Feuerblumen

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte


Feuerblumen

Ruinenspaß

aus: Meine Tinte ist meine Tinte! 

Der Himmel war schwarz wie schwarzes Glas. Durch den finsteren Qald gingen zwölf Zwerge — die waren alt. Sie kamen an einen großen Berg — der war hart. Der harte Berg stand dicht am Meere. Das Meer aber lag da — noch dunkler als der schwarze Himmel — auch sowie blankes schwarzes Glas. Die Schaumschlangen blitzten im schwarzen Wasser immer wieder weiß auf, wie lange badende Geisterlaken.
Auf den Spitzen des harten Berges ragten uralte Burgruinen in den schwarzen Himmel hinein. Ein viereckiger, hoher, breiter Turin starrte mitten drin empor. Kleine Türme mit Rabennestern und Graspolstern erhoben sich rechts und links, vorn und hinten.
Zerklüftete Söller hingen an den Abhängen — ein paar Glasscherben staken in den Mauerritzen . . .
Die zwölf Zwerge zündeten ihre kleinen Laternen an. Es ward nicht sehr hell — doch die Zwerge wollteil sich nur ein paar gute Plätze suchen. Die alten Männchen kletterten mit ihren Laternen durch Geröll und Schutt bis an die Söller hinauf. Hier versammelten sie sich, setzten sich auf eine zerbröckelte Mauer und leuchteten sich mit den Laternen ins Gesicht. Friede lag auf ihren alten Gesichtern.
Die Zwerge saßen mit dem Rücken gegen das Meer.
»Nun?« fragte der älteste.
»Hm!« sagten die anderen.
»Hier können wir sitzen«, meinten zwei Zwerge, die sich zärtlich umarmt hatten.
»Hier können wir träumen«, riefen alle wie erleichtert aus.

Alle nickten mit den Köpfen, daß die weißen Bärte auf und nieder wehten. Alsdann kletterten alle einzeln oder zu zweien weiter; und bald saß auf jedem Turm ein Zwerg, und auf den Söllern saßen immer zwei zusammen.
Alle pusteten drauf ihre kleinen Laternen aus, schauten schweigend in die schwarze See hinab und beobachteten die weißen Schaumschlangen, die wie badende Gespensterlaken auf den Wassern aufblitzten.
Nicht lange hatten die Zwerge so dagesessen und geträumt . . . bald knisterte was in den zerfallenen Türmen —
Und aus dem dicken viereckigen Turm, der mitten drin im Gemäuer emporstarrte, züngelte eine hellgrüne Lichtzunge langsam in den schwarzen Himmel hinein.
Langsam, weich schwankt das grüne Licht immer höher und höher — sieht aus wie ein dünnes langes Flammenschwert — aber sanft ist es — sanft.
Hiernach empfängt der schlangig gewundene Lichtstreif — eine schmale Blattform . . .
Breiter wird das Lichtblatt.
Und bald ist es rund: eine große Lichtscheibe, die olivgrün wird und immer sanft hin und her schwankt.
Aus dem Rande des Lichtblattes züngeln dann kleinere Flammenspitzen vor, die alsbald auch länger und länger werden.
Allmählich entwickelt sich ein riesiges olivgrünes Fächerpalmenblatt.
An den langen Spitzen bilden sich kleine violette Glockenblumen — die schaukeln an den olivgrünen Lichtstengeln.
Die Zwerge sitzen still und starren ins schwarze Meer —dort spiegelt sich ganz kraus das große Feuerpalmenblatt. —
»Was mag daraus werden?« fragt ein kleiner Zwerg.
Die anderen sagen: »Still! still!«
Ein alter aber flüstert lächelnd: »Nun? Träumt es sich nicht gut bei diesen Feuerblumen? Wo wär’s besser? Wir ruhn am Busen der Vergangenheit. Selbst Ruinen haben noch ihr Leben: sie leben ein Feuerleben in dunkler Nacht. Die seltsamen Blumen, die aus diesen zerfallenen Türmen emporzüngeln, sind die ewigen Träume jener untergegangenen Welten und Wesen, die einst hier anders lebten. Was die uns jetzt sagen, werden wir natürlich nicht ordentlich verstehen. Aber das längst Verfallene lebt —lebt ewig — immer — lebt ein müßig spielendes Traumleben.«
»Das müßig spielende Traumleben ist das wahre Leben!«
Also hallt es leise zurück — auf den Türmen und auf den Söllern.
Die Zwerge sitzen still und träumen — beim milden Feuerblumenschein, der so wackelt. Der Himmel ist ganz schwarz, und auf den Meereswogen spiegelt sich das Flammenspiel.
Lange schon vergessene Geschichten und altbackene Gedanken erheben ihr altes Haupt.
Die Feuerblütenträume längstverwehter Zeiten spielen unter dem tiefschwarzen Himmel, spiegeln sich kraus auf dem tiefschwarzen Meer.
Die weißen Schaumschlangen verschwinden.
Das Meer wird so spiegelglatt wie der Himmel.
Und das Lichtblatt mit den Glöckchen wackelt nicht mehr.
Die kleinen violetten Glockenblumen werden größer —und — falleil ab; sie schweben schräge hinunter ins schwarze Wasser hinein.
Doch dort unten auf dem düsteren Spiegel hüpfen die violetten Glockenblumen wie Irrlichter, die sich necken wollen. Sie hüpfeil und springen — von rechts nach links –von hinten nach vorn — auf und ab — vor — zurück — immer lustig — neckend!!
»Ja, das sind Urgroßmütter!« sagte der eine Zwerg, der immer die Augenbrauen emporzieht.
»Ach, was weißt Du davon?« ruft ihm sein Nachbar zu.
Die violetten Glockenblumen hüpfen auf der schwarzen See.
Als aber das olivgrüne Feuerpalmenblatt langsam emporsteigt bis in den Himmel hinauf und dann oben umkippt und wie eine große, grüne, segnende Blatthand sich langsam auf den schwarzen Spiegel legt — da stieben die violetten Glocken hastig nach allen Seiten.
Wie hernach das grüne Feuerblatt still wie ein Wasserrosenblatt auf dem Wasser daliegt — bleiben auch alle Glok—ken stille stehen.
Und sie scheinen das grüne Blatt mit den züngelnden Spitzen für eine große Insel zu halten.
Drollig steigt nun aus dem Turm ein brennender, citro—nengelber Pilz mit dickem, citronengelbem Kuppeldach wackelnd in den Himmel hinauf.
Eine ganz eigentümliche Flamme!
Und hupp! — mit einemmal springt da aus dem gelben Pilz eine lederbraune Feuerkugel raus — hoch in den Himmel hinein — und dann im großen Bogen ins Wasser hinab — mitten unter die violetten Glockenblumen.
Und hupp! — da springt ein zweiter brauner Feuerball in die dunkle Luft empor — und dann ein dritter — und dann ein vierter — und so fort — immerzu.
Alle braunen Kugeln falleil aufs schwarze Wasser, wo sie sich schaukeln und sich drehen — einige Kugeln falleil in den violetten Kelch der Glockenblumen, allwo sie leise zischen.

Bums! — da stürzt der gelbe Feuerpilz auch vom Turm herunter — die Zwerge schreien »au!« — aber der Pilz kollert den Abhang hinab — Gras und Sträucher versengend.
Zischend rollt der Pilz ins Wasser.
Dort versinkt er.
Nicht aber lange dauert’s, und es gibt einen heftigen aufpuffenden Knall: der citronengelbe Pilz stößt mit dem Kopf durch das hellgrüne Feuerpalmenblatt — steht plötzlich mitten im Grünen — wie auf einer Insel — steif da.
Die Zwerge schauen ins Meer und wundern sich wieder über die Wunder dieser Ruinenwelt.
Hier in der Ruinenwelt ist das Meer nicht von Wasser und der Himmel nicht von Luft, die Flammen sind keine Flammen — nur das müde Farbenspiel spöttischer Irrlichter, die sich nie greifen ließen, umgaukelt die alten verfallenen Türme.
Jetzt dreht sich die grüne Lichtinsel auf dem seltsamen schwarzen See und sich selber immer im Kreise herum; nur der gelbe Pilz steht steif und unbeweglich da.
Die violetten Glockenblumen lassen sich nicht von den grünen Schwertern verletzten; sie springen immer über die grünen züngelnden Spitzen rüber, und die braunen Kugeln rollen auf dem schwarzen Meer — rollen auf das grüne Palmenblatt rauf — und rollen da immerfort wie sinnlos herum.
Nur der citronengelbe Pilz steht still.
»Sinnlos!« sagt ein Zwerg.
»Nur für uns sinnlos!« sagt der Klügste.
Und ein Alter spricht bedächtig: »Es sind die Erinne—rungsspiele der vergangenen Zeiten so wirr und kraus wie wüste Träume — wir können nicht folgen.«
Ein anderer ruft dann seufzend: »Unsere >eigene< Vergangenheit spiegelt sich dort unten in der schwarzen See.

Die Vergangenheit der Träumer ist auch so wirr und krau wie das Spiel der Feuerblumen.«
»Und trotzdem träumen wir so lustig weiter bei diesei Feuerblumen.«
So tönt’s hell auf den Söllern.
»Ja, hier können wir träumen!«
So tönt’s dunkel auf den Türmen.
»Die Blumen sind nur nicht bunt genug«, meint ki chernd ein Spötter.
»Oh, noch viel zu bunt!« ruft da der Kleinste, und er zeigt dabei mit dem Finger auf den großen Turm.
Dort entsteht ein mausgraues Bündel von Kornähren die wachsen mächtig ins Riesenhafte — sie werden imm( größer — recken sich in die Unendlichkeit rein.
Und das sind auch Feuerblumen!
Die mausgrauen Kornähren spiegeln sich drüben am schwarzen Himmel. Doch sie erscheinen dort verkehrt: Das
Korn ist unten — die Halme sind oben.
Ein halb piepsender, halb knatternder Knall — und alles ist wieder stockdunkel.
In der Ferne verdonnert leise das Echo — es verknisterte zuletzt. . .
Die zwölf Zwerge stecken nicht ihre Laternen an. Die
zwölf Zwerge rühren sich nicht; sie können einander nie
mehr sehen — wollen’s auch nicht.
Der Himmel ist schwarz und unbeweglich.
Das Meer ist schwarz und unbeweglich.
Und die Zwerge sitzen und träumen — träumen — träumen — träumen . . .


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