Die große Revolution
Paul Scheerbart
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Die große Revolution
EIN MONDROMAN
Dem lachenden Fanatiker Alfred Walter Heymel
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Auf dem Monde wars Nacht.Und die dicke Luft war ganz still.
Und die Goldkäfer saßen auf den dunklen Moosfeldern und leuchteten – so wie die Sterne am schwarzen Himmel leuchteten.
Von der Erde war nur ein Viertel als Halbkreis zu sehen.
Und fünf Mondmänner schwebten über den Moosfeldern und leuchteten auch – aber so wie Kugeln von Phosphor.
Und der Mondmann, der voranflog, wurde plötzlich so rot wie eine feurige Kohle, und da flogen die vier anderen Mondmänner an seine Seite und wurden ganz allmählich ebenfalls so rot.
Durch dieses Rotwerden sagten sich die Mondleute, daß sie bereit wären, miteinander zu sprechen.
Und der Mondmann, der zuerst rot wurde, sprach jetzt langsam und nachdenklich:
»Der Stern, mit dem wir leben, unser guter Mond, will ein großes Auge haben – und wenns möglich wäre – schließlich ein großes Auge sein – bloß noch ein einziges Auge sein – ganz Auge sein.«
Die Mondleute hatten, wenn sie in der Luft schwebten, unten Kugelgestalt, und aus der ragte oben ein kleiner Brustrumpf mit einem Rübenkopf und zwei Armen heraus.
Und mit den siebenfingrigen Händen, die unten an den Armen hingen, klatschte jetzt jeder der fünf Mondmänner auf seinen Ballonbauch, daß es dumpf dröhnte – wie von Pauken.
Mit diesen Tönen tat die Mondbevölkerung ihr Wohlbehagen und ihre Heiterkeit kund.
Rasibéff, der Mondmann, der seiner feurigen Gesinnung wegen seit Jahrhunderten bekannt war, rief nun hell in die Nachtluft:
»Was der große Mafikâsu soeben gesagt hat- das gibt unserm Streben das Rückgrat. Wir wollen, was unser Stern will. Und wenn unser Wille der Wille unsres Sterns ist, so muß dieser Wille alle Mondvölker mitreißen – und wir müssen in unserm Monde ein Fernrohr bauen, wies der Mond nicht größer haben kann – ein Fernrohr von der Größe des Monddurchmessers.«
Wenn die Mondleute ihren Rumpf vorbeugten und über ihren Ballonbauch rüber nach unten blickten, so kam ihnen das Bild der dunklen Mondoberfläche fast ebenso wie das Bild des Himmels mit den Sternen vor, da die Goldkäfer unten auch so still leuchteten wie oben die großen Weltgestalten im unendlichen Raum.
Die fünf Mondmänner beugten sich jetzt sämtlich vorne über und flogen danach viel schneller als bisher mit dem Rübenkopfe voran dem nächsten Krater zu.
Die Rübenköpfe hatten oben einen Kranz von Fühlhörnern, die sich beim Fliegen nach allen Richtungen vorreckten und dadurch kronenartig wirkten; die Fühlhörner witterten wie feine Geruchsorgane alle Dinge, an denen man sich stoßen kann.
Da sprach Zikáll, der Mann der Wissenschaft:
»Jedenfalls bezweifle ich, daß der Mond seinen Willen mit unsrer Beihilfe durchsetzen möchte. Wenn der Mond wirklich auf der anderen Seite ein Organ haben will, das unsrem Auge entspricht, so braucht er dazu nicht die Beihilfe der kleinen Mondleute. Wissenschaftlich nicht zu begründende Aussprüche wie die vom Mondauge sollten bei der Agitation nicht gebraucht werden. Wenn wir sagen, daß wir ein großes Fernrohr haben wollen, dessen Länge die des Monddurchmessers erreichen soll, so haben wir damit nach meiner Meinung genug gesagt. Die großen Worte haben immer einen kleinen Spaßgehalt in sich. Die großen Worte sind der Tatenlust zuwider.«
Die Sterne des Himmels funkelten jetzt, und die beiden hellblauen Augen des großen Mafikâsu, der zuerst gesprochen hatte, funkelten ebenfalls, und er sagte nun, während er langsamer flog:
»Jedenfalls freue ich mich, daß der große Zikáll die Herstellung des großen Fernrohrs, das so lang wie der Monddurchmesser werden soll, nicht für eine Unmöglichkeit erklärt. Und da Zikáll nicht will, daß ich das Wort Mondauge gebrauche, so will ich das Wort vermeiden, obschon ich doch bemerken muß, daß die Sterne öfters grade die kleinsten Lebewesen zur Durchführung ihrer großen astralen Absichten benutzen.« Hierauf sagte der Zikáll sehr rasch:
»Es fragt sich übrigens, ob unser Stern, der Mond selber, durch das große Fernrohr sieht – wenn wir, die Mondmänner, da durchsehen.«
»Das«, versetzte Mafikâsu, »fragt sich wohl. Aber wir wollen nicht vergessen, daß wir das große Fernrohr nur dann durchdringen werden, wenns unserm Monde nicht unbequem ist. Wir wollen nicht den Respekt vor dem Ganzen vergessen.«
Nach diesen Worten hatten die fünf den Krater, dem sie zuflogen, erreicht und ließen sich nun oben am Rande des Kraters auf fünf freien Natursäulen nieder; die Mondmänner setzten sich auf die Säulen, indem sie ihren Ballonbauch zusammenzogen und daraus eine Art Raupenfuß machten; die dicke gummiartige Hautmasse des Bauches umschloß muskulös den ganzen Kopf der Säule, so daß das Sitzen recht bequem war und auch so aussah.
Die Mondmänner glühten immer noch wie rote Kohlen, nur die Rübenköpfe und die Hände phosphorescierten silberartig, und die zehn Augen flimmerten in hellblauen Farbtönen.
Nun ergriff der weitsichtige Loso das Wort:
»Ja!« rief er, »wir verstehen den großen Mafikâsu vollkommen. Alles geht gegen die Erdbeobachtung. Die Mondleute, die das große Fernrohr haben wollen, haben eine große Abneigung gegen den Stern, der uns am nächsten steht – gegen die große Erde. Wir sollen gezwungen werden, die Erdbeobachtung aufzugeben. Wir sollen uns fürderhin nur noch mit den weiterab befindlichen Sternen – mit dem entfernteren Weltenraume – beschäftigen. Das ist es, worauf alles hinausläuft.«
In der Ebene, die sich unten vor dem Krater weit ausdehnte – da glitzerten jetzt die Goldkäfer – und oben am Himmel glitzerten die goldenen Sterne; die Luft machte die Lichteffekte oft anders.
Der heftige Rasibéff, der immer röter wurde als alle anderen, sagte leise:
»Loso dürfte nicht so ganz unrecht haben.«
Der weitsichtige Loso sprach noch einmal – sehr eindringlich – also:
»Auf der Mondseite, die stets der Erde zugekehrt ist, haben wir heute im ganzen ungefähr zehntausend Fernrohre. Unsre Krater haben sich doch recht brauchbar gezeigt; wenn auch die Beweglichkeit des einzelnen Rohres nicht allzu groß ist, so ergänzen sich doch die verschiedenen Krater untereinander so gut, daß wir zufrieden sein können. Jedes Fernrohr sitzt in seinem Krater so naturgemäß drinnen, daß es uns beinahe schon unnatürlich erscheint, wenn wir einen Krater erblicken, in dem sich kein Fernrohr befindet – obschon wir wissen, daß auf zehn Krater nur einer mit Fernrohr kommt, während neun noch ohne Fernrohr sind. Wenn wir nun die Absicht hätten, unsre sämtlichen Krater mit Fernrohren zu versehen, so würde ich diese Absicht nur loben, denn die Arbeit, die uns dadurch aufgebürdet wäre, müßten wir für klein ansehen gegen die Arbeit, die uns das große Fernrohr, das Monddurchmesserlänge haben soll, verursacht. Unsre Fabrikleiter sprechen da doch von einer Arbeit, die Jahrhunderte in Anspruch nehmen könnte. Demnach sage ich klar und deutlich: Lieber neunzigtausend großartige Kraterfernrohre als das eine einzige Riesenteleskop mit einer Monddurchmesserlänge! Das ist meine Meinung! Und von der werde ich vorläufig nicht abgehen!«
Uber die Ebene schwebten jetzt große Scharen silbern phosphorescierender Mondleute vorüber, die verglichen mit den Goldkäfern in der Tiefe Silberkäfern nicht unähnlich sahen. Wie silberne Sterne zogen die Mondleute in der Ferne vorüber; runde Ballonbäuche hatten alle Mondleute ohne Ausnahme – und auch alle Mondkäfer.
Zikáll, der Mann der Wissenschaft, sagte leise:
»Was mehr Arbeit machen würde – das eine große oder neunzigtausend kleine Teleskope – das dürfte wohl schwer zu entscheiden sein. Es käme doch nebenbei noch darauf an, welche Größe die kleinen Teleskope erreichen sollen. Wir haben in den letzten Jahrhunderten jedes neue Fernrohr immer ein wenig größer gebaut als das vordem fertiggestellte; wenn wir also die Größe bei den neuen neunzigtausend so weiter steigern, so könnte das letzte vielleicht viel größer werden als das eine große, das die Länge des Monddurchmessers doch nicht überragen darf.« Jetzt lachte Rasibéff.
Und die anderen lachten ebenfalls.
Aber der fünfte Mondmann, der bislang geschwiegen hatte und Knéppara hieß, sprach nun folgendermaßen:
»Das kommt davon, wenn man über eine Sache mit Leidenschaft redet. Man schweift ab und gibt schließlich nur Gelegenheit zum Lachen. Das Wichtigste wird dabei regelmäßig vergessen. Ihr denkt gar nicht mehr daran, welchen Umfang die Beobachtung der Erde erreicht hat. Das ist doch die Hauptsache! Ich leite die Beobachtung an neunhundert Teleskopen, und der liebe Loso leitet die Beobachtung an vierhundertunddreißig Teleskopen. Und diese dreizehnhundertunddreißig Teleskope sind nur auf die Erde gerichtet – seit Jahrhunderten! Und viele hundert andrer Teleskope sind ebenfalls nur auf die Erde gerichtet, so daß man wohl sagen kann: Die Hälfte der Mondbevölkerung beschäftigt sich ausschließlich nur mit der Erde.«
»Die Rechnung stimmt nicht«, rief da heftig der Rasibéff, »mehr als zwei Drittel der Mondbevölkerung beschäftigt sich mit der Erde.«
»Nun – wenns so ist«, fuhr der mächtige Knéppara fort, »dann spricht ja das noch besser für uns. Dann begreife ich aber nicht, wie Ihr die Erdfreunde dazu bestimmen wollt, ihre Tätigkeit, die ihnen Jahrhunderte lang so viel Freude bereitete, plötzlich an den Nagel zu hängen. Die Mehrzahl ist doch gegen Euch. Es war doch wahrlich keine Kleinigkeit, das Leben der Erdbewohner genauer kennenzulernen. Wir sind doch schon in der Lage, das zu lesen, was sie drucken lassen. Das hat Mühe gekostet – denn wir haben ihre Sprache mit dem Ohre niemals vernommen. Wir sehen, welche Anstrengungen die Erdleute machen, nach allen Seiten weiterzukommen. Wir sehen, wie sie den ganzen Erdball mit eisernen Schienen umspannen und alles außerdem noch mit Drahtnetzen umspinnen. Die Beobachtung dieser energischen Völkerscharen sollen wir plötzlich aufgeben, um nach den entferntesten Sternen zu greifen? Ich muß feierlich erklären, daß ich die himmelstürmenden Ziele für himmelschreienden Leichtsinn halte – und werde, solange ich noch Einfluß besitze, die Weltfreunde bekämpfen und mit allen Mitteln die Arbeiten der Erdfreunde zu schützen wissen.«
Loso hatte während dieser Rede seine rote Farbe verloren, Knéppara verlor sie jetzt auch – und dadurch deuteten die beiden an, daß sie das Gespräch abzubrechen wünschten.
Mafikâsu sagte nur noch ernst, während er noch röter wurde:
»Ich weiß, daß Knéppara und Loso unsre mächtigsten Gegner sind. Und die Weltfreunde wissen, daß sie keinen kleinen Kampf zu kämpfen haben – und daß sie den nicht mehr vermeiden können.«
Zikáll, der Mann der Wissenschaft, hatte nur noch rote Punkte auf seinem Phosphorleibe.
Und als die beiden Erdfreunde, Knéppara und Loso, fragten, ob Zikáll mitkäme – zum Zackenkrater- da zergingen die roten Punkte auf Zikálls Haut.
Und Zikáll begleitete die beiden Erdfreunde.
Die drei Herren wünschten den Zurückbleibenden freundlich: »Guten Abend!«
Und gleich nach der Erwiderung dieses Grußes war der große Mafikâsu mit seinem Apostel Rasibéff allein.
»Glaubst Du«, fragte hastig der Apostel, »daß der Zikáll den Erdfreunden treu bleiben wird?«
»Das glaube ich keineswegs!« versetzte der große Mafikâsu gelassen.
Jetzt schwebten in nächster Nähe viele andere Mondleute vorüber.
Und nach einigen Augenblicken gesellten sich drei von diesen zu den beiden glühenden Weltfreunden.
Diese drei sagten ebenfalls freundlich: »Guten Abend!«
Und dabei setzten sie sich auf die Säulen, auf denen noch vor kurzem die drei anderen saßen.
»Pflastermann!« rief Mafikâsu lächelnd, »wo willst Du hin?«
Der Pflastermann erwiderte ebenfalls lächelnd:
»Die Herren Nadûke und Klámbatsch, die hier neben mir sitzen, wollen ihrem Leben ein Ende machen, da sie müde geworden sind. Wir wollen morgen in den Todesgrotten sein.«
Ich spreche«, sagte Mafikâsu rasch, »den beiden Herren meinen herzlichsten Glückwunsch aus. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die Herren begleiten dürfte.«
»Bist Du«, fragte der Pflastermann, »auch schon müde geworden?«
»Das nicht«, versetzte Mafikâsu, »aber ich hoffe, in den Todesgrotten neue Freunde zu finden.«
»Aha!« rief Nadûke, »er hat seine Idee vom großen Fernrohr noch nicht aufgegeben.«
»Ich gab niemals«, erwiderteMafi, »das, was ich anfing, auf. Wir haben übrigens ein neues Agitationsmittel gefunden.«
»Laß hören!« sagte Klámbatsch darauf.
Die Müden wurden aber nicht rot – auch der Pflastermann wurde nicht rot.
Aber das wirkte nach dem Gesagten nicht abstoßend.
Mafikâsu glühte jetzt noch heftiger als bisher- so wie glühendes Eisen.
Und er sprach leise und eindringlich:
»Ihr wißt, es gibt drüben auf der anderen Seite des Mondes, die von der Erde und von uns niemals gesehen wurde, keine Luft. Wir können da nicht fliegen. Wir können schon hier nicht sehr hoch steigen – dort aber könnten wir nicht einmal auf den Händen kriechen. Nun ist es aber ein par Freunden der Weltsache gelungen, am Rande ein paar kurze Strecken mit Luftschläuchen auf Schienen in dem unbekannten Lande vorzudringen. Und da haben die Mutigen gefunden, daß dort der Boden überall aus durchsichtigen Glassteinen besteht. Und von diesen Glassteinen haben sie etliche mitgebracht. Und Rasibéff trägt nun immer welche bei sich. Daß die ganze andre Mondseite sich nur aus solchen durchsichtigen Glassteinen zusammensetzt – daran glaube ich. Nun besteht unsre Mondhälte fast nur aus großen und kleinen Grotten – darum dürften in der anderen Mondhälfte auch Grotten sein. Die müssen aber infolge der durchsichtigen Glasoberfläche Licht von außen bekommen. Da müssen eben wundervolle bunte Lichtgrotten sein – mit vollem Sonnenlicht. Ist das nicht großartig? Schon allein dieser Lichtgrotten wegen müssen wir den alten Mond im Mittelpunkte durchbohren. Vom Mittelpunkte aus müssen wir ja ganz bequem in die sonnigen Lichtgrotten hineinkommen; diese könnten auch in der Nacht sehr seltsam wirken. Wenn das große Teleskop nicht mehr ziehen will, so ziehen vielleicht die Glassteine.«
»Und hier sind die Glassteine!« rief der ebenfalls glühende Rasibéff.
Während dieser aus seinem Rucksacke kleine bunte leuchtende und funkelnde und glitzernde Steine hervorholte, liefen die beiden Müden und der Pflastermann rosarot an.
Die Steine gingen von Hand zu Hand, und verschiedene funkelten im Sternenlicht- wie Brillanten.
Und Rasibéff sagte erklärend:
»Es sind auch wirkliche Brillanten unter den Steinen – daher das Funkeln – das bleibt auch im Dunkeln.«
Nachdem die drei die Steine vielfach untersucht und bewundert hatten, verabschiedete sich der Rasibéff und flog rasch davon; er hatte noch viel vor.
Indessen stiegen die vier andern, während sie lebhaft über die Existenz und über die Bewohnbarkeit der Lichtgrotten ihre Meinungen äußerten, langsam mit ihrem Ballonleibe, der sich durch einen Atemzug wieder füllte, empor – und schwebten über den Kraterrand.
Im Krater wars dunkel.
Und oben zogen die vier ihren Ballonleib wieder zusammen – und stürzten sich kopfüber in die Tiefe.
Die Mondleute brauchten keine leuchtenden Wegweiser, denn sie waren ja selber fliegende Lampions, die alles hell machten.
Und mit ihren Fühlhörnern, die jetzt steif wie ein Hörnerschmuck aus ihrem Rübenkopfe herausragten, konnten sie noch besser als mit den Augen alles Hindernde von ferne bemerken.
Und sie sausten – hinab.
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Und unten im Krater gings durch und dann rechts und dann links.Und ein großes Grottenreich tat sich vor den vieren auf. Und da flogen sie hinein.
Den Felsenwänden entströmte ein veilchenblaues Licht, das auch die Mondleute veilchenblau machte.
Die Ballonbäuche wurden hier, wenn die Mondleute langsamer schweben wollten, lange nicht so weit aufgeblasen als auf der Oberfläche des Mondes, da die Luft in den Grotten dicker und schwerer ist.
In stillen blauen Nischen saßen andre Mondmänner auf seltsam geformten Alabastersäulen – und ruhten sich aus und dachten an die Erde und an die große unendliche Welt.
Und alles war sehr ruhig und – veilchenblau.
Und die vier schwebten hinaus und weiter durch eine langgestreckte schwarze Grotte, deren Wände stellenweise als ganz glatte Flächen spiegelten. Die vier konnten sich in den schwarzen Spiegeln deutlich sehen, da die Körper der Mondleute in dunkleren Räumen noch heftiger leuchten; wie ferne Gespenster zogen die Spiegelbilder rechts und links dahin.
Und aus den schwarzen Grotten gings in die hellen Bernsteingrotten, die mit dem Nebelkrater in Verbindung stehen.
Hier gings lebhafter zu.
Viele Mondleute sausten scharenweise aus dem großen Nebelkrater heraus – in die sehr tief gelegenen Bernsteingrotten hinunter – mit Glasplatten und Messinginstrumenten, Papierrollen und Beleuchtungsgeräten, mit Röhren und Schrauben, mit Chemikalien in flüssigem und festem Zustande, mit Kapseln und Schläuchen, Büchern und Handwerkszeug; verschiedene von diesen Sachen wurden immer zusammen von mehreren Leuten auf flachen Schalen aus Gummihäuten getragen.
Andre Mondleute schwebten wieder scharenweise mit Aluminium-Fässern, Eisendrähten und Kupferstangen nach oben dem breiten Kraterloche zu, in das die Schlußapparate des kolossalen Fernrohrs wie mit langen Fühlhörnern sich hinunterreckten.
»Mafikâsu! Mafikâsu!« ertönte es da von allen Seiten. Und der so Begrüßte wurde nun von vielen angesprochen, so daß er und seine drei Begleiter langsamer schweben mußten.
Und im Fluge hörte der Führer der Weltfreunde ein paar Dutzend Neuigkeiten.
»Du hast recht«, rief ein sehr korpulenter Mondmann dem Mafikâsu zu, »Deine Gedanken sind stets ganz außerordentlich praktisch. Wir sind Deinem Rate gefolgt und haben die Aufnahmebedingungen an unserm Rohr erleichtert und infolgedessen zweihundert Mann auf unsre Seite gezogen. Zweihundert Weltfreunde gibts jetzt wieder mehr.«
Der Korpulente sauste so schnell wie ein Stück Gold mit schlappem Bauch in die Tiefe.
»Wird hier«, fragte Nadûke, »die Erde gar nicht mehr beobachtet?«
»Längst nicht mehr!« erwiderte der Pflastermann, »man merkt, daß Nadûke müde geworden ist; den Nebelkrater hätte so leicht keiner vergessen.«
Und Klambatsch sagte lächelnd:
»So hat mein Gedächtnis noch nicht gelitten. Und ich sehne mich doch auch nach dem Tode. Nadûke weiß nicht mehr, daß im Nebelkrater nur noch Nebelflecke beobachtet werden. So was!«
Wie in einem Bienenkorbe wogte es in der Tiefe des Kraters auf und ab – und die Stimmen der geschäftigen Mondleute summten und brummten durcheinander; jeder hatte da seine bestimmten Obliegenheiten am Rohre – wie in den Salpeterkörben die blauen Käfer, die auf dem Monde Bienen heißen und den Moossamen zerreißen.
Ein Teil der Mondleute war an den photographischen Apparaten tätig- ein andrer sorgte dafür, daß sich die Bewegung des Rohres stets in der gewünschten Weise vollzogeinzelne saßen abseits und rechneten – sehr viele hatten nur die verschiedenen Putzapparate zu beobachten und zu regulieren – und die komplizierte Beleuchtung nahm ebenfalls viele Hände und Köpfe in Anspruch.
»Jetzt«, sagte Nadûke, der sich aufmerksam das ganze Treiben am Rohre angesehen hatte, »erinnere ich mich, und ich möchte nur wissen, ob hier auch noch das Farben- und Wärme-Spektrum untersucht wird.«
»Das ist aufgegeben!« erwiderte der Pflastermann.
Und die vier flogen schneller.
Der Pflastermann fuhr leise fort:
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»Der Nadûke darf nicht vergessen, daß er sterben will. Die lebhafte Beteiligung an den Ereignissen unsrer Zeit ist den Müden nicht mehr erlaubt. Wer dem angenehmen Tode ins Auge blickt, soll nicht mehr so lebhaft sein.«»Na«, versetzte der Mafi, »so lebhaft ist der Nadûke doch nicht.«
Schweigend schwebten die vier in die große Lesegrotte der Bibliothek. Da waren alle Wände weiß wie Schnee und leuchteten wie sonnenheller Tag. Hundert Ecken hatte die Grotte. Und die Mondleute saßen auf weißen Säulen, die überall in ziemlich gleicher Höhe vor den Wänden aus der Tiefe emporragten. In Nischen, die sich dicht hinter den Säulen in die Wände hineinwölbten, lagen dicke Bücher und Mappenwerke, vor denen die Mondleute – blätternd, lesend und schreibend – sich eifrig beschäftigten mit dem, was auf fernen Nebelflecken sich ereignete.
Aufgestapelt waren die gesammelten Bücher und Mappenwerke in langen schmalen Seitengrotten, zu denen die Eingänge tiefer lagen; wie Radspeichen den Mittelpunkt des Rades umgeben, so reihten sich die Seitengrotten um die große Lesegrotte.
Sehr still wars in dieser großen weißen Lesegrotte; die vier wurden kaum bemerkt, da hier die meisten Mondleute weitab saßen und ihr Gesicht den Wandnischen zugekehrt hatten.
Wer die Beobachtungen am Nebelkrater regelmäßig verfolgen wollte, hatte mehr zu tun als an den anderen Kratern dafür gehörten aber auch die Entdeckungen, die in den ferner gelegenen Nebelflecken gemacht wurden, zu den interessantesten der ganzen Welt- es wurden nicht bloß Tausende von Momentbildern vervielfältigt – es drehte sich auch um geistreiche Auslegung, Klarlegung und Kombination der gevvonnenen Bilder- so daß in diesen Bibliotheksräumen immerzu neue Bücher entstanden.
Während die Erdbeobachtung ganz deutliche Bilder vom Kleinsten lieferte – selbst solche von Schriftzügen und Druckwerken – hatte die Nebelbeobachtung natürlich nur mit beträchtlichen Größenverhältnissen zu rechnen.
Die Bibliothek des Nebelkraters wurde von den Erdfreunden, die zum Teil viel größere Bibliotheksräume besaßen, die >Hypothesen-Bibliothek genannt.
Der Pflastermann sagte hier zum Mafikâsu:
»Es ist doch nicht richtig, daß über diese Bibliothek gespottet wird. Die Erdfreunde lernen nur Wesen kennen, die so groß wie wir selber sind. Aber die Weltfreunde lernen doch Wesen kennen, die millionenmal größer – die billionen- und trillionenmal größer sind als wir! Daß das Kennenlernen derartiger Wesen viel wichtiger ist als die Beschäftigung mit kleinen Erdmännern, die uns in so mancher Beziehung ähnlich sind – das muß doch jedem sonnenklar sein.«
»Natürlich«, versetzte Mafikâsu, »wir werden daher ganz bestimmt als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen. Jetzt heißt es aber: mit allen Mitteln und allen Kräften die große Revolution vorbereiten! Unsre Gegner werden nicht untätig sein sie werden den Mondleuten die große Arbeit wie ein Gespenst aufputzen. Wir aber werden mit dem, was nach der Arbeit kommt – hinreißen. Mit besonnener Ruhe müssen wir vorgehen. Ubrigens – daß uns die Erdmänner in der Rumpf-, Arm- und Kopfbildung äußerlich ähnlich sind, sollte man nicht für so wichtig halten.«
Die vier hatten währenddem längst die weiße Lesegrotte des Nebelkraters verlassen – sie schwebten jetzt durch die langen Smaragdgalerien, die in einer Schraubenlinie immer tiefer ins Innere des Mondes führten. Wundervoll wirkte hier der kugelrunde rote Leib des Mafikâsu – zwischen den grünen Smaragdwänden – wie ein schwebender großer roter GummiLall.
Und unten in den tiefen grauen Bleigrotten, in denen nur riesige Tag- und Stundenverkünder ein weißes Licht ausstrahl ten, da zogen die vier ihre kugelrunden Leiber ganz zusammen, daß sie wie leere Beutel aussahen.
Und so stürzten sie sich wieder kopfüber in die Tiefe – und kamen so in immer tiefere Grotten, in denen violette, braune und orangefarbige Felsenwände nur ein schwaches Dämmerungslicht verbreiteten; scharfe Kanten sah man hier selten im Gestein.
So gings tiefer und tiefer – hinab – zum Mittelpunkte des Mondes – zu den stillen Todesgrotten.
Aber der Weg war weit, und die Stundenverkünder ließen sich oft hören.
Durch die zinnoberroten Badegrotten, in denen die runzliche Haut der Mondleute durch eine Art Schwitzkur renoviert wird, gelangten die vier in die herrlichen Rauchergrotten wo die Raucher so langsam und ruhig umherschwebten, als ginge wirklich gar nichts vor in den großen weiten Sternallwelten; die wurden hier oftmals ganz und gar vergessen.
Diese Rauchergrotten waren allen Mondleuten sehr wohl bekannt- und wurden immer Beruhigungstempel genannt und gehörten zum Herrlichsten, was es im Innern des Mondes gab; hier wuchsen jene köstlichen Blumen, die in ein paar Sekunden eine halbe Meile groß werden konnten.
Diese Blumen, die in allen Farben irisieren und opalisieren, sind hauchartig dünne Fächergebilde und kolossalen bunten Eisblumen ähnlich; aber die Blumen in den Rauchergrotten sind nicht einseitig- sie können sich nach allen Seiten entfalten – werden weite Spitzenblüten und Strahlendüten mit Schaumranken und haarfeinen Adern, die sich kräuseln – zitternd und glühend.
Jeder Mondmann hatte in seinem Rucksack, der am Rumpfgurte hing und gewöhnlich hinten auf dem Ballonleibe lag, seine kleine dicke Stein-Pfeife, in deren Kopf ein seltsamer Schwamm stak – dieser Schwamm wurde sofort glühend, so bald er mit einer Schaumranke der großen Duftblumen in Berührung kam – und dann ließ sich der Schwamm rauchen.
In den glühenden Schwamm zog die ganze Biume hinein, so daß diese verging wie eine Vision.
Und so rauchte der Mondmann meilenhohe Blumen, die so fein sind, daß sie von den zartesten Händen nicht zu bemerken wären.
Duftende irisierende Rauchwolken wirbeln aus der dicken Stein-Pfeife des rauchenden Mondmannes heraus. Und der Rauch ist so bunt – wie Regenbogen, die sich schlängeln und sich umschlingen, und wie Opalgeflimmer, das wie Schnee herumrieselt – so daß man im Rauche noch die Blumen er kennt.
Mafikâsu steckte sich jetzt auch seine Pfeife an, und seine drei Begleiter folgten seinem Beispiel.
Und ein langes Lächeln floß über das Gesicht des müden Nadûke,und er sagte zum Klambatsch:
»Ein langes Leben zieht an mir vorbei – steigt so schnell auf – wie da drüben die knisternden Blumen.«
Und drüben wuchsen wieder neue Blumenwälder aus der Tiefe empor.
Die Zapfengrotten, in denen die Raucher dahinschwebten, waren sämtlich dunkelbraun und spendeten kein Licht; die Blumen leuchteten hier viel feiner als alle Wände – und auch viel feiner als die Mondmänner selher – da das Blumenlicht immer wieder wie Opalgeflitter aufflatterte und dann irisierend in Schlangenlinien dahinzog und zitterte.
Es war so – denn nicht alle Teile der Blumen spendeten Licht-, als wenn die Raucher eigentlich nur dieses Licht in den Blumen rauchten, da der Rauch beinahe ganz so aussah wie dieses Blumenlicht; die Farbenspiele des Rauches waren nur gedämpfter und zuweilen etwas trübe.
Große Scharen von Mondleuten zogen an den vieren rauchend vorüber, und die großen Blumen, die in ein paar Sekunden eine halbe Meile groß werden können, wuchsen immer wieder von neuem – knisternd.
Und die vier schwebten durch eine Nischenpforte und schossen wieder kopfüber in schier unüberschaubare meilentiefe Grotten hinein, die teilweise ihr Licht nur von herumschwirrenden Käfern empfingen; nicht alle Felsenwände im Mondinnern haben Leuchtkraft; doch die dunkeln Felsen wirken fast immer wie Sammet.
Und nun flogen die vier in das Reich der großen Fabrikgrotten, allwo blaue und grüne und rote Flammen, ohne Rauch zu erzeugen, um die glatten spiegelnden Felsenwände flackerten. Hier hörte man fortwährend ein großes Hammern, Klirren, Klappern, Rollen und Stampfen; an neuen Teleskopen und an neuen Utensilien und Apparaten ward ohn Unterlaß in den Fabrikgrotten gearbeitet.
»Es geht doch«, sagte der Pflastermann, »niemals so schnell, als man denkt.«
Die Stundenverkünder zeigten den Herren an, daß sie schon länger als hundert Stunden unterwegs waren.
Bald war ein halber Mondtag dahin.
So schnell konnte man die Todesgrotten nicht erreichen, wenn man auch noch so fix hinunterstürzte.
In den Delikatessgrotten machten die vier noch einmal Rast. Dort leuchteten die dicken Lüfte selber in den verschiedensten Farben und in verschiedener Lichtstärke.
Diese Luft einzuatmen, war den Mondleuten ein ganz besonderes Vergnügen; diese dicken leuchtenden bunten Lüfte bildeten lauter Luftdelikatessen.
Brummkäfer waren immer in Menge da.
Aber lange hält es der Mondmann in dieser prickelnden Atmosphäre nicht aus; wohl lebt der Mann mit dem Luftleibe nur von der Luft- aber ihm ist die leuchtende Luft nicht unentbehrlich – die ist nur sone Art Sonntagsscherz.
Nachdem Mafi und seine drei Begleiter sich genügend in der Lichtluft erquickt hatten, sausten sie weiter hinab – ihrem Ziele zu.
Und zweihundert Stunden später waren sie endlich unten nicht weitab vom Mittelpunkte des Mondes – in den Todesgrotten.
Da sitzen die Mondleute nicht auf Säulen, denn da sind keine Säulen.
Die Wände steigen in Terrassen empor.
Und auf den Terrassen liegen die Mondleute; sie haben ihren Kopf in eine Hand gestützt, der Ballonleib liegt glatt wie ein dickes Fell auf dem Stein – und auch unter dem Arm, dessen Hand den Kopf stützt.
Ein leises Flüstern läßt sich auf den Terrassen vernehmen.
Und von allen Seiten fliegen eilig die Gehilfen des Pflastermannes herbei und wollen die drei Herren zur Ruhe bringen.
Mafikâsu schüttelt lächelnd mit dem Kopfe, und der Pflastermann sagt leise:
»Nur diese beiden, die Herren Nadûke und Klambatsch, wollen ihrem Leben ein Ende machen. Gebt den Herren einen Platz mit interessanter Perspektive; sie haben in den Zinnkratern große Arbeiten vollbracht – von vielen Mondleuten sind sie als Führer anerkannt worden.« Und die Gehilfen, lauter gute sehr freundliche Mondleute, die ihr Amt sich selber wählten, bringen Nadûke und Klambatsch in eine entfernte Terrassenecke, die sich unter einer weiten Kuppelöffnung hinzieht, durch die man hoch hinaufblicken kann – durch kanten- und seitenreiche Lichtgrotten durch; fast sieben Meilen lang ist die Perspektive von einzelnen Punkten aus.
Mafikâsu schwebt mit dem Pflastermann neben der reich gegliederten Horn-Terrasse dahin, und beide überschauen die langen Reihen der Sterbenden, die leise flüstern.
Die Sterbenden sprechen aber nicht zueinander – sie sprechen zu sich selber.
Und dennoch sinds nicht Monologe, die flüsternd über ihre Lippen kommen.
Das Sterben auf dem Monde ist nicht so wie das Sterben auf der Erde.
Wer auf dem Monde müde wird, fühlt bald in der dem Rumpfe naheliegenden Ballonhaut einen Schmerz. Und wer diesen Schmerz fühlt, schwebt hinab zu den Todesgrotten und läßt sich dort ein Pflaster auf den oberen Teil der Ballonhaut legen. Und das Pflaster lindert den Schmerz. Und aus der vordem schmerzenden Stelle wächst ein andrer Rumpf heraus, der anfänglich ganz klein wie ein Pilz ist – aber in Bälde Kopf und Armbildung zeigt.
Und während der alte Rumpf immer mehr zusammenschrumpft, entwickelt sich der neue Rumpf – genau in den Formen des alten; der neue hat nur anfänglich eine nicht so runzelreiche Haut.
Und der alte Kopf spricht zu seinem neuen Kopf – wie ein Vater zu seinem Kinde.
Und so geht der Geist des Vaters langsam in den des Sohnes über.
Und es ist eigentlich kein Tod – es ist nur eine Wiedergeburt.
Und es ist wundersam, zu sehen, wie das Alte in das Neue übergeht.
Und es ist wundersam, zu hören, wie das alte Ich zu seinem neuen Ich spricht und ihm alles erklärt, was es auf dem Monde wissen muß.
Und so lange spricht der alte Kopf – bis der neue genauso klug und ebenso weit ist wie der alte.
Und es ist so, als wenn sich Doppelgänger miteinander unterhalten.
Und es ist ein vollkommenes Aufgehen des Alten – im Neuen.
Und es stirbt eigentlich nur die Haut des Alten – die schließlich vergeht – wie eine Blume vergeht – in den Rauchergrotten.
Mafikâsu hält an in der Luft und horcht und hört, was ein Sterbender zu seinem neuen Leben sagt.
Der Pflastermann schwebt weiter durch eine Bogenpforte durch.
»Es wird sich«, sagt der alte Kopf zu seinem neuen, »vieles ereignen, was Unruhe auf dem Mond erzeugen muß. Vielen Mondleuten genügt das Leben nicht mehr, das sie führen; sie wollen die Fülle ihrer Weltbilder noch vergrößern; sie wollen noch mehr anschauen können als bisher. Die große Revolution, die uns eine Abkehr von der Betrachtung der Erde bringen wird, kommt. Aber bei allen revolutionären Bewegungen dürfen wir nie vergessen, daß uns nur die reine absichtslose Anschauung das Glück schaffen kann. Wir müssen immer ganz ruhig auch die unruhigen Bilder nur als Bilder auf uns wirken lassen – wie ein großes Bilderspiel, dem wir ohne Absicht als ferne Zuschauer zuschauen dürfen. Wenn uns das, was für uns in und auf den Sternen sichtbar wird, nicht mehr unterhaltend genug erscheint, so dürfen wir ja vvohl danach streben, durch bessere Vergrößerungsgläser tiefer in diese Lebensspiele der Sterne zu dringen. Aber vergessen dürfen wir dabei nie, daß dieses Mehrhabenwollen eine Gefahr in sich birgt. Wir könnten so leicht von der sich selber genug gebenden, alle Absicht verschmähenden Betrachtung der Welt abgelenkt werden und in der zerstreuenden Tätigkeit mehr erblicken als in der sammelnden Anschauung. Ich fühle, daß Du mich verstehst; Du wirst so leben, wie ich gelebt habe.
Und ich fühle, daß ich in Dir lebe und leben werde. Aber behalte das eine: Geh überall mit, wenn die Neuerungsstürme kommen – widersetze Dich nicht – doch bleibe stets in allen Phasen der Entwicklung mit dem momentan Daseienden im Einklange – daß Du immer Dich ganz behalten kannst – in den Bildern, die Du hast.«
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Mafikâsu hörte das und zitterte und wurde glühendrot, doch gleich darauf wurde er wieder silbern wie sonst – und dann kam ein grünlicher Ton in seine Hände – und als der Führer der Weltfreunde das bemerkte, erschrak er heftig – denn die grüne Farbe am Leibe der Mondleute bedeutet Ärger und Stimmungen, deren sich jeder Mondmann schämt.Und Mafikâsu ließ den Kopf sinken und schwebte langsam weiter.
In den großen Todesgrotten wars immer sehr still, und das leise Flüstern auf den Terrassen machte die Stille noch empfindlicher.
Hoch oben in den meilenhohen dunklen Deckengewölben glitzerten Goldmassen, als wärens Sterne am dunklen Himmel.
Und die Wände mit ihren Zacken und Torbögen waren alle dunkelviolett und so wie von Sammet, und auf den glatten Bodenflächen der Terrassen flimmerte es – wie von dunklen Perlen.
Und auf diesen Terrassen mit dem dunklen Perlenglanz lagen die alten Mondleute bequem auf der Seite – den Kopf in der Hand – die runzliche Ballonhaut ihres Leibes war ihnen zum Diwan geworden.
Und vor ihnen wuchs – hellblau geisterhaft leuchtend – der Rumpf ihres neuen Ichs aus ihrem Leibe heraus.
Die Neuen waren immer hellblau – so lange die Alten noch da waren.
Und die Sterbenden konnten, während sie bequem auf der einen Seite ihrer Ballonhaut lagen, auf der anderen Seite ihr neues Leben wachsen sehen- und sprechen hören.
Und das Alte und das Neue war so freundlich zueinander, daß es einfach rührend erschien.
Und die Hellblauen wuchsen langsam und stetig, und die Alten schrumpften im selben Maße zusammen.
»Die Anschauung!« flüsterte ein Hellblauer.
Und ein andrer sagte leise:
»Der Einklang mit dem Daseienden!«
Und ein Dritter sagte:
»Stetes Zusammenklingen mit dem, was wir haben!«
Und ein Vierter sprach ganz weich:
»Stetes Zusammenklingen mit dem Ganzen; alle Mondleute müssen zusammen ein Wesen bilden.«
Und ein Fünfter rief leise lachend:
»Die Welt muß in uns hinein – mit allem!«
Und so sagten alle sehr oft nur das, was sie für schrecklich wichtig hielten.
Die grüne Farbe des Leibes war den neugeborenen Mondleuten noch ganz unbekannt.
Aber das Gedächtnis des neuen Mondmannes ward sehr bald so reich und vollständig – wie das Gedächtnis des alten wenn dieser ganz weg war.
So wurde das Leben erhalten – in den heiligen Hallen der Wiedergeburt – tief unten in der Nähe des Mittelpunktes.
In die dunkelvioletten stillen Todesgrotten zogen die Mondleute müde hinein – und kamen verjüngt und lebensfrisch wieder raus.
Während Mafikâsu neben den Terrassen, die im Zickzack weiterführten, dahinschwebte und sich den Neugeborenen, die schon fortkonnten, zu nähern suchte – währenddem konnte man in den tiefergelegenen Partien der Todesgrotten ein leises Klopfen und Hämmern vernehmen – Mafikâsus Freunde suchten da unten eifrig Zugänge zu neuen Höhlen auf.
Verschiedene neue Höhlen, in die die Mondleute nur auf den Händen gehend hineingelangten – wobei sie irdischen Vögeln ähnelten, wenn die auf der Erdoberfläche gehen – verschiedene neue Höhlen waren schon weiterab in anderen Regionen entdeckt worden. Aber seit fünfzig Jahren hatten die Entdeckungen aufgehört – und wie oft sie auch da unten hämmerten und klopften – es klang an keiner Stelle hohl – es gelang nicht – auch unter den Todesgrotten kam man schlechterdings nicht weiter.
Und das machte die Mondleute da unten sehr traurig, denn danach ließ sich das große Fernrohr, das die Länge des Monddurchmessers erreichen sollte, nur nach kolossalen Bohrarbeiten durchbringen.
Und zu den Bohrarbeiten mußten alle Mondleute ohne Ausnahme hinzugezogen werden. Und das hielt sehr schwer.
Für die Bohrarbeiten ließen sich die beschaulich lebenden Mondleute nicht so leicht begeistern.
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Ein halbes Jahr später saß Mafikâsu im Ratskrater, und die großen Erdfreunde Knéppara und Loso waren ebenfalls da.Man sprach über die Erde.
Schließlich sagte Mafikâsu nach all den langen Reden kurz und feierlich:
»Ich möchte nicht mehr ein einziges Wort gegen die Erdbetrachtung sagen, wenn wir bemerken würden, daß die Erdmänner ganz ernsthaft darangingen, ihre bunt gefärbten Kriegsheere abzuschaffen, und nicht mehr daran dächten, sich in Masse gegenseitig umzubringen.«
Es wurde sehr still im Ratskrater- die hundert Ratsherren hielten sämtlich den Atem an.
Dann bemerkte nach einer guten Weile Knéppara, der Erdfreund, leise:
»Die Existenz dieser kostümierten Massenmörder ist auch uns ein Dorn im Auge.«
Nach diesen Worten ließ sich wieder ein leises Atmen in der Versammlung vernehmen.
»Ich möchte«, fuhr nun Mafikâsu mit klarer weithin hallender Stimme fort, »den Erdmännern genau fünfzig Jahre Zeit geben – und die Annahme oder Ablehnung der von mir geplanten Bohrarbeiten von der Weiterexistenz dieser irdischen Kriegsheere abhängig machen. Werden diese in fünfzig Jahren mindestens zur Hälfte abgeschafft, so wird von dem großen Fernrohr, das die Länge des Monddurchmessers haben soll, niemals mehr die Rede sein.«
Wieder wird es sehr still im Ratskrater – noch stiller als vor hin.
Und dann sagt der Erdfreund Loso leise:
»Dieser Vorschlag kommt uns doch etwas unerwartet. Ich wäre beinahe nicht abgeneigt, auf diese Sache einzugehen doch möchte ich zunächst Knépparas Meinung hören.«
Es entsteht jetzt eine allgemeine Bewegung.
Die hundert Ratsherren, die alljährlich und zuweilen auch öfter im Ratskrater über die allgemeinen Angelegenheiten der Mondvölker sich beraten und schließlich für alle Beschlüsse fassen, sitzen in drei weiten Kreisen auf Amethystsäulen, die von der Natur gebildet sind und sehr tief hinuntergehen; der mittlere Säulenring ist höher als der innere, und der äußere höher als der mittlere. Hinter dem äußeren Säulenringe, den fernen Wänden zu, liegen hohe kantige Klötze von Bergkrystall wild durcheinander, als wären sie mal runtergefallen; auf diesen Krystallklötzen sitzen Tausende von Zuhörern, die Stimme im Rate der Hundert nicht haben.
Der obere Teil der kuppelförmigen Ratsgrotte besteht wie die Wände ebenfalls aus Bergkrystall, der das Sonnenlicht teilweise durchläßt.
Die Ratsgrotte ist die einzige Grotte, die Sonnenlicht von den Wänden empfängt; sie erhält von diesem aber noch mehr durch das Kraterloch, das sich oben in der Mitte der Kuppel öffnet und die Amethystsäulenringe ganz ausgiebig mit Licht versieht.
Die Ratssitzungen finden immer nur statt, wenn draußen die Sonne scheint.
Da saßen nun die hundert Ratsherren auf ihren Amethystsäulen und sprachen eifrig miteinander, sie erhoben sich auch zuweilen und wechselten die Plätze, und sehr viele Ratsherren wurden glühendrot bei der lebhaften Unterhaltung.
Wenn die Ballonbäuche anschwellten und sich dadurch die Rümpfe höher aufreckten – so sah das immer- besonders bei roten Leibern – sehr erregt aus – geschah jedoch nur aus Bequemlichkeitsrücksichten, um dem Nachbarn bei der Unterhaltung näher zu sein.
Der Platzwechsel geschah ganz zwanglos – und wirkte sogar sehr elegant, wenn sich der Ballonleib beim Niederlassen so weich zusammenzog und sich so wellig um den unregelmäßigen Krystallkopf der Amethystsäule schmiegte – es lag so was Weichumfassendes in diesem Platznehmen.
Und nun hob Knéppara seine zarte Rechte mit den sieben Fingern empor – und die sieben Finger wurden rot – und flatterten in der Luft herum.
Und der ganze Knéppara wurde rot und blies seinen Ballonleib auf, so daß sich sein Rumpf hoch aufreckte. Da wußten alle, daß Knéppara sprechen wollte.
Und es ward wieder still in der großen Ratsgrotte – und das Tageslicht kam von oben aus dem Krater ganz hell herunter und überstrahlte die Fühlhörner auf den Köpfen der Ratsherren.
Der Phosphorglanz des Körpers verschwand im Tageslicht – die Körper wurden perlgrau – flimmerten auch mal so ein bißchen wie Perlen – doch nur matt und nicht lange.
Die Mondleute, die da rot waren wie glühendes Eisen, bliebens auch im Tageslicht.
Die Zuhörer in den Nischen und auf den Klötzen von Bergkrystall saßen wie Steinfiguren da – unbeweglich und farblos.
Die Ratsherren hatten jetzt alle eine flimmernde bunte Haut – und nur der Knéppara, der reden wollte, hatte eine rote Haut.
Und der weise Knéppara sprach:
»Nach den Worten des großen Mafikâsu hätte man glauben können, wir seien nur Erdfreunde, um die kleinen Erdmänner zu beobachten. So aber ist dem doch nicht. Wir denken doch nicht daran, die Erdmänner mit den Mondmännern zu vergleichen. Wir denken auch nicht daran, die Erdmänner zu den Mondmännern in ein gegensätzliches Verhältnis zu bringen. So viel Ehre tun wir den Erdmännern, diesen simplen Beinkreaturen, gar nicht an. Was uns zur steten Beobachtug der Erde reizt, hat natürlich andre Gründe. Uns interessiert in erster Linie der Stern Erde als Ganzes. Und wenn wir den Erdmännern bei Beobachtung der Erde eine größere Aufmerksamkeit widmen – so geschieht das nur, weil der von uns so genannte Erdmann die größten Arbeiten bei Entwicklung der Erdoberfläche vollbringt. Wir sehen, wie der Erdmann Schienennetze und Drahtnetze um den Erdball spinnt, wir sehen auch den Erdmann große Steinmassen an vielen Punkten der Erde zusammentragen und auftürmen und in diesen Steinmassen eine Überfülle von Licht zur Nachtzeit erzeugen. Aber all diese Tätigkeit des Erdmanns genügt nicht, um ihn mit einer höheren Stufe von Geistern zu vergleichen. Dem nach können wir vorläufig noch nicht verlangen, daß der Erdmann seinen niedrigen Mordinstinkten entsagen soll – er gehört zur Klasse der sogenannten Bestien, und wir haben kein Recht, von diesen mehr zu verlangen, als ihre jämmerliche Gewalts-Natur leisten kann.«
Die Zuhörer an den Krystallwänden ringsum sahen sich nach dieser Rede bedeutungsvoll an und gaben sich viele Zeichen der Zustimmung; nur einzelne schüttelten den Kopf.
Unter den Zuhörern waren alle Rassen der Mondbevölkerung vertreten. Die Rassen unterschieden sich vornehmlich durch die Zahl der Finger und durch die Länge der Arme. Es gab Mondmänner mit drei Fingern und auch solche mit vier oder fünf oder sechs oder sieben Fingern an jeder Hand, und die Länge der Arme brachte noch weitere nationale Unter schiede hervor.
Zu jedem Krater gehörte gewöhnlich eine ganz bestimmte Rasse, was jedoch nicht ausschloß, daß an größeren Kraterteleskopen auch Mondmänner der verschiedensten Rassen tätig waren. Irgendein inneres Widerstreben gegen Vertreter anderer Rassen war seit Jahrtausenden unbekannt, da die Gestalt der Gliedmaßen auf die Ausgestaltung der Geistesstruktur nur einen untergeordneten Einfluß hatte.
Nach einer längeren Pause, in der eine Unterhaltung in den drei Ringen nicht stattfand, nahm wieder Mafikâsu das Wort und sprach – langsam – und still:
»Die Beschäftigung mit den Erdmännern scheint mir doch nicht ohne Selbstzweck zu sein. In den Bibliotheken, die der Erdbeobachtung angehören, befinden sich nun bereits Millionen von Büchern und Mappenwerken, in denen nur Lebensmomente der Erdmänner fixiert wurden. Wir wissen, daß die Erdmänner auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe stehen; sie bedürfen noch fester Nahrung – sie ernähren sich dadurch, daß sie verwandte Lebewesen als Leichen in ihren Körper stopfen und da vermodern lassen. Wir nennen das den Bestienzustand. Die Erdmänner sind aber viel schlimmer als die gewöhnlichen Bestien – sie richten einzelne ihrer Stammesgenossen dazu ab, andre Stammesgenossen durch Schuß-, Schlag- und Sprengwaffen zu töten, um ihnen das, was sich diese ihre Brüder geschaffen haben, fortzunehmen. Das sind saubere Brüder! Knéppara sprach von kostümierten Massenmördern. Ja – wie soll ich das verstehen? Will uns Knéppara dadurch beweisen, daß er die Erdmänner gründlichst verachtet? Die Bibliotheken mit den Millionen Büchern und Mappenwerken, deren ich vorhin Erwähnung tat, sprechen doch eine andere Sprache. Ich halte es doch für bedenklich, wenn die harmonisch gebildeten Mondmänner solchen gemeinen Kreaturen, die ganze Scharen ihrer Stammesgenossen zu Massenmördern abrichten, noch immer ein so großes Interesse entgegenbringen, daß viele Tausende von neuen Büchern alljährlich nur mit den Taten dieser Bestienvölker erfüllet werden. Ich glaube nicht daran, daß diese Beschäftigung nur ein Mittel zu höheren astralen Zwecken sein könnte. Ich kann nicht daran glauben. Wir sollten doch den Lebewesen, die höher stehen als wir, das größere Interesse entgegenbringen. «
Mafikâsu schwieg, und ein leises Beifallsmurmeln ging an den Krystallwänden durch die Reihen der Zuhörer.
In den drei Amethystringen bewegte sich niemand; man erwartete, daß Knéppara nochmals sprechen würde.
Und Knéppara sprach – nach einer guten Weile – also:
»Da der Stern Erde nicht durchsichtig ist, wie es vielleicht die Rückseite unseres Mondes sein könnte, so müssen wir uns mit dem Studium der Oberfläche des Erdballs begnügen. Ich wüßte aber nicht, wie man dabei das höchst bewegte Leben der Erdmänner übersehen möchte. Daß die Lebensverhältnisse auf der Erdoberfläche sich nicht im Stadium einer höheren Entwicklung befinden, ist uns doch sehr wohl bekannt. Von der rauhen Schale kann man aber nicht so ohne weiteres auf die Beschaffenheit des Kernes schließen. Wir beschäftigen uns mit der Schale – nur in der Hoffnung, daß sie uns mal einen Einblick ins Innere der Erde gewähren könnte.«
»Dazu also«, rief nun der Mafikâsu laut, »die kolossale Arbeit? Dazu? Bloß um mal ins Innere sehen zu können? Oh! Oh! Ich glaube, es ist nicht richtig, die Sterne mit den Nüssen zu vergleichen, die ja wohl zuweilen auf unsern Moosfeldern wachsen. Wenn unsre Nüsse platzen, verbreiten sie ja wohl einen angenehmen Duft. Aber die Sterne – wenn die platzen! Das ist doch nicht so einfach. Ich bin der Meinung, daß der Stern Erde in einem Zustande sich befindet, der uns nicht interessieren kann, da unser Mond in diesem Zustande vor vielen Millionen Jahren war. Und was so viel jünger ist, kann nicht interessanter als das Ältere sein. Ich halte den Stern Erde auch im Innern für unentwickelt. Der Kern ist noch lange nicht reif, und die Schale platzt noch lange nicht. Und darum sollten wir das Studium dieses Sterns aufgeben und unsern Blick auf jene Sterne richten, die den Mond an Großartigkeit und Vortrefflichkeit überragen.«
Da lief der große Knéppara ganz grün an, ohne es zu bemerken – so sehr ärgerte er sich über Mafi’s Worte.
Und die anderen neunundneunzig Ratsherren erschraken über die grüne Haut des ärgerlichen Knéppara und gerieten in die peinlichste Verwirrung.
Aber der große Knéppara nahm das alles nicht wahr, richtete sich hoch auf, daß sein Leib beinahe Kugelform erhielt, und sprach mit flatternden Händen und Armen in heiserem Tone:
»Wenn die Weltfreunde den Stern Erde angreifen – in dieser Weise – dann muß ich den großen Weltfreunden doch auch ein offenes Wort sagen: Dieses Streben nach immer neuen Genüssen und nach immer neuen Welten hat durchaus den Charakter der Unersättlichkeit – und nicht den der Beschaulichkeit. Und so bin ich der Überzeugung, daß sich die Weltfreunde in einem überreizten Zustande befinden.«
Knéppara hielt inne, denn er bemerkte, daß seine Hände noch grüne Flecken zeigten – zwar fuhr er gleich wieder fort in seiner Rede – doch jetzt klangen seine Worte plötzlich leise – wie aus weiter Ferne.
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»Solche unbefriedigten Zustände«, sagte er, »sind den Erdmännern sehr genau bekannt. Die Erdmänner leiden unter einer unersättlichen Gier nach immer neuen Reizen, wenn ihr Sexualsystem überreizt worden ist. In solchen Zuständen will auch der Erdmann in andere Welten hinein -und würde so den Weltfreunden bei uns sehr gut gefallen. Ich tue daher wohl nicht Unrecht, wenn ich unsre Weltfreunde mal mit den überreizten Erdmännern vergleiche. Wohl haben wir Mondleute ein so primitives dualistisches Sexualsystem, wies die Erdmänner kennen, nicht mehr- aber ich weiß nicht, ob ich in dieser Gier nach den neuen Welten und nach dem großen Fernrohr, das die Länge des ganzen Monddurchmessers wirklich erreichen soll – nicht atavistische Empfindungen wittern dürfte. Jedenfalls gebe ich den Weltfreunden in jedem Falle zu bedenken, daß sie durch ihre Agitation fürs große Rohr die Begehrlichkeit der Mondvölker in gefahrdrohender Weise aufreizen und das beglückende Aufgehen in der Anschauungsfreude verletzend bedrängen. Ich bitte um Verzeihung, daß ich vorhin grün wurde. Ich fühle, daß alles, was die Erdfreunde auf dem Monde schufen und sammelten, in leichtsinniger Weise vernichtet werden könnte – und das erregt in mir Furchtgefühle, die mir zeitweise leider unmoglich machen, die Vergrünung meines Korpers zu verhindern.«Nach diesen Worten legte sich eine bleierne Stille auf die Versammelten – auch an den Wänden bei den Zuhörern schien alles versteinert zu sein – die Mondleute saßen wie Puppen da und bewegten nicht ein Fühlhorn.
Alle dachten über das, was Knéppara gesagt hatte, furchtbar eifrig nach.
Man glaubte allgemein, der große Mafikâsu würde noch einmal das Wort ergreifen.
Aber das geschah nicht so, wie mans dachte.
Mafikâsu sagte nur leise, nachdem es fast eine Stunde ganz still gewesen war:
»Ich bitte, über meinen Antrag abzustimmen. Wir wollen die Entscheidung über die Bohrarbeiten und über das große Fernrohr von der Weiterentwicklung des erdmännischen Kriegswesens abhängig machen. Werden die großen Heereskörper, die in dieser Größe noch keine hundert Jahre alt sind, in den nächsten fünfzig Jahren sichtbarlich verringert, so daß nach fünfzig Jahren nur noch die Hälfte der momentan vorhandenen Soldaten da ist- so verzichten die Weltfreunde auf das große Fernrohr und auf sämtliche Bohrarbeiten für alle Zeiten endgültig.«
»Ist es«, fragte da ein Erdfreund, »auch sicher, daß wir die Zahl derer, die zu Heereszwecken auf Erden kostümiert sind, jeder Zeit genau zählen können?«
»Das läßt sich machen! « erklärte der weitsichtige Loso, »die Erdmänner im Kriegskostüm heben sich täglich so lebhaft von der Landschaft ab, daß wir höchstens die Kranken übersehen könnten. Wir haben aber überall die Zähllisten und viele kriegswissenschaftliche Werke seitenweise photographiert, so daß uns nicht einmal die kranken Kriegsmänner entwischen dürften.«
Hierauf gaben sich die Ratsherren gegenseitig durch Handbewegungen zu verstehen, daß sie geneigt seien, die Abstimmung vorzunehmen.
Und wies nun wieder ganz still wurde, fingen einzelne Mondmänner an, allmählich glühendrot zu werden, während andere allmählich dunkelgrau wurden und jeden Farbenton verloren.
Die Roten sagten durch ihr Rot, daß sie den Antrag annehmen möchten, die Grauen sagten durch ihr Grau ein entschiedenes Nein.
Und als nun die Roten gezählt wurden, warens nur dreiundzwanzig Rote – und es hätten fünfundsiebzig Rote gewesen sein müssen, wenn Mafikâsus Antrag angenommen sein sollte.
Mafikâsu lächelte.
Und die hundert Ratsherren bliesen ihren Ballonbauch auf und stiegen langsam höher – schwebten durchs Kraterloch empor – in den hellen Sonnenschein.
Rasibéff, der unter den Zuhörern war, schoß eilig auf Mafikâsu zu und lächelte ebenfalls.
Die Weltfreunde waren mit der Abstimmung gar nicht unzufrieden.
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Während nun die Weltfreunde gar nicht unzufrieden waren und dem Gange der Ereignisse mit ruhiger Zuversicht entgegenblickten, bemächtigte sich der Erdfreunde eine ganz außergewöhnliche Erregung.Und nach Verlauf einiger Mondtage waren Tausende von Erdfreunden von ihrer >Sache< dermaßen begeistert, daß man bei ihnen von ruhiger Anschauungsfreude kaum noch Spuren wahrnahm.
Die Weltfreunde sahen sich plötzlich einer gradezu schwungvollen Gegenagitation gegenüber.
Zunächst versuchten die an den Zinnkratern tätigen Mondleute bessere Photographien von den Gesichtern der Erdmänner zu verbreiten; es wurde sehr eifrig überall erklärt, daß die bislang bekannt gewordenen Gesichter der Erdmänner keinen Schluß auf die Allgemeinheit der erdmännischen Gesichtsbildung zulassen.
Der in allen photographischen Fragen maßgebende Ratsherr Loso äußerte sich zu dieser Angelegenheit in einem Rundschreiben folgendermaßen:
Wir können vom Monde aus naturgemäß nur selten das freie Gesicht des Erdmannes sehen – hauptsächlich nur dann, wenn dieser auf dem Rücken auf freiem Felde daliegt und schläft. Wir wissen nun aber, daß diese Schlafenden zumeist >obdachlos< sind, welches Wort auf Erden soviel wie >gemeingefährlich< bedeutet. Diese Obdachlosen, die von den Erdmannern auch >Stromer< genannt werden, haben Gesichter, die uns ein ganz falsches Bild von der Beschaffenheit der erdmännischen Gesichtsbildung geben. Wir veröffentlichen daher zunächst zweitausend Erdmannsgesichter, deren Bildung nicht als eine einfach-bestialische bezeichnet werden kann. Es zeigt sich in diesen neu herausgegebenen Photographien eine immerhin so ansprechende Gemütsart, daß wir das Stromerantlitz schlechterdings als Ausnahme behandeln müssen. Vorstehendes bitten wir gütigst zu berücksichtigen und danach die Vorstellungen vom Wesen des Erdmannes zu modifizieren.
Gleichzeitig veröffentlichte Knéppara, der sich immer noch sehr aufgeregt benahm, ein anderes Rundschreiben, das diesen Wortlaut hatte:
Die Kraterteleskope der Erdfreunde haben infolge ihrer beispiellosen Vergrößerungskraft in der letzten Zeit eine so kolossale Fülle von Beobachtungsmaterial geliefert, daß es momentan bereits schwer ist, das Wichtige vom Nebensächlichen zu trennen. Wohl gehören die Erdmänner im allgemeinen zu den niedrigen Lebewesen, die nur durch Abtöten und Runterschlucken andrer noch niedriger stehender Lebewesen ihre Existenz verlängern können – andrerseits muß es aber nach den photographischen Buchseiten, die für uns jetzt endlich lesbar geworden sind, auch Erdmänner geben, die von der Welt mehr als das Eß- und Trinkbare wahrnehmen. Diese Erdmänner, die bedeutender sind, heben sich deutlich aus den abstoßenden Volksmassen heraus; die Galerie dieser alleinstehenden Erdmänner verspricht, eine sehr interessante zu werden. Während die Mondmänner infolge ihrer vollendeten Natur, die sich ohne weiteres durch bloße Luftzufuhr am Leben erhält, in den Hauptzügen ziemlich gleichartig sind, ist die so heftig nach Erhaltung ringende Lebensart auf der Erde imstande, einen viel größeren Reichtum an Entwicklungsformen zu äußern. Die allgemeine Verachtung, die wir bislang dem Erdmann entgegenbrachten, scheint denn doch in mancher Hinsicht eine durchaus gerechtfertigte nicht zu sein. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Erdleute infolge der mangelhaften Beschaffenheit ihrer Natur sehr oft darüber nachdenken, wie sie wohl ihr klägliches Leben verbessern könnten. Und bei diesem Nachdenken kommen Dinge zum Vorschein, die die Erdleute mit dem Namen >Kunst< belegen. Wir haben dieses Wort >Kunst< bereits seit Jahrtausenden vergessen, da unsre mangellose Lebensweise uns nicht nahelegt, ein besseres Leben, das wir nicht zu einem wirklich für uns daseienden machen können, auszudenken und auszumalen. Jedoch die Erdleute erregen immer wieder ihre Phantasie und schaffen sich eine andere bessere Welt in dieser. Wohl tun das nur die feineren Erdleute – aber diese müssen doch da sein – sonst könnten wir auf der Erde nicht Malereien, Steinbauten, Standbilder, Dichtungen und Musikwerke in so großer Zahl entdecken und photographieren. Vielleicht können wir später mal aus dem Zusammenwirken der verschiedenen irdischen Künstlerindividualitaten, zu denen wir auch gar nicht unkluge Denker, die nur über die Welt nachdenken, ohne was wie wir von ihr zu sehen, zu rechnen haben, einen vernünftigen Schluß ziehen – auf die Gesamtnatur des Sterns, der fur uns Erde heißt und doch auch als Stern sehr interessant sein muß. Zu diesem Behuf erscheint uns eine Weiterarbeit an dem uns vorliegenden riesenhaften photo graphischen Material, das uns von allen Erdteilen Millionen von Bildern liefert, durchaus erforderlich. Durch Jahrtausende beobachten wir bereits die Erde, und unsre Apparate sind mit der Zeit vollkommen geworden. Die Einschränkung der Arbeiten an den Teleskopen, die ständig auf die Erde gerichtet werden, erscheint uns grade jetzt in absehbarer Frist nicht für angänglich. Wir bitten die Mondvölker alle ohne Ausnahme, das hiermit Gesagte gütigst in Erwägung zu ziehen und danach die Tagesfragen sachgemäß zu beurteilen.
Nun – diese beiden Rundschreiben gaben einen sehr großen Gesprächsstoff ab, so daß ein Mondmann, der bloß silbern phosphorescierte und keine Spur Röte am Körper zeigte, bald so seltsam auffiel wie ein pechschwarzer Komet.
Jetzt wurden von den Mondleuten infolge des lebhafteren Verkehrs auch wieder jene Krater aufgesucht, in denen sich beim Luftwechsel zu bestimmten Zeiten herrliche Töne hören ließen – die oft wie große Orchestermassen in klangvoll rauschendem Melodienfluß das Ohr mit Entzücken erfüllten – wie Töne aus fernen Geisterwelten.
In der Nähe dieser Musikkrater wurde von der Kunst der Erdmänner oft in sehr erregten Worten gesprochen. Und mancher Mondmann hielt es gar nicht für einen Vorzug im Mondleben, daß in ihm alles Herrliche auch ohne Zutun der Mondmänner da war – während auf der Erde die verschiedenen Erdmänner sich eigene, nur ihnen selbst gehörende Welten erschaffen konnten.
Der Weltfreund Rasibéff gab sich große Mühe, klarzulegen, daß in den Mondteleskopen eben unzählige Welten da seien und daß die doch besser seien als die zusammengedachten das Zusammendenken sei für die Kreaturen doch mehr Quälerei als Vergnügen – und das große Teleskop von Monddurchmesserlänge werde eben mehr Welten sichtbar machen – als Millionen Erdleute ausdenken könnten.
»Die Kunst der Erdmänner brauchen wir eben nicht mehr.«
Das erklärte Rasibéff immerzu; er behauptete auch, daß die grandiose Kratermusik nie und nimmer von den kleinen Instrumenten der Erdleute nachzumachen sei.
Die Konzerte, die die Krater zum besten gaben, ließen allerdings an Vielseitigkeit nichts zu wünschen übrig, da die natürliche Konstruktion der porosen Kraterwände alle denkbaren Varianten auch zur Ausführung brachte. Es war eben überflüssig, die natürlichen Kompositionen zu überbieten; sie überboten sich ja von selber immerfort.
Die Mondleute konnten eigentlich, wenn sie fein ihre Ohren spitzten, überall auf der Oberfläche die feinste Musik vernehmen, die Goldkäfer trugen ebenfalls, wenn die Sonne nicht schien, das ihre zu der Musik bei; die Goldkäfer warfen sehr oft einen drolligen Glanzkitzel in die Tonwelten hinein – etwas Lächelndes stak in den oft zitternden Stimmen dieser Goldkäfer- als wüßten sie was von den fernsten Sternen.
Es gab Krater, die nur durch gewaltig komplizierte Harmonien immer wieder neue ergreifende Stimmungen im Zuhörer auslösten; andere Krater wirkten wieder nur durch Melodien.
Rasibéff wurde gar nicht müde, die unzähligen Vorzüge der Mondmusik an allen Ecken und Kanten auseinanderzusetzen, die irdische Kunst war nach seiner Meinung wirklich nur ein Notbehelf.
Die Agitation der Erdfreunde wurde durch Rasibéffs Eifer bedrängt – gleichzeitig aber auch aufgestachelt – zu noch größerer Energie.
An einem stillen Abend nach langen Reden am Schwammkrater schwebt Rasibéff hoch über den Moosfeldern ins Dunklere, blickt stolz zum großen Himmel auf, in dem die unzähligen Sternwelten funkeln und glühen – auf schwarzem Grunde.
Unten am Horizonte sieht Rasibéff auch die Erde als große karminrote Scheibe – und er wendet sich ab – und wird grün vor Ärger – und schüttelt sich, als er das bemerkt – und blickt scheu um sich – und sieht unter sich die unzähligen Goldkäfer, die die Oberfläche des Mondes ebenso erscheinen lassen, wie ein Himmel mit Sternwelten in Augen ohne Fernrohr aus sieht, so daß Rasibéff plötzlich glaubt, mitten unter unzähligen Sternen zu schweben und ihnen ganz nahe zu sein.
Und der Weltfreund steigt auf wie ein rotglühender Feuerball und möchte aus der Atmosphäre raus – und wird oben grün, wie er fühlt, daß er nicht höher kann.
»Die Vollkommenheit unsres Lebens«, sagt er heftig, »ist nur dann da, wenn wir aus unsrer Luft nicht rauswollen.«
Währenddem wird unten in den Rauchergrotten, wo die kolossalen Fächerblumen nach allen Seiten immerzu wachsen und zerfallen, von der Bedeutung der erdmännischen Individualität gesprochen.
Und Knépparas Rundschreiben wird heftig angegriffen.
Der sonst so ruhige wissenschaftlich denkende Zikáll, der für gewöhnlich nur mit chemischen Kochtöpfen beschäftigt ist, hält eine lange Rede, in der er zum Schlusse sagt:
»Darüber wollen wir uns doch ja nicht täuschen: daß die weisen Erdmänner auch alle Tage ein paar Bestienzüge in ihren Charakter schmieren – das macht diesen nicht reicher. Die Mondleute unterscheiden sich auch voneinander- aber sie können doch nicht interessanter werden dadurch, daß sie in atavistischer Weise Bestienzüge in ihren Charakter schmieren. Knéppara ist so nervös geworden, daß er schon ganz ungereimte Sachen redet. Wenn die Opposition doch bloß nicht immer gleich zu weit gehen möchte!«
Zikáll trifft drei Tage später in den dampfenden Bädergrotten, in denen man auch Wolken studieren kann wie bei den Rauchern, den schwitzenden Rasibéff.
Und dem Rasibéff sagt der Zikáll:
»Mein Freund! Daß wir auf der Mondoberfläche weder Wolken noch Nebel haben – das ist ein Mangel auf dem Monde – daher müssen wir uns immer noch eifrig um die Erde kümmern, weil da Wolken und Nebel in Hülle und Fülle zu haben sind.«
»Oho!« erwidert Rasibéff, »in diesem herrlichen Schwitzbade, in dem ich jetzt rotglühend herumschwebe, sehe ich Nebel und Wolken genug- vollauf genug.«
Der Zikáll lacht und ruft:
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»Also in dieser Beziehung bist Du wieder sehr anspruchslos. «Kopfschüttelnd schwebt der große Mann der Wissenschaft weiter – um seine chemischen Kochtöpfe wiederzusehen.
Rasibéff aber empfindet in seinen Fühlhörnern auf dem Kopfe ein leises Zucken – und das bedeutet, daß Mafikâsu seinen Rasibéff sprechen möchte; mit den Fühlhörnern stellen sich leicht elektrische Verbindungen zwischen den Mondleuten her.
Gleich fliegt der Rasibéff auf und läßt sich von seinen Fühlhörnern leiten und kommt durch den Porphyrkrater an die Oberfläche des Mondes, die im hellen Sonnenscheine daliegt – wie ein Funkenreich; das Glitzern der Moosfelder sieht umherspringenden Funken gleich.
Und Mafikâsu schwebt über den Funken und lacht und trommelt lustig auf seinem Ballonbauch, kommt auf seinen Rasibéff zu und stößt so feste mit seiner großen Luftblase gegen die seines Freundes, daß es knallt.
Rasibéff wundert sich über diesen ungewöhnlichen Empfang, aber der große Mafikâsu ruft immer noch lachend:
»Heute, lieber Rasibéff, mußt Du mir erlauben, daß ich mit Dir spaße. Steige auf mit mir in die Sonnenluft – so hoch wir können. Oben will ich Dir ein paar Scherzfragen vorlegen, die Du mir ganz richtig beantworten sollst.«
Und sie stiegen empor in die sonnige Luft – und sahen hinauf in den moosgrünen Himmel und hinunter auf die dunkelgrünen Moosfelder und auf die kleinen Krater, die zwischen den Moosfeldern lagen.
Sehr hoch stiegen die beiden nicht, denn den Mondleuten ist das nicht vergönnt, da die Luftschicht sich nur an den hohen Bergen höher hebt.
Und oben fragte der große Mafikâsu, während er melodiös trommelte, seinen großen Apostel Rasi: »Sage mal, was sind das da für Krater, die da unter diesem moosgrünen Himmel zwischen den moosgrünen Moosfeldern liegen?«
Rasibéff sah seinen großen Meister lachend an und sagte mit ausgestreckten Armen:
»Das da unten sind die berühmten Messingkrater, in denen die großen Teleskope des großen Loso stecken, der nur die Erde betrachten läßt, weil auf der Erde die interessanten Erdwürmer herumkrabbeln, die ihresgleichen in der ganzen Welt nicht haben.«
»Gut, mein Sohn!« versetzte der Mafi, »nun sage mir auch, was die gleißenden Streifen bedeuten, die wie Radspeichen von den Kratern aus strahlenförmig nach allen Seiten gehen. Na?«
Der Rasi hoh seine Arme zum grünen Himmel empor, drehte sich ein paarmal blitzschnell um sich selbst und sagte:
»Das sind die Glasfenster von Loso’s Photographiegrotten. Unter den Glasfenstern sind die drolligen Photographien vom Erdball am Tage so hell, daß man sie mit Bequemlichkeit bearbeiten und betrachten kann.«
Die beiden sahen sich jetzt lange an, und ihre Fühlhörner auf dem Kopfe zitterten und wurden rot.
Die beiden Mondmänner wurden auch im runzlichen Gesichte rot – und dann im Rumpf – und dann auch im Ballonbauch.
Das stach aus dem grünen Himmel fein raus.
Und Mafi sagte:
»Kannst Du Dir bei den Glasfenstern nichts denken, lieber Rasi ?«
»lch denke«, versetzte dieser, »an die andre Seite des Mondes, von der die Erdmänner noch niemals was gesehen haben – und wir auch nicht viel.«
»Nun also«, versetzte der Mafi,« so wisse, daß ichs für richtig halte, unsere Agitation vorläufig nur um die Glassteine der anderen Mondseite zu konzentrieren. Loso braucht noch mehr Glas für seine Photographien, und demnach wird er geneigt sein, für einen abermaligen Versuch, in das Jenseitsland des Mondes zu dringen, seine Stimme abzugeben.«
Da lachte der Rasi, und der Mafi lachte ebenso. Und sie schwebten – eifrig ihren Plan besprechend – in den nächsten Krater hinein und hinunter- im blitzschnellen Fluge – mit schlappem Leibe – durch die Delikatessgrotten durch – in das große Fabrikreich des Mondinnern, allwo die roten grünen und blauen Flammen rauchlos über den Schornsteinen und an den Wänden hin und her flackerten.
Hier unten wurden gleich die Mondleute, die an den eisernen Röhren arbeiteten, mit dem neuen Plane bekanntgemacht.
Und es entstand eine allgemeine Bewegung unter diesen Fabrikarbeitern, denn die gehörten sämtlich zur Weltpartei und wünschten sehnlichst die Zeit herbei, in der das große Fernrohr in Arbeit genommen werden mußte – solche Riesenarbeiten machten ja den Fabrikarbeitern immensen Spaß.
Allen leuchtete es ein, daß eine Expedition zur Erforschung der Glasseite wohl die Zustimmung des hohen Rates erlangen könnte – und daß mit dieser Zustimmung schon viel gewonnen sei – für die Weltpartei.
Kaum jedoch war man darüber einig, so kamen Boten von allen Seiten rotglühend herangeflogen und erzählten, daß an den Randgebieten des Mondes, die zur Jenseitsseite hinüberführen, neue Blumen entstanden seien, die blitzschnell – viel schneller als die Blumen in den Rauchergrotten – aus den Moosfeldern herausstiegen und ebenso blitzschnell wieder zusammenbrächen unter seltsam pfeifenden Tönen.
»Das ist«, rief da donnernd der große Mafikâsu, »die Sprache des Mondes selbst. Der Mond selbst will unsre Expedition. Er ruft uns. Wir müssen ihm folgen! Auf! Weltfreunde! Wir müssen siegen!«
Und eine schwärmerische Stimmung bemächtigte sich in wenigen Stunden der gesamten Mondbevölkerung – an allen Kratern – in allen Parteilagern.
»Diese Blitzblumen kamen zur rechten Zeit!«
Also rief der wild herumjagende Rasibéff.
Und jetzt wurde – es war überraschend – die Partei der Weltfreunde – ohne jede weitere Anstrengung- in jeder Stunde größer und stärker.
Die Erdfreunde konnten sich plötzlich gar nicht mehr Gehör verschaffen.
Selbst die Sterbenden in den Todesgrotten hörten von den großen neuen Blitzblumen – und die Ruhe ward dadurch auf den stillen Terrassen – an den dunkelvioletten Wänden – vielfach gestört.
Die Mondleute flogen in hellen roten Scharen zur Jenseitsseite des Mondes – und staunten in den Randgebieten das große Wunder an.
Uberall zuckten in den Randgebieten riesenhafte bunte Blumen wie Blitze aus den Moosfeldern heraus – und sanken blitzschnell wieder in sich zusammen – wie elektrisches Feuerwerk.
Das Pfeifen hörte sich wie ferne hastige Stimmen an – als sprächen wilde Geister von der anderen Seite des großen Mondes.
Rauchen ließen sich diese Blumen nicht.
Und durch die Mondmänner wuchsen sie, ohne eine Empfindung zu erzeugen, blitzschnell durch.
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Und die Mondleute schwebten nun in so großen Scharen zu den neuen Blitzblumen, daß es nachts oft so aussah, als ginge ein elektrischer Funkenregen übers kraterreiche Mondgefilde.Knéppara freute sich über diese elektrische Blütenpracht, die in ihrer ganzen Herrlichkeit nur in dunkler Nacht zu sehen war, keineswegs.
»Mafikâsu«, sagte er, »hat ein unbegreifliches Glück. Bei dieser Aufregung der Mondvölker ist es ganz sicher, daß die Expedition nach der andren Seite des Mondes nicht verschoben werden wird.«
»Das ist auch«, rief der große Loso dazwischen, »nicht beklagenswert. denn wir werden so mehr Glas bekommen, und ich muß gestehen, daß wir noch sehr viel Glas gebrauchen können; unsre Vorräte gehen durch das ewige Photographieren doch allmählich zur Neige – und wir brauchen auch Grotten mit Oberlicht. Bei Leib-, Wand- und Goldkäferlicht kann man nicht viel sehen – wenigstens nicht genug.«
»Du wirst also«, versetzte Knéppara, »für die Expedition Deine Stimme abgeben – nicht wahr?«
»Ohne Zweifel!« rief der große Loso.
Und Knéppara wurde wieder ein bißchen grün und schwebte in schmerzlichster Verfassung mit seinem Ballonbauch in den großen Lesesaal der Erdfreunde hinein.
Der große Lesesaal war jetzt nur so schlecht besucht wie die kleinsten Lesesäle; von den Blitzblumen ließen sich auch die Erdfreunde in großen Scharen hinauslocken.
Die weißwandigen hellen Lesesäle waren sämtlich bodenlos, so daß die Lesenden und Schreibenden an vielen Stellen bequem übereinander sitzen konnten; an den Wänden stiegen steile Terrassen mit Sitzsäulen empor.
Die meisten Grottensäle im Innern des Mondes gestatteten nicht, daß man sich unten auf dem Grunde niederlassen konnte, da sich da zumeist glibbrige Pilze angesiedelt hatten.
In dem großen Lesesaale, in dem sich jetzt der Knéppara niederließ, brachte ein Inspektor zwei neue Folianten herbei, in denen sich der Abdruck einiger Zeitungsseiten befand, die man in der letzten Nacht photographiert hatte; es waren das wieder Zeitungsseiten, die von den Erdmännern herrührten.
Der Inspektor zeigte dem Knéppara eine recht merkwürdige Stelle in diesem Abdruck – da stand klar und deutlich:
Wir leben auf der Erde in einem aufgeklärten Jahrhundert. Unsre Technik macht täglich die bedeutsamsten Fortschritte. Nur unsre moralischen Anschauungen wollen sich immer noch nicht weiter entwickeln. Die Völker kleben noch an unzähligen Vorurteilen – eines der größten ist aber, daß wir uns scheuen, das Fleisch frisch getöteter gesunder Menschen zu verspeisen. Ein lächerliches Vorurteil! In den vielen blutigen Kriegen, die wir jetzt gegen die wilden Völker und gegeneinander führen, werden so viele Menschen getötet, die, trotz dem sie ganz gesund vor ihrem Tode waren, nach Empfang der Todeswunde ohne weiteres in die bereitgehaltenen Erdgräber geworfen werden und dort verfaulen müssen. Wir sind der Ansicht, daß ein derartiges Wegwerfen gesunder Fleischmassen ein himmelschreiendes Unrecht gegen unsre oft in sozialer Not befindlichen Volksmassen ist. Es wäre doch viel praktischer, das frische Fleisch der gefallenen Feinde sofort auf die Märkte der Sieger zu schicken und dort zweckentsprechend zu verkaufen. Wir sind der Überzeugung, daß dabei ein gutes Stück Geld verdient werden kann, da Menschenfleisch bekanntlich als Nahrungsmittel den allerersten Rang einnimmt; das Fleisch der Auster steht an Nährwert und Wohlgeschmack dem des Menschen in jeder Hinsicht nach. Es ist doch geradezu albern, eine derartige Delikatesse, der wir auf Erden schlechterdings nichts an die Seite setzen können, einfach abzulehnen – aus >moralischen< Rücksichten – weils mal zufälligerweise bei uns nicht usuell ist! Diese Sitte! Na – wir haben durchaus keine Veranlassung, diese Sitte fürderhin zu schonen. Mit Hilfe unsrer vortrefflichen Waffen können wir in einer Sekunde Tausende von gesunden Wilden niederschießen und kurz und klein schlagen. Wenn wir uns nicht genieren, dieses zu tun, so brauchen wir uns auch nicht zu genieren, die Getöteten zu verspeisen. Das bringt doch das ewige Kriegsleben einfach so mit sich. Auch bei den immer häufiger werdenden Revolutionen hätten wirs doch wahrlich nicht nötig, die Erschossenen in die Erde zu verscharren. Wer sich gegen die Obrigkeit auflehnt, darf nach menschlichem Rechtsgefühl wohl auch von den Inhabern der Machtstellen verspeist werden; das kann das Ansehen einer jeden Regierung nur vermehren. Der gebratene oder geräucherte Revolutionär wird zu allen Zeiten einen ganz besonderen Leckerbissen abgeben. Es erscheint daher notwendig, unsre Gesetze entsprechend dem oben Mitgeteilten umzuformen, damit der Vergeudung gesunder Fleischmassen ein für alle Mal ein Ende gemacht werde. Der Mensch gehört dem Menschen und nicht den Würmern. Fort mit der Gefühlsduselei! Die schickt sich nicht für unser aufgeklärtes Jahrhundert. Wer Menschen totmacht, kann sie auch aufessen. Wozu sich genieren? Wenn das eine nicht strafbar unsern Gesetzgebern erscheint – so kanns das andere doch auch nicht sein. Wir verstehen es, trefflich mit unsern durchschlagenden Waffen umzugehen – lernen wirs auch, mit unsern Zähnen so trefflich umzugehen. Wir dürfen annehmen, daß uns unsre Köche das Fleisch unsrer Feinde in sehr appetitlicher Zubereitung vorsetzen werden; unsre moderne Küche ist doch zu allem fähig. Und was für Preise werden gezahlt werden für die >feindlichen< Delikatessen! Da wird mancher Lebemann feste sein Portemonnaie rühren! Das vergesse man nicht! Da lassen sich feine Geschäfte machen! Wir werden uns doch all die fetten Bissen nicht wegschnappen lassen – von den Würmern. Nochmals sagen wir: Fort mit der Gefühlsduselei! Sie führt zu nichts und verweichlicht nur die kriegerische Manneskraft unsrer stets kampfbereiten mut- und glorreichen europäischen Nationen, die allen ihren Glanz der Entwicklung ihrer schneidigen, allzeit schlagfertigen Volksheere verdanken.
Nachdem Knéppara diesen Zeitungserguß gelesen, sah er lange den Inspektor an – und der Inspektor sah den Knéppara an — dann sagte dieser: »Ist das tatsächlich photographiert worden? Ist das tatsächlich…?«
Er konnte nicht weiter – er wurde einfach smaragdgrün – und leuchtete, wie ein Glühwurm auf der Erde leuchtet – in stillen Sommernächten.
Und die Lesenden und Schreibenden im Lesesaal blickten sehr erstaunt auf und schüttelten mißbilligend den Kopf, als sie ihren großen Knéppara wieder mal so grün sahen.
Der Inspektor reichte den Folianten mit den Zeitungsabdrücken herum.
Und die Mondleute, die sämtlich Erdfreunde waren, erschraken über diese die Erdmänner so kompromittierende Stelle. Inzwischen wurde langsam Knéppara wieder so silbern phosphorescierend wie sonst.
Als ers aber ganz war, rief er alle Mondleute, die sich im Lesesaale befanden, zusammen und ließ die kompromittierende Stelle in den Zeitungsabdrücken von dem Inspektor laut und deutlich vorlesen.
Nach der Vorlesung ergriff der weise Knéppara feierlich das Wort und sagte kurz das Folgende:
»Meine Herren! Für die Erdmänner spricht diese Stelle – nicht gegen die Erdmänner. Ohne weiteres werden Sie erken nen, daß dieser Artikel eine Satire auf das allgemeine Kriegs wesen ist. Man hat es auf der Erde dick bekommen, Millionen von kostümierten Massenmördern dick zu füttern – und Herr Mafikâsu täte nicht klug daran, wenn er nochmals seinen neulich vorgebrachten Antrag wiederholen möchte; der liebe Mafi könnte eklig reinfallen dabei – in fünfzig Jahren werden auf der Erde sogenannte >stehende< Kriegsheere überhaupt nicht mehr existieren – das sagt Knéppara.«
Sagt es und schwebt lächelnd nach oben – durchs Eingangsloch durch – in den hellen Sonnenschein hinauf.
Der Himmel ist dunkelgrün und wie von Sammet.
Und Knéppara glänzt wie gleißendes Silber, während die Sonne wie gleißendes Gold glänzt.
Lächelnd schwebt der Führer der Erdfreunde weiter – über die kleineren Krater weg, die sich in der Nähe des großen Lesesaals befinden.
Und so kommt der unverzagte Führer zum hohen Sichelkrater, in dem das längste Teleskop der Erdfreunde verborgen ist.
Und oben am Kraterrande, der sichelförmig nur die eine Seite des Kraters abschließt, sitzt Zikáll, der Mann der Wissenschaft.
Und Knéppara setzt sich neben Zikáll. Beide schauen lange Zeit schweigend in den Kraterschlund, in dessen Mitte die große Linse des Teleskops wie ein Riesenauge glänzt.
Dann sagt Knéppara, ohne zu erröten:
»Wie denkst Du über die Blitzblumen?«