singt:

»Schenk mir Dein Roß — Und schenke mir Rosen!«

Und der Dicke trinkt mit der Tarub —  er ist schon recht heiter.

Sailóndula schaut zuweilen scheu zu dem indischen Götzenbild hinüber.

In Battanys Arbeitszimmer flöten die Flötenspieler —  sie haben auch Wein zu trinken bekommen.

Abu Hischam sagt:

»Lieber Safur, wir täuschen uns ja so oft. Wenn wir träumen, denken wir doch immer —  wir wachen. Müssen wir deswegen nicht auch in unseren wachen Augenblicken —  an unserm Wachsein zweifeln? Wenn wir aber erst zweifeln, daß dieser Altan ein Altan ist, so wird uns doch der Boden unter den Füßen fortgezogen —  dann schwankt Alles —  ja, Safur, dann schwankt Alles!«

Und der Philosoph schwankte wirklich, worüber Safur sehr lachen mußte.

Sie tranken wieder —  Saids Diener schenkten diensteifrig immer von Neuem die großen Becher voll —  der erste Weinschlauch lag schon schlaff hinter dem kupfernen Himmelsglobus.

Abu Hischam spricht weiter:

»Ja, Safur, Du hältst Dich für einen großen Schlaukopf. Du willst immer mit Deinen Sinnen genießen —  ei wenn Deine Sinne garnicht da sind —  was dann? Das Zweifeln mußt Du lernen, das Zweifeln hast Du noch nicht raus. Leben heißt zweifeln. Genießen heißt auch nur zweifeln. Immer schwanken muß man. Die großen Weisen schwanken und zweifeln immer. Trotzdem kann man ganz vernünftig sein —  man braucht deswegen nicht zum Gewohnheitssäufer zu werden. Man kann trotzdem das Große wollen —  die Welt kann noch alle Tage besser werden —  für die Entwicklung der Welt müssen wir sogar kämpfen. Das ist ja der Hauptgenuß —  wer an der Verbesserung der Welt arbeitet —  —  der pfeift auf das Fressen und Saufen —  der pfeift!«

Der große Philosoph schwankt und pfeift.

Die Flötenspieler flöten.

Safur legt ernst seine Hand auf Abu Hischams Schulter und redet nun also:

»Du irrst Dich, wenn Du glaubst, daß ich nur mit meinen fünf Sinnen genießen will. Ich will genießen in allen Formen —  in jeder Weise —  wie —  wo —  was —  das ist mir ganz gleich. Aber Alles will ich genießen —  und daher will ich auch mit meinen fünf Sinnen genießen. Immer will ich genießen —  daher will ich auch genießen, wenn ich esse. Allerdings —  Du sagtest, es gäbe noch eine übersinnliche Welt. Ich glaube ja an diese übersinnliche Welt. Die soll drum auch für mich da sein. Indessen —  nur übersinnlichen Genüssen nachgehen —  das scheint mir sehr unsinnig. Das kriegen wir ja garnicht fertig. Ich kann doch nicht immerfort an Wüstengeister denken. Allerdings —  Du hast Recht. Zu große Bedeutung darf ich den Genüssen der Zunge nicht beimessen.«

Safur denkt nach. Abu Hischam trinkt.

Abu Hischam sieht so furchtbar altbacken aus —  nüchtern ist er auch nicht mehr.

Und Abla’s Stimme ist nun auf der Galerie nebenbei zu hören, sie singt leise zu Abu Maschar:

»Komm wieder rein! Ich schenk Dir Wein!«

Das singt sie öfters.

Der Prophet ist gutmütig freundlich zu ihr wie ein milder Vater.

 

Die Beiden betreten jetzt den Altan.

Safur begrüßt sie sehr freundlich, Abu Hischam sehr spöttisch.

Abu Maschar ist milde wie gewöhnlich.

Die Drei trinken zusammen und reden.

Sie reden aber Dinge, die so schwer verständlich sind, daß sich die weiße Abla traurig abwendet.

Den Schwarzen macht das Fackelhalten wenig Spaß —  die Sache ist auch nicht grade leicht.

Abla sieht in den Empfangssaal.

Da brennen oben die maurischen Lampen.

Rechts neben dem kupfernen Waschbecken liegen die vollen —  links die leeren Weinschläuche. Im Hintergrunde stehen Saids Diener. In der Mitte des Hintergrundes unter der indischen Götzenfigur liegt der alte Dichter Suleiman und schläft —  er ist abgefallen.

Battany wandelt in seiner blauen Sammettoga mit der Sailóndula auf dem großen Teppich umher —  so vertraut und gemütlich.

Ungefähr in der Mitte des Teppichs sitzt Kodama neben einem Weinschlauch —  im Arme des dicken Geographen befindet sich die Tarub, die sich von dem Dicken lachend küssen läßt und ihm fleißig Wein einschenkt.

Die Flötenspieler spielen nicht —  man hört nur reden, lachen und flüstern.

Die beiden Säulen, die zwischen Altan und Empfangssaal die drei Spitzbogen tragen, sind nur dünn und können das Durchsehen nicht hindern….

Die Abla sieht Alles.

Und sie ärgert sich über Kodama und auch über die Tarub, singt spöttisch sehr laut und hell:

»Liebst mich morgen ganz allein — Heute muß es anders sein.«

Und das singt sie immer wieder, bis das der leichtsinnige Kodama versteht.

Gleichzeitig sieht aber auch der Safur seine Tarub in Kodamas Arm.

Donnerwetter —  da wird er wütend.

Der Dicke läßt sich aber nicht leicht aus der Fassung bringen, ruft dem Dichter mit wohltönender Stimme zu:

»Du schlauer Safur —  wir sind ja gute Freunde. Unter Freunden nimmt man sich so was doch nicht übel. Ich wollte nur die kleine Abla ein bißchen eifersüchtig machen! Sei wieder gut!«

Safur aber knirscht mit den Zähnen, daß es Alle hören.

Alle sind jedoch ziemlich berauscht, sodaß man diesen knirschenden Wutlauten nicht zu große Bedeutung beimißt.

Nur Battany merkt, daß die Lustigkeit der Zecherei gestört werden könnte und schreit daher mit donnernder befehlender Stimme:

»Sailóndula wird hier auf unsrem Teppich tanzen. Kodama, steh auf! Safur, sei vernünftig! Trink, Bruder! Sailóndula, tanz! Alle Sklaven sollen mit den Fackeln in den Saal kommen!«

Die Rede wirkt.

Man holt die Flötenspieler. Die zwölf Schwarzen kommen mit den Fackeln in den Saal.

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Kodama und Tarub stehen auf.

Suleiman wird an die Seite gelegt.

Auch Jakuby erscheint jetzt wieder, er fällt immer hin und fuchtelt mit dem Zeigefinger durch die Luft, was sich sehr albern ausnimmt.

Der dicke Osman kommt auch mit den Flötenspielern zusammen herein, er ist schrecklich lustig und kneift den Schwarzen in die Backen.

Die Schwarzen grinsen.

Sie sehen drollig aus.

Dann aber bittet der große Al Battany seine Freunde auf den jetzt dunkeln Altan hinaus —  die Tarub und die Abla werden von ihm ganz besonders höflich gebeten.

Tarub schimpft auf den Safur.

Abla singt dazu:

»Eifersüchtig willst Du sein? Ach Du bist es nicht allein!«

Safur lacht und küßt die Abla.

Man trinkt wieder —  noch hastiger als bisher.

Wenn Sailóndula tanzt —  dann hat das was zu bedeuten.

Schade nur, daß der Suleiman schläft; der sieht so gern tanzen.

Abu Hischam, der kaum stehen kann, will jetzt wieder lallend vom Bunde der lauteren Brüder reden, man hält ihm aber den Mund zu und bittet ihn, sich hinzusetzen.

Ach —  die Menschen werden so anders, wenn sie getrunken haben.

Im Empfangssaal thront die indische Götzenfigur —  rechts und links neben ihr stehen die Flötenspieler mit den Flöten.

Die Sailóndula im weingrünen Kleide geht in die Mitte des Teppichs und blickt noch einmal scheu zum indischen Götzen hinauf.

Vier Schwarze stellen sich an die hintere Seite des Teppichs —  vier rechts und vier links.

Die Fackeln flammen hoch auf.

An der Decke wirbeln die Rauchwolken.

Der indische Götze leuchtet und glänzt.

Auch der kupferne Himmelsglobus wirft das Fackellicht zurück, das kupferne Waschbecken gleichfalls.

Battany sitzt mit Tarub und Abla hinter dem Mittelbogen, die Andern sitzen und stehen hinter und neben dem Astronomen.

Und Sailóndula tanzt.

Die Flötenbläser spielen ein altes indisches Lied —  das klingt so weich und getragen.

Langsam bewegt die Sailóndula die Arme durch die Luft und biegt dabei den Körper nach allen Seiten.

Ihre gelben Finger recken sich, und die Arme drehen sich, und die Füße heben sich dabei —  nur wenig —  nur so zaghaft.

Die Muskeln der Beine spannen sich, und dann dreht sich der ganze Körper der Tänzerin.

Die gelben Glieder drehen sich und beugen sich und krümmen sich —  sie bewegen sich —  wie sich die Weisen der Flöten bewegen —  wie sich Bäume bewegen im Abendwinde —  wie sich Schlingpflanzen ranken —  wie sich kleine Quellen durch die Wiesen winden.

 

Und die Fackeln qualmen, daß man das indische Götzenbild kaum mehr sieht.

Man sieht nicht mehr die Decke mit ihren blauen und grünen Mustern auf dem prächtigen Goldgrunde.

Aber man sieht noch die silbernen und roten Querstreifen auf den Wänden, die blitzen oft auf im Fackelschein.

Die Schwarzen stehen tiefernst; mit beiden Fäusten halten sie die Fackeln; ihre orangefarbigen Lendentücher leuchten.

Die zwölf roten Flammen knistern.

Die Flöten ziehen in weichen Tönen durchs Gemach.

Die indische Sailóndula tanzt.

Doch jetzt wollen Alle, daß Sailóndula nackt tanze.

Sie besinnt sich.

Und Battany legt sich aufs Bitten.

Abla bittet den Kodama um die roten Rosen, die er der Tarub geraubt, singt leise:

»Schenk‘ mir Dein Roß Und schenke mir Rosen!«

Doch dann tanzt Sailóndula nackt, ihr weingrünes Gewand fliegt hastig an die Seite.

Die Flötenspieler spielen ein wildes Jagdlied.

Hei —  wie sich die gelben wunderschönen Glieder jetzt bewegen.

Nicht mehr ruhig ist der Tanz.

Ein wildes tolles verzerrtes Springen und Stampfen geht los.

Der Körper des Mädchens zittert.

Sailóndulas Muskeln schwellen an, daß sie fast so stark erscheinen, wie die Muskeln der schwarzen Fackelträger.

Aber jetzt —  plötzlich —  da weiten sich die Augen der nackten Tänzerin.

Sie sieht was —  ein alter indischer Tempel steigt vor ihr auf —  mit herrlichen Pforten und reizend durchbrochenen Türmen, die wie Filigrangebilde sich aufrecken —  wie Elfenbeinschnitzereien…

Und neben dem Tempel fließt der heilige Ganges im Fackelschein.

Und ein Jüngling kommt aus dem Tempel raus und starrt die Sailóndula an.

Mit einem gellenden Schrei bricht das Mädchen zusammen.

»Mein Kleid! Mein Kleid!« ruft es angstvoll.

Battany und seine Freunde eilen auf die gelbe Tänzerin zu; sie wissen nicht, was ihr fehlt.

Sie aber reißt sich mit den Nägeln den Busen blutig, daß das Blut ihren gelben Leib hinunterrieselt.

Und dann brechen ihr die Tränen hervor.

»Meine Heimat!« schluchzt sie.

Und dann weint die Sailóndula wie ein Kind —  wie ein ganz kleines Kind.

Battany gibt ihr Wein.

Doch sie schlägt ihm den Becher aus der Hand.

Sie weint furchtbar und windet sich dann in Krämpfen.

 

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Das siebente Kapitel.

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»Endlich!« schreit Kodama in den frischen Morgenwind hinein, »endlich sind wir die dummen Frauenzimmer wieder los. Die Tarub schnauzt, die Sailóndula heult und die Abla will immerfort Rosen haben. Freunde, wir sind frei —  darum wollen wir jetzt auf dem Karawanenplatz Tee trinken. Kommt!«

Und der dicke Geograph geht breitbeinig voran —  die beiden Dichter Suleiman und Safur folgen —  der Philosoph Abu Hischam desgleichen.

Diese vier Leute hatten die drei Frauen nach Hause gebracht —  mit Mühe —  wie sich ja denken läßt —  denn nüchtern war Niemand.

Äußerlich machten jetzt die Vier einen sehr friedlichen Eindruck.

Das war aber Alles nur Schein.

Der Wein hatte die Gemüter ganz gehörig aufgeregt.

Gereizt wandte sich Safur an den dicken Kodama und verlangte Aufklärung in Betreff der Tarub —  den Dichter plagte heiße Eifersucht. Ein Wort gab das andre —  der sonst so gemütliche Geograph mit den herrlichen seidenen Hosen hatte seine ganze wohltönende Beredsamkeit aufzubieten, um den Dichter davon zu überzeugen, daß eine Umarmung doch nur eine Umarmung und ein Kuß doch nur ein Kuß sein könnte.

Der gemütliche Dicke trat währenddem in die Bude eines alten Wunderdoktors und ließ sich in vier zierlichen Näpfchen ein schwarzbraunes dickflüssiges Getränk verabreichen, das Wunder tun sollte gegen den Kater.

Alle tranken das schwarzbraune Zeug und fühlten sich gleich beruhigt —  auch Safur.

Leichtgläubig wie alle Dichter ließ auch dieser leicht sich was einreden.

Das schwergläubige Mißtrauen schien dem Safur ohnehin eine recht lästige Sache.

Die Hitze ist auch schon recht lästig.

Grelles Sonnenlicht flutet durch ganz Bagdad, obgleich es noch immer Morgen ist.

Auf dem Karawanenplatz sieht es sehr bunt aus —  der Platz ist so bunt wie ein Opal.

Die hellen Zelte, auf denen die Sonne brennt, geben dem großen Karawanenplatz das Ansehen eines großen Lagers.

Die mächtigen Blätter der Bananen und die riesigen Palmen ragen in den hellblauen Himmel so beruhigend hinauf —  so beruhigend wie das Grün der Oasen.

Links zeigt ein indischer Schlangenbändiger seine Künste.

Suleiman soll bezahlen und tut’s.

Suleiman denkt nur an den Schneider Dschemil, denn Said hat dem Dichter eine dicke Goldrolle geschenkt —  zum Lohne für das Lobgedicht.

Das Gold hat den Alten schrecklich glücklich gemacht —  er benimmt sich zuweilen ganz närrisch.

Neben ruhenden Kamelen liegen prächtige bunte Teppiche aus Smyrna und Damaskus.

Gelbe Chinesen stehen feierlich neben grellfarbigen Seidenstoffen.

Braune Araber handeln mit Wollenzeug, Baumwolle und Leinen —  die Stoffe zeigen auch alle Farben —  rote, blaue, gelbe, braune und andere.

Alte Ägypter verkaufen Rosenöl und Räucherwerk.

Perser mit langen schwarzen Bärten bieten lustigen braunen Mädchen himmelblauen Türkisenschmuck an. —

Und betrunkne Tofailys kommen jetzt torkelnd und johlend immer näher —  sie sehen Kodama, brüllen ihm was zu —  und dabei fällt der eine Tofaily wie ein abgehackter Baum auf die eine Seite mitten in ein großes Lager irdener Töpfe und Kruken, die ein alter Mann aus Kufa neben sich auf der Erde fein säuberlich aufgestellt.

Mörderliches Geschrei! Das Geschirr klirrt und klappert.

Ein frecher nackter Junge reitet auf einem kleinen grauen Elefanten heran —  und das Tier zerschlägt auch noch ein paar Töpfe.

Höllenlärm!

Die Tofailys lachen, sind aber in großer Not —  die Kaufleute auf dem Karawanenplatz verstehen im Entzweischlagen keinen Spaß.

Kodama bezahlt schließlich die zerbrochenen Gefäße —  widerwillig zwar —  doch mit Anstand.

Die Tofailys sind drob natürlich ganz außer sich vor Vergnügen.

Kodama wird von den Betrunkenen bestürmt —  wie von arabischen Kriegern eine Burg bestürmt wird.

Die Vier sind im Nu umringt.

Und Alle wandeln lachend in die nächste Teebude. —

Schlitzäugige chinesische Mädchen bringen das heiße Getränk in blau bemalten Porzellanschalen herbei.

»Wie geht’s Deinem Bären?« fragt man den Safur —  höhnisch —  denn Safur wird beneidet. Sein Bär, Bagdads berühmte Köchin, leuchtet sehr hell an dem trüben Himmel, der Bagdads berühmte Männer überwölbt.

Abu Hischam muß gleich wieder vom Bunde der lauteren Brüder sprechen.

Doch es wird heiß.

Auch unter den hellen Leinendächern der Zelte und Marktbuden nimmt die Hitze ganz beträchtlich zu.

Die Augen kann man garnicht mehr ordentlich offen halten —  die Sonne blendet.

Tiefblau sind die Schatten der Palmen und Bananen.

Vor den Teezelten liegt die große Moschee.

Und rechts von der Moschee ragen die hohen, auf einem Hügel gelegenen Paläste der Kalifenburg mit vielen vielen Türmen und bunten Galerien in den glühenden Himmel hinauf.

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Träge zieht eine Karawane an den Teetrinkern vorüber.

Die Kamele nicken einförmig mit den drolligen Köpfen, die Pferde suchen mit der Schnauze den heißen Erdboden zu erreichen. Die Kameltreiber schwitzen und fluchen.

Träge zieht die Karawane vorüber —  ein Bild tiefster Erschöpfung —  ein Bild lähmender Schlaffheit.

Das Gespräch unter den Teezelten verstummt —  man verabredet noch eine Zusammenkunft abends auf der Tigristerrasse —  und trennt sich.

Abu Hischam, Kodama, Suleiman und Safur wenden sich nach rechts, gehen an einer großen Bude, die ganz mit kleinen indischen Götterfigürchen gefüllt ist, vorüber —  in die Stadt.

In den Straßen ist es leer und heiß.

Die blauen Schatten der niedrigen zumeist fensterlosen Hausmauern und die blauen Schatten der Palmen und Bananen —  verkleinern sich —  die Sonne steht schon hoch.

Der dicke Kodama gähnt und will zur Sareppa, die Andern wollen mit, und man geht hin.

Der weiße Straßenstaub durchsengt die Sandalen.

Donnerwetter! Die Hitze ist stärker als tausend Löwen.

Die Vier nehmen erst noch ein Bad.

Das erfrischt ein bißchen.

Dann geht’s zur Sareppa.

Da knallen die Peitschen.

Da fliegen die Speere und die Pfeile.

Da wiehern und stampfen die prächtigsten Hengste —  denn die Sareppa handelt mit Pferden, und ihre Hengste sind berühmt.

Auf einem freien Platze, der nur von ein paar Palmen beschattet wird, jagen junge nackte Mongolen auf schäumenden Hengsten im Kreise herum. Die Mongolen werfen dabei mit kurzen Lanzen nach einer Holzpuppe, die hoch oben unter den Blättern einer Palme hängt. Die Lanzen sausen oft in weitem Bogen fast bis auf die Straße hinaus, daß man sich in Acht nehmen muß.

Die beiden Gelehrten und die beiden Dichter gehen daher schleunigst unter ein Holzdach, unter dem Gras wächst —  da grasen die Pferde der Sareppa, und —  Beduinen bewundern die Pferde.

Manche Beduinen kaufen sich ein Pferd unter diesem Holzdache —  doch die meisten Beduinen kommen hierher, um ihre Pferde zu verkaufen —  und dann bettelnd herumzulungern.

Bagdad, diese üppige Stadt, bricht manchem Wüstensohn den Hals.

Und Safur spricht mit den Beduinen.

Er spricht von den blauäugigen Dschinnen und will mehr von diesen wilden Wüstengeistern wissen, die nachts auf schwarzen Rossen über den heißen Sand sprengen und die Menschen —  töten wollen.

Die Beduinen erzählen viel von den Dschinnen. Und vor Safur, der träumend zuhört, erscheint ein wildes Weib mit schwarzem Gesicht und hellblauen Augen; die Haare hängen dem Weibe lang und strähnig an den Schläfen nieder. Die Stirn des schwarzen Weibes zeigt senkrechte dicke Furchen. Die Mundwinkel des bläulich— blassen Mundes hängen tief runter —  ein dunkler Gespensterkopf vor einem leuchtenden Nachthimmel!

Safur erschrickt.

Und er liebt das Gesicht.

Aber plötzlich ist es wieder weg. Er sieht nur noch die Beduinen vor sich, sieht die Pferde der Sareppa grasen und den alten Suleiman drüben an dem einen Holzpfahl Kirschen essen.

Safur hört nicht mehr, was ihm die Beduinen erzählen. Er versucht wieder, das Dschinnengesicht zu sehen —  kriegt es aber nicht fertig. Ganz verstört kommt er später zu seinen Freunden zurück und ißt schweigend mit ihnen Kirschen, trinkt auch Wein mit ihnen; der Kodama ist in bester Laune, hat an jeder Hand ein Mongolenmädchen und erzählt Schnurren, daß die Mädchen sich krümmen vor Lachen.

Die Sareppa badet, die ist heute nicht zu sehen.

Die Beduinen werden aber bald aufdringlich, die Obstjungens auch, sodaß man sich nach einiger Zeit entschließt, weiter zu wallen.

Kodama übernimmt die Führung und bringt seine Freunde in ein berüchtigtes Haus.

Man geht in den großen Badegarten, wo’s sehr laut ist. Beduinen und ein paar reiche Jünglinge aus Bagdads besten Familien zechen dort mit weißen Armenierinnen.

Das eine Mädchen singt mit gellender Stimme, während sie ihren Jüngling an die Ohren packt:

»Willst Du meine Freunde töten, Steigst Du noch in meiner Gunst! Blutig muß Dein Dolch erröten! Sonst ist Lieben eitel Dunst!«

 

Und das Unerwartete geschah.

Blitzschnell zog der Jüngling seinen Dolch und stieß ihn einem jungen Beduinen bis ans Heft in den Leib.

Aber im nächsten Augenblick hatte der Jüngling einen furchtbaren Säbelhieb. Der Säbel ging ihm durch die linke Stirnseite, durchschnitt das Auge und blieb im Kopfe stecken.

Lautlos brach der Heißblütige zusammen.

Das dunkelrote Blut zweier Nebenbuhler besudelte den feinen bunten Fliesenboden.

Entsetzt wandten sich die beiden Gelehrten und die beiden Dichter ab und schritten eilig an den Rosengebüschen und an den Gummibäumen —  an dem reizenden großen Badeteich, in dem Lotosblumen blühten, vorbei —  hinaus —  ins Freie.

Drinnen schrien die Weiber wie die Wahnsinnigen, als wenn das berüchtigte Haus ein Tollhaus geworden wäre.

»Siehst Du!« sagte draußen der dicke Geograph zum Safur, »da siehst Du wieder, wohin die Leidenschaften führen. Hüte Dich vor der Eifersucht!«

Und im Sturmschritt rannte der Dicke seinen drei Freunden voran zur Tigristerrasse.

In Schweiß gebadet kamen die Vier dort an.

Die Tofailys waren schon da.

Die Sonne ging blutrot unter.

Hastig erzählten die Vier ihr Abenteuer.

Aber die Tofailys rührte das nicht allzu sehr. Sie waren ja des Morgens von einem Leichenschmaus gekommen —  von dem Leichenschmaus, den die hübsche Witwe des alten Wollkremplers gegeben, den die Tofailys in jener grünen Schimmelnacht in der Betrunkenheit erstochen haben sollten.

Es ward Nacht.

Man aß und trank.

Abu Hischam sprach wieder vom Bunde der lauteren Brüder.

Und als Alle recht viel getrunken hatten, nahm Abu Hischam feierlich alle Anwesenden in seinen Bund auf.

Suleiman riet vergeblich zur Mäßigung. Er erinnerte vergeblich an die Empfindlichkeit des reichen Battany.

Abu Hischam nahm sämtliche anwesenden Tofailys sehr förmlich in den Bund der lauteren Brüder auf.

Und darauf trank man —  bis Alles betrunken war. —

Die Tofailys lagen schließlich auf der Tigristerrasse umher wie die Scherben einer zerbrochenen Waschschüssel.

Safur dachte an seine Dschinne und an seine Tarub.

An seine Tarub dacht‘ er mit Ingrimm, denn er wußte, daß sie ihm wieder Vorwürfe seiner wüsten Sauferei wegen machen würde.

Der Tigris glitzerte im Mondenschein.

Die lauteren Brüder verstummten und begannen zu schnarchen; der Kopf ward ihnen so schwer wie ein Henkerbeil.

Safur dachte an seine blauäugige schwarze Dschinne.

Jetzt sah er sie wieder hoch oben im Himmel —  übermenschlich groß —  von funkelnden Sternen umstrahlt.

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Das achte Kapitel.

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Und als es abermals Morgen ward, schien die Sonne so, als wenn Garnichts los wäre.

Jedoch —  die lauteren Brüder, die allmählich erwachten, hatten gleich das Gefühl, daß in ihren Köpfen was los war —  oder was losgehen wollte…

Durch die persischen Eichen, die auf der Tigristerrasse mächtig aufwuchsen, wehte ein sanfter Wind, der leider garnicht kühl werden wollte.

Safur erwachte unter einem blühenden Oleanderbaum.

Der Dichter Buchtury erwachte neben großen weißen Lilien, die das eirunde, rot und weiß gemusterte Fliesengetäfel in der Mitte der Terrasse umzäunten.

Buchtury sah die Lilien, den Safur und eine hohe Leiter. Er hob diese Leiter auf, stellte sie senkrecht auf das rot und weiß gemusterte Fliesengetäfel und bat ein paar Freunde, die gerade nicht wußten, was sie anfangen sollten, die Leiter festzuhalten.

Und dann kletterte der Dichter auf die Leiter rauf, sodaß sein Kopf die grünen Blätter einer sehr hochgewachsenen persischen Eiche berührte.

Und in dieser Höhe begann der berühmte Tofaily, der nichtswürdige Prasser —  zu krähen.

Mit krächzenden Lauten schrie er drauf in den Morgenwind seine Leib—  und Magenverse hinein.

Von seiner Leiter starrte Buchtury auf die Terrasse runter wie ein müdes Pferd.

Des Dichters Augen waren verglast.

Den Safur sah er ganz blöde an und schrie:

»Ihr, die Ihr so viel dichtet, Ihr habt die Kunst vernichtet!
Die schönste Kunst des Lebens — Die lerntet ihr vergebens
Ihr habt ja ganz vergessen, Euch gründlich satt zu essen.
Den Magen vollzuschlagen, Ist doch das Hauptbehagen.
Das ist die schönste Kunst, Das Andre ist nur Dunst!
Beim Hahnenkampf und Hochzeitsschmaus,
Bei alten Bettlern seid zu Haus!
Wo Kinder geboren, Leichen begraben,
Ist allzeit auch was zum Essen zu haben.
In Keller und Küch‘, beim Würfelspiel,
Oh, Kinder, da gibt’s zu essen viel.
Gut essen, Freunde, ist immer fein —
Ihr müßt nur eifrig dahinter sein!
Ihr schaut viel zu viel nach den Sternen,
Ihr müßt erst das Essen erlernen.
Salbet den Magen an jedem Morgen —
Laßt Euch die Salbe vom Krämer borgen!
Laßt Euch kneten den vollen Leib —
Lustig ist dieser Zeitvertreib!
Vergeßt nicht täglich öfters zu baden,
Oh —  baden —  baden nie kann das schaden!
Tut überall nur, als wärt Ihr zu Haus!
Seid auch nicht ärgerlich, lacht man Euch aus!
Schlägt man die Tür Euch zu vor der Nas‘ —
Tut so, als wär’s ein lustiger Spaß!
Klettert durch den Schornstein herein!
Mutig muß der Hungrige sein!
Ich hab oft schon Prügel empfangen —
Oft mit dicken eisernen Stangen.
Das war mir Alles ein lustiger Spaß —
Wenn nur erst da war ein leckerer Fraß.
Dann gab’s nicht mehr Geschwätz und Getu —
Sofort war fort die freundliche Ruh.
Mit den Fäusten packt‘ ich die Keulen an —
Mit zween Fingern hab‘ ich das nie getan.
Wie kleine Mädchen ‚zierlich‘ zu speisen —
Das überließ ich schwächlichen Greisen.
Den Nachbarn hab‘ ich nie angeschaut.
Beim Essen sprach ich nicht einen Laut.
Wie gerne mocht‘ ich riechen Gebratne Federviehchen!
Einst konnt‘ ich wie ein Löwe fressen —
Doch die Zeit hab ich längst vergessen.
Täglich aß ich ein Rind und zehn Tauben —
Heute will mir das Keiner mehr glauben.
Ich könnt‘ so Manches noch sagen
Von meinem Magenbehagen.
Bei Allah! Wie wetzt ich die stahlharten Zähne!
So wie in der Wüste die böse Hyäne —
Ich leckte, kaute, kratzte, fraß —
Ganz unbezahlbar war der Spaß!
Nun leider wollen die Glieder nicht mehr —
Sie sind zu trocken, sie sind auch zu schwer.
Doch was fletscht Ihr mit Eurem Nilpferdgebiß?
Die Geduld mir bei Eurem Anstande riß!
Was? Faul, alt und gebrechlich tut Ihr?
Was? Mit knurrendem Magen ruht Ihr?
Auf! In die Welt! Den Würsten entgegen!
Kinder! Hier habt Ihr gleich meinen Segen!«

Und Buchtury steht hoch oben auf der Leiter unter der persischen Eiche mit hocherhobenen Armen wie ein Schornsteinfeger da.

Indessen —  der junge Safur wird jetzt sehr ärgerlich. Er ist ja der größte Feind der Vielesserei.

Buchtury wollte den Safur nur höhnen.

Dieser ruft daher sämtliche Tofailys zusammen und setzt ihnen auseinander, daß das Sattsein durchaus nicht anständig sei.

Diese Rede wurde mit sehr drolligem Beifall aufgenommen, da’s ja die Tofailys gewöhnlich garnicht zum Sattessen hatten.

Daran hatte der kluge Safur garnicht gedacht.

Die Tofailys aber verlangten nun von Safur einige Leckereien, sie hielten es nach der Rede über die Unanständigkeit des satten Magens für notwendig, sich in der Enthaltsamkeit zu üben.

Und dem armen Safur half Nichts —  er mußte ein Frühstück besorgen.

Da er kein Geld besaß, mußte er mit schwerem Herzen seinen langen Dolch versetzen.

Suleiman und Kodama hatten sich fortgestohlen.

Abu Hischam besaß nie was.

Die Tofailys ließen sich demnach auf Safurs Kosten ein herrliches Frühstück geben —  frische Fische aus dem Tigris.

Safur sprach mit sehr saurer Miene über die Vorzüge dieser frischen Fische und bestellte noch, da er ja den Dolch doch nicht mehr retten konnte, einen dicken Schlauch mit Wein.

Demzufolge war die Gesellschaft sehr bald wieder betrunken —  —  —

Der Tigris plätscherte unten am Ufer spöttisch lächelnd vorbei, umspülte die Rosengebüsche, die Granatbäume, ein paar stille Palmen und die persischen Eichen —  floß dann nach Bassora und dann ins große Meer.

Safur, Abu Hischam und die Tofailys tranken unheimlich.

Und ein toller ausgelassener Geist kam in die Gesellschaft.

 

Der jüdische Weinwirt schüttelte bedenklich das lockige Haupt.

Buchtury fiel über die Lilien den Abhang hinunter —  in den Tigris.

Der jüdische Weinwirt rettete den Betrunkenen, was nicht ganz gefahrlos erschien.

Nach diesem Unfall brachen die Zecher auf und wohnten in der Nähe der Terrasse in der Sattelgasse einem Hahnenkampfe bei.

Safurn kam, als er die wütenden Hähne mit ihren scharfen Sporen aufeinander loshacken sah —  eine gräßliche Erinnerung.

Er dachte plötzlich an seine Tarub —  —  beim Barte des Propheten! —  die Erinnerung war peinlich!

Tarub pflegte, wenn Safur betrunken ohne Dolch nach Hause kam, ebenfalls wie ein Hahn auf den betrunkenen Dichter loszuhacken.

Safur ward daher ingrimmig und rannte davon.

Aber er ging noch nicht zur Tarub zurück.

Er trank sich erst in einigen Weinkellern —  Mut. Und dann ging er in die Moschee und zankte sich mit einigen Koranstudenten.

Und dann ging er zu den Sängerinnen der alten Dschellabany und klagte den Mädchen sein Leid.

Er ließ sich ruhig auslachen, lachte sich selber aus —  wurde jedoch immer betrunkner und immer gereizter.

Er fluchte auf die Tarub, als wenn sie an seinem Rausch die Schuld trüge.

Wie’s Nacht geworden und die Sterne funkelten, stand der Dichter vor Saids Gartenmauer und wußte nicht, wie er da hingekommen. Er knirschte fürchterlich mit den Zähnen.

Der sonst so kluge Dichter konnte sich nicht gerade halten —  schwankte wie ein Rohr im Winde.

Schlotternd hing dem Wüstlinge das braun und blau gestreifte Beduinengewand um die Glieder rum.

Und die Welt war so schrecklich heiß.

Und Safurs Kopf war so schwer wie Blei.

Und des Dichters Herz klopfte wie ein Schmiedehammer.

Und des Dichters Hände zitterten wie die Blätter der Pappeln, wenn der Wind hindurchfährt.

Ach —  schließlich kletterte Safur über die Gartenmauer, fiel in eine Dornenhecke, zertrampelte ein Tulpenbeet, stieß sich den Kopf an einem Birnenbaum und stieg darauf etwas blutend und voll Schmutz durch das Küchenfenster in Tarub’s Küche.

Tarub sieht ihn, erschrickt, wird aber gleich furchtbar wütend und wirft ihrem Geliebten einen braunen Milchtopf mit Milch an den Kopf, daß dem armen Dichter die weiße Milch übers braune Gesicht rinnt.

Dann schreit die Tarub wie eine Verrückte und haut ihrem Geliebten mit einem Schrubber auf den Kopf.

Safurn wird die Sache zu toll. Er packt seine berühmte Köchin an die Gurgel.

Aber ach! —  in dieser wüsten Nacht ist er schwächer als seine berühmte Köchin.

Sie verprügelt ihren Geliebten und wirft ihn durchs Fenster in den Garten.

Töpfe, Flaschen, Kruken, Holzstücke, Gläser, Eimer voll Wasser —  und alte Fleischstücke —  greulich! —  alles Dieses fliegt dem fein gebildeten Feinschmecker, dem großen Dichter —  an den Schädel.

Und der betrunkene Dichter flieht.

Und die Tarub, Bagdads berühmte Köchin, wütet in ihrer Küche wie eine toll gewordne Dschinne auf dem Demawand.

Niemand wagt es mehr, in Tarub’s Küche zu steigen —  in dieser Nacht ist es ganz unheimlich in Saids Hause.

Die Tarub wütet und schlägt manchen schönen Topf kurz und klein.

Der Dichter flieht —  aus dem Garten raus —  weit fort —  er flucht jetzt auf die Tarub —  wie ein Kameltreiber.

Häßliche Schimpfworte schreit er in die Nacht hinaus und knirscht dazu mit den Zähnen.

In der Ferne blitzt es —  greulich grell.

Unheimlich ist diese Nacht!

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Das neunte Kapitel.

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Wie nun wiederum der Morgen graute, stand der Dichter Safur am Tigris und starrte nach Osten.

Berauscht sah der Dichter Safur nicht aus —  aber —  ein wenig verwüstet und ein wenig verkommen; das dünne Gewand war seltsamer Weise nicht zerrissen —  ganz war’s geblieben —  indessen —  schrecklich schmutzig war’s geworden —  Blut, Wein, Milch, Staub, Blumensaft und Straßenpfützen hatten die braun und blau gestreifte Baumwolle höchst unregelmäßig gemustert.

Und Safur starrt —  halb blöde, halb verträumt —  nach Osten. Da wird’s über den breiten spiegelhellen Wassern des Tigris immer bunter.

Die Sonne geht auf.

Langsam hebt sich die brennendrote Scheibe aus den Fluten des Tigris raus.

Und der Tigris glänzt jetzt auch brennendrot.

Safur starrt in die heiße Farbenpracht und sieht plötzlich über der roten Sonne in den glühenden Wolken ein schwarzes Gesicht —  das schwarze Dschinnengesicht, das er bei der Sareppa sah, als ihm dort die Beduinen von den Schrecken der Wüste berichteten…

Purpurne und goldene Wolken umrahmen wunderlich das schwarze Gesicht, das nun die großen blauen Augen weit aufreißt.

Der Blick der Dschinne ist furchtbar.

Safur taumelt zurück.

Dabei bemerkt er aber, daß rechts von der Sonne noch zwei Dschinnengesichter vorkommen und links von der Sonne gleichfalls.

Die neuen Gesichter sind etwas zur Seite gelehnt, daß alle fünf Gesichter wie ein Kranz die Sonne einschließen.

Und die Gesichter sehen ganz gleich aus.

Ihre blaßbläulichen schmalen Lippen öffnen sich ein wenig und zeigen weiße fest zusammengepreßte kleine Zähne.

Safur traut kaum seinen Augen, blickt in den höher gelegenen Himmel hinauf —

Doch da beginnt er zu zittern, dort höher oben zeigt sich ein zweiter Gesichterkranz; die Gesichter sind nur viel größer und viel schrecklicher.

Und über dem zweiten zeigt sich ein dritter Gesichterkranz —  der ist noch größer —  fast noch einmal so groß.

Der ganze Himmel füllt sich mit schwarzen Dschinnengesichtern, die langsam aus dem dunklen Himmelsblau herauskommen und auf den Safur zuzustreben scheinen.

Ganz oben am Himmel sind die Gesichter riesengroß —  die schwarzen Haare flattern wild um die schwarzen Ohren und um die schwarzen Stirnen —  —  doch so wie die Haare an dem einen Gesichte flattern —  genau so flattern sie auch an dem andern.

Und den Dichter packt die Angst. Ihm schlottern die Knie. Er sieht plötzlich Nichts mehr. Ihm wird schwindlig, und er bricht bewußtlos zusammen.

Nach einer Weile hört er dann ein gellendes Pfeifen, als wenn ein schneller Wind vorübersause. Gleichzeitig wird vor seinen Augen Alles rot…

Der Dichter will die Augen öffnen, kann’s aber nicht —  er glaubt, er sei blind geworden.

Er ringt die Hände und schreit.

Dadurch kommt er wieder zu sich, seine Augen öffnen sich, und —  Bagdad mit dem Tigris liegt vor ihm. Drüben am Ufer erhebt sich der Garten des reichen Battany.

Safur befindet sich auf einer Anhöhe und kann weit herumblicken.

Der Himmel ist tiefblau.

Die schwarzen Gesichter sind fort.

Safur aber hat die Gesichter nicht vergessen, er springt auf, blickt sich scheu um und rennt wie ein Rasender nach Battanys Landhaus.

Er klopft dort heftig an die kleine Gartentür —  und die wird auch gleich geöffnet —  der Hausmeister öffnet selbst —  kriegt jedoch beim Anblick des Dichters ein so erschrockenes Gesicht, daß das seine dem der großen Dschinne nicht unähnlich sieht.

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Der Hausmeister hört garnicht mehr, was der Dichter sagt, läßt ihn hinein und geht mit großen Schritten davon —  zu seinem Herrn.

Battany steht in seinem —  Harem —  und —  grübelt.

Seine Frauen liegen in prächtigen bunten Seidengewändern auf den Teppichen und langweilen sich.

Eine Perserin spielt eintönig auf einem langen Saiteninstrument, das mit blitzenden Diamanten verziert ist.

Eine kleine Ägypterin schlägt dazu ein paar glockenförmige Zymbeln von Zeit zu Zeit leise an einander.

Grün schillernde Fliegen summen durch das große Gemach.

Die Frauen wehren mit ihren Fächern die Fliegen von sich ab.

In großen kupfernen Eiskübeln taut laut tropfend das Eis.

Oben an den bunt bemalten Holzwänden bewegen sich leise kleine Sonnenlichter, die durch die großen zierlich geschnitzten Windlöcher sich hineinstehlen in den großen stillen Harem des reichen Al Battany, dessen Frauen sich immer langweilen.

Der Harem ist ganz mit großen Granatbäumen umgeben, damit’s nicht zu heiß wird in den üppigen Gemächern.

Und der Hausmeister kommt an.

Er stürzt seinem Herrn zu Füßen.

Die Frauen richten sich auf.

Der Hausmeister sagt ängstlich:

»O Herr, der Dichter Safur ist da. Aber ich glaube, er ist wahnsinnig geworden.«

Die Frauen schreien.

Battany läßt sich in seiner Sänfte in den Garten tragen.

Zwei schwarze Sklaven halten von hinten hoch über Battanys indischer Goldmütze einen großen roten Sonnenschirm.

Sehr langsam wird Battany getragen.

In seinem Landhause geht Alles langsam zu; laufen darf dort Niemand —  auch die Sklaven dürfen nicht laufen.

In seinem kleinen, leicht gebauten Bücherkioske will der Astronom den Dichter empfangen.

Safur kommt rasch durch die Olivenallee näher.

Der Bücherkiosk liegt da so ruhig wie eine Krone auf einer kostbaren Stickerei.

Die kostbare Stickerei besteht hier aus ganz kurz geschornen grünen Rasen, die von bunten Schnörkeln zierlich durchzogen sind.

Die Schnörkel —  teilweise indische Buchstaben —  werden von kleinen Tulpen gebildet.

Es wurden aber nur drei verschieden gefärbte Tulpenarten verwandt.

Die einen sind rotlila, die andern weißgelb und die dritten graublau.

Diese drei Farben heben sich wunderbar vom dunklen Rasengrün ab.

Und da, wo auf dem Grünen keine Tulpen wachsen —  da sitzen rote, blau und grün, gelb und schwarz, weiß und graugefleckte Papageien fürchterlich steif auf glattgeschnittenen dünnen Holzästen, die alle mit weißem Silber beschlagen sind.

Die bunten Papageien machen einen —  so gelehrten Eindruck —  scheinen alle sehr belesen —  sehr belesen —  denn sie sind ja vor dem Bücherkioske angekettet.

Sehr saubre orangefarbige nicht gemusterte Fliesenwege durchziehen in weichen Linien die kurzgeschorenen Rasen, auf denen die Tulpen blühen und die Papageien angekettet sind.

Riesige Bananen umschließen im genau abgezirkelten Kreise das glatte peinlich saubre Gartenkunststück.

Und hierhin stürmt mit raschen Schritten der wilde Dichter Safur.

Oh! Oh! Wie Battany zusammenschrickt!

Der riecht gleich, was los ist.

Säuferwahnsinn hat den Dichter gepackt —  Säuferwahnsinn!

Die Sklaven müssen sich entfernen.

 

Battany und Safur wandeln zusammen über die orangefarbigen, nicht gemusterten Fliesenwege —  doch nur dort, wo das weit ausladende Dach des Bücherkioskes noch Schatten spendet.

Safur erzählt wütend von der Tarub und von der Dschinne —  wild durcheinander.

Battany hört nur, daß Safur Tag und Nacht und wieder Tag und Nacht und wieder Tag und Nacht getrunken und sich schließlich mit seiner Tarub erzürnte.

Der reiche Astronom ist daher auch sehr erzürnt, wirft dem leichtsinnigen Dichter seinen höchst lüderlichen Lebenswandel vor und sagt ihm am Ende:

»Mein lieber Safur! Mit Dir ist wirklich Nichts mehr anzufangen. Du kannst das Trinken nicht mehr lassen. Du wirst noch ganz und gar verkommen. Ich verstehe Dich nicht. Du kannst nie aufhören. Du bist eben ein Gewohnheitssäufer geworden. Kannst Du Dich denn nicht daran gewöhnen, mit den Andern nach Hause zu gehen? Mußt Du immer so lange trinken, bis Du im Rinnstein liegst? Du hast das doch gar nicht nötig!«

Dem Safur brummt der Kopf, ihm zittern die Glieder, Battanys laute Stimme ist ihm schrecklich…

Kleinlaut versetzt der Dichter:

»Sieh mal, Battany, Du hast nicht das durchzumachen, was ich durchzumachen habe. Glaubst Du, es sei so leicht, mit einem Weibe auszukommen, von dem man abhängt. Du weißt —  wenn ich die Tarub nicht hätte —  könnt‘ ich nicht mehr leben. Zum Betteln bin ich zu stolz. Aber wenn ich’s recht bedenke, müßt ich auch zu stolz sein, bei dieser Tarub zu leben. Ich kann mit der Tarub nur dann weiter leben, wenn ich ihr Herr bin und sie meine Sklavin ist. Kannst Du nicht, Battany, diesem Said die Tarub abkaufen —  —  —  und —  und mir schenken? Tu’s doch! Sei mein Freund!«

Battany lächelt verächtlich.

Er setzt dem Safur dann, ohne auf seinen Vorschlag einzugehen, auseinander, daß er des Abends eine große Tigrisfahrt unternehmen möchte. Der Said, die Abla und die Sailóndula und auch die Tarub sollen mitkommen.

Battany will zwischen Safur und Tarub vermitteln.

Dem Safur schmerzt der Kopf.

Ihm ist Alles recht.

Innerlich ist ihm ganz klar, warum er trank.

Daß er von der Tarub so ganz und gar abhängt —  das hat ihn nach seiner Meinung zum Säufer gemacht.

Also denkt der Dichter gewöhnlich, wenn er seinen Dolch versetzt und viel zu viel getrunken hat.

Er pflegt dann auch seinen Freunden vorzuwerfen, daß sie sein Verhältnis zur Tarub nur deshalb für ganz gut hielten, damit er nicht seinen lieben Freunden zur Last zu fallen brauche.

Diese Vorwürfe spricht der Dichter, der immer sehr vorsichtig ist, natürlich nicht laut aus.

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Und Safur soll baden.

Er tut’s —  in Battanys wunderbarem Teiche, der in einem kleinen Talkessel liegt.

In dem Teiche blühen blaue Lotosblumen.

Die großen Lotosblätter schwimmen auf dem Teiche wie riesige Topfdeckel.

Die Sklaven reinigen des Dichters Kleid.

Und nach dem Bade wird der Dichter von den Sklaven mit wohlriechenden Ölen gesalbt.

Die Baumwolle reinigen die Sklaven mit wohlriechender Seife.

Safurn wird ein bißchen besser.

Er bekommt auch was zu essen.

Und dann steigt er in eine Sänfte und wird sanft mit Battany aus dem Garten raus —  zum Said und zu seiner Tarub getragen.

Unter den beiden roten Sonnenschirmen, die groß, rund und steif sind, wird die Haut der beiden Männer auf den Sänften auch ganz rot.

In Battanys Harem wird’s wieder lebhafter: der Hausmeister muß erzählen —  von Safur und von der alten Dschellabany.

Die Frauen sind schrecklich neugierig.

Und dann baden die Frauen in demselben Teiche, in dem Safur badete —  wo die blauen Lotosblumen blühen und die großen Lotosblätter herumschwimmen.

Die Frauen baden unter hellgelben und hellblauen seidenen Sonnenschirmen —  die Schirme sind riesig groß.

Und die nasse Haut der gelben Inderinnen spiegelt das Grün der Lotosblätter und auch die blauen und gelben Töne der Sonnenschirme, daß die Haut so bunt schillert —  wie entzückende Perlmutterschalen.

Wunderbarer noch spielen die verschiedenen Lichtfarben auf den Leibern der weißen Armenierinnen.

Und die Leiber der schwarzen Frauen werden ebenfalls ganz bunt.

Doch —  Battanys üppige Haremsfrauen langweilen sich auch im Bade —  sie sehen die Farbenpracht der Lichtspiele nicht auf ihrer schön gepflegten Haut.

Und wie die nassen Glieder der Frauen müde unter den blauen und gelben Sonnenschirmen am Ufer liegen —  im Grase —  da spielen die Lichtfarben noch viel großartiger auf den prächtigen üppigen Leibern, die sich räkeln mit Arm und Bein —  —  —  dadurch werden die Glieder noch immer reizvoller —  unbeschreiblich!

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Das zehnte Kapitel.

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Der Wind bläst in die Segel, und die Barken schießen stromauf.

Die Wellen schaukeln.

Es ist angenehm kühl auf dem Tigris.

Es ist Nacht.

Der Mond steht fast voll hoch am Himmel.

Suleiman hat ein Märchen erzählt.

Nun soll Safur eine wahre Geschichte erzählen.

Sie sitzen in Saids großer Barke —  hinten —  hinter dem großen Segel.

Battany und seine sieben Freunde sind’s, die in Saids großer Barke sitzen.

Said mit seinen drei Köchinnen ist auch in der Barke.

Die Tarub zerschneidet vorne eine große Nußtorte und kümmert sich nicht um die Gesellschaft.

 

Und Safur, der sehr ernst dreinschaut, erzählt:

»Ein junger Beduine saß bei der alten Dschellabany und trank mit ihren hübschen Sängerinnen —  Wein. Das Trinken war sehr gemütlich, denn die Sonne stand noch sehr hoch. —  —  —  Die Mädchen sind ein bißchen faul, und der Beduine spaßt nicht mehr mit ihnen, sondern erzählt ihnen was von seiner Geliebten, die ihm alle Tage zu essen und zu trinken gibt. Die Mädchen lachen und schauen sich den Beduinen sehr genau an. Der aber erzählt weiter, daß er seinen schönen Dolch versetzt und nun große Furcht vor seiner Geliebten habe. Da müssen die Mädchen noch mehr lachen —  und sie trinken, als wenn’s Garnichts kostet. Mit leeren Taschen geht daher später im Sternenschein der junge Beduine von dannen —  nicht grade —  das kann er nicht —  aber schwankend und mit schlotternden Gliedern. Er klettert über einen Zaun in einen Garten. Die Blumen duften da paradiesisch —  und goldene Äpfel fallen dem Beduinen auf die Nase. Der Himmel wird ganz dunkelblau. Ein paar Sterne fallen aus dem dunkelblauen Himmel —  auch herunter in den Garten, in dem die Blumen leuchten und duften wie im Paradies. Der Beduine schwankt weiter und will sich in ein Fenster schwingen, hinter dem seine Geliebte wohnt. Ein Duft von gebratenen —  Hasen weht ihm aus dem Fenster entgegen. Doch plötzlich fühlt er was Nasses auf seinem Kopf und sieht Nichts mehr. Ein großer Eimer ist ihm übern Kopf gestülpt, und frische Kuhmilch rieselt ihm über seinen ganzen Leib —  frische Kuhmilch!«

Safur lacht, und die Andern lachen auch.

Dann fährt er fort:

»Kaum hat der Beduine den Eimer vom Kopf gerissen, so klatscht ihm eine dicke Rindskeule an die rechte Wange. Der Beduine wird wütend, springt ins Fenster hinein und packt —  packt seine Geliebte. Die reißt sich aber los und schlägt ihm mit einem Stück Holz übern Kopf. Der Beduine wird immer wütender. Doch seine Geliebte schlägt ihm mit einem Wasserkrug um die Ohren, daß der Krug in tausend Stücke zerbricht. Dann wirft sie nach ihm mit Eisstücken und gläsernen Flaschen, mit Schutt und Müll, mit Fischköpfen und faulem Obst, mit Bratpfannen und schmutzigen Lappen —  daß der arme Beduine zurücktaumelt zum Fenster. Wie er aber am Fenster ist, hat sie ihn rasch an den Beinen gepackt und ihn kopfüber in den Garten geworfen — «

Jetzt kommt Safur nicht weiter, denn Alles lacht, daß die Barke bedenklich ins Schaukeln gerät.

Safur lacht jetzt aber nicht.

Die Tarub bringt die Nußtorte und wird mit einem Höllenlärm empfangen.

Der Scherbettbecher geht wieder von Hand zu Hand.

Es wird fast wüst.

Die Mädchen werden gekniffen und geküßt.

Safur kümmert sich aber nicht um den Lärm.

Er blickt hinaus in den Urwald am Ufer und beachtet nicht, daß man seine gute Laune preist und ihn einen echten Dichter nennt, der das Leben von der lustigen Seite zu fassen vermag.

Safur blickt in die Waldespracht, die sich am Ufer hinzieht im vollen Mondenschein.

Die blauen großen Lotosblumen leuchten am Ufer —  wie Dschinnenaugen.

Und der Dichter muß wieder an seine Dschinne denken und an die Wüstengeister.

Und er leidet —  leidet, wie ein Beduine leidet, der in der Wüste verdursten muß.

Aus dem Waldesdickicht am Ufer tönt zuweilen das Geheul wilder Tiere heraus. Die fliehen aber, denn neben und hinter der großen Barke segeln drei kleinere, die dem Battany gehören.

In diesen kleineren Barken sitzen Battanys Bogenschützen, die die wilden Tiere mit giftigen Pfeilen verscheuchen.

Safur sieht wieder vor sich das Dschinnengesicht —  das er bei der Sareppa sah.

Diesmal sieht er das Gesicht im Wasser neben weißen Wasserrosen —  das Gesicht scheint im Wasser unterzugehen, sieht so qualvoll aus.

Und Safur liebt dieses Gesicht.

Und er seufzt, daß es kein lebendes Wesen ist, daß es kein Weib ist.

Der Leidende sehnt sich nach der Leidenden.

Und er liebt seine Dschinne und vergißt Alles —  was um ihn vorgeht.

Da stößt ihm die Tarub derb in die Seite.

Und er schrickt zusammen.

Die blauen Blumen am Ufer leuchten unter den großen Bananen —  unter den dicken Stämmen der hohen Sagopalmen —  wie die blauen Dschinnenaugen der Wüste.

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Battany flüstert mit Abu Hischam.

Und wie der Mond in voller Pracht erglänzt, landet man am Ufer.

Man will das Grab des Abu Nuwâs besuchen —  jenes großen Dichters, der noch zu Haruns Zeiten lebte und blutarm starb wie ein Lump —  und der dann sehr berühmt wurde, sodaß seine Verse bald in Jedermanns Munde waren.

Das Grab des Abu Nuwâs ist ganz mit gelben Rosen bedeckt —  ganz mit gelben Rosen.

Gelb ist die Farbe des Königs —  in Persien und in andern Ländern, die von Bagdad nicht weitab liegen.

»Abu Nuwâs!« murmeln jetzt die Männer, die des großen Dichters Grab besuchen.

»Abu Nuwâs!« murmeln auch die drei Frauen.

Die Pechfackeln der schwarzen Sklaven knistern und flammen hoch auf.

Die Gesellschaft ist plötzlich ganz ernst und ganz still geworden.

Suleiman liest mit leiser Stimme die Grabschrift, die auf einem kleinen Alabasterblock mitten unter den gelben Rosen in zierlichen Schriftzügen zu lesen ist.

Abu Nuwâs hat sich die Grabschrift, die Suleiman leise liest, selbst gedichtet.

Sie lautet:

»Leb doch, wie’s Dir grade paßt! Machst Dich nur dadurch verhaßt! Hast Du Alles mal verpraßt, Kannst Du wirklich Nichts mehr erben — Darfst Du doch noch friedlich sterben: Stirb nur! Selbst die Dichter sterben!«

Kodama räuspert sich und will was sagen, Battany kommt ihm aber zuvor.

Battany sagt zum Safur, der wieder sehr ernst dreinschaut:

»Lieber Freund, kannst Du uns nicht auch ein paar Verse zu hören geben? Du bist heute so ernst —  laß Dich nicht lange bitten.«

Safur nickt und spricht nach einer Weile, in der nur die Fackeln knisterten:

»Du ruhst nun unter Rosen aus — Oh, der Tod hat Dich befreit! Und milder wird mein Schmerz um Dich, Da ich weiß, Du fühlst kein Leid.«

Und Safur empfindet eine so gequälte Stimmung.

Ihm ist, als täten ihm die Fingerspitzen weh.

Sein ganzer Körper empfindet so fein, daß er jeden Luftzug zu spüren glaubt.

Er hört den Tigris leise rauschen.

Und er hört in der Ferne wilde Tiere heulen.

Und er sehnt sich nach einem Wesen, dem er mitteilen kann, wie er eigentlich immer leidet —  etwas Unerklärliches leidet, das die andern Menschen nicht kennen.

Ihm ist oft so, als sehne er sich nach einem Weibe, das er lieben kann.

Aber er weiß, daß es solches Weib nicht gibt.

Bei diesen Gedanken sieht er drüben neben Said seine Tarub stehen —  drollig ernst…

Und Safur muß lächeln.

Doch Battany spricht jetzt —  auch sehr ernst:

»Freunde! Ihr wißt, der große Philosoph Abu Hischam, der unter uns weilt, wollte einen Gelehrtenbund gründen. Ich glaube, dieser Augenblick am Grabe des größten arabischen Dichters ist so schön und feierlich, daß wir dem Abu Hischam, der ein kluger, tatkräftiger Mann ist, wohl eine Freude bereiten, wenn wir uns hier am Grabe die Hand reichen und die Gesellschaft, die wir bilden, die Gesellschaft der lauteren Brüder nennen. Ich hoffe, unser Kreis wird bald größer werden.«

Und Alle reichten sich die Hände, sodaß sie einen Ring um das Grab bildeten.

Sehr drollig sah’s zwar aus, daß auch die drei Frauen und der dumme Said im Ringe waren.

Doch die Gesellschaft machte trotzdem einen sehr feierlichen Eindruck.

Den Mond umkränzten rötliche Wolken —

In der Ferne am andern Ufer zuckte ein bläuliches Licht auf —  es blitzte —

Die Fackeln knisterten und flackerten hell.

Als sich die Hände der lauteren Brüder von einander lösten, warf Abu Hischam seine armenische Pelzmütze hoch in die Luft, worüber Alle lachten.

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Das elfte Kapitel.

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Am nächsten Morgen segelten die Barken des Battany und des Said weiter stromauf —  zu den Eremiten.

Man wollte auf Abu Hischams Wunsch zunächst den Eremiten die große Kunde vom Bunde der lauteren Brüder überbringen.

Abu Hischam schwamm in Seligkeit.

Sein Herzenswunsch war erfüllt.

Das Frühstück mundete den lauteren Brüdern sehr —  sehr gut.

Es gab Fleischpasteten und kalten Bratfisch, Pfirsiche, Oliven und Weintrauben, afrikanische Schotentorte und Marzipan.

Und man trank roten Kufa— Wein.

Beim Wein erhitzten sich die Gemüter.

Die lauteren Brüder waren nahe dran, sich zu zanken —  zankten sich wirklich.

Sie zankten sich über ein paar Verse des Abu Nuwâs, was in der guten Gesellschaft Bagdads zu jenen Zeiten durchaus nicht selten vorzukommen pflegte.

Die Verse des Abu Nuwâs, die den Zankapfel bildeten, lauteten:

»Ich sagte einst zu einer kleinen Süßen, In deren Hand ein Bündel von Narzissen: ‚Von Dir zu scheiden ist das Schändlichste der Welt!‘ Und sie: ‚Viel schändlicher zu lieben ohne Geld!’«

Die Stimmung ward sehr übermütig —  derbsinnlich —  zotig —  nicht grade sehr zart —  im Gegenteil.

Es hagelten die bösen Witze so dicht wie die Pfeile in einer Schlacht gegen die Christenhunde und die anderen Ungläubigen.

Die drei Weiber taten zuweilen so, als hielten sie sich die Ohren zu.

Die Tarub bekam am meisten zu hören.

Safur mußte seinen ganzen Witz zusammennehmen, um sie zu schützen.

Die beiden Dicken —  Kodama und Osman —  lachten, daß ihnen die dicken Schweißtropfen über die dicken braunen Pustwangen rollten, die immer glänzender zu werden schienen.

Der alte Jakuby unter seinem hellila Turban kicherte wie ein verschämtes Mädchen.

Battanys Unterlippe wurde sehr dick.

Said tat immer so, als verstände er Alles —  was einen sehr drolligen Eindruck machte, wenn die Witze sich gegen ihn selber richteten.

Ich will dieses Morgengespräch nicht näher beleuchten.

Die Sonne stand sehr hoch.

Der Prophet Abu Maschar achtete nicht auf das Gelächter der Andern, er hörte sich mit dem alten Suleiman —  mehr vorn in der Barke —  die begeisterten Erörterungen des Abu Hischam an, der wie gewöhnlich nicht müde wurde, über die Ziele und Pläne des großen Geheimbundes zu reden.

Immer wieder klangen von des Philosophen Lippen die beiden Worte:

»Lautere Brüder!« »Lautere Brüder!«

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Währenddem sang die weiße Abla, die sich mit einem großen weißen Federfächer sorgsam vor den Strahlen der Sonne schützte, eine südarabische Volkswaise, die so recht in die angeheiterte Laune der »lauteren« Brüder hineinpaßte. Abla sang mit heißer hoher Stimme:

»Wenn Du mich nicht mehr lieben willst, So geh ich zum Kuppelweibe! Wenn Du mich nicht mehr lieben willst, So will ich Dich vergessen — In wilder toller Brunst — Bei Wein und Saitenkunst — Da lieb ich, was ich finde — Verschwinde nur! Verschwinde — Wenn Du mich nicht mehr lieben willst.«

Und diese Verse hörten am Ufer auch ein paar Eremiten, die nur in die Einsamkeit gezogen waren, um ihre Sinnlichkeit zu töten.

Die lauteren Brüder landeten dann wieder, um den Eremiten »guten Tag« zu sagen.

Abu Hischam erzählte den Eremiten vom Bunde, denn die Eremiten waren fast sämtlich große Gelehrte.

Die alten gelehrten Einsiedler machten sehr große Augen, als sie die neue Kunde vernahmen.

Die Gesellschaft wurde gleich größer.

Und unter Battanys großen Zelten ging’s wieder mal sehr hoch her.

Als die Einsiedler, die nicht weitab wohnten, in ihren ärmlichen schmutzigen Hütten den Lärm vernahmen, kamen sie gleich näher —  und waren bei den lauteren Brüdern ganz guter Dinge.

Sie ließen sich gern in die neue Gesellschaft aufnehmen.

Äußerlich sagten die Eremiten immer sehr gern »Ja!«

Was sie innerlich dachten, pflegten sie für sich zu behalten.

Wenn’s Nichts kostete, waren sie stets ohne Umstände für alles Mögliche zu haben.

Das wußte Abu Hischam —  daher hatte dieser kluge Philosoph auch gleich zu den Eremiten gewollt —  —  er verstärkte durch die Eremiten seine Stellung.

Es mußte natürlich in der Absicht des schlauen Bundgründers liegen, die Machtstellung des Battany nach Möglichkeit zu beschränken.

Übrigens —  Osmans Widerstand war sehr bald gebrochen, der Buchhändler wurde der Geschäftsführer der Gesellschaft —  und machte schließlich ein ganz vergnügtes Gesicht —  zu verlieren war ja bei dieser gelehrten Gesellschaft eigentlich Garnichts.

Ja —  Osman und Abu Hischam lagen sich sogar sehr bald brüderlich in den Armen und schwuren sich ewige Treue.

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Abu Hischam hatte allen Grund, mehr zu trinken als je —  was er denn auch sehr gründlich besorgte.

Als der Vollmond über dem Tigris aufging, lag der große Philosoph Abu Hischam, der große Gründer des Bundes der lauteren Brüder —  wie ein Brett im Grase —  und trank nicht mehr —  da er fest —  sehr fest —  schlief.

Safur aber schlief nicht —  der plauderte mit den Eremiten über die Freuden des einsamen Lebens —  und ihn überkam’s.

Er wollte auch Eremit werden —  er beneidete bereits seine neuen Freunde.

Als er hörte, wie einfach die Mahlzeiten der Eremiten gewöhnlich zu sein pflegten, verzogen sich allerdings seine Gesichtszüge und bekamen einen verdrossenen Ausdruck.

Nein —  so weit war Safur noch nicht, daß er um des einsamen Lebens willen auf ein verständiges Essen und Trinken hätte verzichten wollen —  aber vielleicht ließ sich Beides vereinen.

Und über dieses »Vereinen« dachte Safur sehr angestrengt nach.

So schmutzig und zerrissen —  wie die anderen Eremiten —  wollte Safur auch nicht herumgehen.

So weit war er noch nicht, daß er sich um des einsamen Lebens willen im Schmutz und Unrat hätte herumsielen wollen.

Auch der Gedanke an das viele Ungeziefer der alten Einsiedler ward dem im Äußeren sehr peinlichen Dichter —  ein bißchen ekelhaft —  eigentlich gräßlich.

Nein —  Ungeziefer mochte er nicht.

Da stieß ihm wieder die Tarub in die Seite —  nicht derb —  aber vernehmlich.

Sie wollte ihn sprechen —  allein.

Und er entschuldigte sich bei den Einsiedlern, empfahl ihnen, sich neuen Kufa— Wein zu holen —  und —  und folgte der Tarub —  recht unlustig.

Hinter blühendem Oleander ward die Tarub zu ihrem Dichter zärtlich.

Der benahm sich jedoch anders als sonst —  ganz anders.

Und —  und wie’s immer zu sein pflegt —  die Sprödigkeit reizte nur —  stieß durchaus nicht ab.

Bagdads berühmte Köchin bat ihren berühmten Dichter fußfällig um Verzeihung —  sie flehte ihn an —  weinte dabei.

Was die Tarub nie getan —  das tat sie jetzt —  sie bettelte um seine Liebe —  und erzwang sie sich schließlich —  nicht grade gewaltsam —  aber so ähnlich.

Safurn überliefs wie kaltes Wasser.

Er mußte an Saids Mehlsäcke denken, die einst in Tarubs Küche einen so drolligen Reiz in ihm erweckt…

Der Vollmond schien seiner Tarub hell ins Gesicht.

Die Oleanderbäume dufteten.

Man hörte dann Stimmen in der Nähe.

Und die Tarub eilte hurtig davon.

Und dem Safur war so zu Mute —  wie einem Weibe zu Mute ist, dem ein Fremder Gewalt antat.

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Safur lag unter den Oleanderbäumen, starrte in den Vollmond und träumte —  von tiefer Einsamkeit —  von einem Weibe, das nirgendwo lebt, das er sich nur denkt —  von einer andern Welt, in der’s andre Frauen gibt als hier auf der Erde.

Safur will auch einsam leben —  ganz einsam —  ganz allein —  er will auf Alles verzichten und nur allein sein —  alle seine Freunde kränken ihn nur; er ist es müde, mit ihnen zu spaßen —  er will sie nicht mehr sehen.

Und er ringt die Hände und stöhnt.

Er möcht‘ am liebsten gleich hier bleiben —  in der Einsiedlerwelt —

Da raschelt was neben ihm.

Safur fährt auf und sieht eine große —  Schlange.

Die Augen der Schlange leuchten wie zwei Rubine.

Der Leib der Schlange glitzert klebrig.

Safur sieht —  es ist eine giftige Schlange —  und er springt an die Seite, sieht im nächsten Augenblicke rechts neben den Oleanderbäumen in der Tiefe den Tigris —  und springt runter in die Flut. —

Safur ist gerettet —  er schwimmt langsam und sicher dorthin, wo die Barken liegen und die Lagerfeuer vor den Zelten brennen.

Die Flammen der Lagerfeuer qualmen mächtige Rauchwolken in den Abendhimmel hinein.

Die glühenden Augen der Schlange starren aber unverwandt in die große gelbe Mondscheibe.

Die Schlange richtet ihren Oberkörper hoch auf und starrt mit ihren glühenden Rubinaugen in den Mond —  als wollte sie den vergiften.

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Das zwölfte Kapitel.

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Und nach vier Wochen stand der Vollmond über dem Mondtempel zu Hauran.

Und im Mondtempel weilten Abu Maschar und Safur, Abu Hischam und Battany, Suleiman und Jakuby.

Die anderen lauteren Brüder waren auf Saids Barke mit den drei Frauen nach Bagdad zurückgekehrt.

Den beiden Dicken, Kodama und Osman, war die Reise nach Hauran zu beschwerlich gewesen.

Auch mochten sie einem »Fastenfest« nicht beiwohnen —  ein Fest ohne Essen nannten sie nicht ein Fest.

Ein »Fastenfest« ward aber trotzdem in Hauran gefeiert.

Der Mondtempel ist ein Tempel der Ssabier.

Die Ssabier sind nach der Meinung des Volkes Götzenanbeter —  Heiden.

Doch die Meinungen des Volkes sind ja niemals maßgebend.

Die Ssabier sind mehr, als sie scheinen.

Ihre Religion ist ein Abglanz altbabylonischer und altassyrischer Kulte.

Der Mondtempel zu Hauran ist Jahrtausende alt —  eine alte träumende Ruine, die wie eine sterbende Greisin von alter, alter Zeit erzählt —  und Wunderdinge weiß.

Der Mondtempel wird hell vom Vollmond erleuchtet.

Und in das Mondlicht flammen aus eisernen Schalen mächtig lodernde Opferfeuer hinauf.

Wohlriechendes Holz —  zumeist Sandarakholz —  wird in den eisernen Schalen verbrannt, sodaß der ganze Tempel und die ganze Umgegend des Tempels wundersam duftet —  wie die Nähe eines Gottes.

Man fastet drei Tage und drei Nächte.

Zu bestimmten Stunden erklingt an den Mauern und auf den Terrassen des einsam und hoch gelegenen Tempels Musik —  von Zymbeln, Flöten und Saiteninstrumenten.

Abu Maschar hat die lauteren Brüder hierhergeführt, er spricht jetzt mit einem großen Priester, dessen langer schwarzer Bart nach assyrischer Sitte sorgsam gekräuselt ist, sodaß es aussieht, als bestände er aus lauter kleinen runden Löckchen.

Der lange weiße Kaftan ist mit goldenen Sternen übersät, die mit Goldfäden hineingestickt sind.

Über dem dunkelbraunen Gesicht des Priesters erhebt sich ein mächtiger hellblauer Seidenturban mit sieben silbernen Vollmonden vorn über der Stirn. Die mit Silberfäden gestickten Monde sind von verschiedener Größe.

Nur Männer, Jünglinge und Knaben weilen im Tempel —  ein Weib darf den Tempel nicht betreten.

Und ein eintöniger Gesang tönt durch die Mondnacht.

Die Gläubigen sitzen oder stehen —  einzeln —  nicht in Gruppen —  sie dürfen nicht mit einander sprechen —  nur mit den sieben großen Priestern dürfen sie sprechen.

Die sieben großen Priester sehen sich im Äußern fast gleich —  tragen sämtlich den assyrischen Bart, den Sternenkaftan und den hellblauen Mondturban.

Jakuby macht sich fortwährend Notizen.

Suleiman und Battany hocken in einer großen Grotte, die der Mond nur zur Hälfte erleuchtet.

Abu Hischam wandelt vor der großen Tempelpforte auf dem großen Opferplatze unruhig umher und erzählt jetzt dem einen der großen Priester von dem Geheimbunde der lauteren Brüder.

Der Priester hört ernst zu und sagt dann mit großen Augen:

»Euren Bund nennt Ihr einen Geheimbund? Und Ihr sprecht doch zu allen Menschen von diesem Geheimbund? Ihr wißt ja noch gar nicht, was ein Geheimbund ist.«

Unwillig wendet sich der Priester ab.

Abu Hischam sieht ihm verblüfft nach.

Der Gesang verhallt, es wird ganz still —  nur die Opferfeuer knistern.

Unheimlich still ist es.

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Auf einer der höchsten Terrassen, die den großen Mondtempel umkränzen, neben einem uralten Götzenbilde spricht der allgewaltige Oberpriester Tschirsabâl mit dem Dichter Safur.

In der Tiefe an der Umfassungsmauer entlang zieht langsam eine feierliche Prozession vorüber, der ein offener leerer Sarg vorangetragen wird.

Fackeln beleuchten die Prozession, und Tempeldiener schwingen die alten Räuchergefäße an langen Stangen.

An vielen alten Götzenbildern zieht die Prozession vorüber —  die alten starren Steingesichter der Götzen scheinen sich zu beleben, wenn der leere Sarg langsam vorüberzieht.

Und Safur schaut von der Tempelterrasse in die mondbeglänzte arabische Wüste, in der die wilden Dschinnen hausen.

Tschirsabâl, ein Riese, der fast zwei Köpfe größer ist als der durchaus nicht kleine Dichter, sagt zu diesem, während er mit seiner mächtigen breiten Brust tief aufatmet:

»Atmest Du noch immer die schwüle Pestluft der Sinnlichkeit? Woran dachtest Du?«

Safur erschrickt, besinnt sich einen Augenblick und spricht dann hastig:

»Nein —  nein —  ich glaube —  ich atme nicht mehr die schwüle Pestluft der Sinnlichkeit. Ich sehnte mich nur. Ich sehnte mich allerdings —  nach einem Weibe. Aber diese Sehnsucht hatte nach meiner Meinung Nichts mit Sinnlichkeit zu tun —  wirklich Nichts. Denn, versteh‘ mich nur, das Weib, nach dem ich mich sehne, lebt noch nicht, ist noch nicht geboren, wird wahrscheinlich nie geboren werden. Sieh, ich sah so lange da in die Wüste hinein und glaubte zuletzt eine wilde Dschinne zu sehen mit schwarzem Gesicht und blauen Augen. Ich bilde mir jetzt fast schon ein, daß diese Dschinne wirklich irgendwo lebt —  und ich liebe diese Dschinne —  ‚lieben‘ will ich nicht sagen —  das Wort ‚lieben‘ ist zu oft mißbraucht —  es sagt mir zu wenig —  doch Du verstehst mich ja —  atme ich Pestluft?«

Tschirsabâl schüttelt den Kopf und erwidert sanft:

»Nur die gewöhnliche Sinnlichkeit der tierisch lebenden Menschen erzeugt Pestluft. Wir müssen anders als die Tiere leben. Nicht ein Weib darf das Ziel unsrer Sehnsucht sein. Die Gottheit müssen wir lieben.«

»Die Gottheit?« fragt Safur.

»Ja —  den einzigen großen wahren Gott«, versetzt der Priester, »den müssen wir lieben. Die Götter und Götzen der Erde sind nur die Vermittler zwischen dem Menschen und dem Einzigen, dessen Namen wir nicht unnütz aussprechen sollen. Aber — « und hier wird die Stimme des Priesters etwas heiser, »wir sollen den großen Gott, der die ganze Welt umschließt, wirklich ‚lieben‘ —  mit allen Nerven und mit allen Muskeln, die wir haben. Und wisse —  —  —  der Allgott offenbart sich in unsrem besten Freunde —  und —  ja —  im Freunde —  sollen —  wir —  den —  Gott —  lieben —  noch mehr —  anders als menschlich lieben. Ja —  Du hast Recht —  das Wort ‚lieben‘ genügt nicht, wenn wir die wahre große Leidenschaft bezeichnen wollen, in der Alles untergeht, die Alles verschlingt —  die nur die ewige Vereinigung mit dem Geliebten will —  die daher auch nur ihre ganze Befriedigung —  im Tode —  im Letzten —  finden kann. Die großen Priester der Erde dürfen nicht lieben wie die gewöhnlichen Menschen, sie dürfen nur den großen Gott lieben —  und ihn sollen sie lieben im besten Freunde! Safur, versteh mich! Vielleicht hörst Du meine Worte nicht noch einmal. Vielleicht sterbe ich in der nächsten Stunde, und Niemand sagt Dir mehr, was es heißt —  Sehnsucht nach der ewigen Vereinigung mit dem großen Gott haben und sterben —  sterben wollen —  sterben müssen, weil man nur lebt, um sich ganz auflösen zu können in dem, den man mehr liebt, als Alles! Denk‘ nach, ob Du nicht auch so sterben willst! Denk‘ nach! Safur! Nur im Tode wirst Du selig werden. Nur der Sterbende hat Alles —  und mehr als Alles!«

Und der gewaltige Riese zittert am ganzen Körper, seine Augen glühen, sein Atem keucht wie der Atem eines blutdürstigen Tieres, das sein Opfer sieht…

Tschirsabâl stürmt mit großen Schritten davon und verschwindet in einem dunklen Gange.

Safur bleibt fast starr zurück.

 

In der Tiefe des Tempels —  ganz tief —  tief unter den Grabkammern —  da befindet sich ein stiller Saal —  der Opfersaal.

Da ist es sehr kalt.

Den Boden bedecken feine Alabasterplatten, in die viele alte Zeichen und Figuren hineingegraben sind. Einzelne Stellen des Alabasterbodens in den Ecken des Saales sind mit Keilschrift bedeckt.

Und die Wände des Opfersaales bestehen aus blauem Lapis lazuli.

Auch die Wände sind mit alten Bildern und mit Buchstaben bedeckt —  die letzteren sind schweres Gold.

Die Decke ist ganz von Silber.

Ganz mit Silber beschlagen sind auch die großen breiten Tragbalken der Decke.

Das Silber ist aber nicht blank, an manchen Stellen ist es sogar ganz schwarz.

Sehr kalt und sehr leer sieht der Saal aus.

Und schrecklich still ist es da unten.

Und da unten kommen jetzt die sieben großen Priester zusammen.

Die blauen Turbane werfen die Priester hastig in die eine Ecke des viereckigen Saals.

Das Haar der Priester ist auch nach assyrischer Sitte gekräuselt —  nicht kurz geschoren —  wie das Haupthaar der Araber in Bagdad…

Dann aber betreten den Saal sieben Knaben —  mit langen, nicht gekräuselten Locken —  und in gelben Seidengewändern.

Die Knaben sind groß und schlank.

Ihre Haltung ist schlaff.

Ihre schwarzen großen Augen glühen aber, als wenn sie Entsetzliches sähen.

Ihr Gesicht sieht so wächsern aus, als hätten sie schon lange nicht mehr das Tageslicht erblickt.

Der Opfersaal wird nur spärlich von kleinen grünen Flämmchen erleuchtet, die an den Wänden in kleinen Ölschalen brennen.

Das grüne Licht macht den Saal noch unheimlicher.

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Den Knaben sträuben sich zuweilen die Haare.

In der Mitte des Saales steht auf einem eisernen Gestell eine längliche, mit himmelblauen Türkisen verzierte Wanne, in der auch ein sehr großer Mensch vollauf Platz haben würde.

In der Wanne ruhen vierzehn große Perlen, die sich in der Form ganz gleichen —  nur in der Farbe verschieden sind.

Die eine Perle ist schwarz.

Das ist die Todesperle.

Die vierzehn im Opfersaal versammelten Menschen treten an die Wanne und greifen langsam gleichzeitig hinein und nehmen behutsam, ohne hinzusehen, eine Perle heraus.

Dann heben sie die Perle empor.

Die schwarze Perle ist in den Fingern des größten Knaben, der viel schöner aussieht als die andern.

Ein gräßlicher Schrei schallt durch den stillen Raum.

Tschirsabâl schrie —  —  —  der Knabe, den er am meisten liebt, der sein bester Freund ist, der Knabe hat die Todesperle in den Fingern —  der muß sterben.

Und der Oberpriester heult —  wie ein wildes Tier.

Die andern Priester zittern.

Die Knaben weinen leise, ihre Augen werden noch größer.

Die sieben großen Priester des Mondtempels zu Hauran haben sich nach uralter Sitte einen furchtbaren Schwur geleistet —  sie wollen sterben, wenn sie die schwarze Todesperle in die Finger genommen haben.

Und die sieben Knaben, die zum Teil schon älter sind, haben denselben Schwur geleistet wie die Priester.

Doch die Knaben dürfen, wenn sie den Schwur geleistet, nie wieder mit andern Menschen zusammenkommen. Nur mit den sieben großen Priestern dürfen sie zusammenkommen.

Das Menschenopfer ist ein alter heiliger Brauch. Der Vierzehnte wird immer geopfert.

Außer denen, die den Schwur leisteten, weiß kaum ein einziger Mensch, daß im Tempel zu Hauran Menschen geopfert werden. Mit größter Vorsicht wird jeder Neugewählte eingeweiht. Nur diejenigen, die den Tod ernsthaft suchen, werden gewählt.

Die Priester wissen, daß die Macht der Ssabier gebrochen ist und sind darum schon stets bereit, sich opfern zu lassen.

Ja —  die vierzehn Menschen, die da unten im Opfersaal versammelt sind, haben sämtlich eine wahnsinnige Lust am Opfer —  sie sehnen sich nach dem Tode —  —  —  aus übergroßer Liebessehnsucht ward die Todessehnsucht geboren.

Die furchtbarsten Lustgefühle durchrasen jetzt —  diese vierzehn Menschen da unten, die im besten Freunde den Gott sehen und mit ihm zusammen in den Tod gehen wollen.

Doch es bereitet ihnen eine grausame gräßliche Wollust, daß sie nicht zu gleicher Zeit sterben, daß sie nach einander sterben und über jeden gestorbenen Freund mit wahnsinnigen Qualen —  herfallen —  wie die Hyänen über die Leichen herfallen.

Die feinsten gebildetsten Menschen sind die Priester, sie fühlen die feinsten Dinge —  sie wissen so Vieles, das Niemand je geahnt.

Und die Knaben sind womöglich noch feiner.

Aber diese feinen Nerven sind ein Fluch für die feinen gebildeten Menschen. Sie »leiden« —  durch diese feinen Nerven —  und müssen sich daher immer nach dem Tode sehnen, im Tode den Erlöser sehen —  müssen sich noch mehr quälen —  das Gräßlichste und Entsetzlichste ist für die feinen Nerven eine Art Beruhigung. Der ungeheuer große Schmerz soll die kleinen Schmerzen vernichten.

Die Vierzehn wollen immer ihren besten Freund töten, weil sie ihn lieben. Und sie wollen sich auch von ihrem besten Freunde töten lassen aus Liebe. Das ist verrückte Liebe —  ein großartiger Wahnsinn!

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Eines hätte die Armen von der Todessehnsucht erlöst —  ein unaufhörliches großes Kunstschaffen, das immer wieder auf Riesenwerke sinnt.

Doch das lag ihnen natürlich meilenfern.

Und so schlachteten sie sich gegenseitig ab.

Und —  ja —  wer beschreibt, was da unten im Opfersaal vorgeht?

Mit wahnsinniger Verzückung läßt sich der dem Tode verfallene Knabe die Adern öffnen, und die Andern füllen ihre goldenen Becher mit dem Blut des Knaben und trinken das Blut.

Und dann küssen Alle den blutenden Knaben —  mit einer wahnsinnigen Gier, daß dem Knaben der Atem ausgeht —  daß der Knabe erstickt wird.

Und dann stößt der Riese Tschirsabâl seinem besten Freunde das heilige Steinmesser in die Brust und kreischt, kreischt —  gräßlich ist das Gekreisch.

Und dann legen sie den Toten in die Wanne, machen ein Feuer unter der Wanne und schneiden aus dem Körper des Knaben große Fleischstücke mit ihren heiligen Messern heraus —  und dann verschlingen sie die Fleischstücke —  mit wahnsinniger Verzückung.

Sie glauben, sie nähmen die Gottheit in sich auf.

Und nach dem Mahl schleichen Alle davon, und ihre Augen strahlen Fieberglut aus.

Wenn sich die Priester dem Volke wieder zeigen —  dann erschrickt das Volk —  es weiß sich die furchtbaren Gesichter der großen Priester nicht zu erklären.


Auf der Terrasse und in den Grotten des Tempels verteilen jetzt Tempeldiener Brot und roten Wein.

Das Brot hat die Form eines Menschenkindes.


Tschirsabâl erscheint wieder oben auf der Terrasse, auf der Safur weilt.

Safur empfängt eben den Wein und das Brot trinkt —  trinkt —  ißt —  ißt —  und sieht dann den Priester.

Der Dichter sieht das entsetzte Gesicht des Riesen, denkt aber gleich, daß er ihn froh begrüßen muß —  der Priester lebt ja noch.

Und Safur will stürmisch den Priester umarmen, schreit laut und lachend:

»Nun wollen wir leben! leben!«

Doch der Riese taumelt zurück und ruft dem lebenslustigen Dichter mit furchtbarer Stimme ein einziges Wort zu —  »Esel« heißt das einzige Wort.

Und dann verschwindet Tschirsabâl hinter dem nächsten Gebüsch —  er starrt entsetzt in den Mond und flüstert:

»Mond, sei mein bester Freund! Menschen find‘ ich nicht mehr! Töte mich! Töte mich! Ich halt’s nicht mehr aus!«

Und er schlägt lang hin.

Und der blaue Turban fällt in ein Myrtengebüsch.

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