Kleopatra und das Krokodil

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


Kleopatra und das Krokodil

Schauspiel in einem Aufzuge


Personen:

Kleopatra, Königin von Ägypten
Maressa, ihre Schneiderin
Kapato, Barkenführer
Gefolge der Königin

Die Handlung spielt in einer Barke auf dem Nil unter der Regierung der Kleopatra.

Die Barke kann durch umgestülpte Stühle, Tische usw. markiert werden, der Nil durch die Rückseite eines Teppichs.


Kleopatra: (hoch auf Polstern sitzend) Der Mondenschein in dieser Nacht ist einfach großartig.

Kapato: Ja, Frau Königin, ich fahr‘ auch immer da, wo der meiste Mondenschein ist; andre Barkenführer geben nicht so viel Obacht auf den Mondenschein.

Kleopatra: (gibt ihm ihr Armband) Nimm dafür dieses Armband und trage es bis an dein Lebensende.

Kapato: Ich danke der Frau Königin sehr viele Male für das Armband.

Maressa: Der Kapato kann sich wieder freuen.

Kleopatra: Dir hab‘ ich doch eine vergoldete Schere geschenkt.

Maressa: Ja, die trag‘ ich auch immer an dieser Kette. (Zeigt die Schere an der Kette, das Gefolge bewundert die Schere.)

Kleopatra: Seht alle hinüber! Da drüben am Ufer liegen die großen Pyramiden – und dort liegt die große Sphinx.

Kapato: Die Frau Königin ähnelt aber auch der großen Sphinx -fast zum Verwechseln. (Gefolge lacht)

Kleopatra: Lacht nicht! So was hör‘ ich gern. Das naive Volk kann Schmeicheleien am allerbesten sagen.

Maressa: An die Aufrichtigkeit des Schmeichelnden muß man glauben können.

Kapato: Mir können Sie schon glauben.

Maressa: Ich glaube auch schon. Aber heute sind so viele Krokodile im Nil.

Kapato: (während die Maressa rechts sich hinsetzt und die Beine ins Wasser hineinsteckt) Sie, Fräulein! Stecken Sie nicht die Beine ins Wasser! Wie leicht kann ein Krokodil Sie anbeißen und runterschlucken.

Kleopatra: Das dürften die Tiere doch wohl nicht wagen. Die Maressa befindet sich doch auf der Barke der Königin.

Kapato: Ach, Frau Königin! Diese Krokodile sind alle so dumm, die können kein Schaf vom Elefanten unterscheiden – ob die in ein Löwenbein beißen oder in ein Menschenbein – das ist ihnen ganz egal.

Kleopatra: So dumm sind die Tiere? Nun – dann sollen sie meine Macht kennen lernen.

Kapato: Lernen tun die gar nichts. Wenn ich ihnen eine Stange hinhalte, so beißen sie auch da hinein. (Er tuts und die Stange verschwindet hinten oder rechts hinter dem Vorhang.)

Da – da – da sehen Sie, daß ich recht habe.

Kleopatra: Maressa, zieh die Füße aus dem Wasser raus.

Maressa: Wie? Glauben Sie, die Tiere könnten so frech sein, Kleopatras Schneiderin anzubeißen?

Kleopatra: Ich glaub’s ja auch nicht- aber ich halt’s doch nicht für unmöglich.Es würde mich allerdings furchtbar erregen.

Maressa: Ja- die Frechheit wäre zu groß.

Maressa: Au! Au! Das Tier hat mich gebissen. Die Frechheit! (Maressa verschwindet hinter dem Vorhang rechts – und spricht im Folgenden, ohne sichtbar zu werden.)

Kapato: Da haben wir das Unglück. Netze! Netze! (Andere Schiffer kommen mit Netzen und Stangen.)

Kleopatra: (aufstehend, im Profil nach rechts gewandt) Ha! Du freches, unverschämtes Krokodil! Du wagst es, meine Schneiderin zu verschlingen?
Maressa: Noch hat mich das Tier nicht verschlungen. Aber es ist grade dabei. Hilfe! Hilfe! Das Tier schluckt mich runter. Hilfe! Hilfe! (Immer schwächer)
Das ist eine beispiellose Frechheit. Hilfe!

(Die Schiffer arbeiten hinten rechts mit Stangen und Netzen, um das Krokodil zu fangen, ein kleines Boot wird ausgesetzt – die Fischer rufen: »Rechts rum!« »Zieht!« »Die Stangen her!« und ähnliches.)

Kleopatra: Krokodil! Verfluchtes Krokodil! Ich bin sprachlos, daß du es wagst, die Schneiderin einer Königin zu ver­schlucken. Maressa, schneide dem Tier mit Deiner Schere den Leib auf. Das Tier muß sterben. An den Galgen mit dem Krokodil.
Maressa: Ich werde sehen, was sich tun läßt. Der Schlund des Tieres ist so klebrig.
Kleopatra: Krokodil! Weißt du, daß du die Schneiderin einer Königin im Maule hast? Schämst du dich nicht? Sind dazu die Königinnen auf der Erde da, daß ihre Schneiderinnen von Krokodilen verschlungen werden? Maressa! Wehre dich mit der Schere, die ich dir geschenkt habe. Wehre dich tapfer­ ich befehle dir’s. Schneide dem Krokodil den Bauch auf und krieche raus. Laß dir nichts von diesem Ungetüm gefallen. Du bist die Schneiderin einer Königin. Das vergiß nicht.

Maressa: Ich vergesse das bestimmt nicht. Aber- jetzt schluckt mich das Ungetüm runter. Au! Au! Au! Hilfe!
Kapato: Na- Frau Königin, das Tier kann uns jetzt nicht mehr entwischen.
Kleopatra: Aber – runtergeschluckt hat’s doch schon die Maressa! Diese Frechheit! Ich verurteile das Tier zum Tode. Es soll auf einer Stange aufgespießt auf der Dachterrasse meines Sommerpalastes- hoch oben in den Lüften von der Sonne ausgedörrt werden – zum ewigen Zeichen meiner Macht.

Kapato: Daraus macht sich das Tier gar nichts. Aber- was seh‘ ich jetzt?

Kleopatra: Was siehst du, Kapato?

Kapato: Ich sehe, daß die Scherenspitze der Maressa aus dem Bauche des Krokodils herausragt.

Kleopatra: Schneidet Maressa dem Tiere den Bauch auf- mit ihrer königlichen Schere?

Kapato: Ja- das tut sie. Die Schere schneidet; gleich wird die Maressa wieder draußen sein. Fischer, zieht das Mädchen raus.

Kleopatra: Das Tier wird gedörrt. Kapato, du weißt, was du mit dem Tier anzufangen hast.

Kapato: Das Krokodil stirbt.

Kleopatra: Meine Schere ist mächtiger als dieses Krokodil.

Kapato: Die Maressa wird rausgezogen.

Maressa: (erscheint und ist ganz naß und schmutzig, und hebt ihre blutige Schere hoch empor.)

Ich habe dem Tiere bewiesen, was eine königliche Schere vermag.

(Alle bewundern die Maressa.)

Kleopatra: Hier – nimm diese Perlenschnur für deine mutige Tat.

Maressa: Ich danke sehr, Frau Königin. 0 – ich ahnte es gleich, daß ich heute noch etwas Köstliches geschenkt bekom­men würde.

(Nimmt die Schnur und küßt der Kleopatra die Hand.)

Kleopatra: Laß dich wieder sauber machen und hänge die Schere zu Hause über deinem Waschtisch auf. Laß das Blut daran. Es bedeutet Glück. Der Mond verfinstert sich. Wir wollen nach Hause fahren, Kapato.

Kapato: Das wollen wir tun, Frau Königin! Es ist auch schon recht spät.

Kleopatra: Gebt dem Krokodil hundert Hiebe!

Kapato: Es ist schon tot.

Kleopatra: Das ist keine Entschuldigung.

Maressa: Haut zu!

(Man hört rechts die Schläge.)

Kleopatra: Jetzt scheint der Mond wieder ganz hell – und im Hintergrunde leuchten die Pyramiden.

Maressa: Und es leuchtet auch die Sphinx!

Kapato: Das Ebenbild der Frau Kleopatra.

Vorhang!


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