Krietze und Kratze

Paul Scheerbart 

Das Lachen ist verboten


Krietze und Kratze

oder
Das neue Gemüse

Ein Märchen

aus: das Lachen ist verboten

Krietze und Kratze —  zwei gutmütige Zwerge —  hatten sich freundlich an die Hand gefaßt und gingen so zusammen nachdenklich durch die Mondlandschaft.

Der Vollmond blinzelte drollig nach einigen weißen Wolken hinüber.

Und da rauschte was durch die Luft.

Krietze und Kratze blickten empor und sahen über ihren Köpfen die Gondel eines Luftballons hin und her baumeln.

Ein paar Augenblicke später stand die Gondel auf der Erde. Der Luftballon oben war knallrot und riesig groß.

Indessen —  der Gondel entstieg ein hagrer unheimlicher Geselle mit grünen Katzenaugen. Der lachte sehr höhnisch, reichte Krietzen und Kratzen die Hand und sprach:

„Na, Kinder, wollt Ihr mal mit meinem Ballon zum Monde hinauffahren?“

„Geht das denn?“ Also fragt mit aufgezogenen Augenbrauen der kleine Kratze. Aber der unheimliche Geselle lacht darüber, ruft laut: „Hihallhh! Hihallhh!“ —  setzt Kratzen und Krietzen in die Gondel des Luftballons und geht rasch von dannen dem nahen Walde zu, in dems sehr dunkel war.

Die beiden Zwerge sehen sich verwundert an. Doch —  Herr, Du meine Zeit! —  da fliegen sie auch schon empor —  grade dem Monde zu —  so als wenn der Luftballon genau wüßte, wohin’s gehen soll.

Die Sache kommt den unfreiwilligen Luftfahrern anfänglich recht bedenklich vor.

Jedoch nach einiger Zeit finden sie sich in ihre seltsame schaukelnde Lage.

Die Erde liegt wie ein großer Teller unter ihnen —  und der Mond —  ja der scheint gar nicht mehr so fern zu sein.

Der knallrote Luftballon fliegt immer schneller. Die Gondel wackelt ganz gehörig. Die beiden Zwerge halten sich an den Stricken fest, mit denen das wackelnde Fahrzeug an den Ballon gebunden ist…

Es ist ziemlich still da oben in der Luft. Nur ein leises Pfeifen ist hörbar. Das wird allerdings immer stärker —  es kommt vom Monde.

Krietze kuckt neugierig zum Monde hinauf —  und —  und glaubt seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Da ist ein Altan unten am Vollmond, und auf dem Altan steht ein Mann —  der pfeift.

Der knallrote Luftballon fliegt immer schneller. Die Gondel schießt mit einem mächtigen Rucke seitwärts und stößt an den Mondaltan.

Der Mondmann greift die Gondel, hält sie, sagt „guten Abend“ und bittet die kleinen Zwerge, nur ruhig näherzutreten.

Na —  Krietze und Kratze klettern denn auch raus aus der Gondel über das Geländer auf den Altan. Das Geländer, das den Altan umgibt, ist breit.

Der Mondmann schüttelt den Kleinen gemütlich die Hände und flüstert lächelnd —  geheimnisvoll: „Kommt, Kinder! Ihr seid recht lange geblieben. Meine Frau wartet schon mit dem Abendbrot.“

Und bald darauf sitzen Krietze und Kratze beim Abendbrot an einem viereckigen Tisch; der Mondmann sitzt der Mondfrau, Kratze Krietzen gegenüber.

Es ist urgemütlich im Wohnzimmer des guten Mondmanns.

Die Magd trägt ein braunes Pilzengericht auf und kuckt dabei die kleinen Zwerge so von der Seite an —  sie kann sich das Lachen nicht verbeißen und geht schnell wieder raus.

—  Die große Zimmeruhr tackt in ihrem breiten großen Eichenkasten würdevoll und langsam nach rechts und nach links und dann wieder so und wieder…

Große dicke Schränke stehen an den Wänden, und blau bemalte Vasen stehen auf den Schränken.

Die Möbel sind alle aus dunkelbraunem Holz, und die Sessel sind sehr breit, mit bepreßtem Leder überzogen und so großväterlich, daß die kleinen Zwerge auf diesen Sesseln urdrollig aussehen.

Grüne Papageien sitzen in schaukelnden silbernen Ringen.

Der Fußboden ist sehr sauber weißgescheuert. Kleine muntre Katzen spielen auf den Dielen mit einem schwarzen Gummiball. Die kleinen Katzen sind grau. Die Mondfrau sieht immer erst die kleinen Katzen und dann die kleinen Zwerge an.

Dabei essen aber Alle. Die braunen Pilze schmecken gradezu ausgezeichnet —  prachtvoll schmecken sie.

Kratze ruft laut: „prachtvoll!“ und hebt den linken Zeigefinger steif in die Höh’. Krietze meint dazu: „Ja, wirklich!“ —  mahlt sich ein bißchen Pfeffer rüber und reißt dann plötzlich seine Zipfelmütz’ vom Kopf. Kratze macht ihm das sofort nach.

Mondmann und Mondfrau lachen laut auf.

Die Zwerge wollen sich entschuldigen.

Aber die Mondfrau sagt: „Eßt nur!“

Er, der Mondmann, sagt: „Erst essen —  dann reden!“ Sagt’s im tiefsten Baßton.

Und sie essen.

Das Tischtuch war schneeweiß.

Die Teller waren blau bemalt wie die Vasen auf den dicken Wand—  schränken. Links von jedem Teller stand ein feines, bunt schillerndes Spitzglas, in dem frische, gelbe Anemonen steckten, und rechts von jedem Teller stand ein großes Glas Milch.

In der Mitte der Tafel thronte sehr appetitlich eine große flache Schale —  ganz bedeckt mit Walderdbeeren, die zwischen ihren grünen Blättern so friedlich dalagen, als wenn sie schlummerten.

Und über dem Tisch hing ein dicke Lisakárro— Ampel.

Kaum haben die beiden Zwerge den letzten Pilz aufgegessen, so bringt auch schon die Magd neue Teller herein —  für die Erdbeeren.

Bei Milch und Erdbeeren fängt die Mondfrau zu reden an:

„Krietze und Kratze“, beginnt sie, „Ihr wundert Euch wohl sehr, daß Ihr hier plötzlich bei uns seid, nicht wahr?“

„Ja“, versetzt Kratze höchst eifrig, „so haben wir uns den Mond doch niemals vorgestellt. Wir dachten immer, der Mond sei nur eine große Kugel —  und weiter Nichts!“


„Kinder, Ihr dürft nur“, erklärt die Mondfrau, „ja nicht immer gleich glauben, was die dummen Menschen zu erzählen pflegen. Erstlich mal sind wir gar nicht so weit von der Erde entfernt —  nicht. viel mehr als zehn Meilen ist der Mond von der Erde ab —  alsdann müßt Ihr wissen, daß der Mond nicht eine Kugelform sondern eine Tonnenform besitzt —  das werdet Ihr später schon noch sehen, Außerdem ist Alles, was die Menschen sonst noch über den Mond fabeln, unglaublich dumm!“

„Ei!“ entgegnet drauf der kleine Krietze, „das wundert mich nicht wenig —  doch doll! —  wie verhält sich’s denn nun —  im Übrigen mit dem Monde? Ihr lebt hier sehr gemütlich. Lebt Ihr hier ganz allein? Arbeiten müßt Ihr nicht, nein? —  oder doch?

Das Ehepaar lächelt —  so recht verschmitzt.

Der Hausvater stopft sich eine lange Pfeife mit Tabak, gibt Krietzen und Kratzen zwei kleinere Pfeifen —  die drei Männer stecken sich die Pfeifen an —  und der Hausvater beginnt seine wohlvorbereitete Rede —  wie folgt:

„Oh, Ihr Zwerge, Ihr wollt wohl wissen, was wir hier tun. Ich will’s Euch erzählen, Es ist das nicht so einfach. Seht mal! Als der liebe Gott die Erde schuf, da schuf er auch den Mond und setzte uns in den Mond hinein, damit wir auf die Gedanken der Menschen aufpassen sollten. Davon habt Ihr wohl noch nie was gehört —  was?“

Die Zwerge schütteln die Köpfe. Der Hausvater fährt in seiner Erzählung fort:

„Ich habe nun mit meinen Gesellen seit Erschaffung der Erde sorgfältig alle Gedanken der Menschheit gesammelt, auf Flaschen gezogen und hinten in unsrer großen Mondtonne aufgestapelt.“

„Ei! “ meint da wieder der kluge Krietze, „da habt Ihr wohl nur die klugen Gedanken der Menschen aufgestapelt —  denn alle menschlichen Gedanken zu sammeln, wäre doch ein bißchen mühsam.“

Nach diesen Worten schlagen aber Mondmann und Mondfrau mit der Faust auf den Tisch, lachen aus Leibeskräften, daß ihnen die Tränen über die Wangen rollen —  und daß die kleinen Katzen erschrocken mit Miaugeschrei hinter den Ofen flüchten… die beiden Alten lachen, daß die eichenen Wände dröhnen —  und daß die Magd neugierig durchs Schlüsselloch kuckt.

Der Mondmann setzt sich, wie er wieder weniger laut lacht, seine große Hornbrille auf die Nase, qualmt riesige Tabakswolken in die Luft und schreit —  noch immer lachend —  in höheren Tönen als sonst:

„Nee, Kinder, grad’ umgekehrt wird ’n Schuh draus. Wir sammeln zwar so ziemlich alle menschlichen Gedanken —  aber die dummen grad’ mit Vorliebe —  und nur die klugen stapeln wir nicht gleich auf —  die stellen wir in unsren Eiskeller und lassen sie dort so lange stehen, bis sie auch dumm werden.“

Die Zwerge schmunzeln —  aber klug sind sie noch nicht aus diesem Gerede geworden.

Kratze äußert zögernd: „So ganz hab’ ich das Alles noch nicht begriffen! Da ist ’ne seltsame Geschichte! Was man nicht Alles erlebt!“ Dabei streichelt er seinen Bart und schmunzelt wieder —  das sieht so pfiffig aus —  daß jetzt alle Vier zu schmunzeln beginnen. Die kleinen Katzen wagen sich wieder hinterm Ofen hervor.

Aber wie der Hausvater abermals reden will, fällt ihm seine gute Frau mit der linken Hand die Luft schüttelnd ins Wort, indem sie hochaufatmend ausruft:

„Weißt Du, Vater, geh nur lieber mit unsren Gästen gleich in den Lagerraum! Zeig ihnen auch den Keller! Die kleinen Männer wissen ja noch garnicht, was hier eigentlich los ist!“

Hiernach steht sie auf, reicht Vatern und den beiden Gästen die Hand und sagt „Gesegnete Mahlzeit!“

Das sagen die drei Männer auch.

Und alsdann gehen die Drei zusammen —  mit ihren Pfeifen —  mächtig qualmend —  in den Lagerraum.

Sie gehen draußen erst ein paar Treppen rechts hinauf —  dann links —  dann wieder rechts —  und schließlich kommen sie in einen kleinen Saal, in dem stehen viele leere Flaschen.

Kratze, der immer sehr vorsichtig ist, fragt den Mondmann, ob auch das Rauchen den Flaschen nicht schaden könne.

Der Mondmann erwidert dem Kleinen:

„Du meinst wohl, es seien feuergefährliche Gedanken in diese Flaschen gestopft. Hab nur nicht Angst, in denen ist gar nichts drin.“

Und er öffnet eine große Tür, und alle Drei blicken in den großen Lagerraum hinein.

„Donnerwetter!“ ruft Krietze, „so groß ist die Mondtonne? Man kann ja gar nicht bis ans Ende sehen! So viele Gedanken haben die Menschen schon gehabt?“

Natürlich lacht der Mondmann, und einige Gesellen, die in der Nähe weiße Zettel auf bunte Flaschen kleben, lachen mit.

Einer von den lachenden Gesellen wird herangerufen; er soll erklären, was hier im Lagerraum aufgestapelt ist.


Er sagt —  und tut schrecklich wichtig:

„Wir haben hier menschliche Gedanken in die Flaschen zu stopfen. Oben seht Ihr das Gewölbe —  da ist Garnichts —  das heißt, da ist nur das Licht, mit dem der Lagerraum erhellt wird. Das Licht macht auch draußen die Mondscheibe hell—  je heller die ist, um so mehr wird hier gearbeitet. Unser Arbeitsraum hat ’ne Röhrenform, daher geht’s an den beiden Seiten schräg rauf, und daher ist es oben rund. Denkt Euch eine Röhre durch ein dünnes Brett in zwei ungleich große Hälften geteilt, das heißt: das Brett müßt Ihr Euch hineingeschoben denken in die Röhre! In dieser geteilten Röhre entspräche der größere Teil der Röhre hier diesem Lagerraum —  der kleinere dagegen dem Eiskeller, der unten unter dem Fußboden liegt. Hier oben stehen nun in langen, terrassenförmig über einander liegenden Reihen zu beiden Seiten dieser Tonnenhalle —  wie Ihr seht —  die Flaschen mit den menschlichen Gedanken —  genau geordnet —  es sind lauter dumme Gedanken… Ihr staunt wohl, wie viel dumme Gedanken auf der Erde ausgedacht sind… Ja! Ja! Es macht das Ordnen sehr viel Mühe!“

Krietze geht jetzt die Treppen runter in den Saal und nimmt neugierig eine Flasche in die Hand. Mondmann und Kratze folgen.

Auf der dunkelblauen Flasche, die Krietze in der Hand hält, sitzt ein weißer Zettel, der trägt die Aufschrift:

„Verbesserte Fußbekleidungsgedanken! „

Krietze, der an Hühneraugen leidet, muß lachen. Aber er wird immer neugieriger und fragt einen andern Gesellen:

„Sagt mir, lieber Freund, was wird denn aus diesen Flaschen —  wozu sind die?“

Der Geselle antwortet mit einer Verbeugung:

„Lieber Herr, die Flüssigkeit in diesen Flaschen wird von uns so lange geschüttelt, bis sie dick wird wie Syrup, diesen Syrup gießen wir in große Steinkruken, die da hinten stehen, und in diesen Stein kruken wird der Syrup bei richtiger Erwärmung schließlich zu Gemüse.“

Krietze schaut Kratzen, Kratze Krietzen an, sie schmunzeln verschmitzt und glauben, der Geselle flunkre ihnen nur was vor.

Doch der Mondmann bemerkt tiefernst: „So ist es!“

Das klingt nun so bestimmt, daß die Zwerge nicht mehr zu zweifeln wagen.

Sie gehen oben links durch die Flaschenreihen weiter in den Saal und kommen allmählich an die Steinkruken. Die Gesellen arbeiten überall sehr emsig, lachen nebenbei aber so viel, daß jeder Fremde glauben muß, die Arbeit mache höllisch viel Spaß, Kratze denkt bei sich: „Die dummen Gedanken der Menschen auf Flaschen zu ziehen muß eigentlich auch eine spaßhafte Arbeit sein,“ Und er will sich gleich beim Mondmann als Handlanger verdingen.

Krietze jedoch läßt Kratzen nicht zu Worte kommen, er fragt jetzt höchst neugierig: „Und was fangt Ihr denn nun mit dem fertigen Gemüse an?“

Der Mondmann lacht abermals und erwidert:

„Das essen wir! „

„Warum eßt Ihr das?“ fragt der Kleine weiter.

„Erstlich mal: weil wir doch eben so gut wie die Zwerge und Menschen essen können und essen müssen —  zweitens: weil wir nach dem menschlichen Gedankengemüse schrecklich lustig werden und kräftig lachen können.“

Also schallt’s plötzlich dröhnend im Chore von allen Seiten als Antwort…

Da schlägt sich Krietze mit der linken Hand aufs Knie und setzt sich zwischen die Steinkruken auf den Fußboden und fängt —  die Pilze wirken schon —  auch an zu lachen.

Und da lacht denn bald der ganze Lagerraum —  so als wenn fünftausend Löwen heulten —  so schrecklich laut schallt das Lachen durch den weiten schönen Lagerraum.

Das ist aber nur das in der Mondtonne übliche, ganz alltägliche Verdauungslachen nach dem Abendbrot.

Wie man sich endlich so ein wenig beruhigt hat, tragen ein paar Gesellen den Krietze und den Kratze —  dieser lacht jetzt erst —  langsam und behutsam die steilen Treppen zum Eiskeller hinunter, allwo die klugen Gedanken so behandelt werden, daß sie allmählich immer dümmer werden.

Der Mondmann folgt und erklärt hier Alles selbst. Die Gesellen und Burschen müssen stille sein.

„Seht, Kinder“, donnert er mit seiner lauten Baßstimme, „dies hier ist meine Strafanstalt. Wer sich oben all zu laut benimmt, wird hier nach unten geschickt zu den klugen Gedanken. Bei denen hört das Lachen von selbst auf. Nun —  allzu lange braucht Niemand hier zu bleiben, aber die Arbeit hier unten will doch auch getan sein. Krietze, Du kluger —  und Kratze, Du vorsichtiger kleiner Mann —  wißt Ihr nun schon, weswegen wir so sorgfältig mit den Gedanken der Menschheit umgehen?“

„Na?“ fragt Krietze.


„Nee, Kinder, hört! “ braust da der Mondmann auf, „begreift Ihr denn nicht, daß wir bloß deswegen die menschlichen Gedanken auf Flaschen ziehen, um daraus Gemüse zu machen? Wir haben’s doch vorhin schon deutlich genug gesagt! Was sollten wir nur anfangen, wenn wir uns nicht vom menschlichen Gedankengemüse ernähren könnten? Wir würden womöglich sterben! Wir haben doch nichts Andres zu essen —  und essen müssen wir doch auch! Wir leben ja nur von dem Gemüse! Das ist ja unsre einzige Nahrung! Die aber macht lustig! Die erhält frisch! Die scheucht den Trübsinn! Und —  daher die Umstände! Für erst eine Nahrung würden wir uns nicht so quälen. Das menschliche Gedankengemüse ist wohl für uns das, was für die Menschen das tägliche Brot ist —  aber unser Gemüse ist besser als das tägliche Brot der Menschen. Die dummen Gedanken bekommen uns immer vortrefflich. Wir werden immer lustiger da—  nach! Der liebe Gott verlangte allerdings anfänglich, ich sollt’ mit meinen Gesellen bloß auf die menschlichen Gedanken aufpassen —  und sollte nur die klugen sammeln und von den klugen unser Gemüse zubereiten —  das tat ich aber nicht —  denn ich hab’ immer meinen Kopf für mich —  ich sammelte hauptsächlich die dummen Gedanken und machte grad’ aus den dummen unser Gemüse!… ließ übrigens das Aufpassen —  Aufpassen sein. Und der liebe Gott war am Ende gar nicht böse deswegen. Nur die dummen Gedanken der Menschen machen Spaß —  nur die dummen sind leicht verdaulich! Das haben alle die, die in der Welt was zu sagen haben, längst eingesehen. Das Gemüse aus den dummen Gedanken —  das ist doch ’ne Nahrung! Wie unglücklich wär’ ich, wenn’s keine menschlichen Dummheiten gäbe —  ich stürbe ja vor langer Weile —   ich könnt’ ja mein Lebtag nicht mehr lachen! Von den klugen Gedanken kann man sich beim besten Willen nicht vernünftig ernähren —  die machen ja trübsinnig und liegen Einem wie kleine Steine auf dem Magen!“

Alle schmunzelten vergnügt. Und die beiden Zwerge verstanden den Mondmann —  ganz genau verstanden sie ihn —  plötzlich war ihnen ein Licht aufgegangen! Alles war zum Lachen! Krietze hatte ein ganz klein wenig schon oben bei den Gemüsekruken begriffen, als er sich hinsetzen mußte, um sich auszulachen.

Jetzt war Alles klar!

Alles war zum Lachen!

Die Zwerge betrachteten die klugen Gedanken, die da in großen Schüsseln neben einander standen, mit verständnisvollster Gebärde —  wie erhaben kamen sich die beiden Kleinen vor!

Wahrlich —  die breiigen, mehligen Suppen, die hier „kaltgestellt“ waren, sahen nicht sehr einladend aus —  mit den klugen Gedanken konnte man nicht viel anfangen —  die waren ja langweilig.

Krietze sagte das ebenfalls —  und die Gesellen stimmten kopfnickend zu, gingen verdrossen wieder an ihre Arbeit, während der Mondmann mit Krietzen und Kratzen langsam durch den Eiskeller zurückwandelte —  seinen Wohnzimmern zu.

Unterwegs hielt der Mondmann noch einmal an, nahm auf einem alten Fasse Platz, setzte sich Krietzen aufs rechte und Kratzen aufs linke Knie und flüsterte den Kleinen was ins Ohr.

Er erzählte ihnen ganz heimlich, daß seine Frau demnächst Geburtstag habe —  und daß er ihr zum Geburtstag ein neues Gemüse schenken wolle.

„Nun müßt Ihr mir helfen“, fuhr er fort, „Ihr müßt die Menschen verführen, ganz neue Dummheiten auszuhecken. Wollt Ihr das? Na, wollt Ihr? Deswegen hab’ ich Euch nämlich herkommen lassen. Ihr versteht —  nicht wahr?“

Hui —  da kicherten die kleinen Zwerge, und sie versprachen feierlich, den Menschen ordentliche Dummheiten beizubringen. Und Krietze sowohl wie Kratze taten sehr eifrig, sie setzten dem Mondmann auseinander, daß sie ganz besonders berufen seien, Dummheiten auszuhecken —  die Menschen sollten schon neue Dummheiten begehen —  oh —  ganz neue —  daran zweifelten die Zwerge nicht.

„Das wäre noch schöner“, prahlten sie, „wenn wir den Menschen nicht einmal ein paar ordentliche Dummheiten aufreden könnten —  das können wir Gott sei Dank noch alle Tage.“

Nun —  es war gut —  der Mondmann glaubte den Kleinen, freute sich und ging mit ihnen zu seiner Frau zurück.

Alle Drei dachten unterwegs nur noch ans neue Geburtstagsgemüse, sie schmunzelten, trugen ihre Pfeifen unterm Arm —  und weder Krietze und Kratze —  nicht einmal der Mondmann —  dachte daran, die Pfeifen wieder in Brand zu stecken —  die drei Köpfe der drei Männer waren so ganz voller Dummheiten, daß jeder einigermaßen vernünftige Gedanke im Augenblick ganz undenkbar in diesen drei Köpfen sein mußte.


Etwas später unterbricht ein älterer Geselle die Stille des Nachdenkens durch eine Verbeugung.

„Meister Mondmann“, flüstert er, „die Frau Meisterin schläft schon, sollt’ ich sagen.“

„Dann“, versetzt der Meister, „wollen wir uns allein auf unsren Altan begeben. Bring’ mal gleich ein paar Flaschen Wein hinaus! Den Alten! Wir wollen mal unsren Gästen was Besondres —  was ganz Feines vorsetzen. Das Abendbrot war sowieso ein bißchen einfach —  nur Köhlergedanken! „

Die Zwerge widersprechen der letzten Bemerkung, aber der Mondmann hört nicht drauf.

Der Geselle bringt den Wein, und bald sitzt der lustige Meister mit Krietzen und Kratzen auf dem Mondaltan —  vor vollen Gläsern —  in traulichster Stimmung. Die Drei rauchen und trinken und —  werden natürlich schrecklich lustig.

Die Erde liegt unter ihnen wie ein Teller.

Auf den Weinflaschen bemerken die Zwerge kleine rote Zettel —  auf den Zetteln steht —  in goldenen Buchstaben:

„Weltverbesserungsgedanken“

Krietzen kommt das natürlich wieder seltsam vor, und er fragt den mächtig qualmenden Wirt:

„Kann man denn aus dem menschlichen Gedankengemüse auch Wein machen?“

Der Mondmann lacht diesmal nicht —  er trinkt, raucht und träumt —  träumt so vor sich hin, indem er auf die Erde hinabblickt. Nach einer Weile spricht er dumpf und tief:

„Seht nur! Wenn ich manchmal hier sitze und so die Menschheit mit ihren Gedanken überschaue, so sehe ich doch auch einige Gedanken, von denen man gewöhnlich nicht sagen kann, ob sie nun eigentlich klug oder eigentlich dumm genannt werden müßten… und diese Gedanken sind die „Weltverbesserungsgedanken“ —  die stell’ ich mir immer bei Seite —  und wenn diese Gedanken einige Zeit richtig gelagert haben, so werden sie zu Wein. Dieser Wein ist das Feinste, was wir hier auf dem Monde haben, Trinkt ihn, Kinder —  und redet nicht! Denkt aber ja nicht darüber nach, ob Ihr was Kluges oder was Dummes vor Euch habt! Trinkt! Trinkt!“

Und die Drei tranken.

Sie rauchen aus ihren langen Pfeifen und schauten auf die Erde hinab.

Die Drei tranken, rauchten und schwiegen.

Sie machten sich sonderbare Gedanken über die menschlichen „Weltverbesserungsgedanken“.

Kratze dachte des Öfteren; „Ob unser Wirt auch meine Gedanken auf Flaschen ziehen wird?“

Doch er behielt den Gedanken wie so manchen andern stumm in seiner Brust, um nicht zu stören.

Krietze blieb ebenso zurückhaltend, obgleich’s ihm schwer ward.

Die Drei tranken zwölf Flaschen.

Dann aber graute der Morgen, Die Mondfrau brachte noch Kaffee. Indeß —  die Hände der Zwerge zitterten… zitterten —  besonders, als sie ein Gebäck zum Munde führten, daß mit „Künstlergedanken“ gefüllt war….. und…. und… mittlerweile .. kam der knallrote Luftballon wieder herunter.

Mondmann und Mondfrau sagten Krietzen und Kratzen freundlich: „Na! Auf Wiedersehen!“

Der Wirt qualmte wieder mächtige Tabakswolken in die Morgenluft und ermahnte noch seine kleinen Gäste, ja nicht ihr Versprechen zu vergessen.

Die Zwerge riefen lustig „Nee! Nee!“ stiegen in ihre Gondel, grüßten noch einmal zurück und schaukelten weinselig in die Tiefe hinab. Sie sahen die Erde ringsum schon ganz hell, die Sonne stieg tiefrot aus qualmigen Wolken empor. Und bald hörten die kleinen Zwerge kleine Lerchen zwitschern.

Bald stand auch die Gondel wieder auf dem Erdboden, Der unheimliche Geselle mit den grünen Katzenaugen —  des Mondmanns Hausknecht —  kam heran, setzte die Zwerge schnell auf eine taufrische Landstraße —  schmiß danach einen großen Sack mit den neusten menschlichen Gesetzbüchern in seine Gondel und fuhr ohne Gruß in die Luft hinauf.

Krietze und Kratze faßten sich aber an die Hand und gingen heiter in die nächste große Stadt —  um dort die Menschen zu veranlassen —  ganz unglaubliche Dummheiten auszuhecken……………………………………………………………………

Krietze und Kratze dachten eifrig über die neuen Dummheiten nach —   denn die Mondfrau mußte unter allen Umständen zum Geburtstag ein neues Gemüse haben —  dazu mußten die Menschen neue Dummheiten machen —  sie mußten… das verstand sich für Kratzen sowohl wie für Krietzen ganz von selbst.

Die beiden Zwerge kamen sich fast bedeutend vor —  und die Menschen ahnten nicht —  was sie wieder sollten —  manche Menschen glaubten schon, genug Dummheiten ausgeheckt zu haben… aber sie dachten eben nicht an den Geburtstag der guten Mondfrau.


ps_161   Index: Gesamt –  Erzählungen – Das Lachen ist Verboten   

alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:

Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: der digitale Bettler Creative Commons-Lizenzvertrag Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.  Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten

Revision 02-01-2023

image_pdfimage_print