Tief!

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte!


Tief!

aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Immer mutig


Glatt und grau liegt vor mir — unter mir — das große Wasser, das endlos ist wie der Unsinn.
Schönes großes Wasser, hast Du mich lieb?
Eine merkwürdige Gestalt kommt hinten aus Dir heraus und geht auf Dir — wie ein dicker Rentier aufm Tanzboden geht — nach einer Bierreise! ^
»Gestalt, die Du da so unheimlich nahst, bist Du betrunken? Du gleitest ja immer aus! Geh vorsichtiger! Langsamer! Nicht mit beiden Füßen zugleich! Immer erst den linken und dann den rechten Fuß — oder umgekehrt!«
Die merkwürdige Gestalt, die ganz in einen weißen Mantel gehüllt ist, kommt wirklich näher, obgleich sie fortwährend ausglitscht.
Es muß ein seltsames Vergnügen sein, auf dem großen Wasser, das immer grau ist wie ein alter Sumpf, so mit Anstrengung herumzuglitschen. ‚
»Mensch«, rief ich, »Wenn Du ein Mensch bist und Deutsch verstehst, so sage mir, warum Du da so beängstigend auf dem großen Wasser herumschwankst. Betrunken bist Du nicht — sonst lägst Du längst auf der Nase.« i»
»Es ist eben«, versetzt der fortwährend ausgleitende junge Mann, »so furchtbar schwierig, hier zu gehen.«
»Na, das merkt ein Pferd!« schrei ich ihm zu, »warum machst Du Dir denn die Mühe? warum bist Du nicht zu Hause geblieben?«
»Ich will«, hüstelt nun der köstliche junge Mann, »unter allen Umständen für >tief< gehalten werden.«
Mir wird ganz eigen zu Mute. Ich verstehe dieses Individuum durchaus nicht. Die Quälerei soll für tief gehalten werden? Hat man nicht schon genug zu leiden? Soll man sich noch Extra—Wunden schlagen? Dem Kamel da unten geht’s wohl wieder mal zu gut.
»Das Schwierigste ist das Tiefste!« flüstert der alberne Geck, »mir kann nichts schwierig genug sein. Mir gefällt übrigens der schlüpfrige Pfad ganz ausgezeichnet.« i ‚
»Ach so!« brüll‘ ich nun, »Dir kommt’s nur auf die Schlüpfrigkeit an! Mensch, Du bist wirklich tief!«
»Tief! Sehr tief!« stößt heiser — wie stets — das Gespenst hervor und glitscht weiter, als ginge es auf einem eingeseiften Walroß.
Es ist nicht mehr zum Ansehen.
Es ist zum Schießen!
Gleich muß der dumme Kerl auf der Nase liegen!
Das soll alles »tief« sein!
Es ist zum Schreien!
Schlacht ein Schwein!
Schlacht Dein zerbrochnes Nasenbein! —
Das ist noch tiefer, da’s schmerzhafter ist.
Ich steige höher — in die hellen Wolken hinein.
Das ist wahrscheinlich nicht tief.
Aber ich glaube leider nicht daran, daß man weiterkommt, wenn man runterkommt.
Ich bin wohl zu vernünftig …
Ich kann’s aber nicht ändern!
Ewig ausgleitendes Gespenst — Du bist mir schrecklich — wie ein Alb auf der Brust!
Fall doch!


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