Tarub Bagdads berühmte Köchin
Das vierte Kapitel.
Und Safur lehnt an Tarubs Küchentür, er ruft mit seitwärts geschobenem Kopf:
»Ich stünde nimmer ganz allein, Wenn ich ewig könnte bei Dir sein.«
Doch die Tarub stemmt die Fäuste in die Seiten und sagt zornig:
»Jetzt kommst Du erst? Ist jetzt Morgen? Die Sonne geht ja bald wieder unter. Ich laß mir das nicht mehr gefallen!«
»Tarub!« erwidert wehmütig der Dichter, »sei nicht so böse! Battany lud uns zu einer Kahnfahrt ein. Wir sind eben erst zurückgekehrt. Ärgre Dich nicht! Nein?«
Tarub — schnell besänftigt — sagt rasch:
»Na ja! Ausreden hast Du immer — daran fehlt es Dir nicht!«
Bei diesen Worten hebt sie schon wieder geschäftig einen Kochtopf vom Feuer runter, stellt ihn auf die Platte und holt mit einem Blechlöffel vorsichtig das Fleisch aus dem Topfe heraus. Das Feuer schlägt lodernd in den rußigen Schornstein empor.
In der Küche des reichen Said ibn Selm schaltet die Tarub wie eine Herrin. Sie wird fast rot vor Eifer.
Der Dichter flüstert ihr ins Ohr:
»Ja, ja! sei nur schön ernst — das steht Dir gut — ich weiß ja.«
Und da lacht die Tarub über das ganze Gesicht. Safur aber greift nach ihrer Hand, die noch immer den Blechlöffel hält, berührt sehr demütig mit den Lippen die braunen Finger und sieht dann mit hochemporgezogenen Augenbrauen unter seinem braun und blau gestreiften Beduinengewande zur lachenden Köchin auf.
Tarub schüttelt vergnügt den Kopf, schreit aber plötzlich: »Nein — wie Du wieder aussiehst!«
Indes das kümmert den Dichter, der nie an seiner Schönheit zweifelt, sehr wenig, denn er schließt seiner braunen Köchin den Mund mit einem Kuß.
Safur wandelt alsdann in der mit roten Mauersteinen gepflasterten Küche langsam auf und nieder. Er schaut immer wieder Tarubs grünen Wollrock an, der wie ein Sack in steifen Falten den Körper umschließt.
Der grüne Rock hängt an roten Lederriemen, die über die Schulter gehen und hinten sich kreuzen.
Das weiße Leinenhemd, das den Oberkörper faltig umschließt, sieht auch sackartig aus. Ganz kurz sind die Ärmel des Hemdes, das so bläulich— weiß aussieht wie Kuhmilch, die verwässert wurde.
Die kräftigen braunen Arme wirtschaften am Herde so eifrig herum, daß der für gewöhnlich nicht sehr lebhafte Dichter ganz überrascht ist durch diese flinken braunen Arme…
Die Tarub ist fest gebaut wie aus Erz. Ihr schwarzer Zopf fliegt bei jeder Bewegung bald nach rechts — bald nach links.
Jetzt wendet sie das breite Gesicht zu ihrem Dichter. Ihre großen schwarzen Augen glänzen unter buschigen Brauen. Sie zeigt ihm ihre weißen Zähne, schüttelt sich das schwarze strähnige Haar aus der niedrigen Stirn und fragt leise:
»Was ist Dir denn wieder in die Krone gefahren?«
Safur blickt seine Köchin nachdenklich an und sagt ernst:
»Ich habe Hunger, Tarub!«
»Pfui!« ruft sie da, »schämst Du Dich nicht? Ein solcher Feinschmecker wie Du hat Hunger?«
Safur versetzt ernst:
»Ein wahrer Feinschmecker ist niemals satt.«
Tarub ärgert sich über diese Worte, sagt schnippisch: »Warum kamst Du denn nicht früher? Jetzt, wo ich so viel zu tun habe, bist Du hier. Zieh doch den Vorhang fort!«
Safur zieht den safrangelben Vorhang vom breiten offenen Fenster zurück und schaut in Saids grellbunten Garten hinein.
Die Sonne scheint dem Dichter von links oben ein bißchen auf den Kopf und auch auf die rechts gelegene weiße Küchenwand, an der eine lange Reihe starker Messer mit prächtigen Griffen glänzend aufblitzt.
Tarub geht dann mit ihrem Blechlöffel zu dem sinnenden Dichter, dreht ihn um und blickt ihn an, steht breitbeinig da und wackelt mit dem ganzen Körper lustig von rechts nach links und von links nach rechts — wie ein Bär.
Und indem sie die Augenbrauen so hochzieht wie vorhin der Safur, fragt sie schmeichelnd:
»Nu? Na? Was möchtest Du jetzt wohl essen? Nu? Na? Sag! Ja?«
»Alles!« ruft da lachend der Dichter.
Drob freut sich die Tarub, wackelt wie ein Bär durch die ganze Küche und spricht darauf sehr ernst, indem sie die Hände faltet:
»Oh! Oh! mußt Du aber hungrig sein! Setz Dich gleich da drüben auf die Bastdecke — schnell! Ich werde vor Dir auch ein weißes Tuch auf die Erde breiten. Setz Dich!«
Safur setzt sich denn auch mit untergeschlagenen Beinen und zufriedenen Gesichtszügen auf die Bastdecke. Und Tarub breitet das weiße Linnenzeug auf den roten Ziegeln mit rasch bewegten Händen vor ihm aus.
Danach bringt sie ihm das Essen.
Sie erklärt:
»Hier hast Du hartgesottene Steppeneier mit gelber Sonnentunke. Der Holzteller, auf dem die Eier ruhen, ist ganz neu und von einem ganz alten Beduinen am Rande geschnitzt. Und hier hast Du auf dunkelblauem Porzellan sauren Waldsalat…. Nachher gibt’s Bratfisch. Willst Du noch die Ölflasche?«
Safur bittet um die braune mit dem langen Halse.
Und auf einem Wandbrett unter alten Kruken und Gläsern, Bechern und Näpfen findet die Tarub nach längerem Suchen auch diese braune Ölflasche mit dem langen Halse….
Safur freut sich drüber.
Tarub auch — sie hebt die Lederriemen, an denen das grüne Wollkleid hängt, höher. Sie spannt die Sehnen des gedrungenen braunen Halses kräftig an, stößt das Kinn und die Unterlippe vor und sieht zu, wie ihr Dichter ißt. Sie hofft, Safur werde ihr so recht was Nettes über die gelbe Sonnentunke sagen. Der hört aber gleich wieder mit dem Essen auf und redet jetzt die Finger der braunen Rechten groß ausspreizend mit weicher Stimme:
»Ich fühle mich so sehr wohl. Ein großes Wohlbehagen empfand ich soeben. Ich empfinde das jetzt noch. Kennst Du das auch? Es war mir in meinem ganzen Körper so unbeschreiblich wohlig. Es überkam mich so plötzlich eine ganz selige Stimmung. Ich dachte Nichts, ich fühlte nur. Mein ganzer Körper fühlte. Nur ein paar Augenblicke hielt es an. Aber es war nicht eine einfache Sinnesempfindung. Ich schmeckte Nichts und sah Nichts — ich fühlte auch nicht nur in den Fingern — Alles fühlte an mir und in mir. Ob eine so allgemeine körperliche Gesamtempfindung nur eine Magenstimmung ist? Ich habe noch garnicht Lust zum Essen. Ich fühle mich so sehr wohl. Jetzt merke ich etwas über dem Magen — unter der Brust…«
Besorgt fragt die Tarub:
»Hast Du Leibschmerzen?«
Safur schüttelt den Kopf und zerteilt wieder mit dem zierlichen kleinen Spatenmesser die Steppeneier, tut Sonnentunke mit einem Porzellanstäbchen hinauf — und ißt wieder — langsam — bedächtig — schmeckend.
Der Dichter will dann Kamelsmilch.
Und in einer feinen Tonschale, die mit krausen Blumen bemalt ist, reicht Bagdads berühmte Köchin die Milch ihm hin. Und er trinkt in langen Zügen — schlürfend — mit der Zunge schnalzend — lächelnd.
Die Tarub pökert währenddem mit der Feuerzange in den glühenden Holzkohlen herum, rückt den Dreifuß zurecht, setzt eine Bratpfanne hinauf und schmilzt Fett darin. Sie legt sodann einen großen Windfisch ins Fett und bratet den Fisch.
»Mir ist behaglich zu Mute«, sagt der Dichter.
Er kaut den frischen sauren Waldsalat, und dabei schweift sein Blick über die langen Reihen buntfarbiger irdener Kruken und Krüge, die auf den Wandbrettern stehen und sich prächtig von der weißen Kalkwand abheben. Viele Schüsseln stehen auch ringsum an den Wänden.
Neben der Wassertonne liegt gehacktes Holz und brauner Torf.
Auf einem geheizten schwarzen Holzgestell thronen feierlich Porzellanschalen und Tassen — mit Blumen und seltsamen Figuren bemalt. Das Porzellan ward aus dem fernen China auf Dschunken nach Bagdad gebracht. An diesem Porzellan bleiben Safurs Blicke hängen, und er meint lachend:
»Du, Tarub! Jetzt habe ich bald aus allen jenen Schalen und Tassen, die dort auf dem schwarzen Gestell stehen, gegessen und getrunken, nicht?«
»Ei ja!« erwidert das braune Mädchen, »aber sage mal: schmeckt es Dir denn auch? Du sagst heute Nichts!«
»Wie sollte mir«, ruft der oftmals überschwängliche Dichter, »das, was Du kochst, jemals nicht schmecken? Ist doch unmöglich. Ich habe ja schon Alles aufgegessen. Tarub, Niemand kocht wie Du — glaub’s mir! Gib mir Brot und den Salzbottel.«
Tarub nickt vergnügt, als wär‘ ihr was geschenkt.
Der Windfisch ist gebraten — ganz knusprig. Die große Köchin kostet ihn und sagt: »Hm!«
Danach stellt sie Brot, Salz und Fisch vor ihren lieben Dichter und sagt: »Nun?«
Er streichelt ihre Hand und will noch eine Zitrone — bekommt sie auch gleich.
Der braun gebratene knusprige Windfisch liegt auf einem silberblanken Zinnteller.
Tarub kauert sich Safur gegenüber an die Erde, betrachtet ihn — — — freut sich, daß es ihm schmeckt.
»Weißt Du, Tarub!« hebt nun der Dichter lachend an, wie er sich die letzten Gräten des Windfisches aus den Zähnen zieht, »während ich so aß, hatte ich einen prächtigen Traum, denn der Windfisch schmeckte vortrefflich — den lieb ich — besonders gebraten. Ich träumte — mir war so, als wäre ich ein Riese und säße vor dem großen Meer — und mir kamen die einzelnen Fischteile wie wunderliche kleine Inseln vor. Verstehst Du nicht? Ich glaubte, kleine Inseln zu essen und das Meer brausen zu hören, in dem die Windfische herumspringen.«
»Was Du auch Alles glaubst!« ruft da erstaunt die Tarub.
Safur aber fährt fort:
»Man muß noch viel mehr beim Essen denken. Ich verstehe nur das Eine nicht: denke Dir nur — der große Weltreisende Jakuby, doch sonst ein wirklich feingebildeter Mann, versteht vom Essen Nichts — wahrhaftig — Nichts; er hält die Genüsse der Zunge für ganz niedrige — für tierisch.«
Entrüstet ruft die braune Köchin:
»Ist es möglich?«
Der Dichter spricht nun weiter:
»Ich versuchte den großen Gelehrten, der doch fast alle Länder der Erde kennt — China, Arabien, Spanien, Afrika — zu widerlegen. Ich sagte: warum soll ich mich für eine köstlich schmeckende Speise nicht ebenso herzlich begeistern wie für eine neue Stadt oder für ein neues Buch? Warum nicht? Ich empfinde doch beim Essen ebenso leicht was wie beim Lesen und Reisen. Doch er verstand mich nicht. Und der alte Querkopf Abu Hischam — den Philosophen meine ich — der stand dem Jakuby noch bei.«
»Weißt Du«, erklärt eifrig die Tarub, »vom Essen verstehen eigentlich die meisten Menschen Nichts. Dieser dicke Vielfraß, der Schreiber Osman! ich sage Nichts — aber ich habe sehr oft das Gefühl, als wär’s ihm ganz gleichgültig, was er ißt — wenn’s nur Viel ist.«
Safur schiebt die Schuld an dieser Vielesserei den Tofailys in die Schuhe — diese Schlemmer müßten Alles unmäßig treiben, anders wäre ihnen nicht wohl…
Jetzt plaudern die Beiden, erzählen sich was.
Der Tarub fällt dabei was Neues ein.
»Bei Allah!« fängt sie erschrocken an, »ich vergaß ja — hast Du denn noch Nichts von dem Morde heute Morgen gehört? Nein?«
Safur hält diesen Mord nicht für besonders merkwürdig, ist der Meinung, daß so was alle Tage in Bagdad vorkommt.
Das bringt aber die Tarub ganz aus der Fassung, sie redet ihrem Dichter ins Gewissen:
»Safur!« sagt sie eindringlich mahnend wie eine Mutter, »wie kannst Du so sprechen? Es ist doch schrecklich, einen Menschen zu morden. Über den Tod darfst Du nicht so ‚leichtfertig‘ denken. Sieh, diese wüsten Tofailys haben den Mord begangen — einen alten Wollkrempler haben sie totgestochen. Du solltest doch nicht mehr mit den Tofailys verkehren — sonst stechen sie Dich auch noch tot! Versprich’s mir!«
»Hier hast Du meine Hand!« ruft feierlich der Dichter aus, »ich will mich um Deinetwillen niemals totstechen lassen.«
Die Tarub springt ärgerlich auf, sie ist bös — immer, wenn sie ernst wird, ist er spöttisch — so recht nichtswürdig kann er sein.
Safur tröstet seine ärgerliche Köchin in ganz eigener Art, sagt:
»Höre, liebe Tarub! Mord ist Mord — Mord bleibt auch Mord — ob Du darüber traurig oder vergnügt bist, wird aus dem Morde nicht etwas Andres machen — Tatsachen sind und bleiben unveränderlich. Du kannst Dich über Alles grämen, über Alles kannst Du Dich ärgern — kannst Dich aber auch über Alles freuen — über Alles lachen, Alles verspotten — darfst auch Alles beweinen. Wie man sich nach einer Tat — oder einer festen Tatsache gegenüber benimmt, das ist grausig gleichgiltig.«
Diese weisheitsvollen Worte versteht die Tarub natürlich nicht — das ist ihr viel zu schwer.
Sie wird aber immer ruhig, wenn sie das Gefühl hat, daß er doch eigentlich schrecklich klug ist… das weiß natürlich der schlaue Dichter.
Er bekommt jetzt Durst, und sie — vergißt den Mord — reicht ihm in einer Muschel kniend ein paar duftende Oliven dar.
Er beißt in eine Olive hinein und umarmt dann seine Tarub, küßt ihr die Stirn und die Augen, die Wangen und den Hals, die kleinen kalten Ohren und die heißen Lippen.
Wie er die Tarub losläßt, eilt sie an den Pumpenschwengel und pumpt einen hohen Silberbecher halb voll Wasser, gießt Wein aus einer kleinen Kanne hinzu und reicht es ihrem geliebten Dichter mit der Linken, lächelt ihn innig an. Der schwarze Zopf liegt ihr dabei auf der linken Brust.
Safur zieht die gute Tarub zu sich nieder — und sie trinken Beide…
Jedoch — leichtfertig hat sie ihn genannt. Das vergißt er nicht so schnell, er mutzt ihr das auf.
»Leichtfertig«, spricht er spitz, »leichtfertig hast Du mich genannt. Das bin ich ja noch garnicht. Ich möcht‘ es ganz gern werden. Aber:
O! glaube mir, es ist nicht leicht, Das ganze Leben leicht zu nehmen.«
Pause…
Sie trinken.
Die Tarub bewundert des Dichters weiche Stimme, die jetzt wieder recht nachdenklich durch die Küche hallt — folgendermaßen:
»Ja das Leben! Ich glaube, ich nehme das Leben viel zu ernst. Zwar — ich will nur genießen. Doch ich kann nie fein genug genießen. Ich möchte den Genuß so fein machen wie einen Geist — wie ein Frauenhaar. Man muß so mit allen Fingerspitzen genießen — die feinste Reizung der Haut muß empfunden werden. In jedem Augenblicke müßte man anders erregt und bewegt werden — und zwar bewußt. Man muß die Bewegung jedes fallenden Blattes mitfühlen. Da ich so viel Neues in jedem Augenblicke genießen will — so bin ich auch immer wieder ein Andrer. Jeden Tag will ich auch was Andres.
Was ich gestern war, Bin ich heute nicht. Jeder neue Morgen Zeigt ein neu Gesicht.«
Wieder Pause.
Die kleine Tarub denkt — er hat ’ne Andre.
Er muß sie beruhigen.
Er streichelt sie, ist sehr zärtlich.
Er flüstert ihr Schmeichelnamen in’s Ohr, nennt sie »lieber Bär«… »protter Bär«… »Busselbär«…
Sie lachen und essen Oliven und trinken Wein aus Bassora dazu — der schmeckt sehr schön.
»Bär«, fragt er, »wie lange ist es schon her, daß ich zu Dir in die Küche komme?«
Bär weiß nicht, denkt, es sei schon schrecklich lange. Doch das glaubt er nicht, er meint:
»Nicht doch! Mir ist, als wenn es erst ganz kurze Zeit wär‘. Oh! Der Genuß der Menschen ist so flüchtig. Man genießt eigentlich immer nur den einzelnen Augenblick. Ich glaube, ein ständiges unveränderliches Glück gibt es garnicht. Wirklich! Wir kennen nur Augenblicksgenüsse. Darum darf man sich nicht darauf beschränken, bloß große hocherhabene Gefühle zu suchen und zu pflegen — die kann man doch nicht immer haben. Man muß auch an Allem, was klein ist, sich ergötzen. Sonst wird man sehr oft unbefriedigt und unglücklich sein. Da drüben die blanken Messingkessel und die bunten irdenen Tiegel — die sind mir auch allmählich lieb und wert geworden. Ich suche an jeder Kleinigkeit etwas zu finden. Deshalb esse ich auch so bedächtig — mit Verstand, wie Du zu sagen pflegst. Man muß sich an den Augenblicksgenüssen festklammern, als wären sie Alles, was wir jemals erreichen könnten. Die großen erhabenen Stimmungen sind eigentlich auch nur für den Augenblick da. Ja — immer kann man sich nicht für große Dinge und für große Empfindungen — für das stark und heftig Erregende — begeistern — oder man lügt sich was vor — oder das Große ist nicht mehr groß.«
»Ich möchte noch viel öfter«, bemerkt zaghaft die kleine Tarub, »mit Dir zusammen sein. Du mußt mir noch Vieles erklären. Ich verstehe Dich zuweilen nicht so rasch. Willst Du noch Wein, Safur?«
»Gutes Kind!« entgegnet er freundlich, »ach ja! ein wenig!«
Safur sitzt da in seinem braun und blau gestreiften Beduinengewande — wie ein hockendes Zebra.
Er stützt den Kopf in die Hand. Das feine schmale Gesicht mit dem ganz schmalen feinen Nasenrücken sieht nachdenklich auf die schimmernde große Muschel, in der noch wie eine große grüne Perle eine Olive ruht.
Aus Saids Garten weht ein starker Blumenduft in die Küche. Vom Feuer her riecht man jetzt das kochende Fleisch — ganz schön ist das.
Im rußigen Schornstein hängen geräucherte Lammrippen.
Der rote Ziegelboden ist sauber gescheuert. Neben dem Herde steht noch der schmutzige Scheuereimer.
Und die Tarub in ihrem grünen Wollrock wirtschaftet in ihrer Küche so eifrig herum, daß Safur ganz erstaunt ist — der versteht niemals, wie man das Wirtschaften so wichtig nehmen kann.
Wieder bringt sie Wein — aber sie hat ihn diesmal gewürzt mit alten getrockneten Kräutern, die sie aus alten Büchsen und Dosen hervorkramte.
Der Wein duftet nun noch schöner als das Fleisch im Kochtopf — fast schöner als Saids Blumen.
Safur und Tarub trinken.
Der Wein macht den Dichter ganz tiefsinnig.
»Der Mensch«, flüstert er — so als wenn er allein wäre, »kann nicht in einem fort lachen, kann auch nicht fortwährend weinen, kann nicht immer traurig sein und auch nicht ewig sich selig fühlen. Dieses glaube ich. Daher muß man die einzelnen Augenblicke des Lebens gesondert genießen und vor allem nicht immer geneigt sein, jeden Augenblick zu verlängern. Jede Lust währt ihre Zeit — wenn sie vorbei ist — dann ist sie vorbei. Daran muß man sich gewöhnen. An jedem Tage — in jeder Stunde sieht unser Wohlbehagen und unsre Erregung ganz anders aus. Oft ist uns auch die Unruhe und das Unbehagen nötig. Die schmerzlichen Empfindungen sind auch von manchen Genüssen gar nicht zu trennen. …«
Das Alles ist nun Nichts für die Tarub — die will ihn daher auf andre Gedanken bringen, er soll nicht soviel denken — sie erzählt ihm:
»Du, Dichter! Hör bloß! Die Abla steht jetzt den ganzen Tag vor ihrem neuen Spiegel. Schrecklich! Nicht?«
»Das verleidet ihr«, entgegnet der Dichter, »den Genuß. An einer und derselben Sache kann man nicht stets das nämliche Wohlgefallen empfinden. Der Genuß läßt sich nicht wie ein Gummiband verlängern. Wir müssen immer wieder neue Reize suchen — sonst stumpfen wir ab. Selbst gebratenen Windfisch kann man nicht alle Tage essen.«
Der Dichter, der sich jetzt sehr weise vorkommt, erhebt sich, bewundert die Sauberkeit der Küche, vergleicht Tarubs Küche mit einigen andren sehr schmutzigen Küchen und schaut dann nachdenklich in eine tiefe Holzwanne, in der sich ein paar dicke Aale wild herumtummeln; sie winden sich durcheinander und hauen sich mit den Schwanzspitzen….
Tarub rührt Teig — aus dem dunkle Kronenklöße gemacht werden sollen — hurtig zurecht. Alles geht sehr flink….
Und beim Teigrühren erzählt die Tarub, daß sie des Morgens jene schöne gelbe Schüssel, aus der Safur zum ersten Male in ihrer Küche gegessen — und zwar junge Hühner in altmekkanischer Brühe — fallen gelassen habe und daß die schöne gelbe Schüssel zerschlagen sei.
Diese Nachricht stimmt den Dichter sehr sehr traurig, er umarmt seinen Bären und wird ganz gerührt.
Und die Tarub beginnt nun, in alten Erinnerungen zu kramen; das Kramen mag sie für ihr Leben gern. »Safur«, hebt sie an, »weißt Du auch, daß Du mir damals noch die schöne Zuckerbüchse mit Deinem alten Säbelknauf verbeultest?«
»Ich weiß«, sagt der Dichter.
Er berührt gleichzeitig mit den Fingerspitzen ein paar dicke blutige Rindskeulen, die an kräftigen Eisenhaken vor der weißen Kalkwand hängen.
»Oh!« fährt aber der Bär fort, »weißt Du auch noch, wie Du da drüben an der Wand auf den weißen Mehlsäcken saßest, mit den Füßen strampeltest und mir Dein erstes Gedicht an Deine Tarub vorlasest? Weißt Du noch? Mir waren gerade die Speckstücke ins Feuer gefallen.«
»Ich weiß«, ruft lachend der Dichter.
Er schiebt einen leeren Weinschlauch mit dem rechten Fuße an die Wand, nimmt das Beil vom Nagel und hackt seiner braunen Köchin ein bißchen Holz klein.
Das Kochgeschirr aus blankem Messing, das neben dem Herde hängt, blitzt und funkelt. Die grün und blau gesprenkelten Honiggläser glitzern hinter dem Pumpenschwengel.
Die große Stahlschaufel lehnt am Türpfosten.
Die blau und rot gestickten Leinentücher baumeln — etwas schmutzig sind sie — über dem Kehrichteimer.
In den Eiseimern taut das Eis.
Es ist so schrecklich ruhig in der großen Küche des reichen Said.
Eier quirlen soll der Dichter schließlich.
Er tut es und denkt daran, wie er die kleine Öllampe mit dem langen Docht an der Schnauze zum ersten Mal in einer dunklen Nacht hier in der Küche brennen sah — er half da der Tarub noch die vielen Löffel putzen.
Als er mit dem Quirlen fertig ist, will er die kleine Öllampe, die zwischen kleinen lila gefärbten Näpfchen steht, anstecken.
Aber da kommt er schön an.
»Bist Du verrückt?« schreit die Tarub, »jetzt am hellen Tage willst Du die Lamp‘ anstecken? Du fängst ja wieder gut an. Solche Dummheiten kann ich nicht leiden.«
»Sei doch nicht gleich so!« spricht milde der Dichter, dem die rauhen Worte wie Faustschläge vorkamen, »diese Heftigkeit ist mir schrecklich — mir wird gleich ganz heiß, wenn Du in so roher grober Weise redest.«
Doch die Tarub geht an den hölzernen Pumpenschwengel und pumpt, daß das Wasser überschäumt und den blank gescheuerten Ziegelboden naß macht… sie lacht darüber aus vollem Halse; ihr Lachen schallt in den Garten hinaus.
»Da hättest Du bald das Wasser in die Milch gespritzt — die großen Milchschalen könnten auch mal bedeckt werden.«
Also der Dichter.
Doch seine dralle Köchin sagt rauh:
»Wasch Dir doch die Hände!«
»Nein — sei nicht so rücksichtslos!« sagt er.
Doch gleich darauf wäscht er sich wirklich die Hände; sie waren ja tatsächlich sehr sauber nicht.
Wie die Hände sauber sind, ist Safur wieder ruhiger — er lächelt sogar, lächelt über seinen protten Bären, der ihn immer wieder verletzt — immer wieder.
Die Erinnerungen an alte Zeiten machen den Dichter wieder friedlich — er freut sich über die vielen Kiepen mit Pfirsichen , Birnen, Gurken, Waldbeeren und Kirschen. Am Fenster in einer Ecke liegen auch ein paar Dutzend Tauben — in einer Reihe — ihre toten Köpfchen hängen trübselig auf der Seite.
Tarub geht hinaus, sie muß nach der eitlen Abla sehen, ob die auch mit ihrer Zuckerbäckerei fertig wird — Saids Abendessen soll fürstlich werden.
»Sollst doch nicht so die Stirn krausen!« ruft sie noch, als sie schon beinahe draußen ist, ihrem Dichter freundlich zu.
Der Safur nickt und befühlt mit seinen reinen Händen die fein getriebene Arbeit des großen kupfernen Eiskübels, in dem künstlich Eis erzeugt wird.
Er denkt — spricht dabei zuweilen ganz laut:
»Wie seltsam alle diese Küchengeräte auf mich einwirken. Ich erinnere mich heute fast an meine halbe Vergangenheit. Als Tarub Kopfschmerzen hatte und ich ihr Eisumschläge machte, da war sie so dankbar — so weich und zärtlich. Dieses Aufbrausen berührt mich so entsetzlich roh. — — Aber die Erinnerung verschärft doch die Genüsse. Wenn ich aus einem alten, mir vertrauten Kochtopf esse — so empfinde ich die früher genossenen Speisen noch einmal auf der Zunge — nur so halb — aber sie würzen doch das neue Gericht. Mit solcher Wiederholung eines Genusses kann man wohl eine sehr verfeinerte verschärfte Empfindung erzielen. … Wenn man nur alle Arten der Genußverschärfung genauer kennen würde! … Verschärfen läßt sich ein Genuß, aber nicht verlängern — das ist wichtig. … Zum Beispiel: eine Liebesstimmung soll man auch nicht länger machen wollen — als sie ist — sie ist auch kein Gummiband. … Jedenfalls ist mir nun das Eine klar: man muß in jedem Augenblick einen neuen Genuß oder einen verschärften Genuß zu empfinden trachten — man darf nicht kleben bleiben an der einzelnen Lustempfindung. Der verschärfte Genuß ist nur eine besondre Art von den neuen Genüssen… die Erinnerung spielt hier die Rolle eines feinen Gewürzes. — — Und dann darf man nie vergessen, daß man einen andauernden Glückszustand nicht in sich erzeugen kann. Man muß immer im Auge behalten, daß der einzelne Genuß nicht allzu lange genießbar ist — man darf sich daher nicht bloß einer besondren Gattung von Genüssen zuwenden — man muß alle — alle — alle Genüsse durchkosten wollen — immer wieder andre — immer wieder neue, feine, vergeistigte Gefühle — aus dem trockenen Brot muß man ebenso viel Genußerreger rausziehen können — wie aus der rasendsten tollsten glühendsten Liebesleidenschaft. Das höchste Lebensglück besteht in dem Leben, das da aufweisen kann: die größte Zahl von glücklichen Augenblicken — die man nicht verlängern soll — die man auch nicht verlängern kann — die man nur zuweilen durch Erinnerungen und lustige Verse verschärfen darf. Verlieben darf man sich nicht in die einzelnen Genüsse — kleben bleiben darf man nicht an den einzelnen Augenblicken. Man muß ohne Schmerz weiterspringen — wenn die eine Wiese ein bißchen abgegrast ist. Nur nicht traurig werden! Mit geballten Fäusten oder anders will ich unermüdlich danach streben, die größte Zahl fein verzückter Augenblicke zu durchkosten. Ich will der glücklichste Mensch sein. Nichts soll mir zu klein und Nichts zu groß sein. Genießen will ich — genießen!«
Ein durchdringender Blütenwind strömt aus dem Garten kühl in die Küche.
Safur fröstelt. Er dreht sich um.
Die Küchentür steht splarweit offen.
Und die Tarub, Bagdads berühmte Köchin, kniet dort auf der Schwelle — faltet die Hände — tut so, als ob sie ihren Dichter anbetet….
Das fünfte Kapitel.
Piepsend schießen Schwalben vorüber — vorüber an dem reichen Said ibn Selm, der unter seinem kostbaren Zeltdache steht und eine lange Küchenrechnung liest.
Und er murmelt in seinen rechteckigen Bart:
»Die Gewürze werden zu teuer — viel zu teuer; die Tarub verbraucht zu viel — viel zu viel. Alles viel zu teuer — viel zuviel!«
Saids ältester Sklave, der Hausmeister, wagt es, mit dem Kopfe zu schütteln.
Said fragt erstaunt:
»Oh, mein Hausmeister, warum schüttelst Du mit dem Kopf?«
»Oh, Herr!« antwortet der alte Sklave treuherzig, »die Tarub ist die sparsamste Köchin, die ich jemals sah.«
»Das glaubst Du selbst nicht!« ruft zornig der Herr des Hauses — er wendet sich und geht ab.
Der Hausmeister steht einen Augenblick allein und denkt nach.
Dann klatscht er in die Hände, und es erscheinen hübsche junge Knaben mit Räuchergefäßen und kupfernen Waschbecken, mit prachtvollen Teppichen und großen gurkenförmigen Papierampeln, die ganz dunkelrot sind.
Unter dem kostbaren Zeltdache, das schräg von der Hauswand in den Garten hinuntergeht — wie ein schlaffes Segeltuch — auf Saids berühmter Estrade — soll gleich das üppige Abendessen eingenommen werden, zu dem Battany und seine Freunde feierlich geladen wurden.
Die viereckige sehr geräumige Estrade ist vorn offen und führt da in den Garten — rechts, links und hinten wird sie durch Teppiche abgeschlossen, die man zurückziehen oder leicht an die Seite schlagen kann, wenn Jemand durch will…
Die Knaben hängen flink vorn am Zelttuch die Ampeln auf, stellen die Räucher— und Waschgeräte in die Ecken, breiten die Teppiche, die sie mitbrachten, auf den Boden und verschwinden dann wieder — fast geräuschlos.
Der Hausmeister ist abermals allein.
Der Springbrunnen im Garten plätschert sehr laut und sehr lustig.
Es wird allmählich dunkler.
Und wie’s nun so dämmerig ist, schiebt sich vorsichtig rechts durch die Teppiche ein reizendes weißes Gesicht durch — mit feuerroten Haaren, in denen weiße Rosen stecken — das ist die eitle Abla.
Und links erscheint ein gelbes Gesicht mit großen braunen Augen und schwarzen Haaren, in denen blaue Veilchen stecken — das ist die Sailóndula — ein Mädchen aus dem fernen Indien.
»st!« macht das Mädchen rechts.
»st!« macht das Mädchen links.
Und dann kommen sie Beide vor und umarmen den Hausmeister.
Der schaut erstaunt erst die Abla an — die so reizend aussieht in ihren Beinkleidern aus hellblauer Seide — ihr Oberkörper ist nur mit einem zarten, ganz dünnen, weißen Spitzenhemd umhüllt. Dann schaut er ebenso erstaunt die Sailóndula an, die einen weingrünen Seidenrock trägt, der nur bis zum Knie reicht. Die schlanken Beine des gelben Mädchens sind vom Knie ab unverhüllt.
»Kinder!« bemerkt dann bedächtig der Hausmeister, »wo habt Ihr denn die schönen Kleider her?«
»Die hat uns Said«, erwidert die weiße Abla, »beim Schneider Dschemil gekauft. Weißt Du auch warum?«
»Ach, wie soll ich das wissen?« versetzt der Alte.
Und nun erklären die beiden Mädchen flüsternd und hastig, daß sie zu den Gästen fürchterlich liebenswürdig sein sollen, damit die Gäste nicht zu viel essen…
Und kichernd erzählen auch die Beiden, daß sie einen Plan ausgeheckt haben: sie wollen dem Said, dem alten Geizhals, beim letzten Gericht einen Schlaftrunk geben… d. h. der gute Hausmeister soll dem Said den Schlaftrunk geben. Die Mädchen küssen den Alten — und er weiß sich nicht zu helfen — er verspricht Alles zu tun, was man von ihm verlangt…
Jetzt ist es aber ganz dunkel geworden.
Die Knaben stecken die Öllämpchen in den gurkenförmigen roten Ampeln an…
Wie die brennen — erscheint die Tarub.
Sie hat dunkelrote Rosen im schwarzen Haar, der Zopf liegt ihr auf der Brust. Ein gelbseidener Rock umhüllt ihren braunen breiten Körper bis zum Knie, und schwarzseidene Beinkleider umhüllen bauschig ihre dicken Beine.
Die sechs Arme der Mädchen sind ganz unbekleidet, doch die sechs Füße stecken in kleinen roten Lederpantoffeln.
Was jedoch tut die Tarub?
Oh — die schimpft gleich wieder.
Die muß immer schimpfen, sonst kann sie nicht leben.
Sie schimpft, daß das Räucherwerk noch nicht brennt.
Na — die Knaben beeilen sich, Myrrhen, Weihrauch, Sandarakholz und andre wohlriechende Stoffe vorsichtig anzuzünden.
Die Rauchwolken wirbeln empor.
Und die Gäste erscheinen.
Es kommen immer zwei zugleich, Arm in Arm — aber schweigend.
Abu Maschar kommt mit Abu Hischam.
Battany kommt mit Jakuby.
Osman naht am Arm des Kodama.
Die Mädchen kichern, wie diese beiden Dickbäuche feierlich eintreten.
Zuletzt erscheint Safur mit Suleiman.
Der Letztere hält eine Rolle in der Hand.
Die acht Freunde begrüßen die lachenden Mädchen — die Tarub mit ganz besondrer Hochachtung — , die benimmt sich daher auch ganz königlich — die ist so glücklich und so stolz.
Die acht Freunde warten alsdann.
Said pflegt immer — seine Freunde warten zu lassen. Das ist so Sitte in seinem Hause.
Nach einer guten Weile aber kommt der Hausherr endlich zum Vorschein — er trägt einen schwarzen Seidenkaftan und einen schwarzen Seidenturban.
Zwei schwarze Knaben fächeln dem Hausherrn mit indischen axtförmigen Fächern Kühlung zu.
Die Gäste verbeugen sich.
Said lächelt.
Dann treten Alle zur Seite, und Suleiman geht dem größten Geizhals von ganz Bagdad — diesem unglaublichen Said ibn Selm — mit einer Ehrfurcht entgegen, mit der man in Bagdad gewöhnlich nur dem verrückten Kalifen zu nahen pflegt.
Suleiman hebt dabei seine Rolle hoch empor und spricht:
»Said ibn Selm, wir grüßen Feierlich Dein festlich Nahn. Said ibn Selm, wir lächeln Selig, daß du endlich kamst.
Deine Augen, Said, grüßen Alle, die Dich heute sahn, Wie zwei stille Märchenblüten In der Hand des Bräutigams.
Immer kann man nicht verliebt sein, Ewig währt kein einzger Wahn, Aber heut muß ich Dich preisen — So wie Du’s noch nie vernahmst.
Said, milder Freund, wir ahnen, Was wir heut von Dir empfahn. Du verbreitest märchentrunken Ach — die Lust des Bräutigams
Wenn im Abenddunkel träumend Deinen Garten wir durchschaut, Konnte Nichts uns mehr beglücken Als ein stiller Mondenschein.
Said, kannst Du darum zürnen, Wenn ich überseltsam kühn Dich mit Mondenschein vergleiche? Ach — ich bin in Dich verliebt!
Said, sieh! in Deiner Nähe Müssen wir vor Freude glänzen, Denn wir fühlen vor Dir — horch‘ nur! Einen neuen Mondesglanz.
Alle Blumen schließen schamhaft Ihrer Kelche zarte Ohren, Denn die Winde flüstern lüstern Ach — von wilden Liebespaaren.
Tolles Jauchzen tönt nun selig Durch des Gartens Blumenpracht — Das sind lustverzückte Verse — Die durchsprühn die Mondesnacht —
Und wir stehen träumend stumm, Hörn ein himmlisches Gedicht.
— — — — — — — — —
Ging der Mond schon auf? — Oh nein! Said — wir — gedachten — Dein!«
Leise klagend flötet eine Nachtigall in Saids Blumengarten.
Said empfängt gerührt die Rolle, in die das Lobgedicht fein säuberlich hineingeschrieben.
Darauf setzt man sich im Halbkreis auf die Teppiche — der Hausherr in der Mitte mit dem Gesicht zum dunklen Sternenhimmel, vor dem die roten Ampeln schaukeln.
Links von Said sitzen vier Gäste.
Rechts von Said ebenfalls.
Feine weiße Tücher mit Fransen breiten flink die Knaben vor den Gästen aus.
Die Tarub erteilt leise die Befehle.
Alles gehorcht der Tarub.
Zuerst gibt’s Tigriskrebse in buttergelben Porzellanschüsseln.
Wie die roten Schalen knacken und knistern, ertönt im Garten in der Ferne wunderbare Flötenmusik denn ein Gastmahl bei Said ist ohne Flötenspieler nicht denkbar.
Und die Nachtigallen schlagen zuweilen ganz verständig dazwischen.
Der zweite Gang ist saurer Aal in Panthertunke — Al Battanys Leibgericht.
Der Springbrunnen plätschert.
Die Flöten verstummen.
Und die drei Mädchen überreichen jedem Gast einen Becher mit Wein.
Feierlich heben alle die Becher empor, und dann wird getrunken.
Alten Wein aus Bassora trinkt man.
Verständnisinnig trinkt man den alten Wein.
Und dann gibt’s indische Schnecken.
Die Gesichter der Gäste glänzen.
Das Gespräch beginnt.
Battany setzt dem Abu Maschar in wohlgesetzter Rede auseinander, daß eine Fortentwicklung der Welt und der Menschen durchaus nicht zu leugnen sei — das sähe man schon an der großen Stadt Bagdad, die einst ein armseliger Marktflecken gewesen — das sähe man an den indischen Schnecken, die in dieser Zubereitung sicherlich in früheren Zeiten nicht gegessen worden wären…
Said lächelt stolz, daß son gelehrtes Zeug bei ihm geredet wird — er versteht natürlich kein einziges Wort von dem ganzen Gespräch, an dem sich außer Abu Maschar und Al Battany auch Abu Hischam und Jakuby lebhaft beteiligen. Man erhitzt sich beinah.. deswegen läßt der Hausherr kälteren Wein bringen.
Und die Flötenspieler flöten immerfort.
Man ißt Antilopenschinken mit gefrorenem Wurzelsalat — und zwar nicht wenig.
Die Liebenswürdigkeit der drei Mädchen dringt nicht durch.
Als aber Kamelsgehirn gebacken aufgetragen wird auf flachen silbernen Tellern — da kann sich Safur nicht mehr halten.
»Freunde«, ruft er laut, »Ihr eßt nich‘ mit der nötigen Andacht. Oh dieses Kamelsgehirn — entzückend — wir müssen auf Tarubs Wohl trinken — auf Tarubs…«
Alle trinken auf ihr Wohl.
Und dann essen Alle Kamelsgehirn und danach — Schildkröten gesotten.
Safur vergeht fast vor Seligkeit.
Er ißt mit so großem Entzücken, daß Alle lachen müssen.
Seine Augen leuchten wie dicke große Glühwürmer.
Und der Said sagt schmunzelnd zum Safur:
»Junger Freund! Gib Verse zum Besten!«
Der junge Freund läßt sich diesmal nicht lange bitten, spricht mit dem Messer drohend:
»Glaubt mir! Den Hund ich töte, Der mir die schöne Kröte Zu rauben wagen sollte.
Der Ampeln dunkle Röte Durchglühet meine Kröte Als wenn sie brennen wollte.
Weh‘ dem, der mir verböte, Die wunderbare Kröte Zu speisen und zu preisen!
O Kröte! Schöne Kröte!«
Und des Dichters Messer funkelt hell. Saids Gäste lachen und trinken.
Das Gespräch über die Entwicklungsfähigkeit von Welt und Menschen kommt ganz ins Stocken. Battany kann nur noch dem Abu Hischam versichern, daß der Plan, einen geheimen Gelehrtenbund zu gründen, durchaus nicht übel sei und später wohl zur Ausführung kommen könne.
Abu Hischam reibt sich drob vergnügt die Hände.
Jetzt wird aber armenische Rübenpastete aufgetragen — und die macht den Philosophen noch vergnügter, denn die Rübenpastete ist sein Leibgericht.
»Donnerwetter!« brüllt er stürmisch, »Said, Du bist ja fürchterlich aufmerksam gewesen.«
Den andern Gästen schmeckt allerdings die armenische Rübenpastete ganz und gar nicht.
Sie verziehen die Gesichter.
Said lächelt.
Erst wie die gebratenen Tauben vom Demawand erscheinen, wird die Stimmung wieder gemütlicher.
Wie die Knöchlein der Tauben knacken und knistern, wird dem Safur, der schon sehr viel Wein getrunken, so gereizt zu Mute.
Die Flötenspieler flöten wieder.
Und die drei Mädchen sind so aufdringlich.
Allerdings — das rührt die Gäste sehr wenig.
Dem Battany ist die Liebenswürdigkeit der Mädchen sehr unangenehm — er ist daran gewöhnt, daß die Frauen bescheiden in der Ecke stehen und kaum zu atmen wagen.
Kodama und Osman essen, als wenn sie vierzehn Tage gehungert hätten.
Said ärgert sich — ärgert sich, daß er den Mädchen ganz zwecklos die neuen Kleider kaufte.
Safur aber sieht auch mit Unwillen auf die beiden Dicken — sie essen ihm wieder zu schnell.
»Langsam«, fängt er an, »essen diejenigen Menschen, die das Essen verstehen.«
Said wirft dem Dichter einen dankbaren Blick zu, und der Dichter fährt fort:
»Unbegreiflich erscheint mir doch Manches. Wir haben eigentlich sämtlich hier in Bagdad die beste Gelegenheit, unsere Gaumen auszubilden — wer aber bildet seinen Gaumen wirklich aus? Ich glaube — ich tu‘ das nur allein. Wer nicht zu essen versteht, versteht auch nicht zu genießen. Wir müssen doch, wenn wir das Leben genießen wollen, alle unsre Sinne ausbilden — den Geschmackssinn dürfen wir nicht vernachlässigen. Wer sich immer den Magen überladet — wie Osman und Kodama — der ist doch eigentlich nur ein ganz gewöhnlicher Tofaily.«
Osman und Kodama grinsen.
Die Andern schweigen und essen bedächtiger.
Said macht ein sehr schlaues Gesicht.
Abu Hischam räuspert sich, er will reden.
Die chinesischen Fasanen, die ihm die Sailóndula anbietet, weist er barsch zurück und beginnt nun — bedächtiger als sonst:
»Lieber Safur! Du wirst uns bei allen Gelegenheiten umständlich auseinander setzen wollen, daß Du Deine Sinne ständig verfeinerst — so als wenn darin die einzige Aufgabe Deines Lebens besteht. Du denkst eben, etwas Feineres als verfeinerte Sinne gäb’s garnicht. Es gibt aber doch noch feinere Genüsse, die mit der Verfeinerung der Sinne ganz und gar Nichts zu tun haben. Wenn ich an der Weiterentwicklung der Welt arbeite oder über die wichtigsten philosophischen Fragen nachdenke, so empfinde ich doch mehr als bei Deiner Fresserei.«
Alles lacht.
Kodama sagt mit wohltönender Stimme, während er drohend ein chinesisches Fasanenbein schwingt:
»Oh, Abu Hischam, um die Verfeinerung der Sprache wirst Du Dir auch keine Verdienste erwerben. Redet aber nur ruhig weiter, es ißt sich dabei ganz gut.«
Doch nun reden Alle durcheinander.
Die Süßigkeiten werden herumgereicht.
Abla verteilt ihr Zuckergebäck und eine große Zobaïda— Torte.
Sailóndula bietet ihren mit Mandeln und Bananen gefällten Kataïf, der in Nußöl schwimmt, so zärtlich bittend an, daß ihr Niemand einen Korb gibt.
Zwar — Abu Hischam will nur noch altmekkanischen Kirschenpudding essen, den die Knaben auch schon herbeigeschleppt haben.
Abla gibt ihm den Pudding, läuft dann aber in den Garten — und singt — sie singt ihr berühmtes Gazellenlied, das sie schon öfters gesungen und das die Gäste schon kennen.
Safur wendet sich während des Gesanges flüsternd an den Philosophen und fragt spöttisch:
»Ei, Abu Hischam, über welche philosophischen Fragen denkst Du denn so eifrig nach?«
»Aber Safur«, erwidert leise der Philosoph, »Du mußt ja nicht das Eine vergessen: wir leben nur in einer Scheinwelt. Du glaubst immer nur, daß Du Dich an die greifbaren Genüsse halten müßtest — und doch — Du mußt nicht vergessen, daß ich in Indien war und auch einmal ein Buch ‚Der Zweifler‘ schrieb. Es gibt wirklich noch eine andere Welt als die, die wir mit unseren Sinnen begreifen können.«
Doch was ist das?
Said fallen die Augen zu, der Kopf fällt ihm auf die Brust und nun — nein — hätte ihn nicht der Hausmeister aufgefangen, der Herr des Hauses wäre mit der Nase in den Kirschenpudding gefallen..
Die Gäste springen erschrocken empor.
Aber die Tarub und die Sailóndula kichern — und tanzen vor Vergnügen.
»Er hat ja ein Schlafpulver bekommen«, sagt die Sailóndula, »denn wir wollen mit Euch auf der Sternwarte Wein trinken. Beruhigt Euch!«
Battany und seine Freunde müssen nun so laut lachen, daß Said, den der Hausmeister vorsichtig auf die Seite legte, beinahe wieder aufgewacht wäre…
Ablas Gazellenlied verhallt — sie eilt auf die Estrade und wird vom dicken Kodama stürmisch geküßt.
Die Gäste waschen sich alsdann in bester Laune die Hände — und wandeln davon — zur nahen Sternwarte — die drei Mädchen — und die Sklaven mit den Weinschläuchen folgen — die Flötenspieler ebenfalls.
Auf der Estrade bleibt nur der schlafende Said — der schnarcht.
Die roten Papierampeln schaukeln ein bißchen.
Der Springbrunnen plätschert.
Die Blumen duften stark.
Das Räucherwerk duftet noch stärker.
Wie verwüstete Dörfer liegen die Überreste der Torte und des Puddings auf den kostbaren Teppichen umher — — —
Die sauberen weißen Tücher mit den Fransen sind zerknillt und durcheinandergeworfen.
Die Estrade gleicht jetzt einem verlassenen Schlachtfelde.
Der Halbmond steht schief über der Gartenmauer.
Die Sterne sind wieder sehr hell.
Die roten Ampeln verlöschen allmählich.
Die Nachtigallen flöten wunderbar.
Und Said schnarcht…