Rebellenmacht
Paul Scheerbart
Meine Tinte ist meine Tinte!
Rebellenmacht
Ein Chalifenidyll
aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
Auf staubigen Blumen sitzen müde Käfer. Glühend scheint die Sonne hinab in die Gärten der großen Chalifenburg. Träge liegen dicke Schildkröten auf den braunen Kieswegen. Ein schwarzer Sklave schleicht durchs Gebüsch. Immer wieder leuchtet zwischen Myrten und Lorbeern das gelbe Lendentuch des Sklaven hell auf.
In den Straßen Bagdads wird es stiller und stiller – denn die Sonne steht ganz hoch oben am Himmel. Es ist so heiß und so drückend schwül — wie in der Wüste.
Auf dem breiten Tigris gleiten chinesische Dschunken mit schmierigen Segeln langsam dahin — an der Chalifenburg vorbei – der kleinen Speicherinsel zu.
In der Chalifenburg schreien die Haremsfrauen, die Prinzen drücken sich verstohlen die Hände, die Sklaven flüstern mit scheuem Blick, nur die Hofleute lächeln — verschmitzt – überlegen – kalt. Und von Palast zu Palast eilen die Boten mit wichtigen Briefen. Die ganze Hofburg mit ihren bunten Gärten, mit ihren Hallen und Hainen, mit ihren unzähligen Schlössern und Villen — ist in große Bestürzung geraten – denn eine große Empörung ist ausgebrochen in den weiten muhamedanischen Landen. Man hat dem Chalifen Emin den Gehorsam gekündigt. Und die Aufständischen werden geführt von Mamun, dem Bruder des Chalifen. Schon nahen die Rebellen den Toren Bagdads. Niemand wagt dem Mamun zu widerstehen, die Söldnerscharen gesellen sich auch zu den Aufständischen — und Mamun kommt immer näher und näher, und mit ihm kommen zügellose Rotten, wilde, blutgierige Krieger sie nahen der Chalifenburg. Bagdads Bürger ziehen sich in ihre Häuser zurück. Um die Mittagszeit ist auf allen Straßen kein Mensch mehr zu sehen.
Aber im Fischpalast am Tigris, wo der Chalif Emin seit einem ganzen Jahr am liebsten zu weilen pflegt, da stehen die Sklaven an den Türen und starren gradaus, keiner von ihnen wagt, sich zu bewegen. Der Chalif hat befohlen, alle Sklaven sollen ganz still stehen. Um das Mauerwerk des kleinen Schlosses plätschern die Tigriswellen, die große Prachtbarke schaukelt. Auf einer Galerie, die sich dicht über dem Strome hinzieht, geht Emin langsam auf und ab, zuweilen bleibt er stehen, starrt ins Wasser, lehnt sich mit der Brust über das Holzgeländer und schlägt mit dem rechten Fuß nach hinten aus wie ein Pferd .
Die Prachtbarke schaukelt nicht fernab von der Galerie, deren Holzgeländer reich mit roten und blauen Farben bemalt ist. Der Chalif trägt einen grünseidenen Kaftan und einen weißen Turban, unter dem das dunkelbraune Gesicht mit kleinem Schnurrbart und blitzenden Pechaugen plötzlich unheimlich hervorschaut. Emin faltet die Hände – und seine Augen werden blöde.
Emin weiß heute wieder nicht, was er zuerst tun soll, gestern wollt‘ er auf den Tigris hinausfahren. In der Nacht fiel ihm aber ein, daß er einen Brief an einen indischen Teppichhändler zu schreiben habe. Des Morgens wachte der Chalif mit einem neuen Bauplan auf. Er wollte fürderhin in den Kronen der größeren Bäume wohnen, weil dort die Aussicht so gut ist. Wie er nun so an dem Holzgeländer lehnte, fielen ihm einige Regierungsgeschäfte ein. Auch überlegte er dabei, ob er nicht lieber einmal einen Krieg anfangen sollte. »Jawohl«, murmelte er, »als Chalif muß ich eigentlich auch Krieg führen, das hab‘ ich ja noch nie getan. Wenn ich nur nicht so viel zu tun hätte. Immerfort muß ich so viel tun. Ich komme bald zu gar nichts mehr, und ich vergesse so vieles. He, Sklaven!«
Zitternd und bebend nahten die beiden Sklaven, die an der nächsten Türe standen; Emin fragte: »Was habe ich vergessen?«
Der größere Sklave – ein Armenier mit hellem Gesicht und dunklem Bart – kreuzte die Hände langsam über der Brust, verbeugte sich bis zur Erde und sprach: »Angeln! Herr!«
»Richtig! richtig! richtig“« rief der Chalif, und majestätisch schritt er durch die Pforte in seinen Speisesaal, den grade sechs persische Jungfrauen festlich schmückten. Auf den Teppichen lagen Rosen und Nelken. Weihrauch brannte in goldenen Schalen. Und in der Mitte auf einem weißen, ovalgeschnittenen Ziegenfell stand ein Kalbsbraten — der duftete. Die Jungfrauen sanken auf die Knie, warfen Rosen hoch in die Luft und sangen ein arabisches Schlachtlied, das der Chalif immer zum Frühstück zu hören pflegte. Der Chalif setzte sich nun auf das Ziegenfell und aß — die Mädchen sangen und warfen Rosen in die Luft, die Weihrauchbecken qualmten, und Emin dachte plötzlich wieder nach; er dachte wieder an alle seine vielen Geschäfte, an den Krieg und an den indischen Teppichhändler. — Da kam aber der Armenier herbei und rief wieder: »Angeln! Herr!«
»Ach richtig«, sagte schmunzelnd hierauf der Beherrscher der muhamedanischen Welt, kaute hastiger, stach das Messer in den Kalbsbraten und sprang auf.
Die Mädchen sangen nicht mehr, auf einen Wink des Armeniers jagten sie jetzt wie die Windhunde davon, um die Angelruten zu holen. Von allen Seiten eilten Sklaven herbei, stürzten dem Allmächtigen zu Füßen und küßten den Teppich, den der Herr betreten wollte – jedoch kein einziger Sklave, kein Hofmann und kein Prinz wagten zu sagen, daß Rebellen der Chalifenburg nahten, daß Mamun, des Chalifen Bruder, schon ein paar Dutzend Siege über Emins Truppen davon getragen — nein, nein — Emiii horte nur zuweilen, daß an den Grenzen Krieg ausgebrochen, daß das aber nichts zu. bedeuten habe — das sei immer so gewesen, das sei überhaupt noch gar kein wirklicher Krieg — so ungefähr sprachen die Holleute, wenn sie einmal vor dem Herrn der Erde reden durften, was nicht oft vorkam.
Und Einin schritt stolz in seinen Teichsaal ~ da war der ganze Fußboden aus Alabaster, und in den Alabaster waren blaue Sterne von Lapis lazuli eingelegt. Vor den Fenstern des reich vergoldeten Saales war nur das erhellte Laub grüner Bäume zu sehen, die wie grüne Gardinen das Licht dämpften. In der Mitte des Saales befand sich ein großer Teich, der durch Röhren mit dem Tigrisstrome verbunden war. Hier angelle der große Chalif. Er saß in ganz, ganz weichen Kissen am Rande seines Teichbeckens mit dem Rücken gegen die Fenster und angelte. Wenn sich die grünen Blätter vor den Fenstern bewegten, dann bewegten sich auch die grünen Lichtflecken auf dem Alabasterboden. Die blauen Sterne von Lapis lazuli wirkten gar geheimnisvoll zwischen den grünen Lichtflecken.
Die Sklaven standen jetzt überall an den Türen wieder ganz still und starrten gradaus, denn der hohe Herr des Hauses angelte. Wundersam — heut biß nichts an. Doch Emin starrte in den Teich und ließ die Angelruten nicht fallen. Er hatte Krieg, Indien und Regierung vollkommen vergessen.
I» den Gärten der Chahfenburg schleicht ein schwarzer Sklave mit gelbem Lendentuch einen kleinen Hügel hinan. Er klatscht in die Hände, und siehe – da kommen Krieger aus dem Gebüsch, wilde Gestallen mit blitzenden Säbeln -wohl an die hundert Mann. Der schwarze Sklave zeigt auf den Fluß und erzählt hastig den Führern, was er im Schloß erfahren — hauptsächlich, daß dort alle still stehen und gradaus sehen müssen.
Mit ein paar Kähnen fahren die Krieger neben der Prachtbarke des Fischpalastes vorbei an die Galerie, auf der noch vor kurzem der Chalif nachdachte.
Die Sklaven fliehen, wie sie die Krieger sehen, und diese durchsuchen nun das ganze Schloß, essen den Kalbsbraten im Speisesaal auf und kommen an die Tür des Teichsaales.
Und da schreit der Chalif Emin hell auf, fängt an zu lachen, daß ihm die Tränen über die braunen Wangen rollen – denn er hat einen großen Aal gefangen, der Aal zappelt an der Leine, schlägt wuchtig mit dem Schwanz nach allen Seiten, und Emin freut sich darüber.
Die beiden Sklaven an der Tür flüchten in die Ecken des Gemachs. Die wilden Rebellen sehen sich erstaunt an, lachen auch wie Emin, dann aber zieht der Wildeste hurtig sein Schwert, holt kräftig aus und schlägt dem lachenden Chalifen den Kopf ab. Der Kopf fällt mitsamt dem Turban in den Angelteich – und die Angelrute fällt mit dem Aal auch ins Wasser. Der Aal zieht Leine und Rute mit sich in die Tiefe durch die Röhren hinaus in den breiten Tigrisstrom.
Prächtig glänzt in dem grünen Blätterscheine das rote Blut des toten Chalifen. Auch der Alabaster wird an dem Teichrande rot gefärbt, und ein blauer Stern von Lapis lazuli wird auch ganz rot. Die grünen Lichtflecken auf dem weißen Alabaster kommen neben dem roten Blute zu prächtigster Wirkung. Nur die beiden Sklaven in den Ecken des Gemachs achten nicht auf die seltene Farbenstimmung.
Das grüne Dämmerlicht zittert im Teichsaal – und es wird immer dunkler.
Index: Gesamt – Erzählungen – Meine Tinte ist meine Tinte
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