Adlerflug

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte!


Adlerflug

Eine gute Stunde

Aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Immer mutig

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Endlich — hoch genug!
Keine Wolke mehr!
Aller Nebel ist unten — wo die Menschen herumkrab­beln.
Hier oben krabbeln sie nicht mehr.
Ich denke nicht mehr wie einst — auch mein Nest liegt tief unter mir. :
Ich schwebe wie ein echter Gott — ohne Flügelschlag —in weiten mächtigen Kreisen.
Und Niemand sieht’s.
Erdrinde vergessen!
Überall — die Unendlichkeit!
Ich fühle das Ganze — das endlose Ganze — bin nicht mehr ein Stück Erde. Ich bin mehr — Alles!
Wenn ich’s nur halten könnte!
Wenn ich nur so bliebe!
An der Brust keinen Druck mehr — keine Sehnsucht!
Nichts stört — kein Lüftchen bewegt sich um mich — nur ich bewege mich — ganz langsam — schwebe — schwebe —als All!
Ich sehe ferne Zeiten — dort hinten und da vorn.
Unzählige Welten rauschen ihr Glück mir zu.
Es gibt nur ein Glück, wenn man nicht mehr Stück ist.
Aber es hält nicht lange an.
Der Atem hält’s nicht aus.
Sternheere, meine Sternheere — lacht durch mich — län­ger!
Lacht länger!
Aber ach — Wolken kommen.
Langsam geht’s wieder hinab. Ich aber will’s nie vergessen.
Einen Augenblick Allglück — und — und — Alles geht wieder.


ps_152   Wir maken Allens dot!

  Immer mutig:

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King Amenophis, der mir sehr heftig vorkam, sagte ziemlich gereizt: »Manche scheinbar unauflöslichen Ekelzustände sind bloß dazu da, unsern Witz zu stärken. Und auch die menschlichen Rohheiten sind dazu da. Die Gemeinheit der Menschen wirkt doch immer bloß wie ein Narrenspaß. Wer erlaubt sich denn was Niederträchtiges gegen seine Mitmenschen? Doch gemeinhin nur der, der infolge eines weit vorgeschrittenen Intelligenzmangels sich selber höher schätzt als bei Andern. Und so was erzeugt doch Narrenkomödien. Daß Andre darunter leiden, liegt zumeist an diesen Andern. Seid nicht so dumm und humorlos wie die Bösewichter – und Ihr werdet sie sämtlich einfach auslachen.« Der Oberpriester Lapapi fügte dem hinzu: »Niemand wird bestreiten, daß jeder Gestank eigentlich stets was Lächerliches hat. Es ist gar nicht möglich, auf die Gemeinheit des Gestankes zu schimpfen; wer das täte, würde zweifellos auch die dicksten Trauerklöpse zum hellsten Gelächter bringen. Und so ist es auch mit Rohheit, Gemeinheit und Grausamkeit. In diesen steckt auch immer etwas Lächerliches. Dasjenige, was wir so das Schlechte nennen, ist doch nur ein Konglomerat von Grotesken. Der Bösewicht, der immer gleich Millionen umbringen will, ist immer eine lächerliche Figur – wie Jeder, der von seiner Wut übermannt wird. Der Teufel ist ein komischer Herr. Und es gibt nichts, was so komisch wirkt – als wenn jemand mal so recht den Bösewicht spielen möchte. Dieses komische Element in all den Dingen, die als verbrecherische Handlungen von den Menschen bestraft werden, muß doch mit den Gemeinheiten und Rohheiten, die sich lächerliche Menschen herausnehmen, wieder versöhnen.«
Ich sagte hiernach, daß ich die Lehre von der Unempfindlichkeit der einfachen Kraftmenschen für sehr gefährlich hielte – die Lehre könnte die Verrohung der Menschen noch weiter steigern, was doch nicht sehr wünschenswert wäre. Das führte nun abermals zu einer lebhaften Auseinandersetzung. So redete der Oberpriester weiter, und ich erklärte sehr bald, daß ich wirklich geneigt sei. Alles, was geschieht, für herrlich und wunderschön zu halten – die Moralisten erklärte ich dabei auch für komische Figuren – und die Ägypter gaben mir Recht – ich aber gab ihnen schließlich meine Mückenphantasie.


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Revision 02-01-2023