Brillanten— Salut

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte


Brillanten— Salut

Corsische Geschichte mit Tagebuchblättern einer Japanerin

Aus: Meine Tinte ist meine Tinte!

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Im Mai dieses Jahres traf ich den mir bekannten japanischen Hauptmann Zam—buai, und er fragte mich mit ganz hochgezogenen Augenbrauen: »Kennen Sie Corsika?«

Ich bejahte die Frage, ohne eine Miene zu verziehen.

»Hören Sie«, fuhr er fort, »meine Frau ist auch im vorigen Jahre auf Corsika gewesen und hat da ein Tagebuch angefangen. Es sind nur ein paar Seiten, aber die müßten Sie übersetzen.«

»Kann geschehen«, versetzte ich ruhig, »wo kann ich die Geschichte übersetzen? Ich verlange selbstverständlich nicht, daß Sie mir die Tagebuchblätter leihweise überlassen.«

»Da unten«, sagte er, während wir über die Jannowitz—brücke gingen, »liegt mein Motorboot. Fahren wir nach Grünau, da liegt meine Villa.«
Wir fuhren hin. Die Villa lag am Wasser.

Er führte mich in ein Zimmer, in dem alle Möbel mit bunter Emaileinlage verziert waren — auch die Arm— und Rückenlehnen der Ledersessel.
Überall standen Emailvasen mit blühendem Flieder. Auch vor den Fenstern blühte lilafarbiger Flieder.

Selbst die Wände zeigten Emailschmuck — in vertikalen handbreiten Streifen.

Ich bewunderte die Emailarbeiten. Der hellbraune Knotenteppich bildete einen wohltätigen Kontrast zu den Kostbarkeiten.

Der Hauptmann bat mich, am Fenster an einem Eamil—tisch Platz zu nehmen, legte ein paar Blätter vor mir auf den Tisch und leeres Papier — nebst Füllfederhalter.

Ich übersetzte nun die Tagebuchblätter einer Japanerin, die ich niemals zu sehen bekam, aus dem Japanischen wörtlich folgendermaßen:
Corsika, September 1910 Ein heiterer Sonnentag! Sehr hochstehende Damen sind an Bord. Und wir nähern uns dem berühmten Terrassenhotel auf der Insel Corsika. Von weitem sieht das Hotel so aus, als bestünde es aus drei riesig—großen Treppen, die an eine Bergspitze angelehnt sind. Der Berg liegt dicht am Meeresstrand und ist bewaldet. Die Treppen sind aber keine Treppen; es sind Hotelzimmer, die terrassenartig überein—anderliegen; über jeder Zimmerdecke befindet sich ein großer Balkon, der zu den höher gelegenen Zimmern gehört. Die Zimmer sind ganz von Veranden umgeben — mit Aussicht nach allen Seiten.

Dies Alles hat man mir gesagt; gesehen hab‘ ich’s noch nicht, denn ich war noch niemals auf Corsika.

Auf jeder Treppe zähle ich ungefähr fünfzehn Stufen —d. h. fünfzehn Balkons. An den beiden Seitenecken des Balkons sehe ich jetzt große Stangen von der Seite langsam sich in die Höhe drehen. Die Stangen sind so lang wie die Balkons und bestehen — aus lauter Brillanten.
Man sagt mir, die Brillanten bestünden aus Glas.

Ich glaub’s gern, denn so große Brillanten gibt’s ja gar nicht — wenigstens nicht auf dieser Erde.

Auf dem Monde und auf der Sonne und auf der Venus mag’s ja wohl so große Brillanten geben — vielleicht noch zehntausendmal größere — das will ich gerne glauben.

Aber diese Hotelbrillanten sind aus Glas — wirken jedoch in der Sonne tatsächlich ganz echt. Das brennt prächtig im Sonnenglanz, sticht in die Augen — mit allen Farben des Regenbogens.

Alle Kronen und alle Diademe der Erde kommen mir diesen Brillantenstangen gegenüber recht winzig vor. Das ist ja sehr natürlich; das Echte ist ja immer so klein; wenn’s nicht brennen und stechen würde, könnte man’s vielleicht nicht bemerken.

Jetzt drehen sich die Stangen!

Oh — das ist ein Gefunkel!

Die Stangen drehen sich, weil sich unser Schiff dem Strande naht. Also sagt man mir.

Ich glaub’s gern.

Wir landen jetzt!

Aber es donnern uns keine Kanonen entgegen — wie in japanischen Häfen. Hier in Corsika werden wir ganz anders empfangen. Wie das Dampfschiff von den Matrosen angebunden wird, biegen sich sämtliche Brillantstangen nach unserem Schiffe zu nach vorn, verbeugen sich langsam, während sie sich noch heftiger um sich selber drehen, so daß das Funkeln einfach wild wird — wie der Tanz von rasenden Hexen im Mondenschein.

Ein Brillanten—Salut!

Oh — das ist fein.

Ich muß schließen, denn ich muß gleich das europäische Land betreten — zum ersten Male — ein Brillanten—Salut empfängt mich — eine feine Sache — mein Gatte will mir den Füllfederhalter aus der Hand nehmen — ich gebe ihn hin — beinahe unwillig — gerne hätte ich weiter geschrieben.

So weit hatte ich übersetzt.

Nun sprach ich langsam zum Hauptmann Zam—buai:

»Das Äußere des Hotels ist ja ganz prächtig geschildert. Wundre mich nur, daß ich von diesem Terrassen—Hotel noch niemals etwas hörte. Es kommt mir beinahe so vor, als hätte das alles Jemand geschrieben, der gerne in ändern Hotels wohnen möchte — so als war’s ein kleiner Wink für künftige Hotelbauer.«

»Was«, fragte nun der Hauptmann, »wollen Sie damit sagen? Wollen Sie die Echtheit der Papiere, die Sie da zu übersetzen die Ehre haben, vielleicht in Zweifel ziehen?«

Er eilte an einen Emailschrank, holte einen Perlmutterkasten hervor, öffnete ihn und brachte zwei Pistolen zum Vorschein — ganz mit Email — mit durchsichtigem — in Blau, Rot, Grün — ausgelegt.

Ich griff zu der einen Pistole und bewunderte das Email.
Der Hauptmann glaubte, ich hätte seine Forderung angenommen und zog seinen Rock aus.

Ich sagte ruhig: »Aber warum ziehen Sie denn Ihren Rock aus?«

»Bezweifeln Sie«, rief er heftig, »die Echtheit der Ihnen anvertrauten Papiere?«

»Aber«, sagte ich lächelnd, »ich denke ja gar nicht daran, diese Echtheit zu bezweifeln.«

»Dann«, fuhr er fort, während er sich den Rock wieder anzog, »fahren Sie gütigst fort, den Schluß zu übersetzen.«

Ich steckte mir eine Cigarre an.

Der lilablaue Flieder blühte durchs Fenster ins Zimmer hinein. Draußen auf dem Wasser fuhren drei Segelboote vorüber.

Ich übersetzte nun den Schluß:

Wir haben auf unserm Balkon zu Abendbrot gegessen. Die Aussicht ist entzückend. Der Vollmond geht drüben im Meere ganz dunkelrot auf. Oh — dieser glitzernde Schein auf den Wassern! In der Ferne sehe ich noch ein zweites Dampfschiff herankommen.

Mein Gatte sitzt drüben und trinkt mit einem alten Cor—sen Champagner. Sie unterhalten sich schon sehr laut.

Die ändern Herrschaften sitzen mehr im Hintergrund bei roten Hotellampen — ganz kleinen roten Papierlampen, die man ja in allen Hotels hat.

Ich sitze an der Balkonbrüstung neben stark duftenden weißen Nelken. Ich steck‘ mir eine ins Haar und rauche eine Cigarette. Ich bin allein. Ich lasse mir eine Flasche Selters geben …

Der Kellner erzählte mir soeben, daß hier früher ein großer General geboren sei. Der habe sich, wie er sagte, selber einen Thron gezimmert und sich da selber hinaufgesetzt. Das ist wohl eine europäisch—symbolische Redensart. Der General, sagte der Kellner, sei zuletzt an zu heißen Bädern zugrunde gegangen.

»Die heißen Bäder sind sehr schädlich!« sagte der Kellner schließlich mit hocherhobenem Zeigefinger; ich gab dem Mann ein Goldstück.
Jetzt kommt der Dampfer zu unsrer Insel.

Der Mond steht schon höher — voll und gelb.

Die Brillantenstangen heben sich wieder empor.

Jetzt sehe ich alle Brillanten ganz nahe.

Es müssen auch in diesem Dampfboot, das jetzt anlegt, sehr hohe Herrschaften sein. Wieder verbeugen sich die Brillantenstangen vor der Landungsbrücke.

Ein Funkeln! Ein Gleißen!

Ein Brillanten—Salut im Mondenschein!

Mein Gatte will mit mir zur Bergspitze fahren.

Ich höre mit Schreiben wieder auf.

Nachdem ich dieses alles übersetzt hatte, sagte ich zum Hauptmann: »Haben Sie noch mehr?«

Und er reichte mir noch eine Quartseite, die ich rasch ebenfalls übersetzte:

Corsika, 1910 Jetzt fahren wir ab.

Die Sonne geht grade auf.

Noch ein siebenfacher Brillanten—Salut im Morgensonnenglanz.

Tiefblau ist der Himmel.

Die Hoteltreppen sind alle ganz rot; alle Fenster der Veranden leuchten in der Morgensonne. Die Tage von Corsika waren Sonnentage. Lebewohl, du vielgeliebtes Terrassen—Hotel. Mein Gatte erklärt, daß er mein Tagebuch für sein Eigentum halten möchte.

Ich schenk’s ihm gerne — zur Erinnerung an die ersten Tage — in Europa .

Ich reichte das Originalblatt zurück.

Und ich füge dem nichts hinzu; die herrlichen Pistolen des Hauptmanns Zam—buai werden mir ewig in der Erinnerung bleiben; das Email war so — wie das Email in Schmetterlingen und Libellen . . .


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