Die große Revolution

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Zikáll verzieht sein hohes Rübengesicht in viele Falten, daß der Phosphor nur so glitzert, läßt die Fühlhörner seines ziemlich spitzen Schädels in der Luft herumschwirren – und sagt langsam:
»Mafi hat Glück. Er will in der nächsten Woche eine außerordentliche Sitzung der Ratsherren zusammenberufen und dann beantragen, sofort eine Expedition nach der anderen Seite auszurüsten. Und diese Expediton wird den Stein ins Rollen bringen.«
»Wir müssen«, erwidert ruhig der Knéppara, »die Ausrüstung der Expedition verhindern.«
»Das wird«, sagt Zikáll, »sehr schwer halten, denn Loso ist mit allen seinen Freunden auf Mafis Seite – und ich bins auch.«
»Warum Du?« fragt Knéppara.
»Weil ich«, erwidert der Zikáll, »sehr gerne wissen möchte, ob sich auf der Jenseitsseite das Glas in größerer Linsenform zeigt.«
»Und wenn das wäre?« fragte Knéppara wieder.
»Wenn das wäre«, antwortet leise der Mann der Wissenschaft, »so könnte ich daran glauben, daß die Mitte der Jenseitsseite eine kolossale Linse besitzt mit einem Durchmesser von vielen Meilen.«
»Und wenn«, fragt abermals der Knéppara, »auch dieses wäre?«
»Dann«, ruft Zikáll, »hat Mafikâsu mich zum besten Freunde gewonnen, denn dann ist die Hauptschwierigkeit bei dem großen Fernrohre, das die Länge des Monddurchmessers erreichen soll, behoben – denn dann brauchten wir die Hauptlinse für das große Rohr nicht mehr zu schleifen.«
Abermals wird Knéppara smaragdgrün – bemerkt es, bläht seinen Leib auf und steigt rasch empor in den grünen Himmel, in dem der grüne Mondmann nach ein paar Augenblikken unsichtbar ist.
Zikáll schüttelt den Kopf. Währenddem schwebte Mafi mit seinem Freunde Rasi in den Randgebieten herum, hinter denen das Jenseitsland der anderen Mondseite anfängt.
Und überall sprachen die beiden Weltfreunde mit Begeisterung von den herrlichen Glasgefilden des Jenseits.
Und bald hatten alle Mondleute eine große Sehnsucht nach jenen Glasgefilden, und die Expedition schien durchaus gesichert zu sein.
Die Blitzblumen nahmen unterdessen immer größere Formen an und wuchsen jetzt auch am hellen Tage in den sammetgrünen Himmel hinein.
Und die Mondleute glaubten, daß diese Blumen eine große Blumensprache sprächen.
Und die Weltfreunde deuteten diese Sprache natürlich zu ihren Gunsten.
»Der Mond selber«, sagten sie, »will, daß wir seine Glasgefilde näher kennenlernen, denn sonst würden die Blumen nicht so glasartig wirken.«
Das Glasartige und Durchsichtige, das jetzt den Blumen vielfach eigen war, schien nun allerdings die Meinung der Weltfreunde nur zu bestätigen.
Oft flatterten die riesigen steifen Blätter der Blitzblumen wie kolossale irdische Libellenflügel in der Luft herum.
Nur ein paar Sekunden lebten die geisterhaften Blumen aber sie ließen sich doch photographieren.
In den Photographien konnte man erst die ganze Farbenpracht und die entzückende Aderzeichnung der Blattwandungen erkennen und genießen.
Vor dem grünen Tageshimmel zeigten sich oft schneeweiße undurchsichtige Blüten, die immer meilenhoch sich entfalteten, und zuweilen oben noch die prächtigsten gelben und blauen Bandmuster zeigten, während die unteren Teile der Blüten gar nicht mehr da waren.
Nur selten wirkten diese Lichtgeburten wolkenartig; dazu hatte die Blattbildung zu viele Teile, die sich wie Scheiben aus dünnstem Glase ankrystallisierten.
Wären die Mondleute nicht durch die Blumen in den Rauchergrotten an derartige Erscheinungen gewöhnt gewesen, sie hätten sich gar nicht beruhigen können.
Verblüffend kams den Mondleuten nur vor, wenn die Blumen zuweilen durch ihren Körper gingen, ohne daß sie eine Gefühlsempfindung in ihren Leibern bemerkten.
Zikáll erklärte, daß mans hier mit Erscheinungen zu tun hätte, die denen der Elektrizität verwandt seien, aber mit diesen nicht identificiert werden dürften.
Die Männer der Wissenschaft erklärten die Blitzblumen für die reinen Problemblumen.
Ganz famos wirkte das Pfeifen, wenn die Blumen in der Luft zergingen.
In einer Nacht, in der die Erde unsichtbar blieb, erreichte die Lichtstärke der Erscheinungen ihren Höhepunkt; ein ganz kunterbuntes Mustergewirre, das wohl nur durch farbige Gläser, die in der Luft durcheinander schweben, vorstellbar zu machen wäre, bedeckte plötzlich den Himmel – und dann schossen gelbe Strahlen durch – und dann bildeten sich oben schillernde Seifenblasen, die ineinander übergingen, wobei sich grüne Wolkenblitze durchschlängelten, nach denen sich ein leises Knirschen vernehmbar machte – wie von nagenden Zähnen.
An den photographischen Apparaten wurde unausgesetzt fieberhaft gearbeitet.
Und die Mondleute an den Apparaten empfanden es immer wieder als Wohltat, wenn die Farbenspiele dieser Blitzblumen mal aussetzten oder sich in matteren Lichtflächen verteilten.
Als man sich an diese Blitzwelt ein wenig gewöhnt hatte, sprachen die Weltfreunde wieder mit verdoppeltem Eifer von den Glasgefilden, wobei sie eifrig die Glassteine, die früher im Jenseits gesammelt wurden, herumzeigten.
»Dort drüben«, sagte Zikáll, »werden wir natürlich nicht leben konnen – wenigstens auf der Oberfläche nicht – das schließt aber gar nicht aus, daß wir Eingänge finden, die uns in die herrlichsten Glasgrotten führen, in denen wir farbiges Tageslicht von oben empfangen – und Luft von unten.«
Zikáll trat jetzt für die Weltfreunde sehr lebhaft ein, und als er mal gefragt wurde, wie er sich denn die Expedition ins Jenseits vorstelle, gab er umständlich Antwort.
»Wir bauen«, sagte der Mann der Wissenschaft «einen großen Motor-Wagen mit mehreren Abteilungen, füllen das Innere mit einer genügenden Masse bester Luft, setzen ein paar Mondleute hinein und lassen sie einfach losfahren. Damit den Leuten nichts passiert, werden wir den Wagen mit langen Draht-Seilen versehen und diese am Rande in den Händen behalten. Der Wagen muß auf allen Seite kleine, aber sehr starke Glasfenster und auch auf allen Seiten Räder besitzen, damit ein gelegentliches Umkippen keinen weiteren Aufenthalt verursacht. Die Mondleute, die im Wagen sind, können uns dann telegraphisch von dem, was sie sehen und entdecken, in Kenntnis setzen. Es wäre wohl praktisch, eine größere Anzahl solcher Motor-Wagen loszulassen – und im Innern des einzelnen nicht mehr als zwei Mondleute unterzubringen, damit die Luft möglichst lange reicht. Es wird sich ja darum handeln, ob wir die Wagenkasten, die wohl Tonnen- oder Röhrenform haben müssen, so luftdicht herstellen können, daß ein längerer Aufenthalt in den Kasten möglich wird. Jedenfalls kann jeder Wagen noch einige Luftschläuche und für den Notfall auch Nasenschläuche mitführen. Ich muß mich übrigens sehr wundern, daß wir das alles nicht schon längst getan haben. Ein paar Meilen können wir auf die angedeutete Weise immerhin vordringen.«
Nach diesen Worten des großen Zikáll, die vor einem großem Publikum gesprochen wurden, zweifelte bald keiner mehr an dem Zustandekommen der Expedition.
Mafikâsu aber wich nicht mehr von Zikálls Seite. Und als dieser erst seine Vermutung von der meilengroßen Glaslinse, die im Zentrum des Jenseits sitzen sollte, bekannt werden ließ- da konnte der Mafi vor Entzücken gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Hypothese von der großen Zentrallinse des Jenseits nach allen Richtungen.
Und Zikáll galt nun als einer der ersten Weltfreunde. Rasibéff jedoch ergriff die Idee noch von einer ganz anderen Seite.
»Wenn«, sagte er zu Zikáll und Mafi, »die Existenz-Möglichkeit einer großen Glaslinse auf der anderen Seite des Mondes bereits als Wahrscheinlichkeit behandelt wird, so möchte ich da noch ganz was andres sagen. Ich möchte fragen: Woher wissen wir denn, daß die andre Seite des Mondes eine Halbkugel ist wie diese Seite? Was wir bisher Mittelpunkt des Mondes nannten, ist doch nur durch einseitige Rechnungen zu dieser Ehre gekommen.«
Zikáll horchte, nickte und ließ wieder tausend Falten sein Gesicht durchzucken, daß der Phosphor nur so glitzerte.
Rasi jedoch fuhr eifrig fort:
»Könnte die andre Seite nicht eine fast horizontale Ebene sein? Könnte der ganze Mond nicht ein Halbkugel sein? Die Experimente mit dem Pendel haben doch Resultate nicht geliefert. Es ist doch immer noch möglich, daß die Todesgrotten dem freien Weltraume ganz nahe sind. Hohlräume finden wir doch da unten nicht mehr.«
Alle, die das hörten, schwiegen lange und dachten lange darüber nach.
Die Männer der Wissenschaft mußten dann manches spitze Wort hinnehmen; sie waren glücklicherweise an die spitzen Worte gewöhnt.
Rasibéffs Idee trug jedenfalls dazu bei, der Expedition ein so wichtiges Ansehen zu geben, daß ein Aufschieben der Geschichte sehr bald nicht mehr anging.
Als daher die hundert Ratsherren bei der nächsten Ratssitzung wieder auf ihren Amethystsäulen saßen, da war allen klar, daß der Sieg dieses Mal auf Seiten Mafikâsus sein würde.
Und als nun Mafi rot wurde und seinen schon längst bekannten Antrag vorbringen wollte, da wurden alle diejenigen, die mit der Expedition einverstanden waren, auch gleich rot.
Und Mafi zählte siebenundachtzig Freunde der Expedition.
Mafi hatte gesiegt.
Zikáll wurde mit der Herstellung der Motor-Wagen beauftragt. Und alles war gespannt.

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In den Fabrikgrotten wurde nun gearbeitet, daß die Funken nur so stoben; die Arbeit an den zur Expedition nötigen Motor-Wagen, Maschinen und Drahtmassen schritt rüstig fort.
Währenddem nahte jedoch für die Weltfreunde jene große Zeit, in der wieder mal der Lanzen-Nebel beobachtet werden mußte; die Ereignisse der letzten Zeit hatten den berühmten Lanzen-Nebel in den Hintergrund gedrängt.
Als nun den Teleskopen der Weltfreunde die richtige Stellung für die Beobachtung des berühmten Nebels, der alle zwanzig Jahre äußerst interessante Erscheinungen zeigte, gegeben werden sollte, da erinnerte man sich plötzlich an eine ganze Reihe von neuen photographischen Apparaten, deren Fertigstellung öfters aufgeschoben war. Und die Weltfreunde wurden sehr unruhig und schickten Abgesandte in die Fabrikgrotten.
Aber dort wurde jetzt bloß für die Expedition gearbeitet – und die photographischen Apparate, die tausend Aufnahmen in der Sekunde ermöglichen sollten, lagen sämtlich unvollendet in der Ecke. Und es stellte sich bald heraus, daß nicht ein einziger der großen komplizierten Apparate bei der nächsten Beobachtung des Lanzen-Nebels in Gebrauch gestellt werden konnte.
Diese Entdeckung brachte im Lager der Weltfreunde eine große Trauerstimmung hervor; die Veränderungen im Lanzen-Nebel gingen alle zwanzig Jahre mit so blitzartiger Geschwindigkeit vor sich, daß die Blitzblumen dagegen die reinen Schnecken waren; andere Apparate kamen nicht in Betracht, da der kosmische Vorgang kaum eine halbe Minute in Anspruch nahm und das Auge nicht genügte.
So mußte denn abermals auf eine photographische Fixierung der Phänomene im Lanzen-Nebel verzichtet werden.
Der Lanzen-Nebel warf alle Vorstellungen, die man bisher vom Werte der Zeit gehabt hatte, einfach um; eine derartig rapide Entwicklungsgeschichte hielt man vordem in einem Sternhaufen mit Millionen größter Sonnen nie für möglich; die Sache überstieg auch das keckste Fassungsvermögen um ein Beträchtliches.
Dieses Mal war wenigstens die Stellung des Nebels eine sehr günstige; es ließen sich nicht weniger als siebzehn Teleskope in die Beobachtungslage bringen, was zum Teil nicht kleine Schwierigkeiten bereitete, da die meisten Teleskope ziemlich tief in den Kratern staken.
Als nun die Zeit herangekommen war, saßen die Weltfreunde in den Beobachtungsräumen dicht gedrängt zusammen; es konnten außer den Führern nur diejenigen dem Schauspiele folgen, die das Los begünstigt hatte; und für die andern gabs nicht einmal wie sonst eine Entschädigung durch Photographien.
Mafikâsu saß in der entscheidenden Nacht mit Rasibéff und elf anderen Weltfreunden im Beobachtungsraume des siebenten Kraters der Granitgebirge vor einem großen magischen Spiegel – und starrte mit brennender Aufmerksamkeit hinein.
In demselben Raume befanden sich noch fünf kleinere Spiegel, die ebenfalls magische genannt wurden. Und vor jedem Spiegel saßen immer dreizehn Mondleute; es war in dem kleinen Raume für mehr Personen nicht Platz.
Alle Anwesenden verhielten sich so still, daß man den Fall einer Träne gehört hätte.
Und was jetzt in den magischen Spiegeln sichtbar ward, das ging so schnell vorüber, daß es den Augen der Mondleute nur stückweise zur Empfindung kam.
Die konzentrierte Aufmerksamkeit war demzufolge eine beispiellose; sämtliche Mondleute, die beobachten durften, hatten sich auf diese paar Momente besonders vorbereitet.
Die Führer hielten es zumeist für gut, vorher längere Zeit zu schlafen, was der Mondmann immer kann, wenn ers grade will; traumlos ist der Schlaf.
Andre Mondleute hielten es für richtiger, recht lange vorher die Lichtluft der Delikatessgrotten einzuatmen und dann Schwitzbäder zu nehmen. Mancher pflegte sich durch längeren Flug in den obersten Schichten der außerhalb befindlichen sogenannten Krustenluft auf die anstrengende halbe Minute vorzubereiten.
Und – die berühmte halbe Minute kam.
Im magischen Spiegel, vor dem Mafi und Rasi saßen, erschien der Lanzen-Nebel als ganz stille kugelrunde Wolkenmasse.
Aber was jetzt folgte, übertraf alle Erwartungen, da die Erscheinungen dieses Mal einen ganz andern Charakter trugen als sonst.
Vor zwanzigJahren hatte sich die Wolke blitzschnell in eine Reihe von Säulen verwandelt, und diese Säulen hatten sich gleich nachher wieder in einen Würfel verwandelt. Und dieses Spiel hatte sich unter Funkenbildung gleich wiederholt und dann mit unregelmäßigen Wolken umhüllt, die sich schließlich wieder zur alten Kugelform zusammenballten.
In den früheren Perioden wars wohl immer etwas anders gewesen, doch blieben die Entwicklungsphasen in einer bestimmten Linie – die Säulen bogen sich mal oben hakenförmig um – der Würfel wurde mal zum Balken oder zum Ellipsoid – aber markantere Novitäten brachen in der Linie nicht durch – der Rahmen schien immer gegeben zu sein.
Ganz anders jetzt!
Haarfeine Blitzlinien schlagen plötzlich aus der Kugelwolke heraus – und die kraus aufgestiegenen Linien bleiben und werden dicker – und die Wolke verschwindet.
Es ist zu erkennen, daß die Linien allmählich so werden, wie die Milchstraßen sind.
Der Lanzen-Nebel ist außerordentlich weit entfernt – und dieses rasche Entstehen von lauter Sonnen ist den Mondleuten ganz was Neues und setzt sie in großes Erstaunen.
Eine Sekunde später stehen aber die Blitzlinien alle grade wie Säulen – das Ganze sieht aus wie ein Nadelball, dessen Spitzen in einer Kugeloberfläche liegen.
Und mit einem Ruck werden diese Säulen, in denen doch unzählige Sonnen glühen, nach allen Richtungen rausgeschleudert, kippen um, schaukeln hin und her und schweben auf und ab und stellen sich nach und nach dicht nebeneinander in einer Reihe auf wie Soldaten auf den Exerzierplätzen der Erdballkruste.
Diese Parade-Erscheinung, die den Namen >Lanzen-Nebel< hervorrief, ist schon von früherher bekannt, – auch die nun folgende, in der sich die Säulen zusammenziehen und eine Art Balken bilden.
Während aber sonst der Würfel oder der Balken einen opalisierenden Farbenglanz empfing, wirkt dieses Mal alles wie Gold – und es ist deutlich zu erkennen, daß auch noch der Balken aus lauter Sonnen besteht.
Vom querliegenden Balken lösen sich jetzt rechts und links die äußersten Seitensäulen los und steigen nach oben, krümmen sich oben nach außen und schießen kreisförmig herum, und die Schnelligkeit ihrer Bewegung wird gleich so stark, daß rechts und links vom Rechteck nur noch zwei goldene Kreislinien zu sehen sind.
Die Mondleute glühen vor Aufregung, man hört ihr heftiges Atmen.
Und mit kaleidoskopartigem Ruck verwandelt sich dieses Bild in ein Rad mit tausend Speichen, dem der Reifen fehlt.
Dieses reifenlose goldene Rad steht ganz still und fängt an zu zittern.
Und dann heben sich die Speichen langsam vom Mittelpunkt ab nach allen Seiten, so daß ein rundes leeres Loch in der Mitte bleibt, das bald wolkenartig opalisiert.
Und im nächsten Moment sieht der Lanzen-Nebel wie eine Schießscheibe aus mit lauter bunten Ringen.
Und plötzlich verwandelt sich das Ganze abermals mit einem einzigen Ruck in einen querliegenden goldenen Balken; in dem lassen sich aber einzelne Kugelsonnen nicht mehr erkennen; die Kugelform der Sonnen scheint sich in Krystallformationen umgebildet zu haben.
Doch kaum erholen sich die Mondleute bei diesem Anblick, so lösen sich auch schon regelmäßige goldene Würfel von dem Balken los; der ganze Balken verwandelt sich in Würfel, die sich langsam drehen und hin und her schweben, ohne sich zu stoßen.
Und dann werden die Würfel schneeweiß und schießen in den Mittelpunkt des Ganzen, daß alles sich entzweischlägt.
Und gleich darauf ist wieder die alte kugelrunde Wolkenmasse da.
Das Schauspiel hatte nur einen Zeitraum von sechsundzwanzig Sekunden in Anspruch genommen.
Die siebzehn Teleskope geben sich die verabredeten Zeichen, und die Führer sprechen durch die Schalltrichter.
Sofort werden die Berichte aufgesetzt und miteinander verglichen.
Die Berichte werden denen, die in die magischen Spiegel nicht hineinsehen durften, gleich bekanntgegeben.
Und bald wissen alle Mondvölker, was im Lanzen-Nebel los war.
Mafikâsu beruft eine allgemeine Versammlung in den großen Schallsaal.
Der große Mafi glüht wie eine Bombe und will so rasch wie möglich seine Meinungen über die neuesten Ereignisse zum besten geben.
Und an die hunderttausend Mondleute versammeln sich im großen Schallsaal, dessen Deckengewölbe ziemlich glatt sind.
Ringsum an den Wänden lassen sich die Mondleute auf den Vorsprungen nieder, so daß bald alle Wände des runden Saales ganz mit Mondleuten bedeckt sind.


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Die Mondleute erleuchten den Saal durch das Phosphorlicht, das ihre Leiber ausstrahlen. Ein Saal, dessen Wände aus lauter aufeinandergestellten Schneemännern zu bestehen scheinen.
Und Mafi erhält das große Sprechrohr, das einer Posaune ähnelt.
Und der große Weltfreund hängt sich an der Decke in einen schaukelnden eisernen Ring, beugt den Rumpf nach unten und redet nun durch das Sprechrohr hinunter zu den Versammelten; wie ein Posaunenengel schaukelt der große Mafi da oben in seinem Ring an der Decke – das Folgende redet er:
»Die Ereignisse der letzten Nacht sind so kolossale gewesen, daß es mir nötig erscheint, sofort an dieser Stelle das zu sagen, was nach meiner Meinung hier das Wichtigste ist.«
Alle Mondleute, die versammelt sind, halten beide Hände muschelförmig an den Ohren, um besser hören zu können.
Mafi fährt fort: »Wir haben einen Blick in kosmische Verhältnisse getan, die unserm Vorstellungsvermögen kaum näherzubringen sind. Der berühmte Lanzen-Nebel, der alle zwanzig Jahre nur einmal aufwacht und dann während einer knappen halben Minute ein furchtbar intensives Leben führt, ist uns sowas Neues und Unheimliches, daß wir fürchten müssen, unser bißchen Verstand zu verlieren, wenn wir versuchen wollten, darüber ins klare zu kommen. Eines aber scheint uns durch dieses kosmische Wunder begreiflich zu werden: Wir sehen, daß sich diese Sternmasse gewöhnlich als etwas Einheitliches und Ganzes präsentiert. Und mit fabelhafter Geschwindigkeit gelingt es diesem Ganzen, sich plÖtzlich in Millionen – ja wohl auch in Billionen und mehr Teile zu teilen. Hieraus erkennen wir, daß dieser Nebelfleck noch mehr als ein Doppelleben führen kann – er kann plötzlich ein trillionenfaches Leben führen. Vielleicht ist die Zahl seiner Teilwesen so groß, daß Zahlen dafür nicht mehr denkbar sind. Hier bietet sich uns die höchst komplizierte Natur der astralen Lebewesen in den allergrößten Dimensionen dar. Während wir früher schon das Verhältnis der Teilwesen zum Ganzen für kompliziert genug hielten, sehen wir jetzt ganz deutlich, daß es darüber hinaus noch ganz andre Komplikationen gibt, die noch viel knotenreichere Rätsel aufgeben; eine Masse von ungeheurer Ausdehnung, die plötzlich in ein paar Atemzügen große Sonnensysteme aus sich erzeugt, die nur ein paar Sekunden existieren – das schafft uns ja einen ganz neuen Begriff vom Wert und Wesen der Sonnensysteme – die sind wahrscheinlich ganz nebensächliche Begleiterscheinungen von ganz andren Lebensäußerungen, die uns nicht einmal in Lichteffekten bemerkbar werden. Der Lanzen-Nebel könnte uns vielleicht die wichtigsten Aufschlüsse über kosmische Lebensverhältnisse geben. Und wir hätten nicht bloß zu beklagen, daß die neuen photographischen Apparate nicht rechtzeitig fertig wurden – wir hätten noch viel mehr zu beklagen, daß uns nicht viel, viel größere Teleskope zur Verfügung stehen. Ich erhebe daher noch einmal meine Stimme und bitte die Versammelten, mit Ernst und Eifer an das große Teleskop der Zukunft zu denken, das, wie jeder weiß, die Länge des Monddurchmessers erhalten soll. Nach den ungeheuren unbegreiflichen Wundern, von denen wir in dieser Nacht kleine Bilder in unsern magischen Spiegeln sahen, wird jeder sicherlich die Sehnsucht haben, bald mehr sehen zu können – mehr von der ungeheuren, ergreifenden, erdrückenden und erhebenden Grandiosität der herrlichen Welt, die sich unsern Sinnen zu öffnen vermag- wenn wir die richtigen Vergrößerungsgläser besitzen! Vergeßt das nicht – und wir wissen vielleicht in tausend Jahren mehr von der großen Weltnatur.«

Mafi steckte das Sprechrohr in den Ring und schwebte langsam hinunter als großer roter Glutball – im Schallsaal war die Luft sehr dünn.
Und von den Wänden lösten sich die hunderttausend Zuhörer los und flogen wie Schneegestöber durcheinander.
Viele stießen dumpf mit ihren Ballonbäuchen zusammen, und dazu trommelten alle auf ihrer straffen Ballonhaut, so daß eine Trommelmusik entstand, die sich harmonisch zu mächtigen Tonmassen entwickelte, deren melodiöse Ansätze immer wieder von prasselndem und rauschendem Wirbel zerrissen wurden.
Rasibéff flog an Mafikâsus Seite – und von allen Seiten begrüßte man die beiden mit erhobenen Händen und flatternden Fingern, so daß die Trommelmusik plötzlich gedämpft erklang.
»Der Mafi hat«, sagte draußen der Zikáll, »mehr Glück als Verstand! So was von Erfolg ist noch nicht dagewesen. Und der Mafi tut nichts dazu; er redet nur vor Aufregung eine ausschweifende Rede und triumphiert trotzdem. Knéppara kann einpacken. Die Revolutionspartei siegt.«
Nun verbreitete sich in den nächsten Tagen die Nachricht, daß die Motor-Wagen mit allem Zubehör in den Fabrikgrotten fertiggestellt seien.
Der Expedition stand also nichts mehr im Wege.
Und die Mondmänner trugen die Motor-Wagen wie Triumph-Wagen an den Mondrand.
Es streckten sich so viele Hände hilfsbereit aus, daß immer an die zehntausend Mann einen Wagen an Stangen und Strikken tragen konnten.
Es sah sehr lustig aus, wie die kugelrunden, rotglühenden Mondleute mit den großen Tonnen über die Krater des Mondes dahinschwebten – mitten im grellsten Sonnenschein im sammetgrünen Himmel.
Es stellte sich sehr bald heraus, daß sämtliche Mondvölker vollzählig an dem Rande, der zum Jenseits führte, versammelt waren.
Selbst Knéppara war mitgekommen.
Und nun begann das Aufstellen der Wagen und das Erwärmen der Maschinen und das Aufwickeln der Drahtmassen.
Und dann kam das Abschiednehmen derer, die hineinfahren wollten ins unbekannte gläserne Land.
Und dann wurden die Wagen probeweise losgelassen.
Und dann wurden die kleinen Reparaturen vorgenommen.
Und dann gings endlich wirklich los.
Die Glasfenster in den Wagen funkelten im Sonnenschein. Und Räder waren an allen Seiten der großen Tonnen, so daß die ganz gemütlich umfallen konnten; das schadete nichts.
Mafi saß mit Zikáll, Knéppara mit seinem Inspektor zusammen, und der große Loso fuhr ganz allein in einer kleineren Tonne.
Und am Rande sahen die Mondvölker den funkelnden, wackelnden, aber ziemlich schnell weiterfahrenden Tonnen mit Begeisterung nach.

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Man hatte bei der großen Aufregung gar nicht bemerkt, daß die bunten Blitzblumen in der letzten Zeit nur noch ganz vereinzelt gesehen wurden; ihre Größe hatte allmählich sehr abgenommen.
Aber nach der Abfahrt der Wagen, deren Zahl sich auf fünfzig belief, ließen sich die Blitzblumen ganz und gar nicht mehr sehen; Rasibéff wars, der hierauf zuerst aufmerksam machte und diese Tatsache selbstverständlich als ein für die Weltfreunde sehr erfreuliches Zeichen betrachtete.
Und nun leitete Rasibéff mit den Weltfreunden eine ganz energische Agitation ein; er wollte besonders die von den fünfzig Wagen einlaufenden Telegramme für die Zwecke der Weltfreunde benutzen; Knéppara war ja nicht da, und seine Abwesenheit mußte doch benutzt werden.
Die Telegramme ließen natürlich nicht lange auf sich warten; es wurden beim Telegraphieren zumeist die Drahtseile benutzt, an denen die Wagen gefesselt waren; die Wagenführer bedienten sich auch der Schalltrichter – doch nicht zu oft.
Zunächst enthielten die Nachrichten begeisterte Schilderungen von den wundervollen Glassteinen.
Es ist unglaublich, telegraphierte der große Erd- und Glasfreund Loso, was für wundervolle Glassorten hier überall zu sehen sind. Uber die einfachen Farbenwunder, die von der Luftgrenze aus sichtbar sind, brauche ich ja Weiteres nicht zu sagen. Aber das Herrlichste entfalten nun die weiten Platten und Ebenen, die von verschiedenen Farben koloriert sind Eisflächen unter buntem Himmel geben kaum eine Ahnung; die Eisflächen, die wir auf der Mondoberfläche zeitweise sehen können, zeigen sich ja nur noch in der Umgebung des Kupferkraters und sind viel zu klein. Hier aber ist alles im größten Stile da: weiße Felder mit unzähligen gelben und schwarzen Flecken – in graden Linien blau gestreifte Purpurgebirge – und ganz bunt gestreifte in herrlich geschwungenen Linien! Oft hängen grüne und perlartig schimmernde Glaskugeln wie die Trauben blühender Moosarten hoch oben an den steilen Gebirgsrändern. Und die Glaskugeln schimmern! Was haben die Mondleute versäumt, daß sie erst jetzt eine Expedition aussandten! Der Himmel ist hier am Tage grau und nachts braun; die Sterne sind wie drüben bei Euch.
Es fiel dem Rasibéff und seinen Freunden natürlich nicht schwer, dieses Telegramm im weltfreundlichen Sinne zu verwerten. Wenn die jenseitige Mondhälfte so großartig war, so mußte es doch bald wie ein großes Unrecht aussehen, wenn man immer noch zögern wollte, die großen Bohrarbeiten im Mittelpunkte des Mondes in Angriff zu nehmen.
Und nun liefen gleichzeitig von zwanzig Seiten Telegramme ein mit Berichten von großen herrlichen Höhlen, die man unter dem durchsichtigen Glase entdeckt hatte.
Diese Höhlen wurden von den Wagenführern in ganz sinnverwirrenden Worten geschildert.
Und so lief immer mehr Wasser auf die Mühle der Weltfreunde, obschon das Wasser auf dem Monde sehr knapp war.
Und es gab bald keinen Erdfreund mehr, der nicht ein paar Dutzend Male seine Partei für verloren gehalten hätte.
Zikáll telegraphierte, er bemerke mit Staunen, daß kaum der vierte Teil der von ihm gesehenen Glasmassen undurchsichtig sei.
Und die anderen Wagenführer bestätigten das.
Hieraus folgt, sagte Zikáll, daß die Glasgrotten am Tage einfach taghell erleuchtet sein müssen – selbst noch in sehr großen Tiefen – da ja sogar das undurchsichtige Glas das Licht noch immer in großer Fülle durchläßt – während andrerseits die durchsichtigen Glasmassen die Stärke des Tageslichtes noch vervielfältigen können.
Rasibéff geriet ganz außer sich, als er diese Äußerungen des großen Zikáll zu Gesichte bekam.
»Unter diesen Umständen«, rief der Pflastermann, der jetzt in den Todesgrotten nicht viel zu tun hatte, »ist es beinahe zu leicht, für die Weltfreunde Partei zu nehmen. Wenn die Sache derartige Fortschritte macht, so wird ein Widerspruch bald schwer werden. Knéppara hat einen großen Fehler begangen, daß er durch sein Fernsein dem Rasibéff die Arbeit so leicht machte. «
Die nun folgenden Telegramme schlugen aber dem Faß einfach den Boden aus; viele Führer der Erdfreunde, die sonst nie den Kopf verloren, erklärten feierlichst, daß sie jetzt ihre Sache aufgäben.
Vom siebzehnten Wagen lag folgender Bericht vor:
Heute ist ein Rubin mit einem Durchmesser von einer halben Meile in Sicht gekommen. Der Farbenbrand der einen Ecke hat eine Lichtstärke, die fünfzigmal die der Sonne übertrifft. /ch halte mit meinem Wagen an und notiere genau die Effekte, die der Farbenbrand des großen Rubins auf der Umgegend erzeugt; die Reflexbilder sind in folge der Mondbewegung in jedem Augenblick andre. Ein paar Hauptmomente werde ich photographieren.
Und ähnliche Telegramme folgten von allen Seiten, so daß diejenigen Mondleute, die nach der Abfahrt der Wagen zu ihren Teleskopen zurückgekehrt waren, diese von neuem verließen und sich in hellen Scharen zur Luftgrenze begaben, um die neuen Telegramme noch schneller kennenzulernen – obgleich das eigentlich kaum möglich erschien, da die Telegramme stets ohne Aufenthalt weitergegeben und überall in jedem Krater gleichzeitig lesbar wurden.
Doch die Ungeduld tut oftmals Dinge, die gar nicht getan zu werden brauchen – und dennoch so gerne getan werden, obschon jeder weiß, daß sie ganz unnütz sind.
Die allgemeine Erregung steigerte sich von Stunde zu Stunde derart, daß mancher vorsichtige Mondmann sagte:
»Kinder! Wenn das so weiter geht, so fürchte ich, daß uns bald die Bäuche platzen – vor lauter Spannung.«
Und Mafikâsu telegraphierte:
Ich sehe heute durch mein Fernrohr einen Diamantengletscher- in Bewegung. Dieses Schauspiel zu beschreiben, ist mir unmöglich, da mein Begleiter mir keinen Augenblick Ruhe läßt. Zikáll interessiert sich für den in Bewegung befindlichen Diamantengletscher nicht im mindesten. Und ich klage hiermit Zikáll an, daß er nicht mit mir zusammenhä
Dieses Telegramm brachte eine kleine Verwirrung hervor, da man durchaus nicht wußte, was denn den Zikáll bewegen sollte, derartig rücksichtslos zu sein; die Sache sah unbegreiflich aus. Und alle warteten auf Zikálls Erklärung. Und die ließ auch nicht lange auf sich warten.
Zikáll telegraphierte sehr hastig und mit orthographischen Fehlern: Mache die Entdeckung, daß eine größere Anzahl seeartiger Glasebenen ausgesprochenen Linsencharakter trägt. Ich halte es für wahrscheinlich, daß wir im Mittelpunkte der Glasseite eine kolossale Glaslinse entdecken werden, die wir zu Teleskopzwecken im Naturzustande wohl benutzen könnten. Die Glaslinsen, die ich sehe, werden immer größer. Die Erbauer des großen Telesko ps, das die Länge des Monddurchmessers haben soll, können sich freuen.
Nun – über diese Nachricht freuten sich die Weltfreunde ganz gehörig- und mancher Erdfreund desgleichen.
Und alle lachten, daß sich Zikáll in seinem Eifer gar nicht entschuldigte.
Und die beiden großen Führer und Ratsherren erhielten ein paar Tausend Glückwunschtelegramme – und die machten ihnen in ihrer Tonnen-Droschke so viel Spaß, daß sie nahe dran waren, umzukehren.
Sie kehrten aber noch nicht um.
Loso, der allein fuhr, dachte ebenfalls darüber nach, ob es nicht bald Zeit sei, heimzukehren.
Er tat es aber ebenfalls nicht, denn die enfernteren Ebenen, die er durch das vordere runde Fenster seiner Tonne sah, reizten ihn immer mehr und mehr.


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»Oh, wie viele Glasfenster«, rief er leise, »lassen sich aus allen diesen Glasfeldern herstellen! Unsre Museen können sämtlich Tageslicht bekommen. Doch siehe – was ist denn das?«
Der Loso setzte noch einmal die Fensterbürsten in Bewegung die draußen flink rauf- und runterflogen, sobald auf den dicken Knopf nebenan gedrückt wurde.
Und dann putzte der Loso nochmals seine Vergrößerungsgläser und das lange Fernrohr – und sah dann mit allen seinen Instrumenten hintereinander in die Ferne.
Und in der Ferne sah er nun große Würfelgebirge – blaue und blanke, die funkelten. Doch diese fernen übereinanderliegenden Würfel gingen so steil in die Höhe, daß die Tonnenwagen da ganz bestimmt nicht rauf kommen konnten.
Und der große Loso telegraphierte: Hohe Würfelgebirge uersperren mir infamerweise den Weg. So weit ich sehen kann, ist weder rechts noch links daran herumzukommen. Ich werde bis dichte ranfahren und dann kehrtmachen. Ich bitte die Monduölker, auf der Bauchtrommel einen neuen Wirbel einzuüben, damit wir bei unsrer Rückkehr richtig geehret werden.
Dieselben Würfelgebirge, die ein paar hundert Meilen lang waren, bewegten noch zehn andre Tonnenwagen zur Umkehr.
Andre Wagen – zwanzig Stück – hatten ein andres Pech: Sie gerieten auf so spiegelglatte Glasebenen, daß die Räder sich bald drehten, ohne die Wagen weiterzubringen. Es kam den Wagenführern so vor, als wenn die Glasflächen eingeölt seien. Da es nun einfach nicht mehr vorwärts ging, mußten sich die Herren zurückziehen lassen, was auch mit Hilfe der Drahtseile ganz gut gelang.
Doch nachdem diese zwanzig Wagen wieder auf ein befahrbares Pflaster gelangt waren, gaben es die Wagenführer auf, die Expedition seitwärts weiter auszudehnen.
So kams, daß bald dreißig Wagen wieder in die dicke Luft des Mondes gelangten und allda sehr feierlich mit neuem Bauchgetrommel, das sich wie irdisches Vogelgezwitscher anhören sollte, begrüßt wurden.
Knéppara war mit seinem Wagen in eine tiefe Schlucht geraten; er hoffte, daß er da unten eine Öffnung finden könnte, um dadurch ins Innere des Mondes zu gelangen. Doch diese Hoffnung erwies sich als eine trügerische.
Da sich Knéppara mit Hilfe der Drahtseile zurückziehen lassen mußte und dieses Zurückziehen nur sehr langsam ausgeführt werden konnte, so hatte der große Knéppara leider von der Expedition am wenigsten, da sein Horizont in der Tiefe zu lange beschränkt war.
Es stellte sich bald heraus, daß von sämtlichen Wagen nicht eine einzige Öffnung in der Glasdecke wahrgenommen wurde; auch in den kraterartigen Glasbergen, auf die einzelne Wagen hinaufgefahren waren, ließ sich von Öffnungen nichts entdecken – das Innere der Krater war stets von Glas ausgefüllt – was sich durchweg seeartig ausnahm.
Der eine Wagen, der von einem ziemlich tollkühnen Weltfreunde geführt wurde, fuhr sogar auf einen solchen Glassee hinauf und brach nicht ein.
Die Wagen hatte man so gebaut, daß sich die Räder, die zu den Reifen rechtwinklig standen, mit Leichtigkeit einziehen ließen; beim Runterfahren konnten daher die Tonnen gelegentlich seitwärts wie ganz gewöhnliche Tonnen an den Abhängen runterrollen – dabei mußten jedoch die Drahtseile sehr rasch gedreht werden – mit welchem Umstande die Maschinenbauer wohlweislich gerechnet hatten – die Drahtseile drehten sich in der Tonne beim Seitwärtsrollen von selbst.
Bei diesem gefährlich aussehenden Hinabfahren bliesen die Insassen der Gefährte ihren Bauch etwas auf und steckten den Kopf einfach in die Bauchhaut hinein – und zwar so tief, daß der Rumpf auch gleich von der dicken Bauchhaut umschlossen wurde; dieses Verfahren schützte gegen jeden Stoß ganz ausgezeichnet; der Mondmann wurde dabei zum unempfindlichen Gummiball.
Es war nun schon ein gutes halbes Jahr seit Abgang der Expedition verflossen – und nur noch siebzehn Wagen befanden sich unterwegs.
Da kam ein Telegramm von Mafikâsu und Zikáll an – das lautete einfach:
Drahtseile verlängern. Wir müssen weiter. Die übrigen Wagen können samtlich zurückgezogen werden.
Das Telegramm rief eine allgemeine Neugierde wach – und den sechzehn anderen noch auf der Fahrt befindlichen Wagen wurde die Geschichte sofort mitgeteilt.
Und die Sechzehn kehrten sofort um.
Und nun konzentrierte sich das ganze Interesse der Mondvölker nur noch um den einen Wagen, in dem Mafikâsu und Zikáll dahinfuhren.
Und sie fuhren immer weiter und ließen die Mondvölker beinah fünfzehnhundert Stunden ohne Nachricht.
Dann aber kams!
Zikáll telegraphierte:
Wir sind jetzt soweit gekommen, daß wir endlich sagen können, was wir entdeckt haben: Nach den bisherigen Bodenmessungen und nach der Zeigerstellung unsres kombinierten Radpendels müssen wir erklären, daß wir dem Mittelpunkte unsres Sterns itzo näher sind als auf jedem anderen Teile der uns bekannten Mondoberfläche. Und hieraus geht hervor, daß wir uns den Mond fürderhin nicht mehr als Kugel vorzustellen haben; die Glasseite des Mondes hat einen großen Riesenkrater in der Mitte. Wenn wir nicht irren, befinden wir uns auf dem Rande des großen Riesenkraters. Wir werden diesen Rand nicht durchfahren können – dazu sind die Terrainschwierigkeiten zu groß. Aber – zu bezweifeln ist nicht mehr, daß der mittlere Teil der hinteren Seite unsres Mondes von einer kolossalen Glaslinse ausgefüllt sein muß. Und diese viele Meilen breite Glaslinse wird ebenso wasserklar sein wie die der kleineren Krater, von denen wir fünf genau untersucht haben. Die außerordentlich wilde Natur der Glasgebirge, in denen wir hier umherfahren, gestattet uns nicht, weiter vorzudringen. Aber dem Mittelpunkte des Mondes sind wir näher denn sonst – und das genügt ja, wenn wir beweisen wollen, daß die Glasseite lange nicht so viel Ausbauchung besitzt- wie die Halbkugelform der vorderen Mondseite. Die hintere Seite ist eben so eingedrückt worden, daß der ganze Mond eine Art Mützenform erhielt; auch ein etwas angezogener Mondmannsbauch ist dem Bilde unsres Sterns ähnlich. Leider kommen wir schlechterdings nicht weiter – auch die besten Fahrzeuge würden hier nichts nützen. Die steilen senkrechten Felswände aus purem Glas mehren sich – und der Boden wird so ölig, daß wir uns ganz verwundert fragen, wie es möglich war – so weit zu kommen. Das ist das reine Wunder!
Und Mafikâsu telegraphierte: Derjenige Monddurchmesser, der für das große Fernrohr jetzt ganz allein in Betracht kommt, ist also kürzer, als wir dachten. Und da wir jetzt doch die Rückseite des Mondes näher kennenlernen müssen, so lassen sich die Bohrarbeiten im großen Stil nicht mehr aufschieben.
Als diese Telegramme der liebe Rasi las – da weinte er vor Freude.

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»Auf der Glasseite lassen sich eben Bohrarbeiten nicht ausführen – dazu fehlt uns eben die Luft. Und wollten wir einen Wagen glatt anlegen auf eine glatte Fläche und dann durch den Wagenboden durch gleich hineinbohren ins Glas – so wäre das doch zu umständlich, da ja der Wagen der Bohrma schinen wegen so groß sein müßte, daß es schwerfallen I dürfte, ihn weiter ins Glasland hineinzuschaffen; die glatten I Flächen sind nicht gleich am Luftrande da.«
Also sprach Zikáll, nachdem er mit Mafi seine Mondvölker wiedergesehen hatte.
Das war ein Wiedersehen gewesen!
Zittern vor Freude taten die Weltfreunde und glühen taten sie, daß der grüne Himmel beinahe ganz rot wurde – denn die Mondleute waren doch in so großen Scharen an den Luftrand eflogen, daß die Atmosphäre an der Stelle, an der der letzte der fünfzig Wagen zurückkehrte, von oben bis unten und nach allen Seiten ganz und gar mit Mondleuten angefüllt erschien.
Das war ein herzerquickender Anblick gewesen für die beiden großen Mondmänner, die in ihrer Tonne am Fenster saßen; die Fenster hatte man der Sicherheit wegen sämtlich durch Drahtnetze geschützt, so daß die drinnen Sitzenden von außen nicht gesehen werden konnten.
Und so wurde das Wiedersehen der beiden großen Entdekker für alle Mondvölker ein ganz plötzliches.
Mafikâsu und Zikáll schwebten nun im Mittelpunkte der Tagesinteressen.
Und alle Mondvölker lauschten nun tagelang den Worten der beiden – wie Offenbarungen.
Und dem Knéppara mit seinen Erdfreunden, soweit sie ihm noch treu bleiben mochten, fiel es sehr sauer, sich Gehör zu verschaffen.
Die Mondmänner vernachlässigten ihre gewohnte Tätigkeit an den Kraterteleskopen und interessierten sich bloß noch für die neu entdeckte Mützengestalt des Mondes – und besonders für die große natürliche Glaslinse, die in der Mitte der Glasseite sitzen sollte.
Die Versammlungen in den großen und kleinen Versammlungsgrotten folgten einander immerzu; es riß gar nicht ab.
Indessen – Knéppara sprach in einer dieser Versammlungen ein paar Worte, die nicht unbeachtet bleiben konnten. Knépp sagte:
»Ich halte mich doch für verpflichtet, die Mondleute vor voreiligen Handlungen, so gut ichs kann, zu warnen. Wir alle wissen, daß Meteore auf der von uns bewohnten Mondseite sehr selten herunterfallen. Jedoch gleichzeitig wissen wir, daß die Meteore in die Luft der Erde zu Tausenden hineinfliegen. Nun ist die Erde durch eir.en anderthalb Meilen breiten Luftgürtel geschützt. Hätte die Erde nur so wenig Luft an ihrer Oberfläche wie der Mond auf der von uns bewohnten Seite, so wäre alles, was die Erdmänner geschaffen haben, längst von den Meteoren kurz und klein geschlagen.«
»Das würde nicht sehr zu bedauern sein!« rief da ein Mondmann aus.
Doch der Knéppara fuhr fort:
»Es ist nicht unsre Aufgabe, über Dinge, die auf andern Sternen vorgehen, unser Mißfallen oder unser Frohlocken zu äußern. Und ich verstehe nicht, wie ein Mondmann, der doch der Welt gegenüber immer nur unbeteiligter Zuschauer bleibt, eine derartige Bemerkung machen kann.«
»Ein Erdmann sprach wohl aus ihm!« rief da eine Stimme aus dem Hintergrunde.
Es trat eine Pause ein. Knéppara trommelte nervös auf seinem Ballonbauch, und ein paar Weltfreunde baten, den Redner doch nicht mehr zu unterbrechen.
Und da sagte dieser leise und eindringlich:
»Da nun aber auf der Glasseite des Mondes gar keine Luft ist und dort auch keine Erde die Meteore ablenkt, so muß doch die natürliche Linse, die für das große Teleskop benutzt werden soll, mit Meteoren einfach gespickt sein.«
Nun – diese Bemerkung zog. Und die Freunde des großen Teleskops wußten lange nicht, was sie sagen sollten.
Wohl meinten einige, daß die Existenz der natürlichen Linse ja noch gar nicht bewiesen sei. Und andere behaupteten, das große Fernrohr ließe sich auch, ohne die Naturlinse zu beachten, mit einer Kunstlinse herstellen, da ja Glas in genügender Menge vorhanden sei.
Aber die Verstimmung blieb, denn die Gefährlichkeit der Meteore erschien allen als nicht zu leugnende Tatsache.
Dieser Knéppara war ein zu verachtender Gegner in keinem Fall.
Doch da ergriff zur rechten Zeit wieder der große Zikáll das Wort und äußerte sich in einer Drucksache folgendermaßen:
Die Bewegungen der meisten Meteore, die in unserem Sonnensysteme herumschwirren, schließen sich im großen und ganzen den Bewegungen der Planeten und Monde an und umkreisen mit diesen – wenn auch in komplizierteren Kurven – unsre Sonne so gut wie wir. Und das hat zur Folge, daß alle Meteore nicht in senkrechten, sondern nur in sehr schragen Linien auf die größeren Sterne und Monde fallen. Nun ist aber ohne Frage die natürliche Linse, die wir inmitten der Glasgefilde vermuten, ziemlich tiefliegend – und vielleicht nicht allzufern von den Todesgrotten. Was will denn da der Knéppara? Die Linse ist doch durch die höheren Gebirge, von denen sie kraterartig auf allen Seiten umgeben ist, genü gend geschützt. Wir müssen doch annehmen, daß diese Ge birge, die die Spiegelfläche der Linse umschließen, diese Linse viele Meilen hoch überragen. Ja – es ist nicht unwahrschein lich, daß sich d ie Linse in einem Loche befindet, das mehr als hundert Meilen tief ist. Wir sind durchaus nicht berechtigt, anzunehmen, daß die Meteore der großen Linse gefährlich geworden seien; alle Kreaturen – und auch die Sterne – pfle gen ihre empfindlichen Organe an geschützten Stellen zu ha ben. Vergessen wir nicht, wie gut unsre Augen geschützt sind. Unsre Fühlhörner sind so empfind lich, daß wir jedem Meteor aus dem Wege gehen müssen – und da sollte der große Mond Organe haben, die jeder dumme Meteor zertrümmern kann? Das ist doch wohl nicht anzunehmen.
Die Mondvölker atmeten auf nach dieser Rede.
Und es dauerte nicht lange, so wurde auf Beschluß aller cine große Ratssitzung anberaumt, in der endlich über das Schicksal der großen Bohrarbeiten endgültig beraten werden sollte.
Um dem Knéppara nicht Zeit zu lassen, weitere störende Bemerkungen zu machen, hielten es die Weltfreunde für gut, die Ratssitzung womöglich sofort abzuhalten.
Und das ging auch.
Und dann saßen die hundert Ratsherren wieder auf ihren Amethystsäulen und dachten nach über ihr zukünftiges Leben.
Und an den Wänden aus Bergkrystall lagerten die Völker des Mondes in großen Scharen.
Und da nicht alle in der Ratsgrotte Platz hatten, so ließen sich auch viele oben und auf dem Rande des Kraters nieder. Und auch die äußeren Seiten des Kraters wurden dicht besetzt.


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Und alle diese Volksmassen, in denen alle Nationalitäten vertreten waren, saßen mäuschenstille da, so daß man kaum ihr Atmen hörte.
Und neunundneunzig Ratsherren sahen schweigend und erwartungsvoll den großen Herrn Knéppara an.
Und nach einem langen Schweigen sprach der Knéppara also:
»Die Erdmänner haben für uns eine außerordentliche Bedeutung gewonnen. Es ist mir und meinen Freunden verdacht worden, daß wir uns mit so viel Eifer um die Erdmänner kümmern, obschon wir wissen, daß sie niedrigstehende, beklagenswerte Geschöpfe sind, die einer Entwicklungsstufe angehören, die wir auf dem Monde so lange hinter uns haben, daß wir uns ihrer gar nicht mehr zu erinnern vermögen, obschon wir an schlechtem Gedächtnis wahrlich nicht leiden. Es wird namentlich mir persönlich vorgeworfen, daß ich mich von dem ekelhaften Auf- und Ableben der Erdkreaturen nicht unangenehm berührt fühle. Nun möchte ich bitten, die Objektivität des Zuschauers nicht für Urteilslosigkeit zu halten – und auch nicht mit Unempfindlichkeit zu identificieren. So was mutete doch sonst ein Mondmann dem andern nicht zu. Ich gestehe, daß mich das ganze Leben der Erdmänner in all seiner viehisch fressenden Rohheit ebenso abstößt, wie es jeden Weltfreund abstößt. Andrerseits bin ich aber doch der Uberzeugung, daß selbst unter so niedrigstehenden Kreaturen bereits einzelne sein können, deren Gesellschaft uns vielleicht nicht so furchtbar unangenehm sein würde. Und diese paar besseren Erdleute, deren Zahl naturgemäß sehr winzig ist, veranlassen mich, die Sache der Erdfreunde nochmals zu verteidigen. Ich weiß, es wird mir der Kampf wahrlich nicht leicht gemacht. Ich strebe auch nicht mehr danach, als ein Sieger aus diesem Kampfe hervorzugehen. Ich will nur retten, was noch zu retten ist. Unter den neuesten photographischen Aufnahmen, die uns von wolkenlosen Stellen der Erde so genaue Bilder geben, daß wir auf ihnen Bücher zu lesen vermögen, fand ich auch ein paar Druckseiten – auf denen wörtlich das Folgende stand:
Wir können auf der Erde nur dann erträgliche Zustände haben, wenn wir den für unsre Kultur blamablen Militarismus zerbrechen. Das ist aber nur möglich, wenn wir eine im großen Stile veranstaltete Agitation arrangieren, die eine an Ekel streifende Abneigung gegen alles Soldatenwesen erzeugt. Diese Agitation muß mit allen Mitteln – und besonders durch rücksichtslosen Spott – die Abneigung der Volksmassen gegen alles Soldatenwesen großziehen. Es muß so weit kommen, daß man im Soldaten die Wurzel alles irdischen Ubels sieht. Es muß zum guten Tone gehören, vom Soldaten mit derselben Entrüstung zu sprechen, mit der man bislang vom gemeinen Raubmörder sprach. Um diese Stimmung zu erzeugen, ist zunächst die gesamte Tagespresse, das gesamte Schulwesen und auch das Bekleidungswesen in diesem Sinne zu beeinflussen. Man muß die Tageszeitungen, die ohne lebhaftes Bedauern, dem sich gelegentlich Worte des Abscheus beizumischen haben, von Militär- und Kriegsangelegenheiten sprechen, bekämpfen und isolieren durch Bevorzugung der Tageszeitungen, die tagtäglich gegen die stehenden lleere zu Felde ziehen; würde es gelingen, die Halfte der Tagespresse zu überzeugten Gegnern des Militarismus zu machen, so hätte die Friedenspartei leichte Arbeit. Andrerseits ist aber nicht zu vergessen, daß bereits das Schulwesen durch regulä res Umgehen und Übergehen aller kriegerischen und militaristischen Dinge ganz Außerordentliches leisten könnte; hier könnte die Geistlichkeit das erste Wort sprechen. Den Künst lern jedoch fällt die Aufgabe zu, durch Verspottung aller Uni formgeschichten den Geschmack im Bekleidungswesen derart zu fördern, daß es jedermann für ungebildet ansehen muß, wenn er sich so kleidet wie sein lieber Nachbar; dann wird jede Uniform bald wie eine Karikatur wirken und Lachreiz erwecken. Ist erst die allgemeine Stimmung energisch gegen alles Soldatentum aufgebracht – so werden die Regierungen der einzelnen Staaten sehr bald gezwungen sein, sich so weit zu einigen, daß dem Willen der Völker Rechnung getragen werden kann. Man vergesse nicht, was ein einziger Mann vermag, der über die Waffen eines allzeit schlagfertigen Spottes verfügt. Und diese Waffen des Spottes müssen den Völkern in die Hand gedrückt werden. Spöttisch lachende Völker werden unwiderstehlich sein.
Hiermit schließt der erdmännische Autor noch nicht ab – er gibt noch manchen Fingerzeig über den Spottkampf im allgemeinen und deckt einzelne Stellen auf, in denen sich der Spott leicht festbeißen kann. Aber aus dem, was ich vorlas, werden die Mondvölker entnehmen, daß es doch einzelnen Erdmännern sehr wohl darum zu tun ist, die ekelhaften Zustände im Erdendasein ein wenig zu mildern. Jedenfalls gibt man sich da unten doch Mühe – aufzusteigen – wenn auch die Intelligenz in den Maßen vorläufig nicht sehr hoch anzuschlagen ist. Uns kann es selbstverständlich von unsrem Zuschauerstandpunkt aus ganz gleich bleiben, ob die Erdmänner sich gegenseitig totschießen oder umarmen. Aber da mit so viel gutem Willen Kämpfe vorbereitet werden, die auf der Erde mindestens eine ebenso große Revolution erzeugen müssen wie auf dem Monde die Bohrarbeiten fürs große Teleskop – so hätte ichs doch gerne, wenn die beiden Revolutionen in einen gewissen Zusammenhang gebracht würden. Man vergesse nicht, wie bewunderungswürdig die gute Laune ist, mit der da unten so entsetzlichen lächerlichen Ubelständen zu Leibe gegangen wird. Und so sage ich denn im Namen der Erdfreunde: Wenn die Friedensfreunde auf der Erde nicht siegen, so sind die Erdfreunde des Mondes bereit, an den Bohrarbeiten sämtlich teilzunehmen; wenn nach fünfzig Jahren nicht ein einziger Staat auf der Erde, der augenblicklich noch die allgemeine Wehrpflicht anerkennt, diese abgeschafft hat- so könnten die Bohrarbeiten auf dem Monde sofort beginnen.«
Knéppara schweigt.
Und alle denken über das Gesagte nach.
»Es ist«, sagt dann nach langer Pause der weise Zikáll, »sehr interessant, solche Lebewesen, die ihr Unglück mit Laune und sogenanntem Humor bekämpfen wollen, kennenzulernen. Da wir das Unglück nicht kennen, brauchen wir allerdings keinen Humor. Aber ich kann nicht bestreiten, daß ich mich für den erdmännischen Humor interessiere; ich bin neugierig, ob der auf Erden siegen wird – und darum würde ich gern für Knépparas Antrag stimmen.«
»Es sieht mir nur«, sagt da langsam der Mafikâsu, »so wie Leichtsinn aus, wenn wir die Herstellung unseres großen Fernrohrs von dem Benehmen der Erdmänner abhängig machen, die doch dadurch, daß sie ihr Leben nur durch Vernichtung andrer Lebewesen erhalten, uns so fern stehen, daß ich nicht begreife, wie man die kleinen Revolutionen auf der Erdoberfläche mit der großen Revolution des Mondes in einen ideelichen Zusammenhang bringen kann.«
Da werden sehr viele Ratsherren plötzlich rot, und der l.oso sagt eifrig: »Aber Mafikâsu! Hast Du denn ganz vergessen, daß Du vor nicht gar zu langer Zeit einen Antrag bei uns eingebracht hast, der dem des Knéppara verflucht ähnlich sieht?«
»Und glaubst Du denn«, ruft nun Knéppara heftig, »daß die Art, in der die Kreaturen der Erde zu leben aufhören, für diese so furchtbar unpassend ist? Ich dächte, solange sich ein Stern noch nicht in beruhigtem Zustande befindet – solange kann ihm gar nicht daran liegen, daß seine Kreaturen leben bleiben. Und wissen wir denn, was es mit dem Sterben auf der Erde auf sich hat? Wir haben nur die Bilder davon, die unser Auge uns gibt. Sprechen wir doch nicht zu viel über die >niedrige< Stufe des Sterns Erde! Vielleicht steht der Stern Erde unter den astralen Lebewesen viel höher als der Stern Mond; denn was auf der Oberfläche der Erde vor sich geht, könnte doch für den Kern gar nicht maßgebend sein; es fragt sich sehr, ob ein Stern auch von den Würmern, die auf seiner Oberfläche herumkrabbeln, ein vollkommenes Dasein verlangen muß; von astraler Moral haben wir doch keine Vorstellung. Es ist doch möglich, daß jemand nicht viel auf die Vollkommenheit seiner Haut gibt – wenn er sich innerlich vollkommen fühlt. Wir Mondleute müssen doch auch sagen, daß unsre faltenreiche haarlose Haut nicht eine vollkommene Sache ist; es ist doch schon etwas Unvollkommenes, wenn man, wie bei uns, aus dem Aussehen der Haut sofort auf das Innere schließen kann – so daß niemand seine Empfindungen zu verbergen vermag.«
Da lachten alle Mondleute.
Und ihre Falten im Gesichte flimmerten, als wären sie aus gummiartigem Opal. Und die blauen Augen der Mondleute leuchteten, und ihre Fühlhörner zitterten auf ihren Köpfen.
Dann aber sagte Mafikâsu leise:
»Wenn nach fünfzig Jahren nicht drei Staaten auf der Erde, die augenblicklich noch die allgemeine Wehrpflicht in den sogenannten europäischen Uniformskostümen anerkennen, diese allgemeine Wehrpflicht in ihren drei Staaten abgeschafft haben – so könnten die Bohrarbeiten auf dem Monde beginnen. Möchte Knéppara seinen Antrag nicht in diesem Wortlaute formulieren?«
Es wurde wieder mäuschenstill in der Ratshalle, so daß man nicht das Atmen hörte.
Auch die Völkerscharen, die an den Wänden aus Bergkrystall und oben im Trichter und auf der Außenseite des Kraters versammelt waren, sprachen kein Wort.
Die telegraphischen Tafeln waren überall so angebracht, daß die Reden, die die Ratsherren auf ihren Amethystsäulen hielten, überall sofort verständlich wurden; die Apparate machten ohne weiteres aus allen Worten auf den telegraphischen Tafeln große Schriftzeichen, die jeder Mondmann leicht mit seinem Fernglas lesen konnte; die Farbe der Ratsherren war auf den Tafeln unten in Punkten sichtbar.
Lange Zeit währte die Ruhe im Ratskrater.
Die hundert Ratsherren zitterten nicht mit den Fühlhör nern, blickten auch nicht mit den Augen nach rechts und nach links, sie blickten vor sich runter in die tiefe Tiefe; die Herren dachten eifrig über das Gesagte nach.
Und nach anderthalb Stunden sagte Knéppara leise: »Ja!«
Da atmeten die Ratsherren ganz tief auf – so daß ein kleiner Wirbelwind im Krater entstand.
Und dann sagte Loso leise: »Wir wollen abstimmen.«
Und alle hundert Ratsherren waren in den nächsten fünf Minuten rot; sie warens nicht auf einmal geworden – aber sie wurdens doch nach und nach sämtlich.
Und ein unbeschreiblicher Jubel durchbrauste den großen Ratskrater, daß die schlanken Amethystsäulen bebten.

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Nun ward es wieder ruhiger auf der bemoosten Seite des Mondgestirns, und die lauten heftigen Reden der Mondleute verstummten allmählich.
Von den Blitzblumen war nicht mehr die leiseste Spur zu bemerken, sie kamen wie der Blitz und verschwanden auch so.
Die fünfzig Tonnenwagen wurden wieder ins Innere des Mondes gebracht und in der Nähe der Fabrikgrotten aufbewahrt; die Wagen sollten eigentlich verbessert werden, gerieten aber bald in Vergessenheit.
Nach all der großen Erregung kam jetzt eine Zeit der Abspannung.
Und es wurden sehr viele Mondleute müde.
Und der Pflastermann hatte mit seinen Gehilfen viel zu tun.
Und die hohen violetten Hallen der Todesgrotten bevölkerten sich immer mehr und mehr.
Oben an den Kratern wurde jetzt die Erde mit größtem Eifer beobachtet, und die Museen, in denen sich die Photographien der Erdbilder befanden, wurden überall durch Inanspruchnahme andrer Grotten erweitert.
Und bei dieser Erweiterung wurde viel Glas von der Jenseitsseite des Mondes geholt; in den Fabrikgrotten hatten die Erdfreunde zu diesem Zwecke eine kolossale Maschine hergestellt.
Der Pflastermann wunderte sich über die große Arbeit, die diese Maschine verursacht hatte und sagte mal zum Loso, dem großen Glasfreunde:
»Ist es nicht verwunderlich, daß die Erdfreunde so viel Scharfsinn und so viel Arbeit aufwenden, bloß um ja nicht die alte Erde aus dem Auge zu lassen? Und ist es andrerseits nicht wieder verwunderlich, daß sie der Arbeit, die das große Fern rohr verlangt, so ängstlich aus dem Wege zu gehen trachten ? Wie reimt sich das?«
»Lieber Pflastermann«, versetzte da der Loso, «die Geschichte nimmst Du nicht so ganz richtig. Die Erdfreunde gehen den großen Arbeiten durchaus nicht aus dem Wege. Wer das Gegenteil behauptet, kennt uns nicht. Bedenke mal bloß, was das für Mühe gekostet hat, die einzelnen Sprachen der Erdvölker zu entziffern! Das war keine kleine Arbeit – wahrhaftig nicht! Und sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Was den Knéppara und mich veranlaßt, soviel gegen das große Fernrohr zu reden – das ist doch nicht Arbeitsscheu. Wir wollen bloß nicht in unsren Arbeiten, die noch viele Lücken aufweisen, gestört werden. Schließlich hoffen wir, in den fünfzig Jahren, die wir Vorsprung gewonnen haben, so viel zusammenzubringen, daß wir uns ein bißchen verschnaufen können. Die Erdfreunde arbeiten heute mehr denn je. Es sieht uns eben so aus, als ob jetzt auf der Erde jeden Tag Wunder passieren könnten. « »Hm!« sagte da der Pflastermann »auf dem Monde siehts mir jetzt auch so aus, als ob alle Tage Wunder passieren könnten.«
»Wie«, fragte Loso, »meinst Du das? Ich dächte, es wären jetzt bald genug Wunder bei uns passiert. Mafikâsus Erfolge – der Lanzen-Nebel – die Blitzblumen – der Diamantengletscher- der große Rubin – ist das nicht schon alles, was sein kann?«
»lch glaube« flüsterte der Pflastermann geheimnisvoll, »es ereignen sich noch mehr. Wenn Du in die Todesgrotten mitkommen möchtest, so würdest Du was erleben. Ich habe die Sache nun schon sehr lange geheimgehalten, da ich glaubte, auf dem Monde sei schon genug Erregungsstoff da.«
Na – Loso begleitete gleich den Pflastermann.
Und in den Todesgrotten fanden sie in einem stillen dunklen Winkel den gelehrten Zikáll, der neben den Herren Nadûke und Klambátsch saß.
Zikáll sagte gleich:
»So was ist noch nicht vorgekommen. Die Herren sitzen nun bereits über zwei Jahre, und die Neubildung in der linken Ballonseite zeigt sich nicht. Dafür zeigen sich andre Erscheinungen. Wartet ein wenig – die Geschichte muß gleich wieder losgehn.«
Und kaum hatte er das gesagt, so entstand ein seltsames dunkelblaues Licht in den Körpern des Nadûke und Klambátsch ZU gleicher Zeit. Und jedes der beiden dunkelblauen Lichter irrte in dem Leibe herum und sprang dann wie eine Leuchtkugel raus und tanzte in der Luft auf und ab wie ein Irrwisch. Und plötzlich zerspritzten die beiden tanzenden Lichter- und die blauen Lichtteilchen waren gleich wie dünne weiße Schlangen – die sich in der Luft hin und her schlängelten – und dann langsam nach allen Seiten zerrieselten – wobei es zuweilen so aussah – als wenn Schneeflocken herumflögen.
»Was ist denn das?« rief der Loso, als es vorbei war.
»Wir müßten die Sache«, sagte der Pflastermann, »eigentlich bekanntmachen. Mich hält nur eine Ahnung zurück. Diese Lichterscheinungen haben sich beinahe schon hundertmal gezeigt. Die beiden Herren wissen nichts davon. Aber nach jeder Lichterscheinung habe ich den Körper der beiden ein wenig verändert gefunden. Die Sache spielt schon viel länger als zwei Jahre – es sind bald vier. Wenn bei andern das Herauswachsen des neuen Rumpfes ein halbes Jahr dauert so ist das schon lange. Wir wollen nun noch einmal ganz genau nachsehen.«
Der Pflastermann löste ein paar Pflaster vom Bauche des schlafenden Herrn Nadûke ab – und wurde dabei sehr rot, um besser sehen zu können.
Und mit einem Male fing der Pflastermann furchtbar zu lachen an. Zikáll und Loso wußten zuerst nicht, was das Lachen bedeuten sollte.
Doch sie solltens bald erfahren.
Sie flogen näher, betrachteten den Bauch des Sterbenden sehr aufmerksam – und sahen nun – zwei ganz winzig kleine Köpfe nebeneinander in Nadûkes linker Ballonseite.
Der Pflastermann lachte noch immer.
Aber die Herren Zikáll und Loso schlugen entsetzt die Hände überm Kopfe zusammen und rissen den Mund weit auf.
»Das bedeutet ja«, rief Loso, als erwiederzu sich kam, »daß jetzt zwei Nadûkes entstehen.«
»Das bedeutet es!« sagte der Pflastermann ernst, » jetzt weiß ichs genau; nun können wir von dem unerhörten Wunder allen Mondvölkern Nachricht geben. Ich war bis heute meiner Sache noch nicht ganz gewiß; ich kann mich auf die Feinfühligkeit meiner Finger nicht mehr so recht verlassen; ich glaube, ich werde auch bald müde.«
»Wie steht es aber«, fragte Zikáll, »mit dem Herrn Klambátsch? «
Der Pflastermann nahm auch dem Klambátsch ein paar Pflaster ab – und da waren ebenfalls zwei Köpfchen in der Ballonhaut zu sehen.
Die beiden Sterbenden wurden wieder in die bequemste Lage gebracht, und dann flogen die drei, die das Wunder gesehen hatten, sehr rasch davon.
Und bald wußten alle Mondvölker, daß es demnächst zwei Nadûkes und zwei Klambátsche geben würde.
Und diese Nachricht brachte alle Mondvölker in ein paar Augenblicken ganz aus Rand und Band.
Die Erregung wurde im Handumdrehen so furchtbar, daß alle Führer und alle Ratsherren in größter Eile durch die Lüfte sausten – ohne zu wissen – wohin.
Alle Mondleute waren glühendrot und rangen die Hände.
Und an den Kratern wimmelten die Völker durcheinander – als wenn ein großes Feuer- Funken sprühte.
Und sie flogen in die Todesgrotten und flogen wieder in die Fabrikgrotten – und dann wieder nach oben – und wußten nicht- was sie eigentlich wollten.
Es war eine Aufregung!
Nicht zu sagen!
Und das Merkwürdige an der ganzen Geschichte war, daß alle Mondmänner nicht wußten, ob sie sich über dieses Wunder freuen – oder ob sies für ein Unglück halten sollten.
Die Trubelstimmung währte ohne Unterbrechung volle vierundzwanzig Stunden.
Dann aber kamen die hundert Ratsherren im Ratskrater zusammen und beschlossen, sich gegenseitig ihre Meinungen über dieses eigenartige Naturereignis mitzuteilen.
Und da saßen sie denn wieder mal auf ihren langen schlanken Amethystsäulen – und die Völker ringsum lauschten wieder.
Aber in dieser außerordentlichen Sitzung waren die Herren Ratsherren sämtlich rot wie glühendes Eisen.
Und keiner hatte lachende Gedanken, denn wenn die Sache eine Zukunft hatte…
»Sollen wir«, sprach Zikáll, »annehmen, daß wir nun fürderhin immer gleich mit zwei Schädeln denken werden? Müssen wir nicht befürchten, daß sich unsre Zahl verdoppeln könnte?«


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»Und werden wir da«, meinte der große Loso, »nicht schließlich genötigt sein, eine neue Ratsgrotte zu suchen? Ist es nicht nötig, unter den obwaltenden Verhältnissen zweihundert Ratsherren zu wählen? Daß wir uns, wenn sich jeder von uns in zwei Teile spaltet, diese beiden Teile als gleichdenkend vorstellen können, das können wir uns doch nicht denken.«
Ohne diese Worte zu beachten, sprachen nun die andern.
Und alle sprachen – hintereinander – ohne Rücksicht auf die Vorredner – in langen wohlgesetzten Reden.
Und alle hatten plötzlich so viel zu sagen – daß es auf die zuhörenden Mondvölker ganz schrecklich wirkte – denn so viele Meinungen hatten sie noch niemals in einer einzigen Ratssitzung vernommen.
Sonst wars in den Ratssitzungen immer so einfach zugegangenman war ja vorher immer schon einig gewesen – wer sprechen sollte – im Auftrage der anderen.
Und jetzt sprachen alle Hundert.
Das war neu.
Die Namen der Herren Nadûke und Klambátsch wurden in den Reden an die hunderttausend Mal gebraucht; diese beiden Herren, die an Ruhm ihr Lebtag kaum mal dachten, hatten jetzt einen unheimlichen Ruhm; Gepenster könnten keinen haben, der unheimlicher wäre.
Und es empfanden bald alle Ratsherren, daß sich eine große Verwirrung ihrer bemächtigt habe.
Zum Schlusse sprach Knéppara ein erlösendes Wort:
»Liebe Freunde«, sagte er, »ich glaube, daß alle Reden vorläufig recht überflüssig sind, denn wir müssen doch zunächst mal abwarten und erst wissen, ob sich derartige Doppel-Geburten wiederholen werden. Es ist doch nicht so ohne weiteres anzunehmen, daß wir nun gleich sämtlich dazu verurteilt seien, in zwei Köpfen und zwei Leibern weiterzuleben. Ich glaube, wir täten gut, unsre Sitzung so lange zu vertagen, bis sich die Doppel-Geburten in größerer Zahl zeigen. Die Herren Nadûke und Klambátsch dürfen uns doch nicht vollständig aus der Fassung bringen. Wir haben in letzter Zeit doch wahrlich schon Dinge vertragen, die schwerer sind – Dinge, die noch tiefer in unsre Lebensverhältnisse einschneiden – obschon ich zugebe, daß uns dieses Ereignis in unsern Todesgrotten nicht ohne Grund im ersten Augenblick – ein wenig verwirrte.«
Nach diesen Worten beschlossen die Ratsherren, die Sitzung zu vertagen.
Das ging allerdings nicht so schnell – denn es sprachen noch sehr viele Mondleute, die sonst jahrhundertelang kein Wort geredet hatten, zum zweiten und dritten Mal.
Schließlich aber trennten sich die Ratsherren trotzalledem allerdings mit schwerem Herzen – denn die Aussicht, nächstens immerzu einen gleichberechtigten Namensbruder und Leibbruder neben sich zu sehen und neben sich zu hören – erschien keinem Mondmann als etwas Angenehmes – obwohl wieder viele der Meinung waren, daß diese neue Form der Lebensäußerung sicherlich mindestens so interessant sei – wie die Ereignisse im Lanzen-Nebel.
Nun- darüber ließ sich streiten.
Und das wurde auch reichlich getan.
Langsam – sehr langsam ging die Beruhigung der Mondvölker vor sich.
Die Herren Nadûke und Klambátsch kamen schließlich tatsächlich als vier Mondleute an die Oberfläche.
Und dieses verdoppelte Erscheinen machte wieder alle Völker rot; jeder Mondmann wollte nun was andres von den vieren erfahren.
Da gab es gleich ganze Labyrinthe von Fragen.
Und so hatten sowohl Nadûke I wie Nadûke II – wie auch Klambátsch I und Klambátsch II so viel zu antworten, daß ihnen bald das Antworten unmöglich wurde.
Und die vier ließen sich zusammen in einer einsamen Höhle am Zackenfall nieder und baten die Neugierigen herzlichst, vorläufig bloß fern zu bleiben – ganz fern.
Es ließ sich auf diese Weise nicht einmal feststellen, ob die Zweiten genauso dachten wie die Ersten; das wußten sie eben wie so vieles andre selber noch nicht.
Nun ereignete es sich währenddem, daß beinahe sämtliche Führer zu gleicher Zeit schrecklich müde wurden und – ohne es eigentlich zu wollen – genötigt waren, die Todesgrotten aufzusuchen.
Da bemächtigte sich der Mondvölker natürlich abermals eine Panik – denn nun fragte es sich ja – ob sie fürderhin von Doppelwesen regiert werden würden.
Die Geschichte wurde schwierig und gab jetzt auch denen einen tüchtigen Stoß, die schon was vertragen konnten.
Die ganze Beschaulichkeit ging in die Brüche.
Rasibéff war ebenfalls unter den Müden – und er war der erste, bei dem sich die blauen Lichterscheinungen zeigten.
Als es nun klar wurde, daß auch Rasibéff fürderhin in zwei Köpfen und in zwei Rümpfen und in zwei Ballonbäuchen weiterleben mußte – da wußten die Mondmänner nicht mehr, wo ihnen der Kopf stand.
Anfänglich glaubte der Pflastermann, der jetzt selbstverständlich das erste Wort in allen Mondangelegenheiten hatte, es sei nicht unwahrscheinlich, daß die Ballonbäuche zusammen einen bilden könnten.
Dieses bewahrheitete sich glücklicherweise nicht; aber die Furcht vor einer derartigen Mißgeburt hatte nur noch wenig Eindruck auf die Mondvölker gemacht – sie waren schon ganz abgestumpft durch all das Unerwartete.
Beruhigend wirkte dann, als bei Mafikâsu und Knéppara alles normal verlief.
Und dann kam auch Zikáll wieder so aus den Todesgrotten heraus, wie er hineingeflogen war.
Und dann ereignete sich kein weiterer Fall, der zu Bedenken Anlaß bot.
Die Doppelgänger vermehrten sich nicht mehr.
Und die Furcht vor dem Doppelgängertum, die dem Mondmannsverstande schädlich zu werden drohte, löste sich langsam auf – und zerrann.

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Und bald hatten sich die Mondleute an ihre drei Doppelmänner gewöhnt.
Es scheint eben sämtlichen Lebewesen des Weltraums gemeinsam zu sein, daß sie sich an alles Wunderbare sehr rasch gewöhnen und es dann so behandeln wie all die anderen bekannten Wunderdinge der Gewöhnlichkeit.
Und es wunderte sich nach einem Jahre kein Mondmann mehr, wenn Nadûke I eine ganz andre Meinung äußerte als Nadûke II – es wunderte sich auch über die Rasibéffs keiner mehr, wenn die beiden regelmäßig dasselbe sagten – und zwar wörtlich.
Klambátsch I war ein eifriger Erdfreund – und Klambátsch II konnte sich nur für die verschiedenen Glassorten begeistern und befand sich infolgedessen gewöhnlich in der Nähe des großen Loso.
Nach zehn Jahren dachten die Mondleute gar nicht mehr an die drei Uberzähligen.
Die große Wette jedoch – die hatte keiner vergessen.
Und so kam es, daß selbst die Weltfreunde viel öfter über das Militärwesen der Erdbewohner redeten – als über die große Welt.
Das machte natürlich die Führer der Weltfreunde sehr ungeduldig, besonders beklagten sich die Rasibéffs über diese zeitraubende Beschäftigung mit den alten irdischen Wurmverhältnissen.
Die Rasibéffs hatten auch allen Grund, über die kostümierten Massenmörder des Erdballs nicht freundlich zu reden denn es zeigten sich an verschiedenen Stellen des Himmels so merkwürdige Phänomene, daß wahrlich jeder Weltfreund vollauf ZU tun hatte; das photographische Material war oftmals neu zu ordnen und von verschiedenen Gesichtspunkten aus den früher entdeckten Phänomenen anzugliedern.
Ganze Sternhaufen waren neuerdings entdeckt worden, von denen sämtliche Sternkarten keine Spur verrieten. Und man gelangte bald zu der Einsicht, daß diese neuen Sternhaufen zu den wandelnden gehörten.
»Abermals«, sagte Mafi, » ein Beweis, wie nötig wir das größere Fernrohr gebrauchen. Wir sehen allnächtlich den großen Himmel mit einer ganz erklecklichen Anzahl von Fernrohren an und bemerken plötzlich, daß wir unzählige Sterne, die in Haufen immerzu da sind, doch nicht bemerken, da sie ein bißchen weiterab liegen. Die Existenz von wandelnden Sternhaufen ist bisher stets bestritten worden, und nun zeigen sich solche Wandelsternhaufen plötzlich zu gleicher Zeit an fünf Stellen.«
Es waren nämlich solche wandelnden Sternhaufen gleich zeitig an fünf räumlich weit voneinander getrennten Stellen des Himmels entdeckt worden. »Was«, bemerkte Zikáll, »die Meteore in unserm Sonnensysteme sind, das sind die wandelnden Sternhaufen in unserm Raum.«
Verblüffend wirkte die ungeheure Schnelligkeit, mit der die Sternhaufen dahinzogen – sie bewegten sich alle in denselben spiralförmigen Kurven und wurden dabei bald größer und bald kleiner.
Wie kantige Glasstücke sahen die neuen Sterne aus, sie wechselten unablässig die Farben; in welchen Verhältnissen die Sterne in den einzelnen Haufen zueinander standen, ließ sich bei der großen Entfernung nicht konstatieren.
Dagegen bemerkten die Mondleute, daß altbekannte Nebelflecke, die allgemein für Milchstraßensysteme angesehen wurden, sehr rasch ihren Standpunkt beim Herannahen der wandelnden Sternhaufen veränderten.
Es wurde hierbei berechnet, daß die Nebelflecke, die auswichen, in ein paar Sekunden viele Trillionen von Sternweiten weiterschwebten, während die wandelnden Haufen selbstverständlich noch viel schneller waren.
Und die Mondleute nennen erst die Strecke von tausend Billionen Meilen – eine Sternweite.
»Man sollte«, bemerkte Zikáll, »wahrlich glauben, daß derartige Veränderungen im Weltraume den ganzen Tanz der Sterne verwirren müßten. Und dennoch sehen wir, daß dieser Ortswechsel der Nebelflecke die Nachbargebiete ganz kalt läßt; es muß doch sehr viel Raum in der Unendlichkeit vorhanden sein – das empfindet man sonst gar nicht so deutlich. «
»Hieraus schließe ich«, sagte Nadûke II, »daß wir uns selber im Raume – mit unserm ganzen Milchstraßensystem zusammen – sehr schnell hin und her bewegen. Ich bin der Meinung, daß wir uns ebenfalls in einem wandelnden Sternhaufen befinden. «
Das Wort erzeugte eine heftige Debatte, denn Nadûke I widersprach dieser Ansicht durchaus. Und es stritten sich bald an die hundert Gelehrte über die große Frage, ob sich der Mond in einem wandelnden oder in einem stillsitzenden Sternhaufen befindet.
Zu Resultaten führte diese Debatte vorläufig noch nicht.
Die Erdfreunde entdeckten währenddem etwas Neues auf der Erdoberfläche.
Die Erdmänner, die in den Kostümen des allgemeinen Söldnertums staken und zusammen die herrlichen Volksheere repräsentierten, hatten plötzlich ganz andre Kostüme an.
Das war folgendermaßen gekommen:
Da von seiten der Künstler Jahre hindurch behauptet wurde, daß die Soldatenkostüme künstlerisch nicht befriedigen könnten, da alles Uniforme den Reichtum der Natur zerbreche- so waren die Künstler – man staune! – aufgefordert worden, künstlerische Kostüme zu zeichnen und zu kolorieren. Und nach einzelnen dieser künstlerischen Arbeiten stellten danach die Armeeverwaltungen neue Uniformen in Massen her; es wurde dabei viel über das Wort >Uniform< geredet, ohne dem Prinzip, dem man doch zu Leibe wollte, wehe zu tun – die Erdmänner leisteten dabei etwas im wohlgefügten oratorischen Satzbau.
Da sah man denn bald die Soldaten mit stilvoller Ornamentstickerei an den Armen und am Halse – auf dem Kopf, auf dem Rücken und auf der Brust – besonders aber an den Beinen.
Der sonst so schweigsame Klambátsch I sagte dazu mal lächelnd:
»Diese Erdmänner schämen sich gar nicht, daß sie Beine haben.«
Aber nicht nur der Ornamentschmuck machte die Uniformen neu und eigenartig – auch die Farbenkomposition wies viel größeren Reichtum auf und wirkte besonders auf der Rückenpartie der Offiziere sehr stimmungsvoll – im Geschmack alter Glasmalerei – worüber alle Glasfreunde auf dem Monde ganz entzweigingen vor Entzücken.
Über die neuen Uniformen sagte eine erdmännische Tageszeitung, die grundsätzlich für die Erhaltung der bestehenden Zustände mit Feuereifer eintrat, folgende Worte, die im Zinnoberkrater photographiert worden waren:
Es wird, sagte das Blatt wörtlich, heutzutage vieles umgestoßen. Das liegt bedauerlicherweise daran, daß wir alles immer wieder in neuer Form haben wollen. Und deshalb soll man stets den Dingen, die erhalten bleiben sollen, ein neues Kleid verschaffen; manches kann eben im alten Kleide nicht weiterleben und muß deshalb ein neues haben. So gings auch bei unsern braven Vaterlandsverteidigern. Das Interesse an der Wehrkraft unsrer Land- und Seetruppen, das schon durch Verweichlichung der Gesinnung arg zurückging, hat durch die neue Uniformierung einen neuen starken Impuls erhalten. Die Soldaten werden den Künstlern von Herzen dankbar sein für die schönen Röcke und Hosen, die vom Genius der Kunst entworfen wurden. Die Soldaten werden es gerne vergessen, daß die Künstler an fänglich nur deshalb gegen die alten Uniformen eiferten, um dadurch an dem Fundamente unsres Heerwesens zu rütteln. Es ist anders gekommen. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.
»Da ist ja«, sagt Knéppara, »recht viel Aussicht vorhanden, daß die Heere der Erdmänner abgeschafft werden.«
»Humor, der nicht verstanden wird«, meinte Klambátsch I, »kann natürlich keine Wirkung ausüben.«
Die Freunde des Sterns Erde lächelten schmerzlich und besahen sich ihre feinen Hände, was die Mondleute immer dann tun, wenn eine intensive Abneigung gegen eine störende Geschichte in ihnen aufsteigt.

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