Das Glas-Theater

Paul Scheerbart

Theatertexte


Das Glas-Theater


»Wir haben Schattenspiele, und wir haben Lichtspiele. Aber Farbenspiele haben wir auf der Bühne, wenn wir von den Kaleidoskopgeschichten der Laterna magica absehen, eigentlich noch nicht erlebt; die Farbe kommt zur vollen Wirkung erst durch den Brillanten und durch das Glas.«
Also sprach – nicht etwa ein Glasermeister – sondern der bekannte Theaterdirektor Roderich Bäcker. »Sehr deutlich«, sagte ich nun, »ist das, was Sie soeben sagten, wohl eben nicht. Brillanten sind auf der Bühne zu Tausenden getragen worden. Ich glaube, es gibt auf der Erde keinen einzigen Brillanten, der nicht wenigstens einmal auf einer Bühne gefunkelt hätte. Und – Glas ist doch auch oft auf der Bühne gesehen worden. Und – ohne Glas keine Farbe? Ei, da werden sich ja die ölmaler freuen, wenn sie das hören. Und in den Lichtspielen sollen keine Farben gewesen sein?«
Der Herr Direktor schlug mit der Faust auf den Tisch, daß ein Champagnerglas umkippte und auf der glatten schwarzen Tischplatte zerschellte.

»Ei! Ei!« rief ich da, »wollen Sie mir durch Gläserzerschlagen Ihren Glasfanatismus deutlich machen?«
Er lächelte und sagte dann eilig:

»Seien Sie doch nicht so furchtbar schwerfällig. In den Lichtspielen, die Sie gesehen haben, sollen die Farben eine große Rolle gespielt haben? Das glauben Sie ja selber nicht. Und – auch die Farben eines Makart und Böcklin in allen Ehren – aber die Farbe als solche kommt in der Glasmalerei schlechterdings besser zur Wirkung als in allen Ölfarben der Welt. Das ist nun mal meine Meinung, von der ich nicht abzubringen bin. Und die Brillanten am Körper der Darstellenden sind bislang nicht Faktoren einer Bühnenarbeit gewesen. Machen Sie doch nicht Spaße. Ich will im vollen Ernste das Glas als Darstellungsfaktor auf die Bühne bringen – es soll nicht nur als dekorative Begleiterscheinung da sein. Verstehen Sie denn immer noch nicht, was ich will?«

»Reine Ahnung!« versetzte ich wehmütig. Der Herr Direktor schlug mit seinem Rohrstock auf den Tisch und befahl dem Kellner in tiefsten Baßtönen, die Glasscherben fortzunehmen, und fuhr dann, zu mir gewandt, leise, aber sehr hastig fort:

»Stellen Sie sich mal sogenannte Schattenspiele mit durchsichtigen und nichtdurchsichtigen Glasplatten vor. Auf diesen Glasplatten, die jede Farbe zeigen können, lassen sich Schatten von farbigen Gläsern raufwerfen. Da haben Sie plötzlich farbiges Schattenspiel. Wollen Sie noch mehr? Sind mit diesen farbigen Schatten nicht außerordentliche Stimmungen zu erzeugen? Gibt das in der Theaterkunst nicht eine ganz neue Richtung, in der das Glas die dominierende Rolle spielt? Wollen Sie noch mehr? Ich bedaure Sie, wenn Sie die Perspektiven, die ich sehe, noch nicht sehen können. Das Glas-Theater ist das größte Ereignis dieser Saison. Die Glaswände brauchen nicht so groß zu sein – zwei bis drei Meter in der Breite dürften genügen.«

Er sprach noch viel mehr. Die erste Aufführung des Glas-Theaters soll demnächst stattfinden.


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