Rudolf Steiner
Rudolf Steiner über Paul Scheerbart
Eine der eigenartigsten Persönlichkeiten des Hartleben’schen Berliner Kreises war Paul Scheerbarth. Er hat «Gedichte» geschrieben, die dem Leser zunächst wie willkürliche Wort- und Satzzusammenstellungen vorkommen. Sie sind so grotesk, daß man deswegen sich angezogen fühlt, über den ersten Eindruck hinauszugehen. Dann findet man, daß ein phantastischer Sinn allerlei sonst unbeachtete Bedeutungen in den Worten sucht, um einen geistigen Inhalt zum Ausdruck zu bringen, der nicht minder aus einer bodenlosen, aber einen Boden überhaupt gar nicht suchenden Seelen-Phantastik heraus stammt. In Paul Scheerbarth lebte ein innerer Kultus des Phantastischen; aber der bewegte sich in den Formen des gesucht Grotesken. Er hatte, nach meiner Auffassung, das Gefühl, der geistvolle Mensch dürfe, was er darstellt, nur in grotesken Formen darstellen, weil andere alles ins Philiströse zerren. Aber dies Gefühl will auch das Groteske nicht in gerundeter künstlerischer Form entwickeln, sondern in souveräner, gesucht unbesonnener Seelenverfassung. Und was sich in diesen grotesken Formen offenbart, das muß dem Gebiet der inneren Phantastik entspringen. Ein nicht nach Klarheit suchender Seelenzug nach dem Geistigen lag bei Paul Scheerbarth zugrunde. Was aus der Besonnenheit kommt, das geht nicht auf geistige Regionen, so sagte sich dieser «Phantast». Deshalb darf man, um Geist auszudrücken, nicht besonnen sein. Aber Scheerbarth tat auch keinen Schritt von der Phantastik zur Phantasie. Und so schrieb er aus einem in der interessanten, aber wüsten Phantastik steckengebliebenen Geist heraus, in dem ganze kosmische Welten als Rahmenerzählungen flimmern, schillern, das Geistgebiet karikieren und ebenso gehaltene Menschenerlebnisse umschließen. So in «Tarub, Bagdads berühmte Köchin».
Man sah den Mann nicht so, wenn man ihn persönlich kennen lernte. Ein Bureaukrat, etwas ins Geistige gehoben. Die «äußere Erscheinung», die bei Wedekind so interessant war, bei ihm alltäglich, philiströs. Und dieser Eindruck erhöhte sich noch, wenn man in der ersten Zeit der Bekanntschaft mit ihm ins Gespräch kam. Er hatte in sich den glühendsten Haß auf die Philister, hatte aber die Gesten der Philister, deren Sprechweise, zeigte sich so, als ob der Haß davon käme, daß er aus Philisterkreisen zuviel in die eigene Erscheinung aufgenommen hatte und das spürte; aber zugleich das Gefühl hatte, er könne es nicht bekämpfen. Man las auf dem Grunde seiner Seele eine Art Bekenntnis: Ich möchte die Philister vernichten, weil sie mich zum Philister gemacht haben.
Ging man aber von dieser äußeren Erscheinung zu dem von ihr unabhängigen inneren Wesen Paul Scheerbarths, so enthüllte sich ein ganz feiner, nur eben im Grotesk-Phantastischen steckengebliebener, geistig unvollendeter Geistmensch. Dann erlebte man mit seinem «hellen» Kopf, mit seinem «goldenen» Herzen die Art mit, wie er in der Geist-Welt stand. Man mußte sich sagen, welch eine starke, in die Geistwelt schauend dringende Persönlichkeit hätte da in die Welt treten können, wenn das Unvollendete wenigstens bis zu einem gewissen Grade vollendet worden wäre. Man sah zugleich, daß das «Bekenntnis zur Phantastik» schon so stark war, daß auch eine Vollendung in der Zukunft dieses Erdenlebens nicht mehr im Bereich der Möglichkeit lag.
In Frank Wedekind und Paul Scheerbarth standen Persönlichkeiten vor mir, die in ihrem ganzen Wesen dem, der die Tatsache der wiederholten Erdenleben des Menschen kannte, höchst bedeutsame Erlebnisse gaben. Sie waren ja Rätsel in dem gegenwärtigen Erdenleben. Man sah bei ihnen auf das, was sie sich in dieses Erdenleben mitgebracht hatten. Und eine unbegrenzte Bereicherung ihrer ganzen Persönlichkeit trat auf. Man verstand aber auch ihre Unvollkommenheiten als Ergebnisse früherer Erdenleben, die in der gegenwärtigen geistigen Umgebung nicht voll zur Entfaltung kommen konnten. Und man sah, wie das, was aus diesen Unvollkommenheiten werden konnte, künftige Erdenleben brauchte.
So stand noch manche Persönlichkeit dieses Kreises vor mir. Ich erkannte, daß, ihr zu begegnen, für mich Schicksalsfügung (Karma) war.
Ein rein menschliches, herzliches Verhältnis konnte ich auch zu dem so durch und durch liebenswürdigen Paul Scheerbarth nicht gewinnen. Es war doch so, daß im Verkehr der Literat in Paul Scheerbarth, wie in den andern auch, immer durchschlug. So waren meine allerdings liebevollen Empfindungen für ihn doch durch die Aufmerksamkeit und das Interesse zuletzt bestimmt, die ich an seiner in so hohem Grade merkwürdigen Persönlichkeit nehmen mußte.
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