Die zerbrochene Fensterscheibe

    Text mit groben Scanfehlern - muss überarbeitet werden!

Paul Scheerbart

Verlassenes


Die zerbrochene Fensterscheibe

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Grau war der Himmel, und es regnete. Sonntagnachmittag war’s.

Ihm war nicht wohl.

Körperlich war er wohl gesund – aber woanders

-da machte sich etwas Fehlendes bemerkbar. Ihm glückte Nichts mehr.

Was er auch begann – Alles schlug fehl. Und es ging ihm täglich schlechter. Eine Hoffnung nach der andern ward zu Grabe getragen.

jetzt ertönten auf der Straße schrille Trompeten im feierlichen Marschtone durch die nasse Luft.
Eine Leiche ward mit Trompeten zu Grabe ge­tragen.

Er wurde noch trauriger.

Drüben aber öffneten sich alle Fenster, und viele Frauen schauten halb neugierig, halb andächtig in die Straße hinab.

Da wollt‘ er auch die Musik besser hören, und er öffnete sein Fenster ebenfalls.

Doch wie er all‘ die Frauen drüben sah, ärgerte er sich, und er wollte sich scheinbar gleichgültig in seinen Triumphstuhl werfen …

Und er tat’s zu heftig!

Und die eine Fensterscheibe brach klirrend und klingend entzwei.

Er wollte fast weinen.

Die Scheibe kostete zwei Mark.

Er wollte sich einreden, daß ein solches Pech hrscheinlich »Glück« bedeute -indes er konnte das nicht mehr einreden.

Er glaubte, jetzt verfolge ihn das Unglück noch heftiger als sonst, und ihn ergriff – Wehmut –

·Kht mal mehr ein leidenschaftliches Wort kam er seine Lippen.

f r war so tieftraurig – so furchtbar traurig, daß zch nicht erinnerte, jemals trauriger – verzwei­ er gewesen zu sem.

n die Trompeter, die im strömenden Regen hin­

einer Leiche – blasen mußten – dacht‘ er gar

Er hätte wieder gelacht- hätt‘ er daran gedacht.

r passierten die russische Grenze, und ich blick­

ergnügt in die weite Landschaft hinein.

1üller krauste die Stirn und benahm sich wie ein

– lender Löwe, der still ist.

·h rief – endlich auch – gnarrig: »Aber, Herr ler, was ist denn los?«

ine blauen Augen starrten mich unverwandt nd mir ward unheimlich.

I h bin den Ton«, sagte er nun, ))den Sie gestern

Abend anschlugen, nicht gewöhnt – und ich muß leider fürderhin auf Ihre angenehme Unterhaltung verzichten.«

Mir fiel all‘ mein Weißzeug bei.

Die Geschichte war lieblich, Nowaja Semlja verglühte mir langsam im dunkelsten Hintergrun­ de. Meine Geistesgegenwart wollte mich verlassen. Die verfluchte olle Drehmnäs‘!

Ich wühlte krampfhaft in meinen Papieren, räusperte mich und fing an zu stottern.

))Nu lassen Sie«, sprach ich endlich, »den gestri­gen Abend aus dem Spiel! So war’s doch nicht ge­ meint! Hatten Sie mich nicht auch gekränkt, als Sie bei meinem kosmosophischen Scherzo einschlie­ fen? Ist Einschlafen nicht auch eine Beleidigung? Ihr Schlaf und meine Drehmnäs‘ heben sich doch gegenseitig auf. Ich bitte Sie höflichst außerdem noch um Entschuldigung – und ferner bitte ich Sie, ein Versöhnungslied von mir anzuhören – dann können wir ja weitersprechen. Erlauben Sie, daß ich beginne?«

Er nickte, und ich las langsam:


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