Liwûna und Kaidôh

no images were found

Ihr Gesicht kann ich nicht sehen, ich sehe nur ihren breiten weissen Nacken und zwei lange braune Zöpfe, die auf einem gelben Seidenkleide hin—  und herpendeln.
Ihr Kopf ist mit meinem Kopf in der gleichen Höhe, und ich komm ihrem Rücken ganz nahe und greife mit der Linken in ihren vollen Arm. Doch die Hand geht gleich durch ihren ganzen Leib, und die Riesendame lacht wie ein Kobold.
Und sie sagt lachend:
„Ich bin doch nicht aus Fleisch und Blut. Was fällt Dir denn ein? Ich bin doch Liwûna. Und Du bist doch Kaidôh. Weisst Du das noch nicht?“
Ich muss lächeln und erwidre traurig.
„Also Kaidôh bin ich? Na ja, ich ahnte ja stets, dass ich was Andres sei.“
„Natürlich!“ ruft sie, „sonst könntest Du doch nicht so fein fliegen. Wir sind Beide aus sehr feinem Stoff; Luft ist plump wie Blei dagegen. Pass auf, was Deine lustige Liwûna machen kann.“
Dabei dreht sie sich um, zieht aus der Rocktasche ihres gelbseidenen Kleides zwei grosse Gewichte hervor, die viele Centner schwer zu sein scheinen, und hantelt mit den Centnergewichten, dass ihr die blauen Adern auf der Stirn und an den Schläfen anschwellen.
Ich frage sie, was das soll.
Da thun sich die Centnergewichte auf, und es fallen lauter Botokudenregimenter mit Schornsteinfegern untermischt aus den Gewichten heraus. Die Kerls sehen so klein und drollig aus, dass ich herzlich lachen muss.
„Gefall ich Dir jetzt endlich?“
Also fragt sie nun sehr rauh.
Und ich muss noch mehr lachen, bewege aber gleichzeitig wieder meine Zehen, um höher zu kommen.
Die Riesendame verschwindet unten, und ich denke mir, dass sie nicht so schnell fliegen kann —  da sie ja so dick ist. Doch ich irre mich, denn ich fühle sehr bald, trotzdem ich mit rasender Hast höher steige, ihre Nähe wie zuvor.
„Du entfliehst mir doch nicht!“ flüstert sie hinter mir —  mit einer ganz anderen Stimme.
Ich drehe mich rasch um und blicke in ein kleines feines sanftes Gesicht mit grauen Augen, die so ernst und milde mich ansehen —  wie ein guter Geist.
Und sie flüstert:
„Ich will so sein, wie Du es willst. Ist Dir das noch immer nicht genug?“
Es liegt so viel Sehnsucht in diesen Worten, ich werde weich und sage sanft:
„So schaff mir neue Welten —  ganz neue, die ich mir noch niemals ausgedacht habe und auch gar nicht ausdenken kann.“
Und ich höre die Liwûna erwidern:
„Liwûna thut Alles.“
Und dann verlässt sie mich.
In der Ferne höre ich sie rufen:
„Kaidôh! Kaidôh!“
Es wird Alles dunkel und zuletzt ganz schwarz vor meinen Augen.
Das Schwarze bleibt lange.
Allmählich wirds aber drüben an einer Stelle heller, und ich sehe einen Stern —  der sieht aus wie ein riesiger Diamant mit tausend feingeschliffenen Ecken und Kanten.
Und der Sterndiamant dreht sich um sich selbst.
Und seine Farben brennen.
Mächtige prächtige Lichtkegel in allen möglichen Farben drehen sich zuckend und zitternd durch die schwarze Nacht.
Und die Farben brennen sich mir ins Auge, dass ich geblendet werde.
Diamantenbrand!
Ein buntes ecken—  und kantenreiches Farbenfeuer mit glitzernden Flächen, die sich immerfort durcheinander schieben.
Und die spitzen Funken sind so grell.
Ich muss die Augen zumachen.
Ich halts nicht aus.
Ich fühle, dass Liwûna mich fortzieht —  ich bewege krampfhaft die Zehen.
„Du kannst das nicht aushalten,“ sagt sie mitleidig.
Und ich werde sehr unruhig; Angstgefühle klemmen mir die Brust zusammen.
„Ich kann das nicht aushalten,“ spreche ich tonlos nach.
Wir schweben weiter. Ich kneife die Augen fest zu; sie thun mir weh. Und dann bitte ich die Liwûna, mir andre Welten zu zeigen, die ich wenigstens ansehen kann.
Sie redet mit sanfter Stimme lange Zeit auf mich ein, und ich wage es danach, wieder die Augen zu öffnen.
Ich schwebe in einem zerklüfteten schwarzen Gebirge. Die steilen Felswände sind so hoch, dass ich oben Stein und Himmel nicht mehr unterscheiden kann. Der Himmel wird immer dunkler. Und unter uns ist alles sehr tief, und in der Tiefe ziehen sich graue Nebelstreifen wie Schlangen hin.
„Langsam!“ ruft mir meine Begleiterin zu.
„Ich weiss,“ fährt sie fort, „dass Du Etwas suchst, aber ich weiss auch, dass Du noch nicht weisst, wie das aussieht, was Du suchst.“
„Ja,“ versetz ich rauh, „ich weiss nicht, was ich suche. Dass ich aber Etwas suche, das weiss ich. Ich suche!“
Es umweht mich kühlende Luft. Liwûna sehe ich nicht, ich fühle nur ihre Nähe —  und das thut sehr wohl.
Da entdecke ich in der schwarzen Felsenwand einen Spalt, der hell ist. Ich nähere mich dem Spalt und blicke in ein grünes Wunderreich.
Lauter grüne Pilze! Sehr grosse Riesenpilze mit wunderlichen Pilzdächern —  gezackten und gespreizten! Und auch viele kleinere Pilze in allen denkbaren Grüns. Viel giftiges und viel glänzendes Grün —  helles und dunkles —  totes Grün und ein Grün, das so voll echter Lebensgier ist. Diese grüne Welt kann ich ruhig anschauen. Das Auge wird beruhigt durch das viele Grün.
Kleine weisse Elephanten mit hellgrünen Libellenflügeln fliegen emsig von Pilz zu Pilz. Und es strömt überall ein scharfes Licht aus dieser grünen Pilzenwelt. Die weissen fliegenden Elephanten krümmen drollig ihre Rüssel, als wenn sie lachen möchten. Sie lachen aber nicht —  ich kanns wenigstens nicht hören. Vielleicht lachen sie innerlich —  wie die falschen Narren.
Ich wende mich ab und schwebe weiter durch eine grosse schwarze Schlucht.
Die schwarzen Felsen sind nur ganz matt erleuchtet. Das Licht kommt aus der Tiefe, in der sich die grünen Nebel zusammenballen wie Fäuste. Oben sind keine Sterne. Der Himmel ist so schwarz wie die Felsen.
Ich möchte hinaus aus der schwarzen Schlucht. Liwûna will aber nicht. Sie hat jetzt ein so gelbes glattes hartes Antlitz, als wärs aus Elfenbein. Und sie zeigt mit der Rechten auf ein rundes Loch in der Felsenwand. Ich sehe durch und —  wieder was Andres.
Da drinnen ist Alles bunt und glitzernd. Eine Glanzwelt! Blumen sinds nicht, Blätter auch nicht. Es sieht aus, als seien da Milliarden Schmetterlingsflügel durcheinander geschüttelt. Es sind aber keine Flügel, denn Alles scheint sehr dick zu sein. Die blauen und roten Töne sind so verschiedenartig wie die violetten und gelben. Und sie sind gleissend hell wie durchsichtiges Email, das ich so liebe. Und die Muster sind zierlich verschnörkelt mit krummen Hörnern und gekräuselten Bändern. Goldene Riesenkäfer kriechen über die Emailwälder. Die Käfer kriechen blos, fliegen nicht.
„Suchst Du immer noch?“
Also fragt neben mir die Liwûna.
Und ich weiss nicht, ob ich noch suche.
Mir ist wie in einem wirren Traume. Ich habe so viel vergessen, und ich möchte doch so viel behalten.
Liwûna ruft drohend:
„Kaidôh! Kaidôh!“


no images were found

Ich schrecke zusammen und taste mit den Händen um mich, doch ich fühle nichts. Auch der schwarze Stein lässt sich nicht anfühlen; die Hände gehen ohne Empfindung durch. Ich kehre der Glanzwelt den Rücken, bewege wieder die Zehen und schiesse in die Höhe —  immer höher —  aber aus der schwarzen Felsenschlucht komme ich nicht raus. Plötzlich giebts einen Krach, und auf allen Seiten fällt was runter, und ich habe das Gefühl, dass alle schwarzen Felsen in die Tiefe fallen.
Und ich blicke in eine Spiegelwelt.
Lauter Spiegelwände! Grade und krumme Spiegel —  in verschiedenen Winkeln stehen sie zu einander. Oben sind auch Spiegel kantenreich durcheinander gestellt —  unten nicht.
Ich sehe Liwûna in den Spiegeln viele Tausend Mal. Sie hat noch ihr Elfenbeingesicht —  grüne Augen funkeln darin. Sie starrt mich an allen Ecken und Enden wie eine richtige Medusa an.
Neben der Liwûna erblicke ich ein anderes Wesen.
„Das ist Kaidôh!“ sagt sie neben mir.
Kaidôh sieht ernst aus und hat eingefallene Augen, die grau sind, vergrämt und ruhlos umherschweifen wie die Augen der Diebe.
Kaidôh nickt der Liwûna zu und spricht zu ihr in all den Tausend Spiegeln.
Was spricht Kaidôh?
Seine Stimme tönt hell und splitternd —  es ist aber nur eine einzige Stimme.
Er sagt langsam und hört sich dabei:
„Das Glück ist stets in dem Andern. Deswegen müssen wir der Andre werden. Wir müssen nach dem Andern suchen. Wenn wir suchen, ohne zu wissen, was wir wollen, so suchen wir immer ein Andres —  das ist das Unbekannte —  das Fremde —  das ist es, was wir herbeisehnen. Und wir sehnen uns nach der grossen Überführung. Für gewöhnlich verstehen wir uns nicht. Es ist jedoch kein einfaches Hinübergehen —  wir müssen hinübergeführt werden —  ins Andre hinübergeführt werden —  von dem Geist, der uns immer begleitet. Das Eigene müssen wir vergessen —  aus uns herauskommen —  nur dadurch kommen wir in uns hinein. Eine sehr drollige Geschichte —  aber auch eine sehr ernste —  so schauerlich ernst wie der Unsinn, der uns als Wahrheit erscheint. In den Spiegelwelten sehen wir die Wahrheit im Unsinn und auch den Unsinn in der Wahrheit. Alles ist verzerrt und verschoben —  Fratzenreich! Aber so ist immer die Welt, wenn sie sich uns von sehr vielen Seiten zeigt. Wir müssen sie im Ganzen fühlen —  fühlen —  im Ganzen.“
Liwûna führt den Kaidôh fort, streichelt seinen Kopf, der ihm weh thut —  so furchtbar weh. Kaidôh weint —  weint.
Liwûna weint mit —  in allen Spiegeln.
Und sie führt ihren Kaidôh weiter durch die schwarze Schlucht, die wieder da ist —  durch die schwarze Felsenschlucht, in der keine Sterne leben —  in der nur ein graues Dämmerlicht heraufdringt aus der Tiefe —  aus den Nebeln, die da leuchten.
Und die Liwûna führt ihren Kaidôh hinunter in das stille Nebelreich, in dem die grossen Schläfer träumend schlafen.
Das Reich der Schläfer ist sehr sehr gross. Sie liegen unten unter den Nebeln mitten in der freien Luft —  umhüllt von feinen perlgrauen Schleiern. Die Nebel bilden den Himmel der Schläfer. Sie liegen neben—  und untereinander —  aber berühren thun sie sich nicht. Die Luft ist ihr Bettzeug. Die feinen perlgrauen Schleier hängen schlaff wie die Zweige der Trauerbirken; einige Schleier zittern und bewegen sich, als würden die Körper von tiefen Seufzern durchzogen.
Es schlafen da Riesen und Zwerge und Wesen mit seltsamen Gliedern, Tiere mit tausend Köpfen und Kinder mit einem Kopf, der grösser ist als ihr Leib. Alle schlafen und träumen —  einzelne schnarchen ein bischen —  doch nicht zu laut. Zuweilen bewegt sich ein Fuss oder ein Arm. Lange Haare hängen an manchem Haupt —  und die Haare bewegen sich —  ganz wenig im Takte wie die langen Perpendikel alter Uhren. Es ist so still im Reiche der Schläfer.
Und die Liwûna erzählt ihrem Kaidôh von den Träumen der Schläfer, und sie führt ihn dorthin, wo Kinder und Knaben träumen. Und die Beiden legen sich über den Träumenden genau so in die Luft wie die Kinder und Knaben.


no images were found

Und leise flüstert die Liwûna:
„Alle, die hier im Nebelreiche liegen, hatten so viel geträumt —  ihr ganzes Leben hindurch. Im Traume schwebten sie durch viele Sonnen Monde und Sterne. Dann aber kam eine Nacht, in der sie nicht mehr von all den Glanzwelten träumten. Ihre Freude am Traumleben war zerstört —  von einer unsichtbaren Hand. Und die Nacht wurde finster. Sie lagen da in banger Pein, und ihnen wurde so schwer. Sie fürchteten sich auf einmal vor einer schweren Stunde; ihnen war so, als käme das grosse Schweigen heran. Und sie hatten Angst vor dem grossen Schweigen —  Angst vor dem grossen Sterben. Und dann dachten sie an die ersten Jahre ihres Lebens —  an Eltern Freunde und Frauen —  an Kinder und Greise —  an alte Möbel und alte Stuben, die garnicht mehr da waren —  oder zerfielen wie altes Gemäuer am Meeresstrande, wenn die grossen Wogen unaufhörlich gegenschlagen. Und die Gedanken an das Vergängliche machten so schwer; die schweren Hände wollten noch was greifen —  aber sie wussten nicht was. In der Finsternis nur bleiche Angst und Herzenskrampf.“
Und dem Kaidôh wird zu Mute, als träume er noch einmal einen langen Kindheitstraum; in dem Traume entwickelt sich Alles sehr schnell, der Träumende wird älter und anders und empfindet zugleich, dass er das Älter—  und Anderswerden nur träumt.
Und die Liwûna fährt leise fort:
„Und da packte die Traurigen, als die schweren Stunden allnächtlich wiederkehrten, ein neues Empfinden an. Sie näherten sich langsam dem grossen Geiste, der überall ist —  auch in ihrer Brust. In seiner Nähe fanden sie ihre alte Traumruhe wieder, und sie vergassen ihre Angst und gaben sich in der geheimnisvollen Stille der Finsternis ganz dem Grossen hin, der keinen Namen hat —  der das Ewige ist —  der bleibt, wenn auch alles vergeht. Ging es Dir nicht ähnlich, mein lieber Kaidôh?“
Ein paar Kinder öffnen unten ihre kleinen Fäuste und irren mit den kleinen Fingern durch die Luft.
Kaidôh träumt noch und empfindet das Verwirrende und Erschöpfende des Traumes; er möchte aufwachen, kann aber nicht —  es liegt sich auch so gut und weich.
Es ist so still im Reiche der Schläfer. Kaidôh lächelt und nickt, er wundert sich, dass Liwûna so viel weiss, und während er von schwankenden Kornfeldern träumt, sagt er nachdenklich:
„Ja! Die Sehnsucht nach der zerstörten Vergangenheit ist die schwerste Sehnsucht; sie gebiert die bittersten Stunden der Wehmut. Und alles Andre, was Liwûna sprach, stimmte gut zusammen —  wusste sie noch von mehr?“
Seine ganze Vergangenheit zog vor ihm vorüber.
„Ich weiss noch,“ versetzte Liwûna schnell, „von Deinem lautlosen Gebet.“
„Sei still!“ sprach Kaidôh, „lass uns weiter schweben. Wir wissen nicht, ob wir die Schläfer stören —  sie wollen doch weiter träumen.“
Und die Beiden erhoben sich, indem sie mit den Armen um sich griffen, reckten ihre Glieder und verliessen das Nebelreich —  schwebten empor und weiter durch die schwarze Schlucht, in der die Dämmerung so schwer an den Steinen hing wie die schweren Stunden, in denen Alles zu Ende zu gehen scheint.
Kaidôh klagte über die Schwere.
Da wandte sich Liwûna zur Rechten und schwebte durch ein gewaltiges Felsenthor.
Kaidôh folgte.
Und blaues Licht umfloss die Beiden.
Das blaue Licht leuchtete wie Geisteraugen. Aber es umfloss nicht blos Liwûna und Kaidôh —  es hing sich auch an viele schwebende Köpfe, die wie blaue Schneeflocken aus der Lichthöhe herunterrieselten. Die schwebenden Köpfe waren auf der Schädelplatte sehr stark behaart, und alle hatten Vollbärte, die den ganzen Hals verdeckten. Und das blaue Licht hing an den Köpfen, als ob es sie herunterzöge.
Liwûna sagte, das wären lauter Denker —  grosse Denker —  weises Volk! Und in den Haupthaaren der Denker fing es plötzlich zu brennen an; buttergelbe Flammen schlugen aus den Hirnschalen heraus, und durch die brennenden Haare entstand ein grosser Feuerregen —  buttergelb war der. Liwûna schwebte mitten in den Feuerregen hinein; die gelben Funken rieselten knisternd um die perlgrauen Gewänder, die so dünn erschienen wie feinste Schleiergebilde.
Kaidôh erschrak; er glaubte, die Liwûna müsste gleich Feuer fangen und brennen wie die Hirnschalen der Denker.
Und besorgt flog der Erschrockene zu Hilfe.
Doch seine Freundin wandte sich lächelnd um und meinte lustig:
„So ganz gleichgültig scheine ich Dir also nicht mehr zu sein. Das freut mich. Aber Angst brauchst Du meinetwegen nicht auszustehen. Mir schadet das Feuer der Denker ebenso wenig wie Dir. Warum wunderst Du Dich nicht, dass wir garnicht Feuer fangen können?“
Kaidôh gab keine Antwort, und sie flogen rasch durch die brennenden Köpfe durch in ein grosses Blumenreich.
Berauschender Duft steigt da den Beiden in die Nase. Der Himmel ist hell und weiss wie Kreide. Doch unten blühen Riesenblumen —  so hoch wie Berge —  Blütenkelche so tief wie Thäler —  Staubfäden wie schwankende Leuchttürme. An einer langen Mauer hängen Weintrauben, die so gross sind wie dicke Bündel aufgeblasener Luftballons.
Ringsum ein Urwald aus Riesenblumen!
Glockenblumen, die grossen Tempelhallen ähneln! Rosenstengel, die nicht von tausend Gorillas zu umspannen wären! Lilienkelche —  so tief wie Kellergewölbe in alten Burgen.
Lauter farbenstrotzende Blumenwälder unter dem weissen Kreidehimmel! Sehr viele dicke Blumen haben Blütenblätter —  die sind gemustert —  wie zusammengeknotete Salamander und Schlangen. Manche Blüten bestehen aus riesenhaften Schmetterlingsflügeln —  faltenreich geknillt, verbogen und verschroben sind die. Und Alles ist schrecklich bunt und so sammetartig. Der Blütenstaub liegt an vielen Stellen so dick, dass er farbigen Schneemassen gleicht.
Eine Riesen— Gärtnerei!
Sie schweben langsam über den grossen Blumen dahin und blicken immerzu staunend in die Tiefe.


no images were found

Und erst nach geraumer Zeit brach Kaidôh das Schweigen.

„Früher,“ bemerkte er, „kam mir die Welt fast immer drollig vor; ich musste über Alles lachen. Und jetzt empfinde ich nicht den geringsten Lachreiz, obwohl diese Riesenblumen einen ernsten Eindruck kaum erzeugen. Wie kommt es, dass ich so wenig lache? Kannst Du mir das erklären?“
Liwûna lächelte und sah recht zufrieden aus. Sie hatte jetzt hellbraune Augen und strohgelbe Haare. Sie erwiderte:
„Die Welt wäre sehr eintönig, wenn sie fortwährend drollig wirken wollte. Sei doch froh, dass sie Dir mal anders kommt. Das Trübe ist so selten unerträglich, und es ist dabei so notwendig an der Pforte der Klarheit. Diese würde uns ohne jenes garnicht als Klares zum Bewusstsein kommen. Und Du weisst doch: nur das Klare lacht hell! Ich freue mich übrigens, dass Du Dich schon mit mir unterhalten magst. Aber das Lachen, von dem Du vorhin sprachst, lernt man zumeist nur dann, wenn man lange Zeit von vielen verbissenen Möpsen umgeben ist —  und das wird denn garkein helles Lachen. Den Möpsen hab ich Dich nun entführt —  die siehst Du nie mehr wieder —  daher lachst Du nicht mehr so —  wie Du’s gewöhnt warst. Du hast es ja garnicht nötig, über die Verbissenheit zu lachen; die liegt Ja hinter Dir.“
Liwûna lachte nach dieser Rede so laut und hell, dass aus allen Blütenkelchen ein tausendfaches Echo herausschallte. Das Echo war so fein und vielstimmig, dass die Beiden lange voll Entzücken dem Wohllaute lauschten. Und der stumpfe weisse Kreidehimmel ward klarer.

Es tauchten unten aus der riesigen Blumenwelt alte Tempelruinen empor; sie gaben dem Gespräch eine andre Richtung.
„Sieh mal,“ sagte Kaidôh, „hier entwickelt sich in mir wieder der Schmerz um die zerstörte Vergangenheit. Ich vermag es nicht, diesem Schmerze zu entfliehen. Es ist keine trübe Wehmut, die nur im eingebildeten Unmut weh thut —  es ist echter richtiger Schmerz.“
„Der wird Dir wohl ganz dienlich sein.“
Also lautete Liwûnas Antwort.
Und Kaidôh hatte das Gefühl, als tasteten alle Weltwesen wie die Blinden in der Welt umher —  Alles schien ihm unsichere Tasterei zu sein.
Die Ruinen konnte er garnicht überschauen —  so gross waren sie. Sie waren auch stellenweise so überwuchert von Dorngestrüpp. Und er empfand es sehr schmerzlich, dass Liwûna so schnell vor ihm weiterflog und sich garnicht nach ihm umdrehte. Er hätte so gerne die Ruine länger angesehen, um einen Überblick zu gewinnen. Es ging aber nicht; die Liwûna flog zu schnell.
Bald zogen auch weisse Wolken unter seinen Füssen vorüber und verhüllten die ganze Blumenwelt und alle Ruinen.

Als sich die weissen Wolken wieder auflösten, lagen mächtige schwarze Felsen unter ihnen. Und als sie nach oben blickten, waren auch oben schwarze Felsen.
Die Beiden schwebten durch eine grosse schwarze Felsenhöhle, in der es immer dunkler wurde.

„Ein Blick in den Sternenraum,“ rief Kaidôh, „ist doch das Grösste in dieser Welt. Warum, Liwûna, zeigst du mir keine Sternenwelten? Sind die alle zu gross für mich?“

Es wurde ganz dunkel. Und Liwûna war nicht mehr zu sehen. Sie rief aus weiter Ferne:
„Kaidôh! Kaidôh!“
Das klang so voll Jubel, dass er gleich hinstürmte; er bewegte dabei so heftig die Fusszehen, dass sie ihm weh taten.
Als er wieder die Nähe seiner Freundin fühlte, hörte er sie leise rufen:
„Duck Dich, Kaidôh! Hier ist der Ausgang! Komm! Komm!“
Er folgte und sah plötzlich rauschende Lichtfülle und —  unzählige funkelnde Sterne.
Und Kaidôh sah hinab —  und unten glühten in grausiger Tiefe unzählige rote Sterne —  die bewegten sich alle hin und her.

Und Kaidôh sah hinauf —  und da drehten sich Sterne um sich selbst —  die schimmerten so wie Perlen.
Und Kaidôh sah gradaus und rechts und links —  und da wanden sich unzählige bunte Sterne durch den Raum —  die hatten eckige kantige schlauchartige und linsenförmige Gestalt.

Und Kaidôh sah hinter sich und erblickte eine riesige schwarze Felswand —  die ging nach oben, nach unten und nach allen Seiten der Fläche steil und grad als glatte Platte ins Unendliche.

Liwûna schwebte nicht weitab von Kaidôh. Beide liessen sich seitwärts wehen von einem sanften Himmelswinde.

„Jetzt kommt ein Stern ganz nahe vorbei!“ rief die Liwûna.

Und es schwebte durch die Luft ein Stern heran, der wie ein plumpes Ungeheuer aussah —  wie ein höckriger Schlauch. Eine ungeheure, unregelmässig nach allen Seiten aufgequollene Weltenmasse —  mit kurzen bunten Rüsseln —  bunten Raupen ähnlich! Wie Fühlhörner bewegten sich die Rüssel. Und dicke spitze Stacheln bedeckten den ganzen Leib des Sterns. Einen Kopf hatte das Vieh nicht; wo man vorn den Kopf vermuten konnte, kam weisser Dampf aus vielen Löchern hervor. Aus einzelnen Rüsseln wirbelten ebenfalls weisse Dampfwolken nach allen Seiten. Der Dampf kam stossweise und ging schnell auseinander.
Während das Ungeheuer vorüber flog, bewegten sich seine vielen Fühlhörner, die besonders auf den Höckern sassen, sehr heftig, als wenn sie die Nähe von feindlichen Wesen witterten.
Die plumpe Schlauchmasse, die sich in der Form immerfort veränderte und zuweilen einem zerknillten Kopfkissen ähnelte, drehte sich plötzlich um sich selbst und rollte sausend schnell davon, wobei sich viel weisser Dampf entwickelte, der wieder rasch auseinander ging.
Und Kaidôh wollte wieder seine Zehen bewegen —  es gelang aber nicht. Er blickte hinunter —  und —  oh! —  seine Füsse waren so tief, dass er sie kaum noch zu erkennen vermochte.
Kaidôh war grösser geworden —  und seine Füsse und seine Zehen ebenfalls.
Er musste laut auflachen. Doch Liwûna rief heftig aus:
„Kaidôh! Das finde ich nicht hübsch, dass Du über Deine Grösse lachst! Du hast doch immer grösser werden wollen! Und jetzt, da Du’s bist, ist es Dir wieder nicht recht? Ich glaube, Du bist sehr undankbar und sehr launenhaft.“


no images were found

„Ich lache doch,“ erwiderte Kaidôh, „nur über die Grösse meiner Fusszehen, die ich jetzt garnicht regieren kann.“
„Die brauchst Du auch nicht zu regieren,“ versetzte die Liwûna, „lass Dich nur von den Wandwinden treiben.“
„Was sind Wandwinde?“ fragte Kaidôh, „ich verstehe nicht, was Du unter Wandwinden verstehst.“
„Tu doch nicht so,“ gab da die Liwûna spitz zurück, „als ob Du Alles verstehen möchtest. Ich kenne Dich! Sei still! Es kommen neue Sterne.“
Und die kamen auch näher —  es waren laute Glassterne.
Kaidôh brummte: „Sie wird dreist!“
Die Glassterne brummten ebenfalls —  nur anders. Es waren nämlich viele hohle Sterne dabei mit Löchern, aus denen seltsame dumpfe Töne in die Weltlüfte drangen.
In den hohlen Sternen leuchtete ein grünes Licht, sodass sich die verschnörkelten Formen der Glasgebilde haarscharf vom schwarzen Welthintergrunde abhoben.
Manche Sterne ähnten aufgeblasenen Fröschen, denen die Beine verloren gingen —  und andere Sterne starren Tintenfischen. Dazwischen drehten sich helle regelrechte Kreisringe, in denen viele helle Farben schimmerten. Auch schwebten in der Nähe Würfel und Oktaëder, deren Flächen glitzerten, als wären sie mit Phosphor bestrichen.
Liwûna sagte leise:
„Glaube nicht, dass das Alles Glas ist. Es sieht nur so aus.“
Und Kaidôh sah Millionen kleiner Tiere auf den Glassterne hin—  und herkrabbeln.
Einzelne der Sterne funkelten so stark, dass dem Kaidôh all die Farbenspiele durcheinander gingen. Er konnte oft nicht folgen.
Drollig wirkten grosse Ketten, deren Glieder aus vielen vielkantigen blauen Säulen bestanden.
Jedoch Kaidôh bemerkte bald, dass seine Augen immer stärker wurden. Er fühlte, dass er nicht bloß grösser sondern auch anders wurde. Leider wusste er nicht, ob er Grund habe, sich über das Anderswerden zu freuen.
Liwûna schwebte weitab wie ein grosser grüner Schleierstern.
Und nun tauchten smaragdgrüne Balkensterne aus dem Dunkel heraus —  die waren ganz mit grünen Wäldern bedeckt, die wie dunkles Moos auf den Balken sassen und wie Smaragde leuchteten. Kaidôh konnte erkennen, dass das grüne Licht unzähligen kleinen Häusern sein Dasein verdankte; die Häuser —  die reinen Glühwürmer —  lagen in den Wäldern so friedlich eingebettet —  wie junge Katzen in Waschkörben —  wenn es dunkelt und das Katzenauge funkelt.
Die grössten Balkensterne setzten sich aus sehr vielen Balken zusammen; die kleineren Balken waren fast alle in rechten Winkeln an die grösseren geleimt. Und die vielen rechten Winkel trugen so viel Berechnetes in sich, dass man glauben mochte, sehr fein ersonnene Weltwerkzeuge vor sich zu haben. Kaidôh dachte in dieser Richtung und meinte dann zu sich selber sprechend:
„Wozu ich mir über diese Sterne den Kopf zerbreche! Man kann sich noch so sehr verändern —  etwas bleibt doch immer in uns: jene Genuss hemmende Denkerei! Aber sie wird wohl nötig sein —  sonst würde man wohl öfters vor purer Seligkeit platzen.“
Doch die Gedanken waren bald verscheucht; Raketensterne sausten vorüber —  fix wie Kometen —  zischend und rauschend.
Wie unheimliche Feuerspinnen kamen sie angerannt —  in ihren Beinen züngelten zuckende Glutquallen. Bunte Augen sassen den Raketensternen auf den Zehen. Einige Sterne ähnelten glimmenden Knochengerüsten —  und andre wilden Aalen.
Sodann prasselten Feuergarben aus den Sternleibern heraus; blaue und grüne Feuertropfen flogen hinunter und hinauf. Lange gewundene Feuersäulen —  Riesenfinger —  bogen sich hinüber zu den blauen Feuertropfen und durchstiessen die, so dass sie wie Ringe auf die roten Feuersäulenfinger hinaufglitten.
Kaidôh fuhr oft erschrocken in die Höhe, da ihm das feurige Spinnengebein recht nahe trat.
Eine ungeheure wie Quecksilber zitternde Feuerschlange schloss den raschelnden Zug.
Der letzten Schlange sassen auch ein paar grüne und blaue Feuerringe auf dem Leibe. Dieser Leib —  rotglühendes Eisen —  wand sich und zuckte, als läg er in heissen irrsinnigen Fieberkrämpfen.

„Wenn man die Welt,“ flüsterte Kaidôh, „nicht mehr wiedererkennt —  dann ist wirklich Alles anders. Und ich erkenne diese Welt nicht wieder, denn ich habe sie noch nie gesehen. Ich erkenne mich nun auch selber nicht mehr. “
„Du wolltest doch,“ fiel da lebhaft die Liwûna ein, „unter allen Umständen das Neue und das Andere. Ich fühlte sogar, dass Du das wolltest. Jetzt hast Du das Neue und das Andere —  und jetzt ist es wiederum nicht recht. Ich werde Deine Wünsche bald unbeachtet lassen, denn Du willst offenbar noch Etwas, von dem man sich nicht einmal im Traume eine Vorstellung machen kann. Was Du sagst und empfindest, ist garnicht wichtig für Dich. Deine Gelüste sind Dir selber ein Rätsel. Kaidôh fühlt nur, dass er Garnichts fühlen kann.“
„Das mag stimmen!“ brummte der grosse Kaidôh.


no images were found

Aber zum Weiterreden kams nicht. Unter ihnen schwebten schon wieder neue Weltgebilde —  die Schalensterne in allen möglichen Muschelformen mit krummen Schnäbeln.
In den Tiefen der vielen Schalen blitzte es wie von Brillantensplittern, und bei dem Blitzen bemerkte Kaidôh unter den krausen Rändern der Sterne ein tolles Weltgewürm, das grossen wackelnden Schornsteinen nicht unähnlich schien.
Und die Trompeten—  und Trichtersterne gesellten sich mit den Schneckensternen auch zu den Weltschalen.
Das ward ein mächtiges Blasen und Brummen, Getute und Geschnarre und Gepfeife.
Wie Brummkreisel drehten sich die Trichter. Die Schnecken drehten sich ganz langsam —  es waren nur die Gehäuse.
Und lange Glockenketten schaukelten und wackelten wie fliegende Guirlanden mitten durch, dass die andern Schalen ausbiegen mussten.
Das dumpfe Gebrumme der Glocken klang so alt, als stäken lauter längst verfallene Welten in den Glocken.
„Hörst Du,“ sprach Liwûna, „mit den Glockentönen steigt wieder eine alte Zeit in Dir herauf. Ja, das Neue macht es nicht. Ich will Dich verstehen. Dazu bin ich ja da.“
„Aber das Alte,“ rief Kaidôh, „ist wieder so furchtbar schmerzhaft. Es lähmt die ganze Lebenskraft.“
„Es soll,“ gab da leise seine Freundin zurück, „die Freuden dämpfen. Das Alte ist beim Weltgenuss so nötig wie das Gedankenspiel. Ist Dir Beider Daseinsrecht nicht klar? Wenn Dir die Erinnerungsschmerzen über den Kopf wachsen, dann musst Du allerdings sterben. Das ist schon richtig. Doch mit jedem Tode sterben auch die Erinnerungen. Und ist das nicht auch gut? Wenn Etwas ganz stirbt —  stirbt immer viel Schmerz zu gleicher Zeit mit. Ja —  jedes Sterben ist eigentlich nur ein Sterben von Schmerzen.“
Kaidôh klatschte in die Hände und lachte, als verstände er auf einmal die ganze Welt von oben bis unten.
Und aus den Trichtern, Glocken, Schnecken, Muscheln und Trompeten scholl wieder ein tausendfaches Echo, das ein Weltlachen war, empor in den endlosen Raum. Das Echo hing blos nicht ordentlich zusammen —  als wärs ein Echo von Liwûnas Worten.
Die Wandwinde bliesen gegen die beiden leichten Riesengeister an, dass sie weiter flogen.
Liwûnas Grösse entsprach der des Kaidôh, so dass dieser seine Begleiterin lange anschaute; eine so grosse Dame hatte er noch nie gesehen. Sie hatte langes pechschwarzes Haar mit einem Rubindiadem, ihr Gesicht war weiss wie Marmor, und aus den schwarzen Augen strömte ein grosser Glanz, der auch die nackten weissen Arme ganz hell machte. Öfters flackerten die grossen Augen, als rasten grosse Sonnen drinn.
Die Schatten der beiden Riesengeister gleiten auf der spiegelnden Wand wie zwei fliegende Pfeile dahin.
Und rasselnd steigen aus der Höhe abermals Sterne herunter —  durchsichtige Mühlenräder sinds! Sie drehen sich und lassen alle die eine Seite sehen; die Scheibe ist erst einförmig —  dann rund —  und zum Schluss wie am Anfange.
Und aus den Radreifen schlagen keilförmige Scheinwerfer raus —  blaue gelbe und orangefarbige —  die drehen sich durch den ganzen Himmelsraum, als wärens Speichen von Riesenrädern —  farbige Speichen. Und die Speichen drehen sich so schnell, dass Kaidôh dem flirrenden Farbenwirbel nicht mit den Augen folgen kann.
Er dreht sich um —  und erblickt in der grossen schwarzen Felsenwand, die überall glatt wie ein Spiegel ist —  das Spiegelbild der Rädersterne. Im schwarzen Spiegel sind die blauen gelben und orangefarbigen Streifen gedämpft. Kaidôh kann nun Alles von dem bewegten Farbenbilde in sich aufnehmen —  die Helligkeit nimmt allmählich immer mehr ab.
Und dann wirds wieder stiller in der Spiegelwand —  andre Sterne erscheinen —  Blattlappengebilde, die an vielen Stellen phosphorescieren —  was ganz unheimlich in der schwarzen Spiegelwand wirkt.
Liwûna und Kaidôh sprechen über die verschiedenen Arten der Schwärmerei in kurzen abgebrochenen Sätzen. Und nun folgen noch mächtige Wassersterne, deren Wogen nach allen Seiten hoch in die Höhe gespritzt sind —  man könnte sie für Zinngebilde halten. Die Wassersterne sind aber nicht alle so wie Zinn —  sehr viele sind rot wie Blut —  zwei ganz grosse sind wie Gold.
Die beiden Riesengeister sprechen gegen die Felsenwand, ohne sich umzudrehen, vom Müdewerden. Dazu haben sie aber keine Zeit, denn jetzt wirds ganz bunt im Felsenspiegel —  als schwebten Millionen Laternen durchs grosse All.
Kaidôh wird neugierig und wendet endlich den Kopf.
„Die Rauschlust kommt immer wieder!“ schreit er wild —  denn er sieht jetzt nicht blos die bunten Laternen —  er sieht alle Sterne, die bisher vorbeizogen, noch einmal —  auf ein Mal.
Kaidôh ist abermals noch viel viel grösser geworden —  er blickt jetzt in einen gewaltigen Sternwirbel und erkennt Alles.
Die Trichtersterne und die Wassersterne —  die Raketensterne und alle die andern wirbeln da im Raume herum, als führe ein Sturm durch Sonnenstäubchen.
Jetzt kann sich Kaidôh nicht mehr halten, er bewegt seine Zehen und will hinein in das glänzende schauerliche Sternenmeer.
Und er kann seine Zehen wieder regieren.
Und er stürzt sich in den Sternwirbel —  und schreit —  und schreit!!
Seine Brust dehnt sich weit aus, und ihm ist, als gingen all die vielen Millionen Sterne in seinen Leib.
Und er lacht wie ein Gott —  und schreit —  und schreit.
Liwûna kann ihm kaum folgen.
Und dem Kaidôh ist so, als setzten alle Sterne noch mehr Grösse an ihn ab —  immer mehr —  immer mehr!
Jetzt endlich fühlt er Welten in sich — Welten!
Und er bewegt die Zehen —  und schiesst durch den Wirbel —  und kreischt auf —  in verrückter Seligkeit —  und —  und —  weiss nichts mehr von sich. Liwûna folgt ihm mit gesenktem Haupt und führt ihn hinaus aus dem Sternwirbel in eine kühlere Weltgegend.

Und langsam wird Alles anders.
Und mir ist so, als wenn ich langsam erwache —  aus wirren wüsten Träumen, und ich frage
leise:
„War ich Kaidôh?“
Liwûna —  das ungeheure Riesenweib neben mir—  lächelte und nickte —  und sprach sanft:
„Du bist immer noch Kaidôh!“
Und ich bebte, als hätte sie mir was Furchtbares gesagt.
Wir schwebten wieder im stillen Raume —  aber die Sterne waren nicht rund —  sie waren alle feine kleine Striche —  nur wenige dickere Striche sah ich.
Kühle Lüfte wehten um meine Stirn —  und ich wurde wieder ruhiger.
Die feinen kleinen Striche —  waren roth wie Blut —  und der ganze Himmel schwarz —  wie die Felsenwand —  die weit hinter mir liegt.
Ich suche was mit der linken Hand
Liwûna lächelt und sagt: „Du suchst wieder was!“
„Ich suche!“ sage ich.
„Ich will noch mehr —  noch Grösseres!“ fahre ich fort.
Und Liwûna bittet ihren Kaidôh, weiter zu fliegen.
Er fliegt weiter.
Und wieder neue, wieder andre Wunderwelten thun sich vor ihm auf; die sind aber etwas kleiner —  denn Kaidôh ist im Sternenwirbel noch mehr gewachsen —  ins Ungeheuerliche hineingewachsen.
Dem Kaidôh ist so, als wäre er in ein grosses Schneegestöber geraten. Es sind aber nicht Schneeflocken, die ihn jetzt umschweben —  es sind grosse Sternwolken aus Schnee—  und Eisgestirnen.
Kaidôh bemerkt, dass faltige dunkelviolette Sammetkleider seinen riesigen Körper umflattern. Liwûnas Gewänder sind wie Goldschaum und flattern ebenfalls.
Die Schneesternlüfte sind so kühl und beruhigend —  und Kaidôh bedarf der kühlen Ruhe —  ihm ist noch immer so, als tobten grosse Sternscharen durch seine Adern —  und durch alle seine Knochen.
Wie kleine weisse Federn schweben die Sterne dem unermesslichen Kaidôh um Kopf und Brust.
„Das sind,“ sagt Liwûna, „sehr leichte Welten, denn sie sind alle sehr alt.“
Die Sterne fliegen zuweilen wie ein grosser Vogelschwarm in die Höhe, und dann kommt es dem Kaidôh so vor, als flögen ihm rasende Eisklumpen an der Nase und an den Ohren vorüber. Seine Augen sind aber so scharf, dass er die verschiedenen Formen der Schneesterne, wenn sie weiter weg sind, wohl unterscheiden kann; er sieht auch viele Tiere auf den Sternen. In den Schneesternen glänzt viel blankes Eis, und die Eissterne sind an den Krystallspitzen meist mit Schnee umzogen, als wären sie verschimmelt.
Die Sterne haben viele thurmartige Auswüchse und Zacken und Zinnen und alle nur denkbaren Formen, die aber gewöhnlich regelmässig sind wie die Krystalle.
Alle Schneesterne und auch die Eissterne verstehen es ausgezeichnet, dem grossen Kaidiôh auszubiegen, so dass er garnicht mit den Sternen in Berührung kommt. Der Schnee verbreitet ein mattes schweres Dämmerlicht. Kaidôh hat immerfort das Gefühl, etwas vergessen zu haben —  und dieses Gefühl macht ihn immer erregter, so dass er ganz heftig wird.
Liwûna lacht dazu und fragt spöttisch:
„Was suchst Du denn?“
„Ich weiss es eben nicht!“ giebt Kaidôh zur Antwort.
Da fliegt die grosse Liwûna an ihren Kaidôh ganz nahe heran und flüstert mit leuchtenden Augen:
„Ich weiss, was Du suchst —  Du suchst das Weib, das Dein Weib sein kann.“
Kaidôh zittert, ballt die Faust und schlägt der Liwûna ins Gesicht.

image_pdfimage_print