Elogifana

Paul Scheerbart 

Das Lachen ist verboten


Elogifana

Nervöses Capriccio

aus: das Lachen ist verboten

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Ich ging über die Berge und kam an die dicke große Felstür. Und ich öffnete die Felstür und trat in das eiserne Zimmer meiner Freundin.

„Elogifana!“ rief ich, klopfte drei Mal mit meinem Stock an die eiserne Wand —  und siehe da —  plötzlich —  auf einmal —  steht sie —  meine Freundin —  vor mir.

„Elogifana ist hier! “ sagte sie —  ganz ernst. Sie ließ das Haupt ein bißchen nach vorn fallen, und dabei fielen ihr die schwarzen Haarsträhnen auf die Brust.

Meiner Freundin Stirn war von tiefen, tiefen Falten durchfurcht.

„Was willst Du?“ fragte mich Elogifana.

„Du weißt“, hub ich an, stellte meinen Stock in eine Ecke, schob meiner Freundin gleich einen eisernen Stuhl zu, tat etwas eilig, setzte mich auf eine ganz eiserne Kommode, stäubte meinen schwarzen Sammetrock ein wenig ab, zog die schwarze Weste zurecht und schlug verlegen auf meine schwarzen Sammethosen, klapperte mit den Hacken meiner langen schwarzen Stulpstiefel, die prächtig glänzten, gegen die Kommode, knitterte hastig meinen schwarzen Sammetkalabreser zusammen, streichelte meinen strohgelben Kinnbart mit der linken Hand —  dann begann ich meinen schwarzumrandeten Kneifer mit einem Lederläppchen, das ich immer in der Westentasche trug, zu putzen… „Du weißt“, fuhr ich fort, „Du hast mir neulich, als ich hier war, ein grasgrünes Löschpapier gegeben, erinnerst Du Dich?“

Ich hörte, wie Elogifana laut und vernehmlich „Ja!“ sagte.

Nun begann ich lauter zu sprechen:

„Elogifana! Elogifana! Was hast Du getan? Ich sollte das grasgrüne Löschpapier immer in der linken Rocktasche tragen —  auf dem Herzen. Oh! Ich hab’s getan! Aber wie wurde mir dabei? Jawohl, Du hast Recht, das Papier hat eine fürchterliche Kraft. Alle die Empfindungen, die die anderen Menschen empfinden, alle diese Empfindungen empfand ich mit. Ich brauchte keine Zeitung mehr zu lesen —  kein Buch —  Nichts —  ich wußte doch Alles —  Alles, was geschah. Zuerst machte mir’s Spaß, alle seelischen Regungen meiner Mitmenschen —  mitzufühlen. Ich fühlte die namenlose Wut, ich fühlte die zärtlichste Süßlichkeit, ich empfand auch alle Gleichgültigkeitsstimmungen meiner Mitmenschen. Und wenn ich schrieb, schrieb ich die Geschichte meiner Zeit. Ich schrieb die Leiden und die Freuden dieser Zeit —  kurz: ich kam mir wie ein Sprachrohr vor —  wie ein Sprachrohr der Menschheit! Elogifana! Ich glaubt’ anfänglich, es wär’ ein Vergnügen, eine Ehre —  Sprachrohr der Menschheit zu sein. Ach, wie bald wurde mir aber klar, daß solch’ ein Leben für die ganze Menschheit, mit der ganzen Menschheit —  ein aufreibendes, verzehrendes, unerträgliches Leben ist. Ich weiß nicht mehr, wo ich vor Aufregung bleiben soll —  immerfort klopft mir das Herz —  so beängstigend. Ich kann das grasgrüne Löschpapier nicht mehr auf dem Herzen tragen —  bitte —  bitte —  nimm mir das grüne Löschpapier wieder ab! Elogifana, sei barmherzig! Erbarme Dich!“

 

Ich nahm nach dieser Rede das grüne Papier aus der Tasche, reicht’ es meiner Freundin hin —  die aber setzte sich ruhig auf ihren eisernen Stuhl und betrachtete die alten eisernen Möbel in der Stube.

Ja, in der Mitte stand noch immer der ovalgeschnittene eiserne Tisch. Die eisernen Schränke standen noch immer an den eisernen Wänden.

Von der Decke fiel durch das weiße Milchglas der Kuppel weißes Licht ins Zimmer.

Die vielen Schmiedearbeiten an den Schränken, Tischen und Wänden, die Eisengitter am eisernen Ofen, die eisernen Türfüllungen und der eiserne Fußboden mit den geheimnisvollen Zeichnungen… wie mich das Alles so kalt berührte!

Die Elogifana sah sich trotzdem sehr gemütlich alle ihre Sachen an und sagte Nichts dazu —  sie meinte nur so nebenher:

„Siehst Du auch den Ofen? Ist der jetzt nicht so blank wie ein Schwert?“

„Ja“, rief ich, „Dein Ofen ist aber immer kalt, und ich weiß nicht —  hast Du mich gehört oder hast Du mich nicht gehört?“

„Elogifana hat Dich gehört!“

„Und willst Du mir nun das grüne Papier abnehmen?“

„Du hast es haben wollen und mußt es nun behalten.

„Ach, Elogifana!“

Die grauen Schmiedearbeiten kamen mir noch kälter vor —  ich ließ meinen Hut fallen —  hielt das grüne Papier noch immer in der Hand.

Nach einer guten Weile stand meine Freundin auf, ging an einen großen Schrank und holte ein Fläschchen daraus hervor —  das gab sie mir.

Sie sagte dabei:

„Ein Tropfen von dieser gelben Flüssigkeit wird —  Dich zum Lachen zwingen. Dieses gelbe Öl wird Dir für drei volle Stunden die Kraft geben, über alle Empfindungen zu lachen.“

Ich war verdutzt.


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Ich nahm die Flasche, dankte meiner Freundin, indem ich ihr schweigend die Hand küßte, setzte meinen auf den Fußboden gefallenen Kalabreser wieder auf den Kopf, nahm meinen Stock und zog los… ging über die Berge dahin —  zurück in die Welt.

Auf die Flasche war ein kleiner Zettel geklebt, auf dem stand deutlich:

„Wenn Du den letzten Tropfen aus dieser Flasche getrunken hast —  dann wirst Du sterben.“

Dieser Zettel berührte mich sehr peinlich.

Aber wer da glaubt, daß ich des Zettels wegen nicht aus der Flasche getrunken hätte, der irrt sich gewaltig.

Ich trinke jeden Tag drei Mal —  jedes Mal einen Tropfen.

Und drei Mal drei Stunden kann ich daher täglich lachen —  lachen, daß die Wände dröhnen.

Schon ist die halbe Flasche ausgetrunken.

Wunderbares gelbes Öl!

Du erlösender Trank!

Ich lache —  ich lache jetzt über meine vielen Empfindungen.

Jetzt macht mir das grasgrüne Löschpapier wieder Spaß.

Ich kann gar nicht genug empfinden.

Mein gelber Trank lacht auch —  er lacht mich an —  und wie!

Prost!

Elogifana, ich lach’ über Dich, über die Welt und über Alles, was nicht in der Welt ist.

Ich lache! Ich lache!

Die Flasche ist bald leer.

Doch ich lach’ trotzdem —  denn den letzten Tropfen laß ich drin!

Ich bin also unsterblich!

Elogifana, wie geht’s Dir denn?

Weißt Du, was ich mache?

Ich lache!

Hörst Du mich lachen?

Elogifana, hörst Du mich lachen?


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