Die Entwicklung des Luftmilitarismus

10. Der Militaristenkongress und die Umrüstung.

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Es müsste in allernächster Zeit ein europäischer oder internationaler Militaristenkongress arran­giert werden. Ob er in Berlin, Paris oder in der Schweiz zusammenkommt, ist gänzlich gleichgil-tig. Nur lasse man gefälligst Holland und die Haager Konferenz aus dem Spiel. Es handelt sich keineswegs um eine Friedensangelegenheit. Es handelt sich um die Verschärfung der Kriegsinstrumente und um Auflösung der veral­teten Militärformationen. Nur nicht von Frieden reden! Das hat gar-keinen Zweck. Die U m rüstung ist zu erörtern, nicht die A b rüstung. Und die Parlamente der verschiedenen Regierungen haben dafür zu sorgen, dass der Kongress bald zu Stande kommt. Wenn sich überall der Luftmilitarismus mit unheimlicher Geschwindigkeit entwickelt, so können daneben doch nicht die veralteten Einrichtungen beste­hen bleiben. Nur die Militaristen können erklären, in welcher Art die Auflösung der veralteten Organi­sationen zu erfolgen hat. Die Verhandlungen des Militaristen-Kongresses müssen ganz öffent­lich sein, und der stenographische Bericht muss jedem Steuerzahler zugänglich sein, damit er sich klar darüber werden kann, ob die Milita­risten im Ernst an die Umrüstung herangehen oder nicht.

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11. Das Ende des Antimilitarismus.

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Der Antimilitarismus hat mit allen seinen huma­nen Reden nichts ausgerichtet. Die Entwicklung ist eben stärker als das Gerede der Menschen. Und das sollten die Kriegsfeinde jetzt ganz be­sonders fest im Auge behalten, da ihnen die Entwicklung des Luftmilitarismus allmählich klar werden dürfte. Sie habens garnicht mehr nötig, gegen den Krieg zu eifern; die lenkbaren Luft­vehikel haben mehr für die Friedensideen getan als alle Antimilitaristen zusammen. Der Antimili­tarismus hat garkeine Existenz-Berechtigung mehr; sein Ende ist da, das sollten die Friedens­freunde recht bald einsehen. Ihre Bemühungen sind ganz nutzlos. Man kann alles ruhig der Ent­wicklung des Luftmilitarismus überlassen; der wird uns Dynamitkriege bescheeren, und die werden derart wirken, dass man auf allen Seiten vor den Kriegen Angst bekommen wird. Man sollte deswegen auch nicht mit billigen Witzen den »veralteten« Militarismus überschüt­ten. Die Militaristen sind in einer so bedauerns­werten Verlegenheit, dass man nicht spotten sollte. Es ist ja freilich sehr lächerlich, dass für die Landheere, Festungen und Seeflotten so viele viele Milliarden einfach nutzlos weggewor­fen sind – aber warum darüber jetzt spotten, da alles sehr bald anders werden muss? Einen töt-lich getroffenen Feind bearbeitet man nicht zum Schlüsse noch mit Faustschlägen. Das ist unfein. Und darum sind alle Militärverhöhnungen jetzt, da die Umrüstung vor der Tür steht, auch nur unfein und nicht vereinbar mit einer noblen Ge­sinnung. Ich möchte wünschen, dass man diese meine Worte nicht vergisst.

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12. Die Luftflotten im Kampfe gegen einander.

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Man hört und liest öfters, dass man sich über die weitere Entwicklung des Luftmilitarismus heute noch keine klaren Vorstellungen machen kann. Jawohl – wenn man zu faul ist, darüber nachzu­denken, so wird Einem alles sehr unklar bleiben. Man kann aber darüber nachdenken, und dann kommt man rasch zu Resultaten. Lächerlich wäre es, wenn mehrere Luftschiffe neben- oder hintereinander ins feindliche Land hineinfahren wollten. Nein – sie müssen einzeln von al­len Seiten kommen – umgeben von vielen Gleit­fliegern, die die Gleitflieger des Feindes anzu­greifen haben oder deren Luftballons. Sodann besteht aber die ganze Zukunftskriegskunst nur im Dynamitauswerfen und im Absenden der lenkbaren Torpedos. Selbstverständlich ruiniert man zuerst die grossen Städte des Feindes. Bei derartiger Kriegführung kann natürlich der kleinste Staat auch dem allergrössten sehr gefährlich werden. Fällt es den Serben mal ein, die Oesterreicher anzugreifen, so brauchen sie nur drei Lenkbare mit 300 Zentner Dynamit nach Wien schicken – dort werden die 300 Zent­ner nachts ausgeworfen – und Wien ist ein Trümmerhaufen; der Stephansturm wird nicht stehen bleiben. Das Allerschlimmste bei diesen Dyamitkrie-gen ist aber das Folgende: die Ballons werden ganz bestimmt nicht die Nationalfarben zeigen, die Uniformierung wird man unterlassen – und so wird man niemals schnell feststellen können, ob ein feindliches oder ein dem eigenen Staate gehöriges Luftvehikel ankommt. Signale wird ja jeder Staat verabreden -aber nachts und bei schlechtem Wetter sind sie nicht leicht bemerkbar zu machen. Und – es ist doch sehr leicht möglich, dass der Feind die Si­gnale kennen lernt. Hier geht vieles gegen das Völkerrecht. Aber – die Führer in einem Dyna­mitkriege, der doch das Brutalste in der ganzen Welt isf, sollten Rücksichten auf das Völkerrecht nehmen? Das wäre lächerlich. Die brutalen Na- turen pfeifen auf das Völkerrecht in allen Tonar­ten.

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13. Dynamitkrieg und Revolution.

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Der Oberst S. A. Cody schreibt: »Es liegt etwas unbeschreiblich Seltsames und zugleich Belustigendes in der Wahrneh­mung, wie die auf der Erde Wandelnden völlig unvermögend sind, etwas gegen die schweben­den Riesenvögel zu unternehmen, die über ihren Häuptern ihre Kreise ziehen. Man muss einmal die Erregung durchgemacht haben, eine mit Mannschaften besetzte Flugmaschine über sei­nem Haupt hinziehen zu sehen, um innerlich zu fühlen, wie gross die Macht des die Luft beherr­schenden Fliegers ist. Er hält Leben und Tod in seiner Hand, und die unter ihm sind ganz und gar in seine Gewalt gegeben. Diese Vorstellung legt auch den Gedanken nahe, was der Flugapparat einmal den Anarchi­sten, Nihilisten und anderen Menschen dieser Art bedeuten kann. Die Luchsaugen der Polizei mögen unaufhörlich auf das Treiben dieser Gruppen gerichtet sein, wer aber will sie über­wachen, wenn sie ihre tötlichen Geschosse aus den Höhen schleudern, die bald mit Flugma­schinen erreichbar sein werden?« Diese Zeilen beleuchten das Verhältnis des Dynamitkrieges zur Revolution in vollkommener Weise. Ich finde nur nichts Belustigendes darin -ganz im Gegenteil! Diese vollständige Wertlo­sigkeit frechen Kulturvernichtern gegenüber er­scheint mir das Entsetzlichste in der ganzen Menschheitsgeschichte zu sein. Ich erkläre feier­lich, dass mir durch die Erkenntnis dieser unge­heuerlichen Möglichkeiten tatsächlich der Hu­mor vergangen ist. Ich verstehe es einfach nicht, wie man dabei noch etwas Belustigendes finden kann – diese Ohnmacht des Menschen Verbre­chern gegenüber ist beschämend und entsetzlich zugleich. Alles – was der Mensch geschaffen hat, kann von Menschenhänden kurz und klein ge­schlagen werden – in ein paar Sekunden. Diese Erkenntnis kann uns schwermütig machen. Das ist die böse Kehrseite der glänzenden Erfindung, die man »Eroberung der Luft« genannt hat.

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14. Luftschiffahrt und Jubelfeste.

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Jubelfeste! Nach dem soeben Gesagten brauche ich wohl kaum hinzufügen, dass wir eigentlich we­nig Veranlassung haben, den Lenkbaren in der Luft mit Begeisterung zuzujubeln. Freilich – die Auflösung des veralteten Pulver- und Blei-Mili­tarismus wird den Menschen den grössten Teil ein anderes Leiden: Dynamitkrieg und Revolu­tion von oben! Man sollte vorsichtiger mit dem Festefeiern sein. Dem oberflächlichen Blick kommt alles so nett vor – und nachher bemerkt man, dass im Kern der Sache ein fürchterliches Gift steckt. Das ist nicht belustigend.

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15. Frankreich, Deutschland und die vereinigten Staaten von Europa.

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An den grossen Völkerfrieden glaube ich nicht. Wohl aber glaube ich daran, dass man in Eu­ropa Frieden herstellen kann. Und man wird es tun, denn ein Dynamitkrieg zwischen europäi­schen Kulturnationen sieht wie ein Völkerver­brechen aus. Es ist einfach haarsträubend, wenn man sich die Wirkungen eines solchen Krieges ausmalt. Und es ist ekelerregend. Das werden auch ganz sicherlich die meisten europäischen Offiziere empfinden und ganz einfach erklären, dass sie bei derartigem Kriegsspiel nicht dabei sein wollen. Man wird plötzlich das ganze Kriegshandwerk verabscheuen – davon bin ich fest überzeugt. Aber leider wird auch durch diesen Ab­scheu die Möglichkeit eines Krieges noch nicht aus der Welt geschafft – leider! Die aussereuropäischen Staaten sind zu­meist nicht so zart besaitet, um alles Kriegerische so ohne Weiteres an den Nagel zu hängen. Und darum hat sich Europa seiner Haut zu wehren. Wenn sich Frankreich und Deutschland in mili­tärischer Beziehung vereinen, so werden die an­deren Staaten bald diesem Waffenbunde beitre­ten. Die kleineren Staaten kann man sogar dazu zwingen. Die vereinigten Staaten von Europa bildeten Jahrhunderte hindurch eine vielbelä­chelte Utopie. Dem Dynamitkriege gegenüber bekommt diese Utopie einen durchaus realisier­baren Boden – dem die lächerliche Seite bald fehlen wird.

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16. Die Entlastung der Militärverwal­tungen durch die Luftfahrzeuge der Privatleute.

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Es ist übrigens ein grosser Irrtum, wenn man sich die Luftflotten so denkt wie die Seeflotten. Auf dem Meere konnte man tatsächlich nicht aus jedem Personendampfer gleich einen Kriegsdampfer machen. Anders aber ist es in der Luft. Da ist jedes Privatluftschiff ohne weiteres in ein Kriegsluft­schiff zu verwandeln; man braucht ja nur Dy­namit raufzupacken. Die Luftfahrzeuge der Privatleute sind somit im Luftkriege ohne Schwierigkeiten zu verwen­den. Dadurch werden die Militärverwaltungen ganz erheblich entlastet. Und die Steuerzahler können sich vergnügt die Hände reiben; man wird ihnen sehr bald die Lebensmittel billiger machen.

Index: Bücher – DIE ENTWICKLUNG DES LUFTMILITARISMUS

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Revision 06-01-2023

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