Fax

Paul Scheerbart

Regierungsfreundliche Schauspiele


Fax

Schauspiel in einem Aufzuge

 


Personen
:

Fax, ein reicher
Herr Hinz, ein alter Kapitän
Kunz, ein Fischmeister

 

Die Handlung spielt an der deutschen Nordseeküste in der Gegenwart.

Auf einer Anhöhe am Meer. Rechts und links Gebüsch. Hinten ein Stück Meer und Himmel – möglichst blau. In der Mitte auf einem nicht zu hohen Marmorsockel Fax – wie ein Denkmal dastehend. Auf der Vorderseite des Sockels steht in großen Goldlettern: Fax. Gekleidet ist Fax ganz wie Mozart; die linke Hand am Griff des Galanteriedegens, der hinten hoch aufragt, die rechte Hand oben an der Weste, aus der viele Spitzen heraushängen, die auch aus den Aermeln auf die Hand fallen. Ohne Hut. Schönheitspflästerchen. Weißseidene Strümpfe, Schnallenschuhe.

Fax ist eine Dame in männlicher Kleidung.


Hinz: (mit Kunz von links hinten. Beide in Fischertracht mit langen Stiefeln und Südwestern und kurzen Pfeifen, die sie vor dem Denkmal ausgehen lassen und danach in die Tasche stecken. Hinz mit weißem Vollbart ohne Schnurrbart, Kunz bartlos) Das ist also das Denkmal.

Kunz: Ja, hier haben wir ihm ein Denkmal gesetzt, ganz in der Tracht, in der er lebte.

Hinz: Er sieht auch so aus, als wenn er lebt.

Kunz: Ja, der Herr Fax war ein großer Wohltäter der Menschheit.

Hinz: Wie viel Menschen hat er gerettet?

Kunz:Vom Hungertode hat er 150.600 Menschen gerettet.

Hinz: Wir wollen (nimmt den Südwester ab, was Kunz auch tut) ein stilles Gebet sprechen.

Fax: (nach kurzer Pause) Kniet nieder!

Hinz: (auf den Rücken fallend) Kunz! Kunz: (auch auf den Rücken fallend) Hinz!

Fax: Zum Donnerwetter! Nennt ihr das Knien? Ihr verwechselt wohl eure Arme mit euren Beinen. Ich aber sage euch: Eure Ellbogen sind keine Knie.

Hinz: Das ist also das Denkmal!

Kunz: Hier ist ein Wunder passiert.

Fax: Kniet nieder!

Kunz: Ja, gnädiger Herr! Ja! (kniet rechts von Fax, während Kunz links kniet – beide im Profil)

Hinz: Was bei Euch alles passiert!

Kunz: Sei bloß still!

Fax: Faltet die Hände und betet mich an! (beide tuns)

Kunz: Ich weiß nicht, ob das richtig ist.

Hinz: Bei Euch scheints nicht ganz richtig zu sein.

Fax: Nu steht auf und helft mir runter (sie stehen hastig auf und helfen ihm mit hocherhobener Rechten runter. Er springt)

Kunz: Gnädiger Herr, Sind Sie wirklich der Herr Fax?

Fax: (auf die Inschrift weisend) Na, da stehts doch!

Hinz: Ja, da steht es,

Kunz: (lesend) Fax!

Hinz: (ebenso) Fax!

Fax: (ihre Hände loslassend) Kennt Ihr schon die neue Wildheit?

Hinz: Wir kennen ja noch nicht mal Denkmäler, die so fein springen können wie Sie, Herr Fax.

Kunz: Gnädiger Herr, wir wollten hier eigentlich einen Springbrunnen setzen.

Fax: Einen wilden?

Kunz: Einen solchen kennen wir nicht.

Hinz: Mir ist so ganz wüst im Kopf. Wilde Tiere giebts ja. Aber wilde Denkmäler? Ih! Ih! Und wilde Springbrunnen?

Fax: (setzt sich auf einen Baumstumpf) Kinder, das lange Stehen strengt furchtbar an.

Hinz: Das kann ich mir denken.

Kunz: Ja, das begreif ich schon.

Fax: Als ich vor 150 Jahren auf der Erde so lebte wie die anderen Menschen, da war ich ein so guter Kerl, daß mir gar keine Zeit blieb, Böses zu tun. Nun muß ich das Böse nachholen.

Hinz: Ei! Ei!

Kunz: Und wir setzten Ihnen, gnädiger Herr, doch gerade Ihrer guten Taten wegen ein Denkmal.

Fax: Werdet Ihr mir meiner bösen Taten wegen auch ein Denkmal setzen?

Kunz: (sich hinter den Ohren krauend und den Südwester wieder aufsetzend, was Hinz jetzt auch tut) da wird der Gemeinderat wohl »nee« sagen.

Hinz: Ei! Ei! Wenn der Herr Fax eine Dame wäre, dann gäbe das viel böses Blut.

Kunz: Das wäre auch was Böses.

Fax: Ihr wißt ja garnicht, ob ich eine Dame bin.

Hinz: Ei! Ei!

Kunz: Wie sollen wir das erfahren!

Hinz: Das merkt man an der Hand.

Fax: (ihm die Linke hinhaltend) Na, faß sie mal an! (er tuts und schreit, als hätte er sich die Hand verbrannt)

Hinz: Donnerwetter! So hab‘ ich mir noch nie die Finger verbrannt.

Fax: (lachend) Weißt es nun?

Hinz: Nee.

Kunz: Ich wills auch nicht wissen.

Fax: Ach, Kinder, wenn man so’n Denkmalsleben hinter sich hat, dann will man auch mal wieder was Andres haben. (reckt sich und springt auf, die Alten treten ängstlich zur Seite) Ihr habt also noch nichts von der neuen Wildheit gehört – nein?

Hinz: Nein.

Kunz: Keine Ahnung.

Fax: Ich wills Euch sagen. Hört zu! Wir sind hier nicht allein. Hier ist die ganze Luft voll Geister. Ihr könnt sie nicht sehen. Dazu muß man Denkmalsaugen haben.

Hinz: Solche Augen haben wir nicht.

Fax: Ihr glaubt wohl, ich mache Scherz, nicht wahr? Ich will Euch beweisen, daß ich nicht scherze (zieht den Degen, der ganz verrostet ist)

Kunz: (zurücktaumelnd) Donnerwetter! Junger Herr!

Fax: Ich tu Euch nichts. Mein Degen ist ein ganz besonderer Degen. Paß mal auf, Kunz! (hält die Spitze des Degens zu seinem Leibe hin – aber so daß zwischen Degenspitze und Kunz noch ein großer Abstand bleibt)

Kunz: Ah! das geht durch (fällt)

Fax: Mach keine Faxen, Kunz! Ich hab‘ dich doch nicht gestochen. Hinz ist doch mein Zeuge.

Hinz: Ich habe gesehen. Du bist nicht gestochen.

Kunz: (mühsam aufstehend) Ich aber habs gefühlt. Hier unterm Magen.

Hinz: Das geht nicht mit rechten Dingen zu.

Fax: Ich will Euch jetzt, da Ihr begreift, daß ich nicht blos spaße und daß mit mir auch nicht zu spaßen ist, mehr von der neuen Wildheit erzählen. Hört zu! Hier ist in der Luft und unter und hinter uns und vor uns eine Masse von neuen Welten. Und wer von der neuen Wildheit gepackt wird – der kann alle diese Welten sehen und fühlen – und er hört ein ganz neues Gras wachsen – das feiner ist als die feinste Spinngewebefäden – und er hört das Blut in kleinen Mücken rieseln- in anderen Mücken, die viel feiner sind als die irdischen Pfützenmücken – und die so stechen können – daß uns der Atem ausgeht vor wilder Seligkeit, daß wir aufjauchzen und toll werden und

überall fühlen, was Niemand vor uns fühlte, – und was Niemand nach uns fühlen wird. (mit dem Degen langsam durch die Luft fahrend) Da oben sehe ich jetzt den großen Planeten Jupiter – das ist ein Kugelriese – ein Kugelriese – und der dreht sich in 12 Stunden um sich selbst mit rasender Schnelligkeit. Ich fühle, was er fühlt. Mich hat eben die neue Wildheit gepackt. Und ich fühle, was all die Planeten fühlen- und ich fühle die ganze Glut der Sonne (niederkniend auf ein Knie) Sonne! Sonne! Ich bete dich an. Und ihr müßt mich auch anbeten, denn ich offenbare euch all die neuen Wunder, die uns umgeben. Ich, der große Fax, ich bin ja der Apostel der neuen Wildheit. Ihr müßt mich anbeten und zugleich auslachen. Wenn Ihr das nicht fertig bekommt, stech ich Euch sofort tot. (aufstehend) Ihr kennt ja schon die Macht meiner Degenspitze. Na! – wirds bald? (die beiden Alten sinken auf die Knie und heben die Hände gefaltet empor) Aber- aber­ was ist denn das? Ich hab‘ Euch gesagt: Ihr sollt mich anbeten und zu gleicher Zeit auslachen. Könnt Ihr das nicht?
Hinz: Wie sollen wir das denn machen?

Kunz: Das geht doch nicht!
Fax: Hinz: dann stech ich dich tot (richtet die Degenspitze nach ihm hin, und er läßt in kniender Stellung den Kopf sinken)
Hinz: Ich sterbe. Kunz, grüß meine Tochter.
Kunz: Ih, du stirbst ja nicht!
Fax: Halt! Laß ihn in Ruh. Er lebt jetzt nicht. Ich aber will, daß Du Dich an meiner Stelle als Denkmal da hinstellst. Bitte! Schnell! (sie holt den Baumstumpf und stellt ihn vor den Sockel und hilft dem Kunz rauf)
Kunz: Jetzt muß doch auf dem Sockel »Kunz« aufgeschrieben werden.
Fax: (verschwindet hinten rechts und ruft unsichtbar) Hinz! Hinz! Hinz! wach auf!
Hinz: Nanu? Was ist denn das? Kunz, Du bist Denkmal geworden? (steht auf)
Fax: Bete den Kunz an, sonst stech ich dich wieder tot.
Hinz: Nee, das tu ich nicht. Dann stech mich nur ruhig tot. An dem Kunz ist nicht so viel dran, daß ein ehrlicher Mann ihn anbeten kann.

Fax: (erscheint wieder – traurig) Sagt mal, habt Ihr nun begriffen, was die neue Wildheit ist?

Hinz: Nein!

Kunz: Keine Ahnung.

Fax: Sind heutzutage alle Menschen so schwer von Begriffen?

Kunz: Ja, Alle Menschen!

Hinz: Alle sind wie Hinz und Kunz.

Fax: Dann lohnt es ja garnicht, daß ich herumziehe und von der neuen Wildheit erzähle.

Kunz: Das lohnt sich wirklich nicht.

Fax: Komm runter. Ich will wieder rauf.

Kunz: Gern! Sehr gern! Das Stehen strengt zu sehr an (ist runter gestiegen, sie steigt wieder hinauf, steckt den Degen ein und stellt sich so in Positur wie am Anfang)

Hinz: Kunz, ich denke, jetzt gehen wir wieder nach Haus!

Kunz: Mutter muß das Essen schon fertig haben.

Hinz: Leben Sie wohl, Herr Fax!

Fax: Wollt Ihr mir noch einen großen Gefallen tun?

Beide: Gern!

Fax: So kniet noch einmal nieder vor mir.

Beide: Gern! (knien rechts und links im Profil)

Fax: Faltet die Hände! (sie tun’s) Nun will ich Euch zeigen, wie man Jemand anbeten und zugleich auslachen kann.

Hinz: Da bin ich neugierig.

Fax: Ihr lacht jetzt einfach los

Kunz: Ha! Ha Ha! Ja so gehts

Hinz: Das ist ja einfach! Ha! Ha! Ha! (sie lachen beide ganz laut, Fax ganz ernst).

Vorhang!


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