Das Dekorative und das Intime
Paul Scheerbart
Theatertexte
Das Dekorative und das Intime
Man wird wahrscheinlich sagen, daß ein Betonen und Hervorzerren der rein äußerlichen Effekte in der Bühnenkunst vornehmlich nur dem dekorativen Charakter im Theaterleben förderlich sein könnte. Es klingt ja so plausibel, wenn man das Arrangement der Seitenwände und der Hinter-, Ober- und Untergründe als rein dekorativ abtut. Es klingt auch so plausibel, wenn man Arm- und Beinstellungen der Darstellenden als dekorativ bezeichnet.
Und man wird dem Dekorativen das Intime der alten Kunst gegenüberstellen – und immerfort vom Intimen reden, um das Neue zu diskreditieren. Und man wird dabei gänzlich vergessen, daß die Reden vom Dekorativen und Intimen doch nur Reden mit abgebrauchten Schlagwörtern sind.
Ich weiß eigentlich nicht, ob man nicht eine Kunst, die bereits in den verschiedenen Winkelstellungen verschiedene Empfindungswerte herausfühlt, mit demselben Rechte eine intime nennen könnte – wie diejenige Kunst, die mit sogenannten seelischen Empfindungswerten (d.h. mit sehr landläufigen abgeschliffenen Empfindungswerten) arbeitet.
Ich glaube, man könnte solche Erörterungen ruhig der Zukunft überlassen. Entscheidend sind doch die Kunstwerke – und diese könnten mit einem anderen Bühneneinrichtungsmaterial doch Dinge zutage fördern, die alles Reden über Intimes und Dekoratives vergessen lassen.
Es gibt jedenfalls in allen Künsten auch intime Wirkungen, die sich jenseits von allen verbrauchten landläufigen Werten befinden. Und daß man behaupten könnte, der Bühnenkunst allein würde es unmöglich sein, auf neuer Basis neue Intimitäten hervorzuzaubern – das wird man doch wohl nicht für berechtigtes Behaupten halten . . .
Das »Dekorative« hat man nach meiner Meinung in allen Künsten bislang sehr stark unterschätzt – es wäre wohl nötig, diesem Schlagwort mindestens in der Bühnenkunst zu neuen Ehren zu verhelfen…
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Revision 30-12-2022