Das Märchen vom blauen Hund
Paul Scheerbart
Meine Tinte ist meine Tinte!
Das Märchen vom blauen Hund
Eine ganz unergründliche Geschichte
Aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Immer mutig
Der Ritter Knut Lemcke von Bullerstein hat endlich ausgeschlafen, hat gleich sein Panzerhemd angezogen, Stahlhaube auf den Brummschädel gestülpt und sein Schwert in die Hand genommen. Mit dem rechten Fuß stößt er die Tür zum Altan grimmig auf und saugt die frische Abendluft in langen Zügen schmunzelnd ein.
Da steht er nun auf seinem Altan. Die Sonne geht drüben überm Birkenwäldchen grade unter.
»Lange geschlafen!« sagt der Knappe und setzt den Morgenimbiß auf den Tisch — Eier, Schinken, Butter, Brot, sauren Aal und eine Kanne Moselwein.
Der Ritter ißt und trinkt und denkt an die wüste Nacht, die nun auch hinter ihm liegt.
Die Sonne geht unter — der Mond geht auf.
Der Knappe bringt ein gebratenes Huhn nebst rotem Wein und verschwindet wieder.—lautlos wie ein stiller Schatten.
Knut beugt sich über die Brüstung des Altans und schaut in die tiefen, bewaldeten Abgründe; er denkt an was, vergißt es aber gleich wieder. Die Spitzen der Tannen, Fichten, Buchen, Erlen und Eichen sind tief, tief unter Knut. Der Mond bescheint die welligen Waldberge und auch die stramme Burg.
Der Ritter beißt ins Huhn und läßt die Wälder das sein, was sie sind. Doch plötzlich hört er’s bellen da unten.
»Wetter!« ruft er, »ist das nicht mein toter Hund? Der bellt doch grade so.«
Er erhebt sich und brüllt: »Hopsmajor!« — denn so hieß der Hund bei Lebzeiten.
Der Vollmond leuchtet unheimlich hell. Hopsmajor bellt — die Echos umhallen Knutens Ohr.
Der Hund kriecht langsam an der Burg empor; Knut hört’s ganz deutlich. In den Hecken raschelt’s, alte Ziegelsteine rollen ins Tal, und dazwischen bellt der dumme Köter.
Dem Ritter Lemcke von Bullerstein sträuben sich sämtliche Haare, er murmelt mit großen Augen: »O Karoline!«
Jetzt ist der Hund dicht unter der Brüstung, das Gebell wird schrecklich laut, Lemcke stößt vor Schreck auffahrend mit dem linken Ellenbogen die Kanne um, und der gute Rotwein übersprudelt die Fliesen des Altans.
»Knut! Knut!«
So hört der Ritter rufen unter der Brüstung, und »Hopsmajor!« stößt er heiser hervor. Und danach sieht der Herr von Bullerstein seines toten Hundes Antlitz über der Brüstung.
»Das Tier hat sich doch stark verändert«, denkt sein Herr, »denn es ist ganz blau, ganz blau — wie Blaubeeren.«
»Nu?« brüllt der Hund finster, »wunderst Du Dich denn gar nicht, mich heute abend im Mondenschein wiederzusehen?«
Hopsmajor, eine kräftige Dogge, legt die Vorderpfoten auf die Brüstung, der Ritter stottert: »Ich — ich wun —wundre mich nie!«
»Denn nich!« erwidert lächelnd die blaue Dogge. »Weißt Du auch, was ich jetzt vorstelle!«
»Nee!« versetzt der Lemcke, »nee!«
Zwei haarfeine Blitze umzucken den Mond — wie Eichenäste sehen sie aus.
Hospmajor zieht die Hinterbeine nach und geht auf der Brüstung des Altans langsam auf und ab. Der Ritter reicht dem Tier den Rest des Huhns, doch der Hund winkt mit der linken Vorderpfote ab.
»Aber!« ruft der gute Knut — Hand mit Huhn sinkt in den ritterlichen Schoß.
Des Hundes rechtes Hinterbein, das auch ganz blau ist wie der ganze Hund, wird dick — und dicker — und dann immer länger — riesig lang — bis in den Himmel reicht es bald hinein — bis an die Sterne. Die Krallen kratzen an den Sternen, und dann wird das Bein wieder so, wie’s war.‘ »Nu?« fragt der Hund, »weißt Du nu, was ich vorstelle?« »Nee!« heißt es wieder. • Itzo wird der Kopf des Hopsmajor immer größer und dicker — so groß, daß der Ritter gar nicht mehr das ganze Tier sehen kann — bloß die große Riesenschnauze sieht er
— nichts als Schnauze!
Die Schnauze drückt den Herrn Ritter an die Wand, daß der »Au!« schreit. Und da wird der Hundskopf wieder, wie er war.
Der Hund fragt abermals: »Nu?« und abermals heißt es:
»Nee!«
Indes — alsdann wird der ganze Rumpf hinter den Vorderpfoten größer und dicker — so groß und dick, daß der Leib bald die sämtlichen Täler unterm Altan ausfüllt.
»Donnerwetter! So blau und so dick!«
Also Knut.
Der Hund fragt aber zum dritten Male: »Nu?« und zum dritten Male heißt es: »Nee!«
»Ich will’s Dir sagen«, brüllt nun ärgerlich der blaue Hospmajor, dessen Kopf lächerlich klein aussieht dem riesigen Sackleibe gegenüber, »ich bin — das sag‘ ich Dir unter vier Augen — das Symbol des Vornehmen.
»Dacht‘ ich mir — scho — schon!« stottert der Knut, »wi
— willst Du — Du mir — wei — weiter nichts mit — mitteilen?«
Hopsmajor räuspert sich und bemerkt in distinguiertem Tonfall: »Ich werde mich ganz klar aussprechen.«
Den Mond umzucken wieder zwei haarfeine Blitze. Knut beißt noch mal ins Huhn, ärgert sich, daß er nichts zu trinken hat, freut sich, daß dem Hunde jetzt die sämtlichen Tannen, Eichen, Erlen, Buchen und Ahorns in den Bauch picken — der Hopsmajor aber beginnt so: »Mein lieber Freund Knut Lemcke von Bullerstein, Du bist sonst ein ganz famoser Kerl, dessen vornehme Lebensallüren mir schon während meiner gewöhnlichen Lebenszeit beträchtliche Genüsse verschafft haben. Du bist unter allen Umständen zu allen Zeiten ein wahrhaft vornehmer Mann, den man ohne weiteres seines Umganges würdigen darf. Nimm zunächst mal eine kleine Prise!«
Der blaue Hopsmajor nimmt fix eine Schnupftabaksdose aus seiner rechten Backentasche und reicht sie seinem früheren Hausherrn. Beide schnupfen und niesen, und der Blaue fährt fort: »Nur dann, wenn Du angetrunken bist — die Bauern sagen >sternhageldun< —, dann bist Du so, daß man Dich nicht für >vornehm< erklären kann. Mensch, merkst Du nicht, daß diese Angelegenheit höchst peinlich geworden ist? Du wirst im angesoffenen Zustande — und in diesem befindest Du Dich doch in jedweder Gesellschaft — teils zu grob und teils zu liebenswürdig. Du behältst nicht die Balance. Du drückst die größten Peter der Menschheit, die selbstverständlich >Peter< niemals heißen, in ungebän—digter Rührung an Dein edles Ritterherz und merkst gar nicht, daß diesen Petern Deine Rührung höchst lächerlich vorkommt, da sie von der ewigen Sehnsucht der Besoffenheit nicht die blasseste Ahnung haben. Andrerseits aber geht’s wieder folgendermaßen: Merkst Du, daß Du Dich mit Deiner seelischen Entblößung lächerlich machst, so haust Du dem nächsten Besten — und das sind immer noch die Leidlichsten — ohne Scham und Mitleid ins lachende Antlitz. Und aus solchen Wutausbrüchen entstehen dann ganz alberne Mopsgeschichten, da Du nachher von nichts
mehr die blasseste Ahnung hast und oftmals in sehr wenig vornehmer Weise grade diejenigen um Entschuldigung bittest, die Du hättest verhauen sollen. Mensch, höre: Sterne verkratzen, mit der Schnauze alles bedrängen und sich recht breit machen — darin allein steckt das wahrhaft vornehme Wesen;. — das zügellose Temperament sollen andre nicht sehen!!!
»Sauf drum hinfüro ganz allein, Mein lieber Lemcke von Bullerstein‘.«
Und es gibt einen fürchterlichen Knall, Knut springt in die Höhe — und sieht die Täler mit blauen Mondnebeln bedeckt.
In der Hand hält der Ritter noch immer das Stück Huhn, und der Altan schwimmt — alles Rotwein!
»Stimmt!«’sagt Knut Lemcke von Bullerstein.
»Gäste!« sagt devot der Knappe, der etwas verschlafen aussieht.
»Achherrjeh!« schreit dazu der arme Knut, »o Karo—line!«
Der Knappe eilt davon, der Herr Ritter folgt ihm, denn die Gäste warten — er murmelt in seinen krausen Bart:
»Sauf drum hinfüro ganz allein, Mein lieber Lemcke von Bullerstein!«
Wie der große Knut die Treppen runterstolpert — zum Ahnensaal — murmelt er noch: »Na — nächstens!«
Immer mutig:
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