Noahs Glück
Paul Scheerbart
Immer mutig!
Noahs Glück
aus: Immer mutig
»Die Leute denken immer,« sagte Noah, als er seine Barke vollgepackt hatte, »ich hätte das Reisen so gern. Das ist aber gar nicht wahr. Es gefällt mir hier überall nicht – und daher reise ich – das ist die ganze Geschichte.«
Mit diesen Worten stieg Noah in seine Barke.
Diesmal war’s eine Luftbarke.
Und mit der Luftbarke fuhr er rasch in den freien Äther hinaus – an Mond und Sonne vorbei – in die große Sternenwelt.
Und bald war Noah jenseits von unserm Milchstraßensystem.
Er war also schon recht weit gefahren, und seine Frau wunderte sich schon.
Doch Noah fuhr noch weiter – er steuerte auf einen großen Nebelfleck zu, der aus lauter Pilzsternen bestand – aus sehr vielen bunten und mannigfaltig geformten Pilzsternen.
Und Noah fuhr mit seiner Barke hinter den Nebelfleck und begann dann plötzlich ein lustiges Liedchen zu pfeifen.
Da kamen Noahs sämtliche Anverwandte aufs Deck hinauf und lachten.
»Jetzt sind wir endlich so weit!« rief der alte Noah mit seiner hellen Geisterstimme.
Und Noahs Frau fragte ihren Mann:
»Na, bist Du jetzt glücklich?«
»Jawohl,« rief der alte Noah, »jetzt bin ich vollkommen glücklich. Hier können wir bleiben – die Pilzsterne sind undurchsichtig – und von dem Milchstraßensystem, in dem sich die alte Erde dreht, werden wir nimmermehr was sehen können.«
»Das ist man gut!« riefen Alle.
Und Noah pries sein Glück.
Und Noahs Anverwandte lachten – mitsamt seiner Frau.
Noah jedoch weinte vor Freude – so groß war sein Glück.
Und die Pilzsterne blieben undurchsichtig für alle Ewigkeit.
Und Noahs Luftbarke blieb fest verankert.
Die Bewohner der Luftbarke sahen woanders hin.
Und Noah pries sein Glück tagtäglich hundertmal und konnte sich viele Billionen Jahre gar nicht beruhigen – so sehr freute er sich über die totale Unsichtbarkeit jenes Milchstraßensystems, in dem sich jener »Erde« genannte Stern bewegte.
Da kam eines Nachts ein kluger Vogel an der Barke vorbeigeflogen – sah den Noah und sprach redselig:
»Noah, das ganze Milchstraßensystem, von dem Du nichts mehr hören und sehen willst, existiert ja gar nicht mehr. Flieg nur um die Ecke Deines Nebelflecks herum – da wirst Du Augen machen. «
Noah löste vorsichtig die Anker und fuhr ganz sachte, ohne daß die Schläfer und die Schläferinnen unten in den Kajüten was bemerkten, um die Ecke seines Nebelfleckes rum – und fiel – vor Schreck rücklings aufs Deck.
Ein kolossaler Weltdrache füllte die ganze Gegend und glotzte den Noah mit Millionen Augen so eklich an, daß dem Armen ganz plümerant zu Mute wurde.
Doch der Drache sagte nach einer Weile höchst gemütlich:
»Lieber Noah, ich habe soeben siebenmalsiebenundsiebzig Tausend Milchstraßensysteme verspeist – glaubst Du da, daß ich noch Appetit haben könnte?«
Und der Drache lächelte sehr blöde und flog empor und ließ eine weite Leere hinter sich.
»Er hat sich satt gefressen!« rief der kluge Vogel.
Noah sprang auf, drehte rasch seine Barke um und machte, daß er weg kam, und befestigte die Anker wieder an den alten Stellen hinter dem Pilzsternnebelfleck.
Niemand auf der Barke erfuhr was von Noahs nächtlicher Fahrt um die Ecke rum.
Noah aber pries nicht mehr sein Glück.
Es kam dem alten Noah für die Folge sein Leben zeitweise komisch vor, so daß er oftmals lächeln mußte.
Und er freute sich nun, daß Niemand auf der Barke sein Lächeln verstand; die Pilzsterne blieben undurchsichtig.
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