Berlins Archetektonische Plastik

Paul Scheerbart

Berlins Archetektonische Plastik

(geschrieben 1892)

Immer bunter wird’s in Berlin. Bald wird man nicht mehr leben dürfen, ohne Farbe zu bekennen. Man wird seine Lieblingsfarben bekennen müssen – nicht nur an Rock und Weste – nein auch an Haus und Hof, Giebel und Dach, Thor und Flur, Erker und Schornstein etc.
Die plastischen Arbeiten an den Giebelfronten der Berliner Häuser und Paläste haben der Polychromie in der Frontarchitektur die Wege gebahnt. Es ist das eine ganz natürliche Entwickelung. Die Plastik hat vor Jahren am heftigsten für die Bedeutung der Farben Propaganda gemacht. Und da nun die Plastik seit den ältesten Zeiten immer mit der Architektur zusammenging, so war ihr ohne weiteres nahe gelegt, die letztere in die eigenen Geschmacksbahnen hineinzulenken.
Die architektonische Plastik darf demnach das besondere Interesse weiterer Kreise beanspruchen.
Alle Bildhauerarbeiten, die an unseren Giebelfronten zur Ausbildung gelangen, zeigen ein ganz bewußtes Hinstreben zur farbigen Behandlungsweise. Und damit ist naturgemäß ein Aufschwung der polychromen Architektur im Allgemeinen verbunden. Die bunten Figuren und die bunten Reliefornamente der Façaden zwingen auch zur bunteren Behandlung der glatten Flächen.
Wenn wir nun Berlins architektonische Plastik eine eigene Besprechung widmen, so liegt nahe, die polychrome zunächst zu berücksichtigen.
Immer häufiger finden wir jetzt in Berlin die farbige Majolika in der Front der neuerbauten Häuser. Am bekanntesten ist wohl der schon viele Jahre alte plastische Façadenschmuck am Wohnhaus Pringsheim in der Wilhelmstraße. Auch das Café Helms neben dem alten Schloß darf sich einer gewißen Berühmheit erfreuen. Als mustergültig in dieser Richtung darf aber die Schöpfung des leider zu früh verstorbenen Gropius, das Kunstgewerbemuseum, bezeichnet werden, neben welchem die Reichsdruckerei, sowie verschiedene Markthallen und Schulgebäude nicht unerwähnt bleiben dürfen. Geradezu Aufsehen erregte vor zwei Jahren das neue Patzenhofer-Restaurant in der Friedrichstraße. Die blaue, rothe, grüne Majolika an den Giebeln fällt noch heute wie etwas Neues auf.
Das Neueste im Gebiete der polychromen Architektur ist die neue Volks-Badeanstalt im kleinen Thiergarten zu Moabit. Da haben wir an Kuppel, Thor und Fries eine solche Fülle von Farben, daß der an Grau und Braun gewöhnte Berliner Bürger mit dem Kopfe schütteln wird. Indeß zu weit gegangen ist der Architekt an dem erwähnten Hause durchaus nicht – ich möchte sogar die gegentheilige Ansicht vertreten. Wenn man die Neubauten Berlins heute verfolgt, so wird man eine solche Masse Polychromie finden, daß auch die Gegner schlechterdings dieselbe für „modern“ erklären werden.

Namentlich sind es die Villen, die hier für den farbigen Geschmack der Neuzeit Zeugniß ablegen.
Die erwähnten Majolikaarbeiten sind nun alle aus einer einzigen Berliner Thonwaaren-Fabrik hervorgegangen, aus der von March in Charlottenburg. Wir können somit die Berliner Plastik in den großen March’schen Fabrik-Etablissements in Charlottenburg am allerbesten studiren. Die Fabrik hat einen großen Theil der Berliner Frontskulptur geliefert. Vornehmlich ist das Berliner Rathhaus hier zu nennen, sodann sind die plastischen Ornamente der Passage von March, das Generalstabs-Gebäude, die Kriegs-Akademie, Theile der Schloß-Kuppel, des neuen Museums, der Petri-, Markus-, Michaelis-, Zions- und Dankes-Kirche, unzählige Villen etc. – alle diese haben ihren plastischen Façadenschmuck aus der Thonwaaren-Fabrik von March-Charlottenburg empfangen. Dort sind auch die Reliefs des Gräfe-Denkmals, – die kühnste That der modernen Polychromie – ausgeführt.
March’s Fabrik-Etablissements sind überhaupt so eng mit der Entstehungsgeschichte der Großstadt Berlin verknüpft, daß ein Bild unserer modernen deutschen Residenz mit dem Namen March immer in Zusammenhang gebracht werden wird. Im Jahre 1836 kaufte Ernst March, der Vater bzw. Großvater der jetzigen Besitzer, die alte Ölmühle zu Charlottenburg auf dem damaligen Thiergartenfelde (jetzt Sophienstraße und am Kanal, dem Polytechnikum gegenüber) und richtete sich dort ein.
Ernst March war in seiner Jugend durchaus mittellos; das Bild der Fabrik im Jahre 1836 nimmt sich winzig aus im Verhältnis zu den heutigen großartigen Anlagen. Jedoch dem Begründer dieser Werkszätten gelang es, auf dem Gebiete der Thonwaarenfabrikation viel Neues zu schaffen und auch in künstlerischer Beziehung bahnbrechend zu werden. Sein Geschäft vergrößerte sich rasch. Anfänglich wurden nur ordinäre Töpferwaaren, unter welchen Blumentöpfe und Zuckerformen die Hauptartikel bildeten, geliefert. Bald aber nahmen Ziergefäße, Vasen, Figuren, Bauornamente die volle Thätigkeit der Fabrik in Anspruch. Sodann wurden die Hindernisse überwunden, die der allgemeinen Anwendung der Bauornamente von gebranntem Thon damals im Wege standen. Mit der Ausbreitung der Rohbaues, namentlich während der großen Bauthätigkeit Berlins unter Friedrich Wilhelm IV., ist die Anwendung der Erzeugnisse der March’schen Fabrik, welche anfänglich nur auf Kirchen, und andere öffentlichte Gebäude beschränkt war, auch im Privatbau heimisch geworden. Bauornamente von gebranntem Thon wurden in sehr großer Anzahl hergestellt. Ernst March verstand es auch, das Interesse eines größeren Publikums anzuregen. Er schuf für die erste Berliner Ausstellung im Jahre 1844 einige Figuren und Vasen aus Chausseestaub, und der kunstsinnige König Friedrich Wilhelm IV., der immer die Fabrik mit Aufgaben und Mitteln zu unterstützen wußte, sagte bei der ersten Besichtigung dieser Chausseestaubplastik zu seiner Gemahlin: „Siehst Du liebe Elisabeth, hierbei haben wir auch mitgeholfen.“ Und der König gedachte lächelnd seiner vielen Kutschfahrten zwischen Berlin und Charlottenburg…
Ernst March starb leider schon 1847. Seine Söhne haben aber den Aufschwung der Thonwaaren nach allen Richtungen zu fördern fortgesetzt. Die architektonische Plastik ward zum Centralinteresse der regsamen Fabrik. Dieselbe stand seit Stüler und Strack bis auf unsere Zeit mit allen Berliner Architekten in engster Verbindung.
Die Kaiserin Augusta war ebenfalls eine große Gönnerin der Fabrik; die Rheinanlagen bei Koblenz legen ein ganz besonders Zeugniß für das Interesse der Kaiserin ab.
Bei Ernst March Söhne sind auch Büsten im Geschmack der della Robbia angefertigt, ebenso die sandsteinfarbenen Büsten gefeierter Feldherrn in den Waffensälen des Kgl. Zeughauses nach den Modellen namhafter Künstler. Wenn wir einen Spaziergang durch die großen Räumlichkeiten der Fabrik unternehmen, so finden wir alle möglichen Arten von Thonwaaren in Arbeit. Selbst der Chemiker beschäftigt heute die Fabrik, es werden alle möglichen Apparate für die chemische Industrie, Galvanoplastik und verwandte Gewerbe fabrizirt, Kühlschlangen, Hähne, Säurepumpen etc. Wir bekommen gleichzeitig einen Begriff von der Technik der Töpferei und der Thonbrennerei. Zunächst finden wir auf dem Hofe den Thon in großen Behältern unter Wasser vor – er wird dort abgeschlemmt und gereinigt. In den umliegenden Gebäuden sehen wir dann die verschiedenen Stadien der Fabrikation. Auf den Drehscheiben werden große zentnerschwere Krüge, Röhren, Wannen etc. mit der Hand geformt, in anderen Sälen sieht es so aus wie in den Ateliers der Bildhauer; wir finden da für die neuen Kirchen Berlins große Apostelgestalten, außerdem Figuren für den Garten und für Grabmonumente, Vasen und dergleichen mehr in Arbeit.
Das Hauptinteresse nehmen aber die Bauornamente – die architektonischen Bildhauerarbeiten in anspruch. Stilisirte Löwen und Fensterrosetten, Medusenmasken und Sphinxe, gothische und maurische Arabesken, Gesimse und Geländer, Engel und Reliefs … das steht da alles und trocknet – die freistehenden Theile umhüllt. Dieses Trocknen des Thones ist der schwierigste Theil der Arbeit. Einzelne Theile der Figuren, wie die Arme, trocknen schneller – und dieses Schnellertrocknen erzeugt Risse und Sprünge – das muß durch Papierhüllen, die das schnelle Trocknen aufhalten, verhindert werden. Einige Öfen finden wir in Thätigkeit; in denen werden die Figuren etc. ummauert; sie stehen in sogenannten „Pillen“, die mit Chamotteplatten, „Bumse“ genannt, bedeckt sind. Diese Öfen haben sehr große Dimensionen, und es sind ihrer eine lange Reihe vorhanden. – Indessen würde wohl ein näheres Eingehen auf die technische Seite der Thonplastik hier zu weit führen. Wenden wir uns den Gartenanlagen zu!
Da sind fast sämmtliche plastischen Werke der Fabrik in Gruppen und einzeln aufgestellt. Dieser Garten gewährt einen Überblick über die 56jährige Thätigkeit dieser Thonwaaren-Fabrik. Und es treten uns da eine große Zahl von Bildwerken entgegen, die wir in Berlin schon oft gesehen haben – ein Stück Berliner Architekturleben!
Im Jahr 1873 lieferten Ernst March Söhne für die Wiener Ausstellung eine Prachtgartenbank mit einer Viktoria und bunten Terrakotten – eine sehr reizvolle Arbeit, im damals beliebten Renaissancegeschmack, die heute noch den Garten der Fabrikanlage schmückt.
Noch mehr aber überrascht die große Auswahl der dort aufgestellten Zierstücke, welche jegliche Ansprüche, seien sie auf die Ausschmückung von Parkanlagen oder auf die Belebung bescheidener Gärten durch Figuren, Fontainen oder Vasen gerichtet, zu befriedigen im Stande ist.
Unter den hellsandsteinfarbenen Figuren und rothen Ornamenttheilen des Gartens heben sich die bunten prächtigen Majolikafarben besonders hervor. Sie mahnen uns immer wieder an die Zukunftsbahnen unserer architektonischen Plastik in Berlin …
Jedoch die March’schen Fabrikate sind über ganz Deutschland verstreut. Zu Königsberg und Rostock, auf der Dirschauer und Marienburger Brücke, sowie im Westen Deutschlands – überall hat sich die Thonplastik an den Gebäuden eine hervorragende Stellung zu verschaffen gewußt.
Daß aber die neueste Geschmacksrichtung in der architektonischen Plastik wirklich eine polychrome genannt werden muß, das beweisen die neuesten Aufträge der Fabrik … auch der Centralbahnhof in Köln soll demnächst in bunter farbenvoller Majolika prangen – und Ernst March Söhne werden auch hier wieder für die Polychromie in der Architektur Propaganda machen.
Und der Kaiserstadt Berlin können wir deshalb nur wünschen, daß sie auch immer bunter wird. Berlin kann niemals bunt genug sein. Berlins architektonische Plastik muß die Farben wieder zu Ehren bringen – ich glaube, das ist ihre große Zukunftsaufgabe.
Hoffentlich werden die Berliner beim Anblick der farbigen Zukunftsarchitektur mit Emphase sagen: „Lieber des Guten zu viel als farblos!“ – denn der Geschmack ist in letzter Linie doch nur – Geschmacksache, die Berliner Kritik wird aber stets dafür Sorge tragen, daß der gute Geschmack die Oberhand behält.

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