Ernst Rowohlt
Ernst Rowohlt und Paul Scheerbart
Markus Feuerstack
„Meinen Dichter“ Paul Scheerbart lernte ich durch einen Verleger kennen: Ernst Rowohlt. Rowohlt, einer Grossen der Verlegerpersönlichkeiten, hat in jungen Jahren Paul Scheerbart „als fast ersten Autoren“ verlegt, und Freundschaft und Kontakt lebenslang zu dem genialen Dichter, Tüfter und Lebenskünstler gepflegt. Als junger Buchhändler in Hamburg habe ich mir, standesgemäss die beiden wunderschönen Monographien über Ernst Rowohlt vom gleichnamigen Verlag schenken lassen: Walter Kiaulen „Mein Freund der Verleger“ Ist eins der Bücher. Dort steht über Scheerbart zu lesen:
>>… Es war der in Berlin lebende Dichter Paul Scheerbart und sein Buch hieß <Katerpoesie>. Die schönste Verszeile aus diesem Buch wurde zum Leitspruch für Rowohlts Leben:
«Charakter ist nur Eigensinn,
Es lebe die Zigeunerin!»
…So behauptete er später sehr oft, sein erster Autor sei Scheerbart gewesen.
Paul Scheerbart war ein krasser Außenseiter, mit keinem der lyrischen Poeten zu vergleichen, die Rowohlt bis dahin geliebt hatte. Gleich die erste Zeile, die Rowohlt von Scheerbart drucken ließ, war ein unverwechselbares Originalprodukt:
«Guten Morgen! schreit das Menschentier;
Und mancher Schuft trinkt jetzt noch Bier.»
Scheerbart war fünfundzwanzig Jahre älter als Rowohlt. Damit gehörte er zwar generationsmäßig in die Schar der von Rowohlt verehrten Lyriker, doch galt er den meisten seiner Zeitgenossen als ein Verrückter. Nur ein kleiner Kreis von Freunden ergötzte sich an seinen Einfällen. Scheerbarts künstlerisches Bekenntnis hieß:
«Der Weltseele wollen wir näher sein, das ist die Hauptsache!»
Er hatte sich übrigens selbst als Verleger versucht und 1892 einen «Verlag deutscher Phantasten» gegründet. Darin veröffentlichte er gewissermaßen als Programmschrift ein Buch <Was… möchten wir nicht alles>, und damit hatte der Verleger Scheerbart auch schon ausgespielt. Im Mittelpunkt all dessen, was Scheerbart mochte, stand der wundersame «Weltallpalast», den er bauen und bewohnen wollte und der alle Himmel und Seligkeiten wert war. In Goldmark umgerechnet hatte Scheerbart für den Bau 20 Milliarden Baukosten veranschlagt. Dafür war der Palast auch durchsichtig, weil er aus Glasziegeln gebaut war. Das war zwar nur das geringste von den Wundern, die der Palast in sich barg, doch dieses kleine Wunder wurde später Wirklichkeit. Zu den wenigen tatkräftigen Bewunderern von Paul Scheerbart gehörten nämlich die jungen deutschen Architekten, die später alle Weltruhm erlangt haben, an ihrer Spitze Bruno Taut. Sie hielten die Phantastereien von Scheerbart nicht für verrückt, sondern gingen beherzt auf sie zu. Sie ließen die Mauersteine aus Glas anfertigen, die Scheerbart sich erträumt hatte. Es gab die Glasziegel farblos und bunt.
Aus diesem Traummaterial errichteten die jungen Architekten die ersten gläsernen Bauten und dann den großen Glasturm auf der Werkbund-Ausstellung von Köln, 1914.
Der Glasziegel war der größte praktische Erfolg, den ein Dichter errungen hat. Die Leute allerdings, die Scheerbart für blödsinnig hielten, waren die Mehrheit, und diese Mehrheit kümmerte sich weder um die junge Architektur noch um die Glasziegel. Scheerbart mußte sich mit ihnen erbittert streiten. Er sagte von sich: «Ich bin aus Wut Humorist geworden, nicht aus Liebenswürdigkeit.»
Viel Wut war allerdings nicht nötig, um Scheerbart zu einem Humoristen zu machen. Er stammte aus Danzig und war ein echter Kaschube. Dieser slawische Volksstamm aus Westpreußen, der von den Deutschrittern germanisiert worden ist, hat immer eine starke Begabung für das Grotesk-Komische gezeigt; Günter Grass ist ein modernes Beispiel dafür.
Auf Rowohlt machten die humoristischen Verse von Scheerbart tiefen Eindruck, ja, sie schlugen ihm direkt ins Herz. Er schrieb dem Dichter nach Berlin, natürlich auf einem frisch gedruckten Briefbogen «Ernst Rowohlt Verlag, Paris-Leipzig», Scheerbart antwortete, und als die Korrespondenz einige Zeit hin- und hergegangen war, schickte Scheerbart ein Heftchen mit Gedichten und dazu den Titel:
Katerpoesie.
Für ein Honorar von 100 Mark durfte Ernst Rowohlt 800 Exemplare drucken.
Die <Katerpoesie> erwies sich als eine glückhafte Verlegertat; nicht etwa, daß die 800 Exemplare im Nu weg gewesen wären; o nein, an dieser Auflage verkaufte Rowohlt zehn Jahre lang. Glückhaft war das kritische Echo. Kurt Pinthus, einer von Rowohlts Freunden aus diesen Jahren, sagte darüber: «Maximilian Hardens die fortschrittliche Welt beherrschende Wochenschrift Die Zukunft verglich Scheerbart mit Laurence Sterne und Jean Paul, die Akademischen Monatshefte priesen (dieses köstlichste aller Bücher) und Professor Georg Wittkowski schrieb in der Zeitschrift für die Bücherfreunde, <es sollte in keinem Haushalt fehlen).» >>
Paul Mayer hat die andere Biographie über Rowohlt geschrieben, die als „rororo Monographie 139“ erschienen ist. Dort wird Paul Scheerbart so beschrieben:
>>Schon von seiner Bremer Zeit her kannte Rowohlt die deutsche Lyrik seiner Zeit, von Detlev von Liliencron bis zu Stefan George. Jetzt geriet er an einen Autor, der mit den Dichtem, die er bisher kannte, nicht die geringste Ähnlichkeit hatte. Es war Paul Scheerbart. Spätere Generationen wissen leider kaum noch etwas von ihm. Rowohlt ist diesem Autor immer treu geblieben; der Wechsel der Zeiten und Dinge änderte daran nichts. Jahrzehnte später hörte ich ihn durch die Räume seines Verlages in Berlin, An der Potsdamer Brücke, Scheerbarts Verse schmettern:Charakter ist nur Eigensinn,
Es lebe die Zigeunerin,
Ich bin mit mir zufrieden.
Das Buch «Katerpoesie», dem diese Zeilen entstammen, behauptete er auswendig zu kennen. Wie dem auch sei, diese Verse waren ihm aus dem Herzen gesprochen, sie waren Geist von seinem Geist, Blut von seinem Blut. Aus seiner Verliebtheit in dies Gedichtbüchlein läßt sich der seelische Zustand des jungen Rowohlt erkennen.
… Im kraftstrotzenden, saturierten Deutschland in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gab es Narrenfreiheit, soweit sie keine politischen Ambitionen hatte; daher fand auch die «Katerpoesie», mit dem kühnen Druckvermerk «Paris-Leipzig 1909» versehen, wohlwollende Aufnahme bei der Kritik, wenn auch keinen reißenden Absatz. Rowohlts verlegerischer Appetit war geweckt. Von seinem Scheerbart wollte er mehr haben; schließlich bekam er mehr, als ihm vielleicht lieb war.
Paul Scheerbart war ein Einzelgänger, ein Vorläufer, ein Prophet. Die Glasarchitektur hat er vorausgesehen, den Luftkrieg auch und sonst noch allerlei.
Sich für einen großen Schöpfer haltend, arbeitete er gleich vielen Vorgängern in seinem Laboratorium an der Erfindung des Perpetuum mobile. Er wurde zum Märtyrer seiner Idee.
Leipzig, schreibt Rowohlt, lag nahe bei Berlin, und ich benutzte jede Gelegenheit, um dorthin zu fahren. In Berlin lernte ich nun durch Alfred Richard Meyer Paul Scheerbart persönlich kennen.
Scheerbart wohnte damals in einer Souterrainwohnung in Zehlendorf. Ich habe ihn dort immer nur in Pantoffeln und ohne Kragen getroffen. Er arbeitete den ganzen Tag in seinem «Laboratorium» an der Erfindung des Perpetuum mobile. Sofort bei Beginn jeden Besuches, den wir ihm abstatteten, wurde zunächst einmal auf meine Kosten ein Kasten Schultheiß-Bier geholt, und dann begannen die Erklärungen Scheerbarts. Er kam sich vor wie ein großer Ingenieur. Er hatte stets irgendeine Verbesserung an seinem Modell gefunden. Dies Modell stand auf einem großen Tisch in der Waschküche, in der auch noch eine große Hobelbank mit allem möglichen Tischler- und Mechanikerwerkzeug zu sehen war. Er brachte den sehr komplizierten Apparat in Bewegung, und wenn er dann nach einiger Zeit aufhörte, sich zu bewegen, erklärte Scheerbart immer, daß eine ganz bestimmte Verbesserung noch erforderlich sei, dann sei der Tag des Herrn gekommen. Jede Erklärung irgendeines Einzelteils des komplizierten Apparates endigte mit dem Wort «wiesoschöneinfach» und stets vertröstete er uns auf ein paar Tage, dann würde alles in Ordnung sein und das Patent angemeldet -werden. Wir, seine Freunde, Alfred Richard Meyer, Dr. Arthur Landsberger, Hanns Heinz Ewers, und vor allen Dingen seine Frau, nahmen die Sache todernst. Große Pläne wurden von Scheerbart geschmiedet. Wir alle sollten in der großen Verwertungsgesellschaft seiner Erfindung fabelhaft bezahlte Posten bekommen. Fast täglich lief in Leipzig eine jubelnde Karte ein, von denen ich noch fast hundert aufbewahrt habe: daß er nunmehr der Lösung wieder nähergerückt sei. Tischler und Klempner verdienten an ihm gutes Geld für die Anfertigung der verschiedensten Modelle, aber das «Perpeh», so nannte er seinen Apparat, wollte nicht laufen. Ich werde nie vergessen, was für ein Entsetzen ich spürte, als mir Alfred Richard Meyer einmal erzählte, daß Scheerbart sich während der ganzen Zeit nur von «geschabtem Hering» auf Brot ernähre. Ich konnte mir damals von dieser Speise überhaupt keinen Begriff machen. Aber jedenfalls war das wohl mit ein Grund für den unerhörten Bierdurst des Dichters. Schließlich entschloß sich Scheerbart dazu, ein Buch über seine Erfindung zu schreiben, über das ich begeistert mit ihm einen Vertrag schloß. Dies Buch über das Perpetuum mobile ist heute schon eine Seltenheit auf dem Büchermarkt geworden. Ottomar Starke, den ich aus meiner Lehrzeit in der Buchhandlung Ackermann Nachf. Karl Schüler, München, weniger in seiner Tätigkeit als Zeichner denn als guten Bücherkäufer kennengelernt hatte, mußte den Umschlag für das Buch zeichnen. Dem Buche selbst wurden unerhörte Konstruktionszeichnungen Scheerbarts für das «Perpeh» beigeheftet, die – ich weiß, daß ich mich über die ungeheuren Buchbinderkosten schon damals aufregte – sehr kompliziert auf Falz geklebt dem Buche beigegeben wurden. Nach der Umschlagzeichnung wurden Plakate hergestellt und diese in Berlin an den Anschlagsäulen plakatiert. Ich fuhr über Sonnabend/Sonntag nach Berlin, wanderte von Plakatsäule zu Plakatsäule, um staunend mein Plakat mit meiner Verlagsfirma zu bewundern. Leider mußte ich feststellen, daß keinen einzigen Berliner diese Plakate interessierten. Um den Verkauf des Buches in Schwung zu bringen, kamen wir aber auf eine uns damals außerordentlich intelligent erscheinende Idee. Wir setzten uns in die Untergrundbahn, überschlugen auf jeder Station einen Zug und fragten bei den Stilkeschen Kiosken nach dem «neuen aufsehenerregenden Buche von Paul Scheerbart <Das Perpetuum mobile>». Der unglückliche Verkäufer hatte von dem Buche noch nichts gehört. Wir erklärten, daß wir am nächsten Abend wiederkommen würden, deponierten den Preis des Buches in Höhe von 1.50 Mark. Und als nun abends bei der Firma Georg Stilke aus allen Himmelsrichtungen von den Kiosken die Bestellungen einliefen, war das ganze Haus Stilke offenbar in größter Erregung über das neueste Sensationsbuch und gab eine große Bestellung per Expreß nach Leipzig auf. Ich kann der Firma Georg Stilke heute mitteilen, daß ich dies Geschäftsmanöver nie wieder angewendet habe, obwohl es uns damals äußerst genial erschien. Sollte die Firma Stilke von ihrer damaligen Bestellung, was ich beinah befürchte, noch Exemplare auf Lager haben, so bin ich übrigens auch gern bereit, diese zum vollen Ladenpreis zurückzunehmen. Jedenfalls erreichten wir allmählich, daß das Buch in etwa 2000 Exemplaren verkauft wurde. Scheerbart hat sich bis an sein Lebensende mit der Erfindung des «Perpeh» beschäftigt. Mit ruhigem Gewissen kann ich erklären, daß ich weder an der «Katerpoesie» noch am «Perpetuummobile» ein reicher Mann geworden bin. Aber trotz alle’dem glaube ich noch heute an Scheerbarts Genie, und ich will niemandem versprechen, daß mich selbst ein hohes Alter davor bewahrt, eines schönen Tages mit einer Gesamtausgabe von Scheerbarts Werken, 1000 Seiten auf Dünndruckpapier, in Taschenformat, aufzuwarten.>>
Jahreszahlen Lebenslauf
Erich Mühsam über P.S
Ernst Rowohlt über P.S.
Rudolf Steiner über P.S.
Briefe an Erich Mühsam
Briefe an Ernst Rowohlt
Briefe an Richard Dehmel
Liebes- und Schmollbriefe
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Revision 30-12-2022
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