Das stumme Spiel der Hofgesellschaft
Paul Scheerbart
Meine Tinte ist meine Tinte
Das stumme Spiel der Hofgesellschaft
Aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
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In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts lebte im Schloß Nymphenburg bei München der Prinz Wolf gang. Der Prinz lebte da ganz allein —— und fing natürlich Grillen. Die Eltern waren auf Reisen. In der Münchner Residenz lebten nur die vielen Lakaien, Stallmeister, Wagenhüter, Portiers und Kammerfrauen und die Küchenmägde. Und in Nymphenburg war’s nicht viel anders. Nur ließen sich hier die Lakaien und die ändern Hofbeamten nicht viel sehen, denn der Prinz Wolfgang — wollte nicht gestört werden. Er sah das Dienstpersonal lieber gehen als kommen — sowohl im Park wie im Schloß. Und die Wünsche des Prinzen waren überall in Nymphenburg die allerstrengsten Befehle.
Der Prinz wollte plötzlich — Maler werden.
Darum spielte gleich ein alter Maler — mit Namen Dahlmann — eine Hauptrolle in der Umgebung des Prinzen.
Dahlmann sollte der Lehrmeister sein.
Er nahm sein Amt gleich sehr ernst und erklärte dem Prinzen in langer wohlgesetzter Rede, daß der Zeichenunterricht bei der Malerei am Anfange die Hauptsache sei.
Da kam er aber schön bei dem Prinzen an, der sagte mit der langen weißen Kalkpfeife im Munde seinem Lehrmeister auf einer Parkbank neben einer jagdlustigen Diana das Folgende: »Ich war doch in Holland. Ich sah da doch, wie der Maler gleich frisch drauflos malte — ohne Zeichnung. So will ich’s auch machen. Nicht Zeichner will ich werden. Das Zeichnen lerne ich nie. Gleich mit Farben will ich vorgehen. Nur mit Farben kann ich Maler werden. Und bevorzugen will ich blau, gelb und rot. Keinen Widerspruch, Herr Dahlmann! Fangen wir gleich an.«
Nun wurde feierlichst ein Atelier im Schlosse hergerichtet und auch eine große allmachtige Leinewand — sorgfältig im Rahmen — auf die Staffelei gestellt.
Herr Dahlmann und ein paar Pagen rieben die Farben und präparierten die Pinsel, und dann wollte Prinz Wolfgang eine wundervolle Seelandschaft malen.
»Sehr weiß«, sagte er, »soll die Seelandschaft aussehen. Wolken sollen auch da sein — weiße Wolken. Fangen wir mit der oberen Hälfte des Bildes an.«
»Ja«, versetzte Herr Dahlmann devot, »soll ich anfangen? Oder — wollen Durchlaucht selber anfangen? Alles soll geschehen — ganz so wie Durchlaucht zu befehlen geruhen. Hier liegen die Pinsel in einer Reihe. Wenn Durchlaucht zu nehmen belieben möchten. Das Pläsier ist sehr delikat, kapriziös und unterhaltsam.«
Durchlaucht begann.
Aber seine Hand gehorchte ihm nicht, die Wolken wurden abscheuliche Klumpen, und er hielt bald inne und stürmte allein hinaus — in den Park.
Nun ging das Tage und Wochen und Monate so. Der Prinz ließ sich nichts sagen. Und ihm gelang das Malen nicht. Die Seeufer wurden immer wüster. Und dem Maler gefiel seine Malerei selber nicht. Alles wurde immer wieder weggekratzt. Dahlmann saß immer ganz ruhig daneben. rauchte seine lange Kalkpfeife und wagte nicht, ein Wor1 zu sagen.
»Er wird sich schon selber zu helfen wissen!« dachte der alte Herr. Und mit diesem Gedanken rauchte er ein< Kalkpfeife nach der anderen. Der Kalk wurde schon rech braun.
Als der Herbst kam, sah Prinz Wolfgang recht schlecht aus. Die Gemütsbewegungen griffen ihn an. Er sah ein daß das Malen eine recht schwere Sache war.
Und der Prinz wurde ernstlich krank, hustete oft, stand sehr spät auf und schlich, schwer auf einen Krückstock gelehnt, mühsam durch den weiten Park. Und seine Puderperücke sah trotz der Sorgfalt des Kammerdieners immer sehr unordentlich aus, denn der Prinz Wolfgang liebte es, auf jeder Parkbank sich die Haare zu raufen und dabei sehr ungestüm auf die alten Götter Griechenlands zu schimpfen, die seine Hand behext hätten.
Herr Dahlmann schrieb an den Münchner Leibarzt und bat ihn, als Maler nach Nymphenburg zu kommen und da nach dem Rechten zu sehen. Und dabei schilderte der alte Herr das Unglück im Schlosse in den allergrellsten Farben, wobei er nicht unterließ zu bemerken, daß sich alles ändern würde, wenn Durchlaucht die vermaledeiten, obstruktionslustigen Sapperment—Farben Blau, Gelb und Rot aus dem Spiel lassen möchten.
Der Leibarzt — mit Namen Kröcker — legte die Goldkugel seines Spazierstockes erst an den linken Nasenflügel und dann an den rechten Nasenflügel — und lachte dann plötzlich lustig auf und sagte heiter in den großen Spiegel schauend: »Dieser Aufgabe sind wir gewachsen.«
Er fuhr nach Nymphenburg in Galakutsche, stellte sich als holländischer Maler vor, der Malheur gehabt an der rechten Hand und jetzt gekommen sei, Prinz Wolfgang einen guten Rat zu erteilen.
Auf stiller Parkbank sagte er dann: »Durchlaucht! Es geht auch ohne Malerei. Ich hab’s erfahren. Man muß nur täglich ein gutes Glas Wein oder ein paar Krüge von dem guten Münchner Hofbräu trinken.«
Da ward der Durchlaucht ganz kläglich zu Mute, und sie sagte weinerlich: »Mir aber fehlt doch nichts an der rechten Hand. Warum kann ich denn das Malen nicht lernen?«
»Das ist«, versetzte Kröcker, »eben das Geheimnis der rechten Hand. Ohne die rechte Hand kann man gar nicht malen — man müßte denn die linke ausbilden — oder die Füße — was sehr schwer ist. Hier ist etwas immer verhext.«
»Auch meine Meinung!« rief Durchlaucht lebhaft.
»Ja«, fuhr nun Kröcker fort, »da handelt sich’s nur darum, den Ursachen der Verhexung nachzuspüren. Wie kommen Durchlaucht auf die pittoreske Idee, justament ein großer Maler zu werden? Wenn Durchlaucht hiervon berichten möchten, wird mir ein Leichtes sein, hinter die Schliche der verflixten Handbehexung zu kommen. Ich bin oft zu Rate gezogen, wenn man parlierte und dabattierte über die Malheurs der sogenannten menschlichen Hand —beim Tier genannt Pfote.«
Kröcker nahm eine Prise aus goldener Brillantendose, reichte sie auch dem Prinzen. Der aber dankte und sagte weich: »Ach, sehen Sie, Mijnheer, Sie wissen doch, daß die Eindrücke der Jugend die stärksten Eindrücke sind. Jetzt bin ich bereits über sechsundzwanzig Jahre alt. Ich werde täglich älter. Ich gehe dem Tode entgegen. Aber — der stärkste Eindruck war — ich zählte damals kaum acht Jahre — als mir unsre Hofamme ein Märchen aus Tausend und einer Nacht erzählte. Ich weiß nicht mehr, wie’s eigentlich ging. Aber ein Prinz kam da an einen großen hellen See. Und in dem See schwammen blaue, gelbe und rote Fische. Ich glaube, es waren auch weiße dabei — und die wurden nachher Hofjäger, Konditors und Pastetenbäcker oder Ähnliches. Aber — diese gelben, blauen, roten, weißen Fische — im Sonnenschein — die waren köstlich. Das war der größte intensivste Eindruck meiner Jugend — und meines Lebens. Ach, Sie dürfen nicht darüber lachen. Ich hab‘ alles nur in der Phantasie gesehen. Aber ich hab’s doch gesehen. Und darum wollte ich Maler werden, um das Bild zu malen — so wie ich’s damals sah. Die Ölfarben machen nur alles anders. Das macht mich so krank.«
»War«, fragte Herr Kröcker mit der Goldkugel an der Nase, »das Rot der roten Fische mehr Karmin oder mehr Zinnober?«
»Mehr Karmin«, versetzt der Prinz, »aber hell. Auch das Gelb war sehr hell und leuchtend. Nur das Blau ein wenig stumpf — wie man’s oft auf holländischen Landschaften sieht. Mijnheer, wenn Sie mir helfen könnten!«
»Prinz«, versetzte Kröcker, »nennen Sie mich nicht weiter Mijnheer. Ich bin der Leibarzt Kröcker aus München und freue mich, Durchlaucht kennengelernt zu haben. Aber wenn Durchlaucht zu leben weiter geruhen wollen, bedürfen Sie der strengsten Ruhe. Gleich zu Bett! Warme Umschläge! Und alles muß still sein — ganz still. Ich werde Durchlaucht kurieren.«
Und Kröcker vergaß seine verstauchte Hand, schob sie unter des Prinzen linken Arm, führte ihn ins Schloß zurück, gab unzählige Anweisungen, brachte den Prinzen höchsteigenhändig ins Bett, zog die grünseidenen Vorhänge zu und schrieb zwei Dutzend Rezepte aus.
Da flogen die Kuriere auf flinken Rossen nach München in die Apotheke, zur Hofburg und zum Hofbräukeller, denn Kröcker liebte das Hofbräu mit Maßen; vier Krüge mußte er täglich haben — das ging nicht anders.
Kröcker sprach noch lange mit Herrn Dahlmann bei zehn leuchtenden Kerzen und trank Hofbräu und rauchte Kalkpfeife und ließ seinen kranken Prinzen schwitzen. Er trat dann ans Fenster, blickte in den Mondenschein und in den Park hinein und siehe — da fing es an zu schneien.
Nach zwei Stunden war der ganze Park weiß.
»Ah«, rief Kröcker, »wenn wir jetzt rote, blaue und gelbe Fische in diesem Schneemeer hätten!«
Dahlmann sagte: »Vielleicht finden wir sie in München.«
»Ah!« rief abermals Kröcker, »in München bunte Fische? Ja — ein Maskenscherz! Ein Schneefest für die Hofgesellschaft. Die muß tanzen, um den armen Prinzen gesund zu machen, in Blau, Rot, Gelb, Weiß. Donnerwetter, wird’s jetzt kalt. Der Teich friert draußen zu. Nächsten Sonntag nachmittag hier Eis— und Schlittschuh—Fest in den Farben des Prinzen Wolfgang. Alles wird gemacht. Aber stumm muß das Spiel sein! Keine Musik! Kein Laut!«
Und mitten in der Nacht jagten abermals die Kuriere auf flinken Rossen nach München. Die meisten stürzten dabei, da es sehr glatt war. Aber ernstlich kam weder Pferd noch Mann zu Schaden.
Und die ganze Münchner Hofgesellschaft kam am nächsten Sonntag in sehr ernster Haltung in Schlitten, die von vielen Schimmeln gezogen wurden, nach Nymphenburg —blaue, gelbe und rote Schneedecken umflatterten die Schimmel. Die Vorreiter, die Kavaliere zu Pferde und die ganze vornehme Gesellschaft zeigten nur die vier Farben des Prinzen — in Flaggen und Schärpen und Federn.
Prinz Wolfgang neben seinem Arzt oben im großen Saal, dessen Deckengemälde so köstlich sind. Durchlaucht blaß im Krankenstuhl, rechts von ihm der alte Kröcker, links von ihm der alte Dahlmann.
Nun fuhren die Schlitten erst ganz nach hinten in den Park und dann ganz langsam im Schritt auf dem riesig langen Teich nach vorn — blau, rot, gelb — die Farben leuchteten in der Nachmittagssonne. Der Prinz sah es, und es traten Tränen in seine Augen.
Vorne sprangen die Kavaliere aus den Schlitten, halfen den blauen, roten und gelben Damen heraus, schnallten ihnen Schlittschuhe an und arrangierten Polonaisen und Contres auf dem langen Teich.
Lautlos bewegte sich alles.
Prinz Wolfgang drückte Kröckers Hand.
»La main wird stärker!« sagte der Arzt.
Dann wurde es dunkel.
Und die Lakaien entzündeten rechts und links vom Teich blaue, gelbe und rote Lampions.
Hinten über dem künstlichen Wasserfall flogen blaue, gelbe und rote Leuchtkugeln zum Himmel empor.
Und die Hofgesellschaft schwebte in zierlichen Bogen über dem Eise. Und die Farben brannten dem Prinzen Wolfgang in die Augen. Und er stöhnte laut auf und sank in die Kissen zurück.
Lampions in Fischform wurden von den Lakaien gebracht — die Fische nahmen die Kavaliere in die linke Hand — und es begann ein Fischtanz.
Wieder flogen im Hintergrunde über dem künstlichen Wasserfall die Leuchtkugeln in den Farben des Prinzen Wolfgang zum dunklen Winterhimmel empor. Die Sterne wirkten ganz klein den großen Leuchtkugeln gegenüber.
Und Durchlaucht schlief ein.
Und die Hofgesellschaft war ganz stumm.
Acht Tage später war Prinz Wolfgang ganz gesund und sagte: »Dieses Fest war noch herrlicher als mein Jugenderlebnis. Jetzt können die Maler ohne mich malen.«
Prinz Wolfgang wurde sehr alt, erlebte noch die große französische Revolution und sagte damals: »Wenn die Ja—cobiner vor vielen Jahren das stumme Spiel der Hofgesellschaft erlebt hätten, sie würden die Schafott—Dissonanzen nicht edieret haben.«
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