Loscha

Paul Scheerbart

Na prost!


Loscha

Eine Resignationsphantasie

aus: Na prost!

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Weitab vom Gefilde der langweiligen, eklen, stumpfen Quarkgewalten rauscht ein dunkelgrünes großes Meer —  das dunkelgrüne Meer des ewigen Vergessens.

Am Gestade dieses Meeres ragen wilde schroffe Gebirge hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf.

Und am Fuße dieser Gebirge lagern weiße Paläste.

Die Paläste glänzen, denn sie sind aus weißem Milchglase gebaut; sie haben nur glatte Flächen an den Wänden und viele scharfe rechtwinklige Kanten —  aber nur rechtwinklige Kanten —  nicht andre.

Glatt und regelmäßig wie das Durcheinander von vielen großen Treppenstufen liegen die Paläste da —  —  nur ein paar viereckige Türme mit Burgzinnen streben zwischen den Dachterrassen empor. Die Dachterrassen sind auch mit Burgzinnen gekrönt.

Abgeglättete Ruhe spiegelt sich in den weißen Palästen am Gestade der dunkelgrünen See, in der Alles —  Alles vergessen wird…

—  —  —

Die Märchenengel schweben herbei… in langen weißen Gewändern —  ein langer Zug.

Sie haben kleine Pauken in den Händen —  und lange dünne Posaunen, alte Geigen und alte Flöten.

Und die Sonne geht auf —  drüben im grünen Meer.

Eine silberne Sonne geht auf.

Silberne zierliche Wolken umkränzen die silberne Sonne.

Es sieht feierlich aus —  der Himmel, die See und das Gestade.

—  —  —

Und Loscha, die stille Priesterin, sitzt jetzt hoch oben auf einem Turm.

Die blanken Burgzinnen glänzen und blenden.

Das dunkelgrüne Meer rauscht.

Aber unten zwischen den Palästen rauscht noch ein anderes Wasser —  das strudelt und brandet und gurgelt so —  denn es kommt vom Gebirge herunter —  von den höchsten Bergspitzen strömt es hernieder…

Und dieses Wasser ist dunkelrot, so rot wie das Blut wilder Tiere.

Das rote Wasser umspült die sämtlichen weißen Paläste.

Loscha sitzt hoch oben auf ihrem Turm, schaut die silberne Sonne nachdenklich an, fährt mit der Hand über die Stirn, steht auf —  berührt einen runden silbernen Knopf, der aus dem weißen Milchglase der Burgzinne hervorragt, drückt ihn —  und horcht…

Da klingen in allen Palästen helle, feine Glocken durcheinander —  wie tausend Spieluhren klingen die Glocken —  wundersame lustige Lieder hallen in Glockentönen durch die weißen Paläste.

Loscha weckt die Tollköpfe —  die Tollköpfe, die jetzt weitab vom Gefilde der langweiligen, eklen, stumpfen Quarkgewalten ihr Leben verträumen —  —  —

Gierige, heiß und hastig aufstrebende Menschen sind’s, die Loscha weckt —  ihnen will sie zeigen, wie alle wilden, feurigen Wünsche —  die blutroten Wasser —  im Meere des Vergessens —  spurlos versinken. Ob die Wünsche gut oder schlecht genannt werden, ist ganz gleich.

Dieses ewige Versinken schauen sich nun die trotzig begehrenden Menschen an —  sie schauen sich das jeden Tag an —  —  —

Durch dieses Anschauen erzieht die stille Loscha die unbändigen Krallengeister zur Ruhe —  zur ewigen Ruhe im Glanze der silbernen Sonne, die im dunkelblauen Himmel von hochgestiegenen Silberwolken umkränzt wie eine alte Weltuhr dahängt.

Alle die guten und bösen Tollköpfe, die’s auf Erden gab und gibt, stehen nun auf den Dachterrassen der Milchglaspaläste, stehen da in ihren verschiedenen Trachten —  in guten und schlechten Kleidern —  mit freundlichen und mit verzerrten Zügen —  stehen da und schauen in die roten Wasser und in die grünen Wasser.

Die Glocken klingen nicht mehr.

Aber die Pauken und Posaunen der Märchenengel tönen jetzt milde herüber —  mit Geigen—  und Flötenspiel.

Die Märchenengel fliegen langsam immer um die Paläste herum, so daß alle die heißblütigen Menschen, die da oben auf den Dachterrassen stehen und schauen —  auch die feine Märchenmusik hören —  die bald feierlich —  bald lustig klingt….

Währenddem kommt Loschas Page zu seiner Herrin und meldet einen Menschen, der ganz besonders wild aussieht, einen schäbigen Rock trägt und Loscha durchaus und durchum zu sprechen wünscht.

Songulano heißt der Fremde.

Loscha, die stille Priesterin, hat Nichts dagegen, daß der Fremde näher kommt.

Sie empfängt ihn hoch oben auf ihrem Turm.

Songulano stürzt der Loscha zu Füßen und küßt ihr die Hand.

Sie entzieht ihm ihre Hand.

Er aber begehrt die Loscha, die stille Priesterin, zum Weibe —  ungestüm —  rauh —  sehnsüchtig.

Sie soll kommen mit ihm in die Welt.

Sie soll mit ihm zusammen alle Menschen in der Welt glücklich machen —  alle Menschen —  alle Menschen.

Doch Loscha lacht den Schwärmer aus.

Sie sagt:

«Du bist nicht der Erste, bist auch nicht der Letzte, der mich zum Weibe begehrt. Doch ich werde weder dem Ersten noch dem Letzten noch einem Andern die Hand zum Ehebunde reichen. Ich bleibe hier hoch oben auf meinem Turm. Ich bin an’s Geliebtwerden schon gewöhnt. Komm‘ setz‘ dich still hier neben mir auf meine weiße Bank. Du sollst nicht traurig von dannen gehen.»

Songulano gehorcht.

Loscha fährt fort:

«Sieh‘, auch der Wunsch, mich als Eh’frau heimzuführen, strudelt dort unten mitten unter den anderen heißen Wünschen ganz gemütlich weiter. Er wird auch wie die andern gleich in’s grüne Meer stürzen und dort spurlos versinken. Du willst, daß ich mit dir zusammen alle Menschen auf der Erde glücklich machen soll —  aber ist das nicht auch bloß ein Wunsch, der im roten Strudelwasser dahinbraust? Du willst die Menschen glücklich machen? Mußt nicht so viel wollen —  du weißt ja gar nicht, ob die Menschen auch glücklich werden möchten. Die meisten Menschen wissen gewöhnlich gar nicht, wann sie glücklich und wann sie unglücklich sind. Wenn sie aber Letzteres zu sein glauben, dann können sie ja stets hierher kommen und von meiner Dachterrasse aus niederschauen in die roten Fluten, in denen auch die heißen Wünsche der Unglücklichen weiterströmen —  dem Meere des ewigen Vergessens entgegen —  —  immerfort. Unaufhaltsam strudelt’s da unten —  sieh‘ nur, wie schnell die roten Wasser an den weißen Palästen vorüberschäumen. —  Songulano, willst du nun noch, daß ich Ja und Amen zu deinen so vergänglichen Wünschen sage?»

Songulano erwidert:

«Du scheinst nur Freude am Neinsagen zu haben.»

Loscha, die stille Priesterin, nickt und meint:

«Ja —  Neinsagen zu Allem und sitzen bleiben, wo man grade sitzt —  das scheint mir das Beste zu sein —  —  so geht’s, wenn man alt wird. Sieh! Und hier kann man bei Märchenklang ohne Ärger sehen, wie auch das Wildeste, und wie auch das Größte in uns spurlos vergeht —  spurlos!»

Da ruft Songulano:

«Loscha, du bist alt und faul!»

Und er stürmt rasch davon.

Und er verschwindet unten in der Menge, die jetzt, da die silberne Sonne untergeht, auch wieder verschwindet; die Tatmenschen tauchen nieder durch große Luken —  versinken da —  spurlos —  so wie die heißen roten Wünsche spurlos im grünen Meere versinken.

Die stille Loscha ist wieder allein, wird nicht mehr von Songulano gestört.

Songulano hat draußen in der Welt schon wieder andere Wünsche.

Die roten Wasser aber stürzen unaufhörlich in’s grüne Meer und kümmern sich nicht darum, ob die Menschen und Geister alt sind oder jung, faul oder fleißig, gut oder schlecht…

Loscha sitzt ruhig hoch oben auf ihrem Turm, den die blutroten Strudel wildschäumend umrauschen.

 


 Na Prost:

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 Diese Phantasie paßt so genau in ihre Stimmung, daß Keiner an ein Erklären denkt.

Das ist mal was ganz Verständliches!

Auch die großen Wünsche der drei Gelehrten sind in ein grünes Meer gesunken.

Die Geister der achtkantigen Flasche haben nicht einmal den Wunsch, zu leben —  auch nicht den Wunsch, zu sterben.

Eine trockne Kaltblütigkeit greift allmählich um sich.

Und es wird kühl draußen; das Thermometer fällt auf vierzehn Grad.

Die Flasche wird geheizt.

Und man kommt dabei auf den Einfall, ein paar Fische zu braten und Muscheln zu kochen.

Mit Essen, Trinken und Rauchen vergeht schneller die Zeit.

Man vergißt auch die Finsternis.

*     *     *

Aber plötzlich —  hei! hurrah! —  da wird’s wieder Licht!

Oh Welt! Oh Rausch!

Das ist ein Jubel!

Unbeschreiblich!

Es wird immer heller!

Schon wird der Himmel wieder gestreift —  aber die Streifen sind jetzt alle blau —  vom hellsten bis zum dunkelsten Blau sind alle Töne dieser alten irdischen Himmelsfarbe plötzlich wieder da.

Die Menschenasche ist fort!

Hei! Hurrah!

Die Geister der Flasche springen und tanzen, umarmen sich und lachen und weinen dazu und sind selig.

Sie füllen die großen Gläser, zerschlagen dabei sechs Stück —  aber das schadet ja Nichts —  es ist ja wieder Licht zu sehen…

Wie die Rasenden toben die drei Gelehrten herum.

Na prost! Na prost!

Das hört man wohl tausend Mal.

Und das Thermometer steigt wieder ein bißchen —  und da werden die drei kühn —  sie öffnen das große Fenster und lassen die unverfälschten Weltallüfte rein. Es brummt am Fenster wie ein großes Heer wilder Bären!

Brüllmeyer läßt sich festbinden und steckt seine beiden langen Beine zum Fenster raus —  aber dann schreit er gleich:«Zurück! Zurück!»

Der Weltwind ist doch zu stark —  der arme Brüllmeyer hat sich beide Beine ‹verrenkt›.

Kusander schließt das Fenster, und Passko reibt dem kühnen Brüllmeyer, der jetzt ‹vor Schmerzen› brüllt, die Beine mit Gelenksalbe ein. Man kehrt in die Polsterräume zurück.

Es ist tatsächlich wahr: man soll sich nicht zu sehr freuen —  das ist ‹niemals› gut!

*     *     *

Wie’s allmählich ein bißchen besser mit den verrenkten Beinen wird und der Kranke schon in der Hängematte vor den Fenstern liegen kann, fühlen sich Alle wieder behaglich.

Ein kräftiger Schmerz macht im Großen und Ganzen eigentlich lebenslustig. —  Das merken auch die Drei.

Und Brüllmeyer holt aus seinem Schatz eine neue Geschichte vor, die er mit den jetzt folgenden Worten einleitet:

«Gute Geister der achtkantigen Flasche! Ich will euch und mich wieder lustig machen! Da ich jetzt wahrlich noch nicht springen kann, so will ich euch ein altdeutsches Gedicht, das wirklich zum Springen ist, mit rührender Wehmut, über die ihr kräftig lachen könnt, vorlesen. Die Menschenasche ist fort —  darum les‘ ich»:


ps_160   Menschenblut

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