Liwûna und Kaidôh

Paul Scheerbart

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Liwûna und Kaidôh

 

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Es schneit Jasminblüten.
Und ich schwebe in dem Jasminblütenschnee ganz langsam, als hätte ich Zeit —  viele Tausend Jahre nur so hinzuschweben in duftenden Blüten.
Betäubend ist der Duft, und es ertönt unter mir lautes Gelächter —  das wird immer stärker —  so stark wie wildes Donnern.
Der lachende Donner wird aber bald schwächer und verhallt in der Tiefe.
Und ich höre nichts mehr von dem grossen Lachen.
Es verschwinden auch die Jasminblüten —  die letzten fallen schnell hinunter.
Der Vollmond scheint mir ins Angesicht. Ich schwebe zwischen weissen flockigen Wolken, die ebenso vom Vollmonde beschienen sind wie mein Angesicht, höher und höher.
Es geht immerzu hinauf, und es geht so leicht; ich brauche nur die Fusszehen zu bewegen.
Der Mond wird kleiner und geht zur Seite als kleiner Stern.
Und dann sehe ich nur noch Sterne —  über mir —  unter mir —  und überall.
Schwarz ist der Himmel, und die Sterne sind alle zu sehen —  auch die kleineren.
Ich schwebe leicht durch die unzähligen schimmernden Sterne durch —  weiter hinauf in die dunkleren Räume, in denen nicht mehr so viele Sterne leben.
Es ist da so kühl.
Und mir ist so, als schwebe was neben mir.
Es sind leichte feine Gewänder —  weisse —  zarte.
Und ich frage leise:
„Wer ist bei mir?“
Und ich höre eine ferne Stimme sagen:
„Dein Weib ist bei Dir —  die Frau, nach der Du Dich gesehnt hast so lange lange Zeit.“
Und ich antworte still:
„Ich erinnere mich garnicht mehr, dass ich mich mal nach einem Weibe oder nach einer Frau gesehnt habe. Das hab ich wahrhaftig beinahe vergessen.“
Im weiten dunklen Himmel werden jetzt Farben wach.
Mit verwehten olivgrünen Wolkenschleiern beginnt es. Hinter den Schleiern entstehen dunkelgrüne Flecke, die rund werden und bald kleiner und bald grösser erscheinen. Und flockiges rosa leuchtendes Gewölk sinkt von oben dazwischen und hängt bald wie zerzauste Watte da —  so still wie alte Träume.
Aus allen Wolken fallen Bänder, die sich ringeln und immer dünner werden —  so dünn wie Haare. Blond sind die Haare; sie verlieren allmählich das Krause und hängen sich in schlaffen Strähnen über die dunkelgrünen runden Scheiben, die starren Augen gleichen. Die olivgrünen Wolkenschleier schwanken, als wärens Schaukeln. Das rosa leuchtende Gewölk hängt dazwischen ganz ruhig. Die blonden Haare zittern vor den grünen Augen.
Neben mir sagt nun eine mir sehr bekannte Stimme:
„Weisst Du immer noch nicht, wer bei Dir ist? Blick mich doch einmal an!“
Ich drehe den Kopf und sehe eine Frau neben mir; sie hat grosse meergrüne Augen. Ich weiss, wer es ist. Aber ich fühle keine Erregung; es wird nur noch stiller in mir.
Wir schweben oben durch das rosa leuchtende Gewölk zusammen empor —  immer höher. Sie bleibt bei mir.
Und die Farben verschwinden unter uns.
„Ich bin nicht so, wie Du denkst!“ sagt sie da plötzlich.
Ich bewege heftig meine Fusszehen und fliege hinauf wie ein Pfeil; die Sterne sausen neben mir runter, als wenn sie fielen. Ich bin sehr ungeduldig.
Doch meine Begleiterin bleibt an meiner Seite. Ich fühls; es geht langsamer.
Aus dem nachtschwarzen Himmel tauchen abermals farbige Wolken heraus, diesmal sinds purpurrote und goldene Wolken; sie ziehen sich in langen Streifen rund um den Raum, sodass ich die Empfindung habe, in einem schwarz— roten— golden gestreiften Bienenkorbe emporzuschweben.
Ich drehe meinen Kopf meiner Begleiterin zu und sehe, dass sie anders aussieht. Ihr Gesicht ist mir allerdings wiederum sehr bekannt; heisse braune Augen und rote Backen glühen mir wild entgegen.
Ich bewege wieder meine Zehen und schiesse oben aus dem Bienenkorbe raus.
Doch meine Begleiterin schwebt an mir vorbei, und ich erschrecke.
Sie ist jetzt so furchtbar gross und üppig wie eine Riesendame auf Jahrmärkten.
Sie schwebt dicht vor mir, und ich höre, wie sie leise sagt:
„So küss mich doch!“

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