Nacht und Purpur

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte!


Nacht und Purpur

Allegorie

aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Na prost!


Der glänzende Purpur kam zur Nacht. Er liebte die schwarze Nacht.

Doch diese sagte: «Laß mich in Ruh!»

Der Purpur schüttelte darob sein schönes Haupt und glaubte, die Nacht sei toll geworden. Er, der Purpur, konnte nicht begreifen, wie’s die schwarze Nacht fertigbringen konnte, den glänzenden Purpur zu verschmähen.

Zwei Fledermäuse hatten diesem wunderlichen Liebesspiele kichernd zugeschaut.

Jetzt flogen sie auf und sangen spöttisch:

 «Purpur, laß uns in Ruh!
Wir sind ja gar nicht wie du!
Deine Liebe kann uns Nichts nützen.»

Der Purpur ging sehr ärgerlich von dannen. Und bald hörte der Purpur überall —  spöttisch —  höhnisch —  lustig:

«Purpur, laß uns in Ruh!
Wir sind ja gar nicht wie du!»

Ach —  und viele Verse, die so ähnlich klangen.


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   Der alte Priester und die Knaben


 Na Prost:


Es wird den Gelehrten aller Zeiten und Weltkörper immer wieder große Freude bereiten, wenn sie ein Werk der Literatur ganz und gar zu begreifen glauben und dennoch gewissermaßen ihre eigene Meinung in der gelehrten Angelegenheit behalten können.

So auch hier!

Passko sagt lächelnd: «Das Proletariat und der König! Es ist sehr aristokratisch —  kann aber auch das Gegenteil sein —  d. h. sehr demokratisch!»

Brüllmeyer sagt bloß:«Flachkopp und Genie —  kleiner Mann und großer Mann!»

Kusander sagt:«Volk und Prophet! Die Großen der Erde sollen nicht runtersteigen und kordial sein wollen —  es hilft das Nichts! Nur die unselbständigen Naturen wollen sich mit andern verbinden. Die Fledermäuse sind die selbständigen Humoristen, die zu allen Zeiten die Menge mieden, obgleich sie zu ihr gehörten. Es wird aber zur philosophenlosen Zeit sehr viele teils wohlweise teils wohlhabende Herren gegeben haben, die das Bedürfnis empfanden, mal ‹leutselig› zu werden. Diese kurzsichtigen Narren müssen eine sehr lächerliche Figur gemacht haben.»

*     *     *

Wie Passko wieder mal die Emailuhren aufzieht, wirds draußen plötzlich lebendig. Das Thermometer steigt auf 65° —  und ein langer breiter Himmelsstreifen wird bunt und fängt an zu funkeln und zu glitzern, als bestände er aus Myriaden großer Riesendiamanten.

Den Gelehrten wird etwas schwül.

Als aber das Thermometer schnell wieder fällt und der Diamantenstreifen ruhig weiterfunkelt und in immer neuen Farbenspießen brennt —  da beruhigen sich die Drei.

Passko ruft kaltblütig, während er drei große Gläser mit dem alten blauen Narrenwein vollschenkt:

«Na prost! Es lebe die Flasche, die immer noch nicht entzwei ist!»

Und die Geister der glücklichen Flasche trinken wieder und freuen sich, daß sie leben.

Die Gefahr ist stets die Mutter großer Seligkeiten —  daher die Verbreitung der Tollkühnheit!

Brüllmeyer liest mit Begeisterung:


ps_160   Hei! Tanz mit mir!

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