Die Königin von Saba

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


Die Königin von Saba

Schauspiel in einem Aufzuge


Personen:

Die Königin von Saba
Moko, japanischer Luftadmiral
Apusa, seine Gemahlin
Graf Kapitzi, Präsident der vereinigten Staaten von Europa
Walter Weilman, amerikanischer Nordpol-Luftschiffer

Die Handlung spielt in einer Veranda am Gardasee. Zeit: Gegenwart.

Die Königin von Saba wird von einer Schauspielerin in beliebigem Kostüm dargestellt. Die vier anderen Personen sind entmaterialisiert und nicht sichtbar, nur ein paar Kleidungsstücke sind von ihnen zu sehen. Links zwei Stühle und rechts zwei Stühle. Links vorn ist die Frau des Japaners zu denken, man sieht von ihr ein paar bunte seidene Gewänder, die einfach über die Stuhllehne gelegt sind. Links hinten ihr Gatte, durch einen Helm, der sich auf einem Stock befindet, markiert; der Stock ist höher als die Stuhllehne. Rechts hinten ein Zylinder auf einem Stock; durch den Zylinder wird der Präsident markiert. Vorn rechts eine Pelzmütze und ein Pelzkragen auf einem Stock; Mr.Wellman ist vorne rechts zu denken. Die Ausstattung der Veranda ganz beliebig- es können noch andere Möbel da sein, nötig sind sie aber nicht. Hinten ein Eingang.


Die Königin von Saba: Ah, meine Herrschaften, das ist entzückend, daß Sie gekommen sind. (Stellt sich zwischen die bei­ den hinteren Stühle und läßt sich die rechte Hand vom Admiral und die linke vom Präsidenten küssen)Wie freue ich mich, Sie hier zu sehen (sie geht zu den vorderen Stühlen, umarmt mit der Rechten die Japanerin und läßt sich dabei die Linke von Mr. Wellman küssen). Entschuldigen Sie nur gütigst, daß ich mich nicht ebenfalls entmaterialisiert habe. Aber Sie sind zu schnell gekommen. Und als meine Kammerzofe sagte, sie wären schon da, da wollte ich Sie um keinen Preis warten lassen. Und so kam ich so, wie ich bin.

 Entschuldigen Sie, daß ich noch meine menschliche Gestalt in der gewöhnlichen Form anbehalten habe. Doch Sie wissen ja, daß das Entmaterialisieren ein paar Stunden in Anspruch nimmt. Und Sie wissen ja auch, daß ich Sie sehen und hören kann, obgleich Sie für gewöhnliche menschliche Augen und Ohren weder sichtbar noch hörbar sind. (Horcht mit der Hand am Ohr zur Japanerin hin). Natürlich werde ich Sie meine Gnädige, sofort den Herrschaften vorstellen. Ihnen gegenüber sitzt Mr.Wellman, Nordpolluftschiffer – er wird von Spitzbergen aus zum Nordpol – oder er ist schon unterwegs- ich weiß es nicht genau. Zu seiner Rechten – das heißt: rechts von Mr.Weilman hier – hier sitzt der Präsident der vereinigten Staaten von Europa – er residiert auf dem Montblanc – oder: er will dort residieren – ich weiß das auch nicht ganz genau. Auf der anderen Seite Herr Moko, japanischer Luftadmiral, nebst Gemahlin – Frau Apusa.

Meine Kammerzofe hat wieder vergessen, für mich einen Stuhl zu bringen. Aber- bleiben Sie nur sitzen- ich hole schon einen Stuhl nachher, wenns nötig ist, selber her. Zunächst sage ich Ihnen, gnädige Frau, meinen verbindlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief. Hören Sie zu, meine Herren, was mir Frau Apusa vor drei Tagen geschrieben hat. (Holt einen Brief vor und liest).

»Gnädigste Königin von Saba, nachdem mein Mann von Ihrem Aufenthalte am Gardasee erfahren hatte, bemächtigte sich seiner eine unnatürliche Unruhe. Mein Mann ist sehr ehrgeizig. Und er sagte mir: mit Hilfe der Königin wird es mir ein Leichtes sein, ganz Europa zu besiegen. Und als Sie nun, gnädigste Königin von Saba, mit meinem Manne Briefe wechselten, da ward er ganz wild und sagte mir: Liebe .Apusa, um die Königin von Saba heiraten zu können, muß ich Dir zunächst den Kopf abschneiden, wenn Du es nicht vorziehst, freiwillig aus diesem Leben auszuscheiden. Gnädigste Königin von Saba, nach unsern Gesetzen hat mein Mann das Recht, mir den Kopf abzuschneiden. Aber – ich sterbe nicht gern – wirklich nicht. Ich möchte nicht sterben ohne meinen Kopf­ und ich möchte auch nicht sterben mit meinem Kopf. Weder freiwillig noch gezwungen möchte ich sterben. Finden Sie nicht einen Ausweg? Ich will ja meinen Mann nicht unglücklich machen, aber ich will mich selber auch nicht tot machen. Retten Sie mich und machen Sie meinen Mann glücklich. Sie werden das schon fertig kriegen. Sie sind ja in allen Zauberkünsten so erfahren, da Sie Königin von Saba sind. Ich bin nur Ihre arme, mit wenig Talenten ausgestattete Apusa.«

Was sagen Sie dazu, meine Herren? Sie lachen? (Sie lacht auch, während sie dem Admiral immer noch wie beim Brieflesen den Rücken zukehrt). Die Geschichte ist aber nicht zum Lachen. Ich habe Sie ja nur gebeten, hierher zu kommen, um mit mir zu beraten, wie man dieser peinlichen Angelegenheit eine sympathische Richtung geben könnte. (Dreht sich plötzlich heftig zum Admiral um). Wie können Sie so grob reden? Glauben Sie, daß Sie mit Gewalt zum Ziele kommen? Sie vergessen, wen Sie vor sich haben (Pause). Was Sie da sagen, ist mir alles ganz egal. Ihre arme Frau darf unter keinen Umständen umgebracht werden. (Pause. Dann Lachen). Sie denken wohl, mich gelüstet es, an der Spitze Ihrer hunderttausend Luftschiffe durch die Lüfte zu fahren. (Pause – wieder Lachen).

Nein, mein Herr, und wenn Sie mich mit hunderttausend Millionen Luftschiffen umgeben könnten – Ihre Frau darf doch nicht den Kopf verlieren. (Pause ernst).

Wozu habe ich denn die beiden andren Herren eingeladen? Merken Sie nicht, daß das Ihre Rivalen sind? Glauben Sie denn, daß der Präsideut der vereinigten Staaten von Europa mir nicht auch Gelegenheit gibt, ganz Europa zu regieren? (Horcht mit der Hand am Ohr zum Präsidenten hin). Sehr wohl, Sie werden mir nur Gelegenheit geben, den vereinigten Staaten von Europa zu präsidieren. Aber- regieren und präsidieren- das ist doch eigentlich ganz dasselbe. (Wieder heftig sich zum Admiral wendend). Was wollen Sie? Sie wollen in meiner Gegenwart Ihrer Gemahlin den Kopf abreißen? (Pause. Lachen).

Und Sie behaupten, daß das aus Liebe zu mir geschehen soll? Herr Wellman, haben Sie nicht ein bischen Eis bei sich? (Lachen. Pause. Horcht mit der Hand am Ohr zu Wellman). Sie bringen mich tatsächlich auf einen richtigen Gedanken. Ich werde Frau Apusa in mich aufnehmen – mit meinem Innern verbinden. Dann ist sie gerettet. (Sie hängt sich die Kleider der Japanerin um und setzt sich auf ihren Stuhl). Entzückend ist das. Frau Apusa Sie sind gerettet. Aber jetzt bin ich nicht blos Königin von Saba, ich bin auch Frau Apusa – und alle Beamten von Europa und Asien müssen mich >>Frau Luftadmiral<< nennen. Wie das blos klingt! (Pause- dann zum Admiral gewandt).

Was? Jetzt glauben Sie, mich zu haben? Glauben Sie das wirklich? (Helles Gelächter, springt dann aufund dreht den Helm mehrmals um). So! Jetzt hab ich Ihnen den Kopf abgerissen, mein sehr verehrter Herr Gemahl! (Wirft den Helm an die Erde und dreht sich zu Weilman um). Wie? Ach! Ja, Sie haben Recht! (Pause, setzt sich wieder aufden Stuhl der Japanerin). Jawohl, Sie haben auch gleich daran gedacht. Jetzt bin ich wirklich Witwe geworden. Ganz plötzlich. Was man auf Erden nicht alles werden kann! Man soll doch niemals im Zorne handeln. (Pause mit Lächeln).

Sie trösten gut, meine Herren! (Pause).

Aber Sie ahnen garnicht, wie sehr sich mein Wesen verwandelt hat. In den paar Minuten! Ich fühle jetzt auch sehr als Frau Apusa – als Frau Luftadmiral. Und daher werden mir die Luftschiffe so sympathisch. (Pause. Lachen).

Da Sie aber Herr Präsident, keine Luftschiffe haben, so denke ich garnicht an Sie. (Pause horchend).

Wissen Sie, Ihr Präsidentenschloß auf dem Montblanc mag ja sehr köstlich sein. Aber ich leide an der Bergkrankheit. Ich kann nicht mit Ihnen so hochhinaufkraxeln. (Pause horchend).

Die Aussichten sind vom Luftballon am allerherrlichsten. Im Luftballon bekommt man auch keine Bergkrankheit. Der Luftballon ist doch kein Berg. (Pause. Horchend).

Herr Präsident, die Zahnradbahn bis zur Spitze des Montblanc wäre ja sehr nett­ aber sie ist doch noch nicht fertig. (Pause zu Weilman hinhorchend -winkend).

Natürlich! Freilich! Der Nordpol ist viel interessanter als der Montblanc. (Horchend). Daran habe ich noch garnicht gedacht. Freilich! Sie haben wieder mal Recht, Mr.Wellman. Der Nordpol ist noch nicht entdeckt. Und die Gegend dort oben könnte tatsächlich viel großartiger sein als das ganze Königreich Saba. (Pause lächelnd).

Wir können also hinter den Nordlichtern ein ganz neues Reich entdecken? (Horchend). Dort könnte ein elektrisches Organ der Erde sein? (Horchend). Also deswegen sind die Menschen noch nicht hingekommen? (Horchend). Wenn wir nicht ganz hinkommen, so schadet es ja nicht. (Horchend). Aber diese elektrischen Wunder müssen ja köstlich sein. (Horchend). Das ist natürlich das Großartigste. (Horchend). Von diesen elektrischen Wundern würde unser ganzer Körper ganz neu? (Horchend). Jetzt haben Sie mich gefangen. (Springt auf, horcht). Ja, die Apusa habe ich schon in mich aufgenommen. Sie hat mich tatsächlich schon sehr verwandelt. Sie hat mir die Schwärmerei für die Luftballons beigebracht. (Horcht). Ich werde rasend vor Glück! (Horcht). Sie meinen wirklich, daß wir auch elektrische Funkengestalten in uns aufnehmen könnten? Da läßt man natürlich alles Andre in die tiefsten Abgründe fallen! Dagegen ist ja Asien und Europa garnichts – nicht so viel wert sind sie wie zwei alte Stiebel. (Sie setzt sich Wellmans Pelzmütze auf und nimmt seinen Pelzkragen über den linken

Arm). Kommen Sie schnell nach Spitzbergen; wir fahren zum Nordpol. Entschuldigen Sie nur, daß ich unsere Köpfe verwechselte und Ihre Mütze auf meinen Kopf setzte. Aber das ist ja ganz egal. Der Mensch soll nicht nur seinen Kopf für sich allein haben. (Langsam hinten ab; bevor sie verschwindet, dreht sie sich noch einmal um).

Herr Präsident, ich kann Ihnen beim besten Willen nicht helfen. Das Stärkere siegt immer!

Vorhang!


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