Die Prinzessin Rona
Paul Scheerbart
Na prost!
Die Prinzessin Rona
Ein Märchen
aus: Na prost!
Die Nacht war still, und der Springbrunn plätscherte. Die blanken Sterne funkelten, die Rosenhecken dufteten, der weiße Kies auf den Fußwegen des großen Gartens leuchtete, die Palmen und Sykomoren standen ganz ruhig da… Doch plötzlich knirschte der Kies — es kam wer — — und ein grüner Papagei rief krächzend «Siehst du mich? Siehst du mich?»
«Ich sehe dich», sagte die Prinzessin Rona — denn sie wars, unter deren Fuß der Kies plötzlich knirschte — und der grüne Papagei flog auf den Rand des Wasserbeckens, in dem der Springbrunn plätscherte. — — —
Da kam der junge Gärtner mit den blauen Augen, sank vor der Prinzessin Rona selig auf ein Knie — und küßte der hohen Herrin ehrfürchtig die schmale gelbe Hand.
Und indische Blumen dufteten durchs Gebüsch — und indische Brillanten funkelten in Ronas schwarzen Haaren, und indische Liebesworte drangen geflüstert in die stille Nacht hinaus. Ganz fern im Hintergrunde lag der Palast des großen indischen Königs, der der Vater der Rona war.
Der Papagei rief wieder: «Siehst du mich?» — aber Niemand sah ihn.
Der Springbrunn plätscherte. Und nach einer längeren Weile küßte die Prinzessin ihrem jungen Gärtner abermals auf die Stirn und sprach dabei so wie im Traum: «Sieh nur, wie hübsch blank da drüben über den Sykomoren die Sterne funkeln.»
«Nanu», erwiderte der Gärtner, «warum sollen sie nicht funkeln; deine Augen, schöne Rona, funkeln doch auch.»
Da wiegte die Prinzessin ihren kleinen Kopf so nachdenklich hin und her, ihre mandelartigen braunen Augen strahlten auf, eine Verzückung überkam ihren ganzen Körper und dabei sagte sie: «Du, weißt du, ich möchte ein paar wirkliche Sterne in mein Haar stecken — verstehst du?»
Der Gärtner ward sehr nachdenklich.
Er schwieg, Rona schwieg auch.
Der Springbrunn rauschte, und die aufspritzenden Wasser schienen höher zu spritzen als vorher.
Die blauen Augen des jungen Gärtners schauten nun forschend auf Ronas Stirn, in ihre kleinen Ohren, in ihre schwarzen Haare, in denen Brillanten funkelten. Diese Brillanten hob der Gärtner vorsichtig aus den schwarzen Haaren heraus, steckte die Steine in eine große weiße Lilie hinein und begann mit gedämpfter, zitternder Stimme also zu sprechen:
«O Rona, ich sitze hier mit dir zusammen auf dieser alten Granitbank, und du weißt nicht wer an deiner Seite weilt — erschrick nicht und höre! Ich bin ein Zaubrer.»
«Aha», sagte die Prinzessin, «das hab‘ ich mir doch gleich gedacht. Du kannst mir also ein paar Sterne wirklich besorgen. Nicht? O tu’s, ja, sieh, sei so gut, bitte, bitte, bitte — ich knie vor dir — sieh — bitte, bitte, bitte!»
Der Gärtner hob die Kniende auf und setzte sie auf seinen Schoß. Dann sprach er: «Kind, die Geschichte ist nicht so einfach wie du denkst. Zunächst sind die Sterne viel zu groß — sie sind ja viel größer als deines Vaters Gärten… alle zusammen. Wenn du also wirklich — wirkliche Sterne in dein Haar stecken willst, so mußt du viel größer werden. Na — willst du nun, daß ich dich größer mache?»
«Ja, ja!» rief die Prinzessin Rona ganz laut, daß es schallte und daß der Papagei, der schon eingeschlafen war, wieder erwachte…
«Komm, steh‘ auf, Rona, stell‘ dich hier hin, etwas weiter ab vom Springbrunn — du sollst größer werden.»
«Wirst du nicht auch größer?» fragte die Prinzessin, die schon sehr ungeduldig wurde.
«Nein», versetzte der Zauberer ganz kalt, «ich kann wohl Andre größer machen, mich selbst aber kann ich nicht größer machen. Nun sei still und höre zu, ich werde den Zauberspruch hersagen — warte!»
Nach einer großen Pause ward die Stimme des Zauberers abermals zu hören, sie sprach laut und deutlich:
«Osimânu! Asimênu!
Heterâpa kisolê.
Osimânu! Irawîra:
Lisikéte kisolê.
Osimânu!»
Der Papagei sah das und rief krächzend: «Siehst du mich? Siehst du mich?» Aber die Rona sah ihn nicht mehr, denn sie stak schon viel viel höher in der Luft als ihres Vaters Sternwarte.Und darauf ward die Prinzessin Rona immer größer und größer.
Bald war die Rona den Sternen ganz nahe; doch wie sie so wuchs — wuchsen auch ihre Füße — die bald so groß waren, daß sie den halben und schließlich den ganzen Garten bedeckten — wobei natürlich alle Bäume und Sträucher ganz und gar entzwei gedrückt wurden. Der Zaubrer lag auf dem großen Zeh seiner Geliebten und dachte nach — er dachte nach über die Eitelkeit der Welt….
Endlich konnte die Prinzessin ein paar Sterne vom Himmel herunterreißen, sie freute sich an dem Glanz der Sterne und steckte dieselben rasch in ihr schwarzes Haar.
Aber dann — darauf — ja — da fehlte der großen Rona was.
«Nanu», rief sie laut, daß alle Himmel dröhnten und donnerten, «die Geschichte wird gut, ich habe ja, ich habe ja — keinen Spiegel.»
Der Zaubrer auf ihrem großen Zeh hörte — das — und kicherte. Der Papagei rief immerfort: «Siehst du mich? Siehst du mich?» und er flatterte über Ronas große Sandalenriemen hinüber nach Ronas Hacke. Der Papagei flog sehr lange, denn der Prinzessin Fuß war ungeheuer groß.
Rona nahm den Mond in die Hand und wollte ihn putzen, doch er blieb blind — in den weiten Himmelsräumen war kein einziger Spiegel zu entdecken.
Die Prinzessin ward aber schließlich sehr ungeduldig, sie stampfte mit dem Fuße, daß der Zaubrer von ihrem Zeh herunterfiel und daß der ganze Garten gräßlich verwüstet wurde. Die Prinzessin riß sich wütend die Sterne aus den Haaren heraus und schmiß sie in die stille Nacht hinein und dröhnend und donnernd rief sie hinab: «Mach mich wieder klein! Mach mich wieder klein!» Der Papagei rief wieder: «Siehst du mich?»
Aber der Zaubrer bekam Angst, rieb seinen beim Fall zerschundenen Rücken und sprach bedächtig den Verkleinerungsspruch.
Die Stimme des Zaubrers sprach laut und deutlich:
«Luriwêpa selakárri,
Monosô! Monosô!
Luriwêpa kurirássu!
Monosô! Monosô!
Kurirássu!»
Der große Garten war gräßlich verwüstet. Und der König, Ronas Vater, wunderte sich nicht wenig darüber, daß seine Tochter den ganzen Garten in einer einzigen Nacht zertrampelt hatte. Doch da der König ein guter Vater war, so ließ er den Garten wieder zurecht machen. Leider blieb des Königs Tochter, die Prinzessin Rona, seit jener Nacht sehr mürrisch, sie prügelte ihre Sklavinnen und war zu allen Menschen sehr böse — im Schlafe murmelte sie häufig: «Was hab‘ ich nun davon? Was hab‘ ich nun davon?»Darauf ward die Prinzessin wieder klein — aber der Zauberer war verschwunden — auch die Brillanten, die dieser in die weiße Lilie gesteckt, konnten nicht wieder aufgefunden werden.
Im königlichen Palaste fand man des Morgens sehr häufig sämtliche Spiegel zerschlagen vor.
Indessen der grüne Papagei ward in dem zurechtgemachten neuen Garten noch viel älter. Der Vogel fürchtete sich nur vor der Prinzessin Rona, sonst war er ganz zahm.
Als der Papagei zum letzten Male rief: «Siehst du mich?» da sah ihn nur ein grauer Kater, der das alte Tier zerfleischte, rupfte und ruhig auffraß.
Na Prost:
Und auch dieses lustige Stückchen wird gar ernsthaft mit Scharfsinn und Tiefsinn erklärt.
Passko kramt zuerst seine Weisheit aus.
«Natürlich», sagt er schmunzelnd, «werdet ihr wieder so tun, als wären in diesem Märchen mindestens ein ganzes Dutzend echtester Welträtsel gelöst. Ich aber sehe bloß die uralte Tragikomödie der Eitelkeit. Die Moral von der Geschichte lautet ungefähr: Eitle Menschen sollen mit schlauen nicht in Geschäftsverbindung treten — sonst gehts den Eiteln schlecht — die echten Diamanten gehen der Eitelkeit in jedem Falle verloren. Die Geschichte wird wohl auf die Eitelkeit der Gelehrten ganz besonders gemünzt sein.»
«Mitnichten!» antwortet da selbstverständlich der kühne Brüllmeyer, «mitnichten, mein lieber Passko! Ich verstehe dich mit deinen einfach kindlichen Erklärungen nicht mehr — du hältst doch die alten Deutschen für zu dumm! Der Zaubrer muß doch — kann doch nur ‹der große Mann› sein. Der Dichter wollte die Weiber vor den großen Zaubrern dieser Erde warnen, diese sollen allen weiblichen Wesen möglichst abschreckend erscheinen. Der Dichter will, daß die Weiber ablassen von den großen Männern. Was wird daraus, sagt er, wenn ein echter Zaubrer sich in ein Weib verliebt? Nichts Gutes! Das Weib hat in jedem Falle den Schaden zu tragen. Die großen Zaubrer dieser Erde sollen den Weibern entzogen werden. Und um das fertigzukriegen, hetzt der Dichter die Weiber gegen die Zaubrer auf. Diese können ja die ins Riesenhafte gehende Eitelkeit der Weiber doch nicht befriedigen. Ein sehr feines Märchen! Ein sehr feines Märchen!»
Ein Funkenregen fegt an der achtkantigen Flasche vorüber. Die Gelehrten lassen sich aber nicht stören. Der alte Kusander bringt erst ordentlich seine lange Zigarre in Brand und redet dann so friedlich und ruhig, als hätte er noch immer auf Java seine Schüler vor sich.
«Eine soziale Dichtung!» erklärt er mit verblüffender Bestimmtheit. «Der große Mann, der das Volk liebt, wird hier verhöhnt. Der Zaubrer ist natürlich, wie Brüllmeyer schon ganz richtig herausgefunden hat, der große Mann schlechtweg. Wenn der das Volk, das in der albernen Prinzessin ganz allerliebst abkonterfeit ist, furchtbar liebt und es tatsächlich größer macht — so macht er dadurch das Volk doch nicht glücklich — im Gegenteil. Der Papagei ist der schwatzhafte Volksredner. Mit dem Kater wird wohl der Klerus gemeint sein. Das ist doch Alles so klar wie dicke Tinte. Wenn ich euch nicht stets auf die Beine helfen würde — dann wär’s schlimm um euch bestellt.»
Na — drei verschiedene Ansichten reiben sich wieder mal. Es entstehen dabei fast ebensoviel Geistesfunken wie draußen im Weltraum Schnuppenfunken.
Feuerwerk überall!
* * *
Die ausgelassene Lebensfreude, die sich anfänglich in der Flasche sehr breitgemacht hatte, wird allmählich immer gelassener. Der Mensch ist nicht bloß zur Freude geboren — das merkt man an allen Ecken und Kanten — in der Achtkantigen ebensogut — wie einst anderswo.
«Die Erde ist längst entzwei!»
Dieser große Satz des kühnen Brüllmeyer beginnt allmählich den drei Gelehrtenköpfen etwas beschwerlich zu werden.
Man erinnert sich immer öfter und öfter an das alte Erdendasein, beschäftigt sich eifrigst mit der Geschichte der letzten zehn Jahrtausende — als wenn die Erde noch da ist. Passko macht seine Freunde vergeblich darauf aufmerksam, daß die ganze Beschäftigung mit den früheren Zeiten jetzt nach dem Untergange der Erde höchst überflüssig geworden ist.
Er dringt nicht durch — der kluge Passko.
Und so schleicht denn, wie nicht anders zu erwarten, mit den Erinnerungen und den lange vergangenen zehntausend Erdenjahren allmählich der Trübsinn in die achtkantige Flasche hinein.
Die gute Laune ist ein kostbares Gut.
Passko bittet schließlich den Brüllmeyer, mal was vorzusuchen, was die alten Geister der hellen Fröhlichkeit wieder anlocken kann.
Brüllmeyer findet nach langem Suchen nur dieses:
Die alten Priester und die Knaben
Index: Erzählungen – NaProst
alle Texte von Paul Scheerbart – ein fognin Projekt – bitte unterstützen:
Bitte helfe mit diese Seite zu erhalten: Diese Seite von fognin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. Weitere Infos über diese Lizenz können Sie unter hier erhalten
Revision 03-01-2023