Liwûna und Kaidôh

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Doch der Schlag geht natürlich wieder durch, ohne zu schaden. Und die Liwûna lacht, dass es durch die ganze Frostwelt schallt.
Danach spricht sie milde:
„Die Wut gegen Andre beruht immer auf einer Wut gegen uns selbst. Du bist wütend, weil Du nicht weisst, was Du willst. Du weisst eben nicht, was Du suchst. Warum fragst Du mich also nicht? Warum musst Du gleich Deine Wut an mir auslassen? Wüte doch gegen Dich selbst!“
Ich schäme mich, denn die Worte trafen. Ich sage weich:
„Verzeih mir! Führe mich weiter durch das Labyrinth Deiner Weisheit. Ich folge geduldig und werde mich schon mal zurechtfinden.“
„Das wirst Du!“ sagt Liwûna.
Und wir verlassen die Sternwelten, in denen so viel Schnee ist, schweben in einen finsteren Raum und bleiben Seite an Seite.
Kaidôh hat eine Empfindung, als ob die Liwûna ohne jede Unterbrechung auf ihn einspräche, ihm die Rätsel aller Welten erklärte —  doch in einer Sprache, die ihm vollkommen fremd ist.
Er horcht eifrig in die Finsternis hinein und möchte verstehen, was er da in seltsamen Lauten hört —  doch ihm wird Alles immer unklarer; nur das Unklare wird ihm klar. Und das schmerzt so, dass er aufstöhnt. Er möchte so gerne lachen über Alles —  vermag aber nicht zu lachen. Nur Liwûna scheint neben ihm zu lachen —  das nützt ihm leider nichts.
Die Finsternis ist so schwarz, dass Nichts zu sehen ist —  kein Stern —  Nichts.
Liwûna sagt leise:
„Du willst grössere Welten sehen —  suchst Du die? Willst Du selbst grösser werden?“
Kaidôh wacht auf —  wie aus einem hässlichen Traume und ruft: „Ja! Ja!“ Doch er hat nicht das Gefühl, dass Liwûna das Richtige getroffen habe —  er fühlt nur, dass er in der Finsternis noch grösser wird —  und sieht in der Ferne ein schwaches Licht —  das rasch heller und heller wird. Neuen Sternenwelten kommen sie auch in der Finsternis näher.
Da wird Kaidôh grässlich heftig und so begehrlich —  so gierig.
Ganz andre Sternwelten leben in dem neuen Licht —  die sind die grössten —  das Licht in der Ferne wird heller —  da kommt aus der Finsternis ein Riesenleib hervor —  und dieser Riesenleib besteht aus vielen Millionen bunter Sterne.
Der Riese hat Augen über den ganzen Leib und einen Kopf, der aus dunkelgrünen lodernden Flammenwelten besteht —  Arme und Beine sind unzählig und wie flüssiges zitterndes Gold —  auf dem Perlen herumschwimmen; diese Perlen rollen auf den goldenen Gliedern in ewiger Unruhe.
Kaidôh hemmt seinen Flug und starrt den Sternriesen an —  das ist das grösste Weltwesen, das er jemals sah. Kaidôhs Augen rollen so wild wie die Perlen —  wie die blauen und roten Augen auf dem Rumpf des gewaltigen Sternriesen.
„Wir wollen,“ spricht Liwûna, „über den Sternriesen hinüberfliegen. Der Weg ist weit. Folge mir!“
Und Liwûna fliegt rauschend voran.
Kaidôh kriegt einen Schreck, als sähe er plötzlich in ein Jenseits.
Liwûnas Rücken gleicht ungeheuren Gebirgsmassen, die mit Schnee und Eis bedeckt sind; Millionen von Schneesternen schleppt sie auf ihrem Rücken mit; die goldenen Gewänder sind kaum zu sehen; die schwarzen Haarmassen ihres Hauptes flattern oben, und sie wendet oben ihren Kopf zurück, und Kaidôh erschrickt nochmals das riesige Gesicht ist braun, und hellblaue Augen strahlen wie zwei Riesensonnen unter Augenbrauen, die endlosen Wäldern gleichen.
Kaidôh will seine Fusszehen bewegen —  das geht aber nicht mehr —  er schwebt ohne jegliche Körperbewegung der Liwûna nach.
Und nach einer langen Zeit, in ders immerwährend höher geht, blickt er hinab und sieht unter sich das grüne Flammenhaupt des Sternriesen —  unzählige grüne Schlangensonnen winden sich da durch einander, und grüne Flammen schlagen heraus und brennen.
Kaidôh hebt den Blick und bebt —  Welten öffnen sich vor seinem Blick —  Welten —  wie sie nie ein Sterblicher geschaut hat.
Liwûna schwebt neben Kaidôh. Und die Augen der Beiden schweifen trunken nach allen Seiten.
Zwölf grosse Sternriesen ragen da im weiten grossen Halbkreise hoch auf in den weiten grossen Raum. Auf einer Bank, die auch einen Halbkreis bildet, sitzen die Sternriesen und bewegen sich nicht.
Und die Bank besteht aus unzähligen Brillantsternen —  deren gleissende Farbenfeuer durch glitzernden Funkenregen durchsprühen und durchflackern —  deren gleissende Farbenfeuer in langen Flammenkegeln tief aufglühen wie bunte Sammetblüten —  deren gleissende Farbenfeuer mit heissem Strahlenglanz brennen.
Kaidôh wundert sich, dass sein Auge nicht erblindet; sein Auge ist wiederum anders geworden.
Und es sind so viele Brillantsonnen; die Rücklehne der Bank ist so hoch, dass sie oben fast endlos erscheint —  eine im Halbkreise gebogene Riesenwand aus lauter Sonnen, die ungeheure sich langsam drehende Diamanten sind.
Und der Halbkreis ist so gross, dass die Wand nach allen Richtungen so weit entfernt erscheint. Ein Weltenrand!
Hoch oben bilden die blauen roten und grünen und die andersfarbigen Farbenkegel ein bewegliches Dach; die bunten Kegel schieben und drängen sich durch—  und über—  und untereinander. Und die funkelnden Diamanten flimmern immerzu, denn die Sterne stehen nicht still. Das flackert. Das glüht. Das brennt.
Und auf der grossen Bank sitzen die Sternriesen —  und die bewegen sich nicht.
„Dass sie sich nicht bewegen,“ sagt die Liwûna, „kommt uns blos so vor. Sie brauchen zu jeder Bewegung viele Tausend Sternjahre, und daher glauben wir, sie seien ohne Bewegung —  wie totes Volk. Das ist natürlich ein grosser Irrtum! Wir dürfen nicht vergessen, dass alle Glieder der Sternriesen aus unzählbaren Sternen bestehen —  lauter Sonnen sind —  lauter grosse Sonnen mit vielen Millionen Monden. Die Sterne haben alle möglichen und denkbaren Formen —  die können wir aber nicht mehr unterscheiden —  die Entfernungen sind in dieser Gegend auch für grosse Riesen so entsetzlich gross.“
Liwûna sagt noch mehr, Kaidôh starrt mit offenem Munde die zwölf Riesen an. Er kann die grossen Gestalten garnicht überschauen; wo ihnen der Kopf sitzt, weiss er nicht. Der Hauptteil des Rumpfes ist gross und breit und als solcher wohl zu erkennen. Aber jeder Rumpf sieht anders als der nächste aus; die meisten scheinen aus goldenen und silbernen Wolken zusammengesetzt zu sein. Es gehen aber überall so viele blaue und grüne Adern durch, und es sind überall so viele perlbunte und stechende Augen, dass Kaidôh nicht weiss, wie er die einzelnen Teile der Riesenkörper nennen soll. Die Gliedmassen ähnen wilden Korallengewächsen, und Flammenäste stehen dazwischen —  und grüne Pyramden sitzen oben auf steilen Schulterbergen —  neben schwarzen Hörnern und glühenden Haaren und Kugelgewächsen und Würfelketten mit bunten Bändern und langen goldenen Schlangenarmen.
Die Zwölf sind furchtbare Ungeheuer, in denen Milliarden tollster Sonnen brennen.
Und diese wilden Weltgestalten sitzen da zum Scheine so still, als wären sie versteinert.
Kaidôh starrt die Sternriesen an mit gierigen Augen; er möchte die zwölf Grossen festhalten und nicht mehr vergessen, er ärgert sich, dass er nicht unzählige Augen hat wie die zwölf Grossen.
„Ob sie auch Kleider haben?“ fragt er leise.
Doch Liwûna hört nicht, sie bittet ihn, sich einmal umzudrehen.
Kaidôh thut es und schaut in einen dunklen Raum, in dem unzählige eckige Sterne funkeln, die stellenweise ganz dicht zusammen stehen —  als Sternwolken.
„Die Sternwolken,“ bemerkt die Liwûna, „sind auch Sternriesen —  die kommen langsam näher.“


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Kaidôh zieht den Kopf ein, als fürchte er sich vor den grossen Weltgestalten. Er kommt sich so klein vor wie ein Wurm, obgleich er weiss, dass er viele Tausend Schneesterne auf seinem Rücken trägt wie die Liwûna. Er wendet sich wieder zur Diamantenbank und sucht die karminroten Streifen an den Riesenkörpern zu zählen und findet sehr viele; sie sitzen immer neben helllila eiförmigen Flecken. Er glaubt, das seien besondere Sinne, und lässt das Zählen. Seine Gedanken verwirren sich, und er bittet die Liwûna, ihn weiter zu führen.
„Führe mich weiter,“ sagt er, „durch das grosse Labyrinth Deiner Weisheit —  ich finde mich da nicht zurecht. “
Liwûna bedeutet ihm, dass sie gradeaus unter der Bank durchmüssten, oben hinüber ginge es nicht. Und Zähne klappernd schwebt Kaidôh dahin. Und nach langer Zeit nähern sie sich den unteren Gliedmassen der Riesen und sausen dann an ihnen vorbei unter die Bank.
Kaidôh fliegt mit gekrümmtem Rücken —  wagt kaum um sich zu blicken.
Unter den grellsten Brillantsternen, die dicht unter der Bank wie gläserne Maschinen rasseln und rumoren, sieht Kaidôh nach unten und entdeckt in der Tiefe grosse halbkugelförmige Hügel. Die Halbkugeln haben Farbenringe am unteren Rande, um die Mitte sitzen Sterne in Zickzacklinien drauf; als wären Perlen draufgestickt —  so wirkt es.
Kaidôh will wissen, was das ist.
Liwûna sagt:
„Das sind die Schlafmützen der grossen Riesen. Die Schlafmützen fliegen bei jeder Ratssitzung unter die Diamantenbank. Es sind sehr viele Schlafmützen —  nicht etwa zwölf.“
„Ist das,“ fragt Kaidôh, „auch wirklich wahr?“
„Jawohl“ erwidert seine Führerin, „glaubst Du etwa die Riesen hätten den Schlaf nicht auch mal nötig? Du weisst wohl garnicht, wie wichtig der Schlaf ist.“
Kaidôh wagt nicht, weiterzusprechen.
Und nach langer Zeit kommen sie auf der Rückseite der Bank wieder ins Freie —  in eine wunderbar duftende frische Luft.
Die Beiden sind in einem drolligen Walde.
Sie fliegen durch ein buntes Gewirr von gewaltigen Ästen. Und jeder Ast besteht wieder aus unzähligen Sternen, die sämmtlich Linsenform zu haben scheinen. In der Tiefe ballen sich grosse Nebelhaufen zusammen, die lilafarbig leuchten. Kaidôh weiss nicht, ob die Nebel ebenfalls aus Sternen bestehen. Und beim Nachdenken wird ihm so anders zu Mute —  er muss lachen —  und er fragt lachend:
„Du, sind das wirklich Bäume?“
Liwûna giebt ihm zur Antwort:
„Ja ja —  das werden wohl Bäume sein, Du kannst die Bäume auch für Riesen halten und die Riesen für Bäume. Mit Deinem Wortschatz wirst Du hier nicht viel ausrichten. Verstehen kannst Du diese grossen Weltgestalten doch nicht —  und wenn Du noch viel mehr guten Willen —  und wenn Du noch tausend Mal mehr Worte hättest. Gieb Dir keine unnütze Mühe —  mit Worten begreift man die Welt doch nicht. Wir wollen uns nichts vorflunkern. Sieh Dir lieber die Formen der einzelnen Sterne an, aus denen sich diese sogenannten Äste zusammensetzen. Die silbernen Äste sind ganz mit Muschel—  und Schneckensternen gefüllt.“
Und Kaidôh sieht sich Alles genau an, und dabei schweben sie nach und nach aus dem Astgewirre raus und in eine tiefere Gegend hinein. Da schiessen sie durch flockige Nebelmassen hinunter und erblicken plötzlich unter sich einen Sternriesen, der lang ausgestreckt daliegt und zu schlafen scheint.
Der Riese schläft auch wirklich, er besteht aus lauter Kugelsonnen, die fortwährend ihre Farbe verändern wie kreisende Perlen. Ein flirrendes Farbengewirr! Es kann ganz schwach machen. Es huscht oft noch ein Schattenspiel durch das Opalgeflitter.
Wie ein grosses Segelschiff, das strandete, liegt der grosse Riese da. Was Segeln ähnt, schwankt immer auf und nieder. Liwûna macht darauf aufmerksam, dass die Segel aus lauter Blattwelten bestehen, und dann flüstert sie geheimnisvoll:
„Lieber Kaidôh, dies ist ein ganz junger Riese, der noch sehr klein ist; er wird grade gewiegt. Die Wiege sehen wir nicht, denn sie ist viel zu gross. Aber siehst Du da drüben den grossen roten Ball herniederschweben? Siehst Du, dass da viele Millionen roter Sonnen drinnen sind? Siehst Du das?“
Kaidôh bejaht die Frage, und Liwûna fährt fort:
„Das ist ein Blutstropfen von der Mutter des Riesen —  die Mutter muss sich geschnitten haben —  dort drüben die grossen Sternwolken gehören zum Leibe der Mutter. Doch stelle Dir das Mütterliche ja nicht so einfach vor —  ich will mich blos kurz fassen. Na —  diese Gesellschaft ist Dir doch gross genug —  nicht wahr, mein kleiner Kaidôh?“
Kaidôh bejaht auch diese Frage, schüttelt seinen violetten Sammetmantel, dass viele Tausend Schneesterne rausfallen, und versucht, seine Zehen zu bewegen. Es gelingt ihm —  und pfeilschnell gehts weiter —  aber es geht ihm immer noch nicht schnell genug. Das Riesenland ist zu umfangreich.
Nun sieht er unter sich ein langes langes goldenes Rohr —  es besteht natürlich auch aus echten Sternen —  aus lauter glitzernden kantigen Sternen. Und er will wissen, was das ist.


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„Das ist“ versetzt Liwûna hastig, „die grosse Sturmmaschine. Wenn wir rasch an die Spitze des Rohrs gelangen, so können wir von der Sturmwolke gefasst werden —  dann würden wir sehr schnell weiter kommen —  was Dir wohl sehr angenehm sein dürfte.“
Kaidôh nennt das Rohr eine Sternkanone. Sie schauen vorn an der Spitze in das Rohr hinein.
Indessen da giebts gleich einen donnernden Knall, und in einer brennenden Wolke sausen sie dahin, dass dem Kaidôh Hören und Sehen vergeht.
Als ihm die Besinnung wiederkehrt, sieht er um sich alle Lüfte voll Wolken, und die Wolken jagen sich wie die Windhunde —  es blitzt und donnert ohne Pausen —  der Sturm heult und pfeift und knurrt und kreischt auf —  Liwûnas goldene Gewänder flattern und rauschen und knallen und knirschen. Und dazu kracht es in Einem zu, als gingen in jedem Augenblick viele Tausend Welten platzend entzwei.
„Das sind,“ erklärt die Liwûna, „die anderen Schüsse der Sturmmaschine. Durch diese Maschine wird die Luft der ganzen Gegend verbessert. Die Maschine gehört zu den berühmtesten Erfindungen des Sternriesenreichs.“
Und sie fliegen in Wirbelwinden —  in Windhosen —  selig dahin —  wobei sie oft riesig rasch um sich selber gedreht werden.
Dem Kaidôh stockt beinahe der Atem. Der Weltendurchflieger weiss garnicht mehr, wo er ist. Unter sich sieht er eine grosse dunkelgrüne Fläche, die er für eine Wiese hält. Es ist aber, wie Liwûna erklärt, keine Wiese —  sondern ein grosses herrliches Meer, in dem ungezählte Millionen von Smaragdsternen das Wasser bilden.
Und aus dem sogenannten Meere ragen braune und türkisblaue Korallengebirge heraus. Das sind aber, wie Liwûna wieder erklärt, keine Gebirge —  sondern Sternriesen, die wahrscheinlich baden.
Das Donnern hört sich wie die Brandung des Smaragdmeeres an, und die Blitze zucken wie Phosphorwolken —  so schnell folgen sich die einzelnen Blitze.
Das Schiessen der Sturmmaschine will auch kein Ende nehmen.
Aber die Lüfte werden doch allmählich ruhiger; es geht ja so rasend schnell vorwärts.
Die Beiden steigen höher und höher wie Luftballons im Orkane, sodass das grüne Meer unten nach einer guten Weile nur noch wie ein zarter Schleier schimmert.
Und dann erblicken sie eine weite Pforte aus blauen Saphiren. Sie sehen vor sich nur die blaue Pforte, als ginge sie von einem Ende der Welt zum andern —  sie bildet einen grossen Bogen; die Saphire sind ebenfalls Sternwelten.
Und sie fliegen durch die Pforte durch und in ein grosses Säulenreich hinein.
Die Säulen sind so umfangreich, dass die Beiden lange fliegen müssen, um an einer Säule vorbeizukommen. Die Säulen sind alle aus einem festen Stück gearbeitet und sind nicht wieder bewegliche Sterne.
Aber die Sterne fehlen auch hier nicht ganz; an vielen Stellen befinden sich die Sterne auf der Rinde der Säulen —  sitzen da so drauf wie Pilze auf altem Holz —  wie Schimmel.
Die Säulen sind gelb und leuchten, obgleich sie nicht glänzen und auch nicht durchsichtig sind.
„Wir sind,“ sagt Liwûna leise, „in den Vorhallen der Riesentempel.“
„Haben die Riesen,“ fragt Kaidôh, „auch Tempel? Wozu haben sie die Tempel?“
Liwûna antwortet nicht; sie schweben schweigend neben dem blitzenden Sternschimmel weiter —  langsam von einer gelben Säule zur andern.
Es herrscht ein ziemlich dumpfes Dämmerlicht im grossen Säulenreich; das Säulenlicht ist nicht sehr stark.
Leise sagt die grosse Liwûna:
„Du wolltest grössere Welten sehen. Waren Dir nun die Welten, die ich dir zeigte, gross genug?“
Und Kaidôh erwidert feierlich: „Das waren sie.“
„Aber,“ fährt Liwûna fort, „Deine Antwort klingt so, als wenn Du mit einem neuen Aber weiter sprechen wolltest. Hast Du das, was Du suchtest, immer noch nicht gefunden?“
Kaidôh schweigt lange, und Liwûna unterbricht das Schweigen mit diesen Worten:
„Lieber Kaidôh, Du bist still, und Dein Stillsein ist so beredt. Das Grosse allein macht es auch noch nicht —  das willst Du sagen. Ich verstehe Dich, und ich freue mich, dass Du immer noch suchst.“
Kaidôh versteht ihre Freude und fragt müde: „Was soll ich denn thun?“
Da sagt sie:
„Du musst Dir einen Schmerz bereiten: steige noch einmal hinab in die Abgründe Deiner Vergangenheit. Denk an einen Kugelstern, der sich immer drehte und Dir gar nicht gefallen wollte, da er nur einen einzigen Mond als Begleiter neben sich hatte. Du warst auf dem Stern anfangs ein Kind und noch nicht so gross wie jetzt —  lange nicht so gross. Erinnerst Du Dich da vielleicht an einen roten Dornbusch, der vor einem alten Fenster blühte? Die roten Blüten dufteten Dir oft wie Marzipan. Weisst Du das noch?“
Kaidôh denkt nach und schüttelt den Kopf; zwar thut ers nicht, doch ist ihm so, als täte ers.
Liwûna fährt fort:
„Du hast so Vieles vergessen. Man möchte beinahe glauben: Leben sei Vergessen. Aber ich weiss, Du erinnerst Dich trotzdem an den roten Dornbusch; hinter dem Fenster, in das er hineinblühte, stand eine alte Kommode aus Eichenholz mit zwei grossen schwarzen Knöpfen zum Aufziehen der mittleren Schublade —  weisst Du noch? Perlmutter sass an den Knöpfen. Und neben der Kommode knietest Du öfters.“
Die Sanftredende hält inne, und Kaidôh stösst rauh hervor:
„Jetzt soll ich mich in diesen riesigen Säulenhallen an alte Kommoden mit grossen schwarzen Knöpfen erinnern! Nun ja! Ich erinnere mich ganz deutlich!“
„Warum bist Du so grimmig?“ versetzt die Liwûna, „neben der Kommode warst Du doch nie so grimmig. Du fühltest Dich dort einem Heilande nahe, und es wurde zu Zeiten Alles in Dir still. Den Heiland hast Du bald vergessen. Aber an die stillen Stunden vor dem roten Dornbusch hast Du noch oft gedacht. Und Du hast Dich oft nach ähnlichen stillen Stunden gesehnt. Und die hast Du nicht gefunden. Kaidôh! Höre doch! Weisst Du nun, was Du suchst?“
Kaidôh horcht hinein in die Tempelstille und hört das Echo seines Atems.
Und dann hört er sich leise sagen:
„Stille Stunden such ich! Aber ich habe doch keinen Heiland mehr.“
Hastig erwidert die Liwûna:
„Du musst eben einen neuen Heiland haben. Du wolltest immer grössere Welten sehen, und auch die grössten waren Dir am Ende nicht gross genug. Dein neuer Heiland muss also grösser sein als alles Denkbare, nicht wahr? Und wer kann grösser als Alles sein?“
„Nur der Geist,“ antwortet Kaidôh, „der Alles umschliesst —  der Alles selber ist —  der Allgeist.“
Ein leises Summen wie von Bienen geht an Kaidôhs Ohren vorüber, die gelben Tempelsäulen leuchten, und er fährt leise fort:
„Sind das aber stille Stunden, wenn ich die Nähe des Allgeistes fühle —  wenn ich mich in ihm fühle?“
Liwûna sagt nichts, er aber sagt laut:
„Nein! Das sind gewaltige Stunden. Ich glaube auch nicht, dass ich die stillen Stunden suche —  ich suche die gewaltigen Stunden —  in denen ich mich im Allgeist fühle —  und den Allgeist in mir.“
Liwûna sagt wiederum nichts.
Und er fühlt plötzlich heisses Blut in seinen Adern, und ihm ist so, als ginge eine neue Kraft durch seine Sehnen, und er sieht schärfer gradaus, und er glaubt, dass jetzt ein Andrer in ihm auflebe —  der neue Heiland —  der gewaltige Allgeist.
„Eine gewaltige Stunde!“
Also schreit er laut auf.

Und er will die Arme heben und Fäuste aus seinen Händen machen.
Und er kann nicht die Arme heben, und er kann nicht Fäuste aus seinen Händen machen.
„Deine Gliedmassen,“ flüstert die Liwûna, „sind ja viel zu gross geworden. Du bemerktest wohl noch nicht, dass Du vor der blauen Pforte noch ein gutes Stück gewachsen bist. Du brauchst jetzt sehr sehr lange Zeit zu jeder Bewegung.“
Er murmelt:
„Das also nennt man Grösse!“

„Bilde Dir nicht zu viel ein! Der Geist des Alls, der mehr als alles Grosse ist, flüstert auch in Dir. Aber er flüstert nur sehr wenig. Und das Wenige kannst Du nicht einmal verstehen. Wer gleich den ganzen Allgeist in sich zu fühlen glaubt, stellt sich das Gewaltige allzu einfach vor; man könnte lächeln und lachen. Du kannst nur langsam fühlen, dass ein Allgeist da ist —  mehr kannst Du nicht. Sei still!“
„Das also nennt man Grösse!“

Und die Schrift erlischt.
Und die Liwûna schwebt neben Kaidôh vorbei und aufwärts.
Und er sieht gewaltige Goldgebirge, in deren Thälern nur noch wenige Schneesterne schimmern —  wie weisse Farbenreste.
Die Goldgebirge sind Liwûnas Gewänder.
Kaidôh steigt auch höher —  und sieht in Liwûnas Antlitz —  wie in eine grosse bunte Landschaft —  und in der funkeln zwei Augen ihn an —  wie lichtbraune Sonnen aus Topasen. Und Liwûnas gewaltiger Mund öffnet sich. Und sie sagt, während es über die weiten Gefilde ihres Gesichtes zuckt:
„Du bist doch garnicht ein bischen neugierig. Weisst Du, wer ich bin? Du hast noch nie danach gefragt. Hast Du mich nicht verstanden? Ich bin doch Deine Sehnsucht. Ich bin Deine Körper gewordene Sehnsucht —  so viel wie ihr Spiegelbild.“
„Daher,“ giebt Kaidôh zurück, „bist Du wohl so fabelhaft gross. Jetzt merke ich erst, wie mächtig mein Verlangen ist —  wie rasend gross meine Gier wurde —  meine Gier —  nach dem Gewaltigsten.“
Und er denkt, dass er über Liwûna lächeln könnte, doch er kanns nicht —  die Gesichtsmuskeln gehorchen ihm ebenfalls nicht mehr —  er ist ja so masslos gross geworden.
Er sagt sich, dass wahrhaft grosse Riesen das Lachen garnicht nötig haben. Und wenn man sich so was gesagt sein lässt, so ärgert man sich nicht mehr. Das hätte doch garkeinen Zweck.


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Liwûna schwebt wieder an Kaidôhs Seite und macht ihm Enthüllungen; sie bietet ihm ein Spiegelbild von seiner Sehnsucht dar.
Er glaubt, er verstehe das Alles, und hat eine Empfindung, als könnte er Liwûna durch und durch durchschauen. Dabei lernt er sich endlich selber kennen —  bildet sich das wenigstens ein —  glaubt, dass er nur das Gewaltige gesucht habe und klammert sich an dieses Wort, als wärs sein neuer Heiland.
Was doch son Wort macht!
„Ich suche die gewaltige Stunde!“
Mit diesen Worten schwebt Kaidôh gradezu weiter und müht sich ab, allmählich die Finger zu krümmen —  was schrecklich langsam von Statten geht.
Die Säulen sehen jetzt wolkig aus wie undurchsichtiger Bernstein, und blassrote Korallenketten, deren Glieder sehr unregelmässig sind, winden sich schraubenartig um die Bernstein— Säulen.
„Liwûna,“ ruft Kaidôh, „Du weisst, was ich will. Warum erfüllst Du nicht meinen Wunsch?“
Die riesige Liwûna sagt müde:
„Diese Quälerei um des Gewaltigen willen! Als wenns nicht überall genug der Wunder gäbe! Als ob nur die schärfste Paprikatunke geniessbar wäre! Es giebt doch noch sanftere Tunken! O Kaidôh —  deine nie gestillte Lustgier hat Dich so überreizt, dass jetzt nur noch das Schärfste bei Dir zieht.“
Kaidôh wird furchtbar heftig —  es hilft ihm aber nichts —  alle seine Muskeln gehorchen ihm nicht.
Sie fährt sanft fort:
„Sollten Dir vielleicht die stillen Stunden der grenzenlosen Gedankenlosigkeit helfen können? ja doch! Auf einen Punkt starren und sich durch nichts ablenken lassen —  macht auch schon mal selig. Weise die Geschichte nicht so leichthin von der Hand. Die unbeirrte Beschaulichkeit, die alles Denken nur als Stimmungshebel und Stimmungshobel aufkommen lässt, hat schon manchen Masslosen erlöst. Sehr heldenhaft sieht die Sache freilich nicht aus —  aber sie erfüllt doch ihren Zweck.“
Kaidôh wird noch wütender.
„So hat mich noch Keiner verhöhnt!“ brüllt er auf.
Sie aber sagt freundlich:
„Glaube mir nur: Kinder der Einsamkeit sind alle Deine Wünsche. O Kaidôh —  warum willst Du bloss noch das Gewaltige?“
Kaidôhs Zorn verraucht. Der Riese sieht seine Liwûna neben sich schweben und weiss nicht, was er von ihren Worten halten soll.
„Scherze nicht,“ spricht er feierlich, „Du weisst, dass ich nicht anders kann. Wenn Du meine Sehnsucht bist, musst Du mir eine gewaltige Stunde schaffen können. Ich verstehe nicht, warum der Weg zum Gewaltigen so schrecklich weit ist.“
Sie schweben still zusammen weiter —  immer zwischen den undurchsichtigen Bernsteinsäulen —  die unzählig sind wie die Tropfen eines Meeres.
Und Liwûna sagt zögernd:
„In den Stunden des Lebens, die wir gewaltig nennen könnten, glauben wir oftmals, nahe daran zu sein, alle Rätsel der Welt mit einem Blick zu durchschauen. Es geht wohl was Grosses mit uns vor. Eine geheimnisvolle Macht scheint uns mit fernen Sternen zu verbinden —  und uns auch hinter alle Sterne zu führen —  und wir nehmen gern an, dass wir mehr sind als sonst. Viele fasten und beten und kasteien sich, um zu solchen gewaltigen Stunden zu gelangen. Und die bleiben Vielen dennoch fremd. Man muss sich eben führen lassen wie Kaidôh und warten können. Wäre der Weg zum Gewaltigen so bequem, so hätten wir garkein Recht von einem ‚Gewaltigen‘ zu reden —  denn es würde bald was Alltägliches sein —  und das Alltägliche ist nicht mehr gewaltig. Man muss sich also ruhig führen lassen von seiner Liwûna —  eine Liwûna kann doch jeder haben —  nicht wahr, mein lieber Kaidôh? “
Kaidôh empfindet so was wie Eifersucht, ihm kommt aber diese Empfindung gleich sehr lächerlich vor —  er würde lachen —  wenn er das noch könnte —  er bemerkt in seiner Aufregung garnicht, dass Liwûna nur von ihren lieben Schwestern sprach.
Der stürmische Kaidôh will blos[s] noch mehr wissen —  mehr von der gewaltigen Stunde, in der nach seiner Meinung der gewaltige Geist, der Alles umschliesst, im Innern des Empfänglichen für ein paar Augenblicke auflebt und das ganze Dasein verändert.
Die Liwuna sagt still:
„Du sollst mehr wissen. Dazu habe ich Dich hierher geführt. Es giebt hier im Tempel noch so manche Flammenschrift. Blick nur scharf gradaus —  auf einen Punkt —  dann wirst Du schon was sehen.“
Und Kaidôh thut unwillig, wie ihm geheissen wurde, und er sieht plötzlich eine Wand von rot glühendem Eisen. Und in dem rot glühenden Eisen entsteht eine Schrift aus flimmernden Opalen. Kaidôh kanns lesen und liest:
„Es umrauscht Dich ein wildes Meer, und tausend Stimmen schreien Dir die Ohren voll, und Du verstehst nicht, was sie sagen. Sie sagen, dass Alles, was lebt, nur Eines will: es soll nur wieder eine andere Seite des Daseins aufleuchten. Und das Dasein ist ein Brillant mit unzähligen Ecken und Kanten. Und Alles, was lebt, steckt in den bunten Strahlen, die hinausleuchten in die tiefe Finsternis, in der Alles, was lebt, aufflammen und vergehen soll. Es ist Alles nur ein bunter Schein.“
Und Kaidôh sagt scharf:
„Es ist Alles nur ein bunter Schein.“
Und die Schrift erlischt, und die glühende Eisenwand fällt in die Tiefe.
Und dicht vor Kaidôhs Gesicht entstehen humpelnde Gliederpuppen aus hellgrünem Chrysolith —  die bilden auch Buchstaben in der Luft —  und bald steht da vor der Finsternis in hellgrüner Schrift. „Wir möchten auch so gerne das Ganze umfassen, es ist nur so schwer. Wir denken daher in allem Ernste daran, uns mit einzelnen Teilen der Welt zu begnügen. Wir wissen allerdings, dass uns die Teile eines unendlichen Ganzen als solche ebenso unbegreiflich sind —  wie dieses selbst. Indessen —  du lieber Himmel! Halten wir, was wir grade haben —  obs nun Teile sind oder nicht. Man hat so doch immer noch Etwas —  wenigstens scheinbar! Es lebe die Kirsche!“
Und mit Geknatter zergeht das grüne Puppenvolk.
Kaidôh bedauert, dass er nicht mehr lachen kann —  was doch so lustig war.
Und er blickt seiner Liwûna ins grosse Antlitz, und siehe! —  ihr springen plötzlich die Zähne aus dem Munde heraus und bilden auf den roten Lippen eine weisse Glanzschrift —  die da sagt:
„Du kannst aber den Grossen, der keinen Namen hat und viel grösser als alle Unendlichkeit ist, dennoch —  fühlen. Es zuckt Dir noch einmal eine Erkenntnis durch den ganzen Leib. Du wirst dann plötzlich nicht mehr hören und nicht mehr sehen wollen —  denn Du wirst zufrieden sein, als wenn Du Alles wüsstest. Und Du wirst doch niemals sagen können, was Du weisst und was Du erkannt hast. Und es wird doch mehr als ein Traum sein. Und du wirst zufrieden bleiben —  solange Du Dein Leben lebst.“
Und Liwûna verschluckt ihre Zähne.
Kaidôh sagt hastig:
„So sollte es möglich sein? Unser Leben könnte schliesslich nur aus gewaltigen Stunden bestehen? Wenn das möglich ist, so soll es wirklich sein —  ich wills! “
„Was schreist Du so!“ bemerkt kalt die Liwûna, deren Zähne wieder an der richtigen Stelle sind, „glaubst Du vielleicht, dass es sehr geistreich wäre, wenn in unsrem Leben eine Stunde der andern ähneln würde —  wie ein Ei dem andern? Immer wieder neu und anders müssen alle Stunden sein —  auch die gewaltigen Stunden.“
„Dann,“ versetzt Kaidôh barsch, muss auch eine Stunde gewaltiger als die andre sein, und es muss eine gewaltigste geben. Und welche Stunde könnte nun die gewaltigste sein? Doch nur die, in der das Einzelwesen mit dem Allwesen ganz und gar verbunden wird. Und die Stunde nennt man die Todesstunde. “
Liwûna fragt sanft: „Suchtest Du den Tod?“
Kaidôh hört nicht mehr —  sein ganzes Wesen leuchtet auf in einem Gedanken —  er denkt sich mit dem Geiste, der Alles ist und keinen Namen braucht, für ewig vereint.
Und Alles, was den Kaidôh umgiebt, verliert jede Bedeutung für ihn —  auch Liwûna verliert ihre Bedeutung für ihn.
Und sie fliegen in einen grossen Saal, in dem so viele duftende Rauchwolken sanft emporwirbeln, dass die Beiden von den Wänden nichts gewahr werden.
Sie sind in dem kleinen Saal des Schweigens, in dem jeder durch die duftenden Rauchwolken am Sprechen verhindert wird.
Sie fliegen lange Zeit, und Kaidôh versucht wiederum eine Faust zu machen.
Und nach langer Mühe gelingt es ihm, eine Faust zu machen —  mit der rechten Hand —  mit der linken gehts noch nicht.
Kaidôh freut sich und fühlt sich dem Herzen des Alls ganz nahe und möchte sprechen.
Er kann aber nicht sprechen —  und fährt schweigend durch die Rauchwolken dahin wie ein Gewaltiger.
Und Liwûna findet einen Ausweg aus dem Saale des Schweigens.
Und sie schweben bald in freier Luft unter einer weiten Kuppel, die ganz aus Glas besteht.
Kaidôh schreit:
„Führe mich in den Tod. Ich will das Gewaltigste. Ich will die Vereinigung mit dem Geiste, der Alles ist.“
„Was weisst Du,“ versetzt die Liwûna, „von den gewaltigen Stunden des Lebens und des Sterbens!“
Und Kaidôh sieht seitwärts im dunkelvioletten Kuppelglase eine zitternde Schneeschrift —  diese Worte:
„Wir wissen über Geburt und Tod so viel wie Garnichts und reden doch davon. Das ist die Macht des Unbekannten, die uns zum Reden reizt. Wer aber über Dinge redet, die er nicht kennt, wird leicht zum Schwätzer. Oh, hütet Euch vor dem salbadrigen Geschwätz —  wenns auch manchmal stürmisch klingt! Ihr könnt so leicht da drinnen kleben bleiben —  wie die Fliege im Fliegenleim. “
Kaidôh will die Augenbrauen zusammenziehen und ein böses Gesicht machen; er hat ja noch nicht geschwatzt.


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Während er ärgerlich sich abwendet und weiter möchte, schweben schaukelnde bunte Laternen aus der Kuppelhöhe hernieder und bilden ein paar Beruhigungssätze.
Kaidôh buchstabiert und liest:
„Du brauchst keine Furcht vor dem Tode zu haben. Wer sich eins weiss mit dem Geiste des Alls, kann die Todesstunde nicht mehr fürchten, denn was sie auch bringen mag —  sie bringt immer nur das, was der Geist, der Alles ist, will. Das, was der Namenlose will, kann nicht unsre Sache sein. Wer sich, obschon er Garnichts weiss, mit dem Allgeist eins weiss, wird allzeit ganz ruhig sein —  einverstanden mit Allem, was geschieht. Todesfurcht kann nur der haben, der zu viel Freude an seiner Selbstherrlichkeit hatte. “
Kaidôh schreit wütend:
„Ich habe doch keine Furcht vor dem Tode! Ich habe doch Sehnsucht nach dem Tode! “
Schauerlich hallen diese Wutworte durch die grossen bunten Glasgewölbe. Die bunten Laternen brechen klirrend entzwei und sinken in die Tiefe, die grau ist wie ein Wolkenbett.
Hastig spricht Kaidôh zur Liwûna, deren Gesicht sehr rot wurde:
„Warum höre ich kein klares Wort über die Todesstunde? Warum nicht?“
„Geliebter,“ entgegnet die Rote schnippisch, „was Du bloss zu verlangen beliebst! Man hätte viel zu thun, wenn man alle denkbaren Möglichkeiten, die beim Tode und nach dem Tode eintreten könnten, erörtern wollte. Und man würde doch nie zum Rande komme. Eine Formel, mit der man Alles lösen kann, findet man nicht —  in der gewaltigen Welt.“
Dem Kaidôh wird so traurig zu Mute. Er glaubt, dass man ihn absichtlich missversteht. Er möchte vor lauter Unruhe beinahe weinen —  kanns aber nicht. Er ist ja viel zu gross zum Weinen. So schnell sind seine Thränendrüsen nicht in Thätigkeit zu versetzen. Es ist nur ein Wunder, dass er immer noch sprechen kann.
„Du hörst nicht mehr auf mich! “ sagt er bitter.
„Du hörst auch nicht mehr auf mich!“ sagt auch sie bitter.
Und während sie weiterziehen, sehen sie sich die mächtigen Bogen der reichgegliederten Glaskuppel an, von der sie natürlich nur ein kleines Stück sehen können, das keinen Begriff vom Ganzen erzeugt.
Und schillernde Paradiesvögel setzen sich auf eine hohe türkisblaue Scheibe, und auch diese bunten kleinen Vögel, von denen Tausende da sind, bilden eine Schrift —  in verschiedenen Absätzen.
Der oberste Absatz lautet:
„Mit dem Prophetentum ist die Sache immer man mau. Jeder Prophete wird so leicht zum Hallunken. Weil aber auch diese von den gewaltigsten Dingen sprechen, so soll man ja nicht glauben, dass alles Gewaltige blos qualmender Mumpitz ist. Alles Ernste will auch sein Widerspiel in seinem Gegensatze haben. Und die Hallunken sind doch so —  spassig.“
Die Paradiesvögel zwitschern mächtig.
Der unterste Absatz lautet:
„Da das, was in der einen Gegend lebt, gleichzeitig immer noch wo anders lebt, müssen wir annehmen, dass alles Leben niemals im Einzelnen erstickt werden kann —  es wird immer noch wo anders sein.“
Kaidôh wendet sich wieder ärgerlich ab, da er nichts davon versteht, doch die Liwûna spricht schnell:
„Kaidôh, in der Mitte steht doch noch ein sehr wichtiger Absatz.“
Da steht nämlich:
„Die Sternriesen haben noch keinen ihrer Brüder sterben sehen und glauben nicht mehr, dass sie sterben könnten. Sie halten daher den Tod nur für eine Wesensverwandlung, die bei sehr unentwickelten Lebewesen eine Berechtigung hat. “
Kaidôh staunt darüber und wird verwirrt.
„Sagtest Du nicht,“ fragt er „dass wir im Todestempel der Sternriesen seien?“
„Das kann ich,“ erwidert sie, „nicht gesagt haben, denn bei den Sternriesen spielt der Tod garkeine Rolle. Die grossen Sternriesen verändern sich, ohne dabei gleich zu sterben. Die Inschriften, die Du kennen gelernt hast, sind nicht für die Sternriesen. Wir befinden uns hier immer noch in den äussersten Vorhallen. Du würdest viel Sternjahre brauchen, wenn Du Dir von der Tempeleinrichtung, die sich in ungeheuren Tiefen befindet, ein ungefähres Bild machen wolltest. Das Sinnbildliche würde Dir zudem ganz unfassbar bleiben.“
„Dann komm raus!“ sagt Kaidôh.
Das geht aber nicht so geschwinde.

Die Liwûna fliegt mit ihrem Kaidôh durch ein Perlkettenfenster in einen andern Saal. Und in dem ist die Kuppel so himmelhoch, dass Kaidôh müde wird bei dem Gedanken, da oben durch zu müssen.
Es ist still und geheimnisvoll ringsum.
In dem Saale sind nur ein paar Lichter sichtbar —  das sind grosse Sterne, die an fernen Säulen leuchten. Die Säulen sind als solche garnicht wahrzunehmen, da ihr Umfang viel zu gross ist.
„Wir müssen immerzu emporsteigen!“ sagt leise die Liwûna.
Und sie steigen immerzu empor.


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Ihnen ist so, als schwebten sie zwischen grossen dunklen Blasen in die Höhe. Die Blasen haben weichgebogene Lappenform; goldbraune und dunkelviolette Wellen schwimmen auf der Blasenhaut hin und her —  wie auf Seifenblasenhaut.
Es ist ziemlich dunkel ringsum.
An der einen Seite wirds aber immer heller, die Blasen verschwinden, und ein kirschrotes Licht leuchtet den Beiden ins Auge. Vor dem kirschroten Lichte, das in einem Nebensaale zu leuchten scheint, sehen sie eine lange Reihe von schwarzen Säulen, die wie Knochengerippe wirken und doch wieder Buchstaben sind.
Da steht geschrieben in schwarzer Riesenschrift auf kirschrotem Lichtgrunde:
„Glaube nicht, dass es immer gut ist, wenn Du oft zur Besinnung kommst. Viele verlieren dadurch ihre ganze Kraft und ihr ganzes Lebensglück, selbst das Todesglück kann dabei in die Brüche gehen.“
Kaidôh sagt kalt:
„Diese Worte gehen mich garnichts an.“
Das Licht verschwindet, und die Schrift ist nicht mehr zu sehen.
Die Beiden steigen höher, und abermals wird ein Nebensaal hell —  der strahlt in citronengelbem Licht. Und schwarze Säulenlettern davor sagen:
„Unsres Lebens Anfang und Ende ist uns verschleiert, dass wir glauben können, es gäbe Beides nicht. Unser Leben soll wohl ein Sinnbild der Unendlichkeit und Ewigkeit sein. Wir können unser Leben auch ein unaufhörliches Sterben nennen —  wir werden immerzu was Andres. Wir sollen uns eben immer inniger ins Ganze einschmelzen. Und wenn wir das thun, wird unser Leben aus lauter gewaltigen Stunden bestehen.“
Da geht ein Zittern durch Kaidôhs ganzen Körper, und er spricht leise wie zu sich selbst:
„Ich aber will den Abschluss —  ganz eins will ich sein mit dem Geiste, der Alles ist. Und so muss ich den Tod wollen —  den Tod, der keine weitere Veränderung hinter sich zulässt.“
Mit einem krachenden Donnerschlag spritzt das citronengelbe Licht nach allen Seiten und verfliegt.
Es wird ganz finster, und dabei geht ein wimmernder Luftzug durch die Gewölbe. Der Luftzug dreht den Kaidôh um sich selber und reisst ihn rasend rasch empor —  immer höher —  immer höher —  dass ihm der Atem stockt —  dass er denkt, die letzte Stunde seines Lebens sei gekommen —  dass er aufjauchzt —  und nun des grossen Augenblicks harrt —  und die Augen weit aufreisst —  um sehen zu können —  mit einem Blick —  das ganze All.
Und ein lilienweisses Licht springt auf und leuchtet auf allen Seiten. Und vor dem lillenweissen Licht steht in schwarzer Säulenschrift viele Male auf allen Seiten die grosse Frage:
„Was ist die Unendlichkeit?“
Und darunter steht:
„Kaum ein Finger des Unnennbaren.“
Und Liwûna schwebt mit ihrem Kaidôh durch einen goldenen Sternzackenkranz, der eine runde Öffnung der grossen Tempelkuppel umsäumt, ins Freie hinaus —  in einen braunen Nachthimmel, der mit weissen schmalen ovalen Sternen übersäet ist.
Draussen ist es kühl.
Und Kaidôh fühlt, dass ein starker Arm seinen ganzen Körper wagerecht legt, sodass er nicht mehr die weissen Sterne sieht —  sondern nur noch die Kuppeln. Die Liwûna neben ihm liegt auch wagerecht in der Luft mit dem Gesicht nach unten wie er.
Und so schweben sie empor rückwärts —  also dass sie immer mehr von den Kuppeln und Dächern der Sternriesentempel sehen.
Die Beiden schwebten, während ihre Gewänder rauschten und knatterten, neben Türmen und Säulenhallen immer höher so schnell, als wenn die Beiden von Riesenmäulern, die oben Luft einsogen, hinaufgezogen würden.
Und dann liegt das ganze Tempelreich in aller seiner Herrlichkeit unter ihnen.
Kaidôh ist ganz berauscht von diesem gewaltigen Anblick.
In der Mitte thront ein Kuppeldach, das einer goldenen Riesenperle gleicht; das Gold windet sich in Schlangenlinien hin und her —  gekörntes Gold, blankes Gold und getriebenes Gold.
„Das sind natürlich lauter bewegliche Sternriesen!“ erklärt die Liwûna.
Die Goldkuppel ist von hellblauen und dunkelblauen Zackenringen umrändert. Die Ränder sind aber breit.
Ein Kranz von kleineren spitzen Silbertürmen umzäunt die Zackenringe.
Um diesen Mittelpunkt sind nun hellgrüne und dunkelgrüne Riesenwürfel herumgestreut —  die liegen wie Steinfelder da —  bilden aber gleichfalls einen regelrechten Ring —  einen so breiten allerdings, dass es schwer fällt, ihn als solchen zu überschauen.
Und um die grünen spitzen—  und kantengrossen Würfel hat sich ein breiter grauer Wolkenring gelagert. Der Wolkenring ist im Innern sehr unregelmässig und zeigt viele tiefe Täler, in denen das Wolkengrau beinahe schwarz erscheint.
Und ganz breite funkelnde Glastürme ragen auf allen Seiten hinter den grauen Wolken in den Nachthimmel hinauf.
Und die Glastürme sind ganz hell, als wären sie sämtlich innerlich erleuchtet; an den vielen rechteckigen Kanten der Türme funkeln die Regenbogenfarben wie an Brillanten. Kaidôh kann nicht über die Türme hinüberschauen; sie steigen alle rechteckig als breite Massen auf, die sich oben nicht verjüngen; sie tragen auf ihrer ganz stumpfen Spitze auf ganz flachem Dach unzählige kleinere Türme, die wie Schornsteine aussehen und noch stärker funkeln als die breiten rechteckigen Türme, die das Grundgemäuer bilden.
Kaidôh schwebt noch schneller aufwärts —  immer höher und höher. Der Mittelpunkt —  das sieht er nun ganz deutlich —  leuchtet in seinem eigenen Licht. Die goldene Mittelkuppel leuchtet wie heftige Sonnen. Milder leuchten die blauen Zackenringe und ganz milde die grünen Würfel; die silbernen Türme zwischen beiden glimmen nur so wie Phosphor im Dunkeln. Die grauen Wolken erhalten ihre Helligkeit von den grünen Würfeln und den Glastürmen.
Die ungeheuren Lichtmassen erscheinen in ihrer Wirkung so klein —  da die Entfernungen so furchtbar gross sind.
Und Kaidôh gelangt allmählich in so ferne Höhen, dass er auch über die Glastürme hinwegsehen kann.
Und hinter den Glastürmen sieht er nun einen runden Reifen von gewaltigen Pyramiden —  ein Diadem aus gelben Topasen und lilafarbigen Amethysten, die sich abwechselnd folgen.
Das Pyramidendiadem liegt weit hinter den Glastürmen.
Und der Paramidenring wird wieder von Perlenfeldern umrahmt. Es sind aber schwarze sehr höckrige Perlen, zwischen denen vereinzelt wie Thränentropfen kugelrunde rosafarbige Perlen schimmern.
Und Kaidôh schwebt noch höher und empfindet das Ganze als grossen Tortenstern.
Hinter den schwarzen und roten Perlen recken sich aber noch in der Runde in regelmässigen Abständen sieben weisse Zungen vor, deren lange lange Spitzen hoch aufragen —  wie die Spitzen der Schnabelschuhe.
Die spitzen Zungen sind weiss wie weisser Sammet und übersäet von vielkantigen dunkelrot glühenden Granaten; das Weisse herrscht aber wie Schnee leuchtend vor —  so viele Granaten sinds nicht.
Neben den Zungen ist tiefschwarze Nacht ohne Stern.
Ein siebenzackiger Tortenstern liegt unter Liwûna und Kaidôh.
Von den Glastürmen sind nur die Kappen der balkenförmigen kleineren Türme zu sehen —  die sprühen aber ihr buntes Licht in Scheinwerfern durch das graue Wolkenreich, so dass das auch zuweilen ganz bunt wird —  bunter als alles Andre.
Der Wolkenring wechselt jetzt immerzu die Farben —  öfters ist er schwarz und weiss gestreift.
Auf den Spitzen der sieben weissen Schnabelzacken sitzen wie feine hohe Federsträusse blutrote Kometenschweife.
Durch die hochaufragenden Schnabelzungen mit den weit hinaus ins Weltall steigenden Blutkometen erhält das ganze Tempeldächerreich von oben gesehen die Form einer seltsamen Himmelsblüte.
„Du hast wohl schon,“ sagt Liwûna, „ganz und gar vergessen, dass Du das Gewaltigste suchtest —  nicht so, Kaidôh? Du wolltest Dich mal mit dem Unnennbaren, der Alles ist, vereinen. Das liegt nun hinter Dir, nicht wahr? Du musst nicht so masslos in Deiner Gier sein. Verbinde Dich doch mit dieser Himmelsblüte!“
Kaidôh sieht die Tempeldächer noch lange an, lässt das Gold und das Silber, das Blau und Grün, die Würfel Permiden Kometen Granaten und die Wolken mit den bunten Glaslichtern so recht fest in seinen Augen wirken und erwidert dann langsam:
„Diese Himmelsblüte ist ein grosses Glanzwunder —  aber sie umschliesst nicht Alles. Sie zeigt die Mannigfaltigkeit der Welt in sehr stark vereinfachter Form mit vereinfachrein Farbenspiel; durch Regelmässigkeit ist Alles vereinfacht.“
„Die Welt ist,“ spricht da hart die grosse Liwûna, „so entsetzlich grossartig, dass sie selbst von Sternriesen nur in einem vereinfachten Sinnbilde zu erfassen ist. Bedenke nur, was schon alles aus der blosen Vermischung von Farben und Formen entsteht.“
„Ich empfinde,“ fährt nun Kaidôh fort, “ diese Tempeldächer als Bestandteile von Häusern. Und alles Hausartige hat für mich etwas Schneckenartiges. Dass selbst Sternriesen noch des Hauses bedürfen, verkleinert sie in meine Augen um ein ganz Beträchtliches. Ich liebe es — ganz frei im All zu sein —  ohne beengende Kruste, die uns doch blos die Aussicht ins All —  ins Ganze —  versperrt. Ich will nun mal im Ganzen aufgehen —  und nicht in neuen Kapseln. Und daher fürchte ich, dass ich selbst dann, wenn ich mich mit dieser Himmelsblüte unlöslich für ewig verbunden hätte, genau dieselbe Sehnsucht haben könnte —  wie bisher. “
Nach diesen Worten ist es still im weiten All.

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