Der Neugierige
Paul Scheerbart
Meine Tinte ist meine Tinte!
Der Neugierige
aus: das Lachen ist verboten
aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Na prost!
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Ein großer Riese, den man den Neugierigen nannte, wollte einst auch wissen, was ‹hinter› dem Himmel dieser Welt zu sehen sei.
Er schlich daher, damit’s Keiner merkte, auf unbekannten Pfaden — über Berg und Tal, über Wasser und Eis — zum Weltrande.
Dort hob der Neugierige, der stärker als hundert Löwen war, das Himmelsgewölbe behutsam ein wenig höher — und noch höher — und noch höher — so daß er den Kopf durchstecken konnte…
Dann sah er in die Welt hinein, die sich hinter dem Himmelsgewölbe riesig weit nach allen Seiten hin ausbreitet.
Der Riese schrak zusammen.
Unglaublich herrlich war jene Welt. Entzückend blühten da ungeheuerlich drollige Blumen; ganz abenteuerlich sahen die Vögel aus und die Tiere. Die Berge ragten steil und schroff in wunderlichen Formen hoch in einen weißen, schimmernden, anderen Himmel hinein. Paläste lagerten zwischen seltsamen Gärten — — — und Alles war ganz anders — das Meiste war unbeschreiblich, denn kein Mensch und kein Riese könnte die Dinge, die da hinter dem Himmelsgewölbe sind, kennen.
Unglaublich herrlich leuchtete jene Welt, so daß der neugierige Riese ganz geblendet wurde. Dabei vergaß er vor Entzücken, daß er ja noch das Himmelsgewölbe mit seinen Händen stützen mußte…
Er wollte begeistert mit seinen Händen hinaufgreifen, um dem Gott da oben, der ihm all das Herrliche gezeigt, mit erhobenen, zitternden Händen zu danken.
Er ließ das Himmelsgewölbe in überschäumender berauschender Seligkeit los — und das Himmelsgewölbe fiel ihm auf den Nacken und schnitt ihm wie ein scharfes Messer den Kopf ab.
Der Körper des Riesen zuckte im Todeskrampf, so daß das Himmelsgewölbe dieser Welt erbebte.
Doch der Kopf des Neugierigen sank in jene Welt hinein.
— — —
Der Himmel dieser Welt glänzt mit seinen unzähligen Sternen wieder wie sonst, als wenn er nie erschüttert werden könnte.
Nur der neugierige Riese wußte, was dahinter war.
Der astropsychologische Dithyrambus
Der neue Abgrund
Na Prost:
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Es kann eben kein Mensch von seinen Gewohnheiten lassen — das ist leider richtig.
«Nun wollen wir wieder erklären — wir sind doch so daran gewöhnt!»
Das denken alle Drei.
Und Kusander beginnt:
«Der Neugierige ist ein Geisterseher, der allmählich seinen Verstand verliert. Eine nicht ungewöhnliche Erscheinung — wie wir ja wissen.»
Passko hält das natürlich wieder für ganz falsch.
«Wir haben hier», sagt er kalt, «eine politische Satire auf die Kämpfe zwischen Rußland und China vor uns. Der Neugierige ist der Russe, der den Kopf verlor, als er ihn zu tief in das himmlische Reich hineinsteckte!»
«Phantasterei!» ruft da merkwürdigerweise der kühne Brüllmeyer, «dieses Mal ist die Sache sehr einfach! Wir haben im Neugierigen nur einen Dichter vor uns, der naturgemäß ganz kopflos wird, wenn er kurz vor der Bewältigung seines Stoffes plötzlich Alles fertig vor sich sieht. Das Mysterium des höchsten Dichterrausches, der sein Letztes niemals der Welt verkünden kann!»
«Tief!» schreien die beiden Andern — wie aus einem Munde.
Und dann reden die Drei — Tage lang — preisen das Klotzige, Ballrige, Klobige — und — verstehen sich am Ende selber nicht mehr.
* * *
Und die Stimmung in der Flasche wird mit der Zeit eine ganz andre.
Es überkommt die drei Gelehrten eine große Ruhe — der Lärm verhallt.
Es wird den Geistern der Flasche allmählich klar, daß ihre gelehrte Tätigkeit doch ziemlich zwecklos ist. Und wer die Zwecklosigkeit seines Lebens erkannt hat, wird von dieser Erkenntnis niedergedrückt.
Man liest noch ein Mal die ‹Loscha›, und die Erinnerungen an die mühseligen Arbeiten auf der alten, längst zerschlagenen Erde machen wehmütig und weich, obschon in der Ferne feierlich— erhabene Trauerklänge Alles zu versöhnen suchen.
Die Drei beschäftigen sich jetzt in sehr ruhiger Weise mit dem alten Kunstleben, das vor mehr als zehntausend Jahren den Erdball in wilde Erregung versetzte.
Die einzelnen Bemerkungen werden nur noch von Zeit zu Zeit laut — man schweigt sehr viel.
Passko meint mal:
«Die Dichter wurden in allen philosophenlosen Zeiten nicht verfolgt, konnten ganz selbständig leben und bekamen in Folge dessen allmählich so viel philosophischen Charakter, daß die Poesie darunter litt.»
Kusander sagt mal ärgerlich:
«Die Kunst kann doch nicht zum reinen Rebusraten werden.»
Aber Brüllmeyer erwidert bald:
«Jeder Dichter möchte doch so gern ein Orakel sein und so gern auf Alles, Antwort geben — so entsteht der Orakelstil mit seiner Vielseitigkeit!»
Und er liest ohne Lächeln tiefernst:
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