Qualm und Rauch

Paul Scheerbart

Meine Tinte ist meine Tinte!


Qualm und Rauch

Ein Nachtstück

aus: Meine Tinte ist meine Tinte!
aus: Na prost!


Weiche Trunkenheit überkam mich.

Unzählige Schornsteine rauchten vor meinen Augen. Und der Rauch ward immer dicker und dunkler.

«Das ist das Überflüssige und Unbedeutende, das Falsche und Gewöhnliche, das diejenigen hervorbringen, auf deren Herde sehr viel wirklich Treffliches entsteht. Aber das nicht Treffliche ist überall auch da —  und das steigt nun als Qualm und Rauch aus hohen Schornsteinen vor dir in den Himmel auf und trübt deinen Blick.»

So sprach ein altes Weib mit grasgrünen Augen und orangefarbigem Antlitz zu mir. Karminrote Haare wehten ihr um die feine lange Nase.

Ich und das alte Weib, wir saßen auf einer Dachrinne und schauten träumend in den Qualm, in den Rauch.

Da wirbelten Gestalten in dem Rauch empor und abgedroschene Redensarten, salomonische Weisheit und Karnevalsulk… und wirre Nebelbilder zuckten hindurch —  und ich wußte nicht mehr, was da trefflich war und —  was nicht.

«Nur was uns erlöst —  von irgend etwas —  das ist trefflich», —  so sprach das Weib neben mir mit dem Orangegesicht.

Ich aber wußte nicht, war das Weib ein höhnisches Sinnbild, das die Klarheit darstellen sollte —  oder war das Weib auch nur Qualm und Rauch? Ich ging über die Dachrinne zurück und fiel in mein altes Bett. —

 ps_152   Die hastigen Zyklopen


Na Prost:

 


Der kluge Passko meint selbstverständlich wieder, daß diese Geschichte vollkommen klar sei und einer Erklärung nicht bedürfe. Kusander stimmt dem bei, meint, es sei ganz klar, daß der Dichter nur wolle, es solle Einem Nichts klar bei der ganzen Geschichte werden —  es sei eben eine Parodie auf die Klarheit.

Brüllmeyer ist glücklicherweise so betrunken, daß er seine sämtlichen Erklärungsversuche selig vergißt. Er vergißt sogar, sich in die Hängematte zu legen. Und während die beiden Andern einschlafen, rollt er auf den Polstern rum, daß man glauben könnte, er möchte zu Rührei werden.

Die Träume des kühnen Germanisten rollen um den Begriff Klarheit rum und finden gar keine Ruhe.

Rollende Träume sind gräßlicher als rollende Augen.

*     *     *

Der unerklärliche Nebel bleibt längere Zeit. Zuweilen saust die Flasche durch ganz schwarze Finsternis dahin. Das bringt die drei Gelehrten allmählich wieder in mißmutige Stimmung. Ihnen wird auch unheimlich in der Finsternis.

Man denkt an den Tod, denn ein Zusammenstoß mit anderen Meteoren ist ja wahrhaftig nicht unmöglich.

Und die Drei erinnern sich wieder mit Schaudern an das große Sterben der vielen Millionen Menschen beim Zusammenstoß der Erde mit dem eisernen Kometen.

«Wir können doch froh sein!» meint Passko.

Aber sie sind nicht froh.

Das Angstgefühl ist schlimmer als manche schlimme Krankheit.

Aber man überwindet schließlich auch die Angst, wenn man keine Veränderung in seinem Zustande bemerkt.

Und während sie in die schwarze Finsternis schauen, beschäftigen sie sich in ihren Gedanken immer lebhafter mit dem Schicksal der vielen Millionen, die schon lange als Asche durch den Weltenraum fliegen. Brüllmeyer ist sogar der Meinung, daß die Finsternis ganz gut durch eine Wolke fliegender Menschenasche erzeugt sein könnte.

Ein ungemütlicher Einfall!

Aber die Regungen des Mitleides stimmen lange nicht so trübe wie die unbestimmte Empfindung eigener Qualen, deren Ursache uns nicht ganz klar ist. Kusander meint, daß das Nachtstück ‹Qualm und Rauch› aus einer derartigen unbestimmten Empfindung herausgewachsen sein könnte.

Brüllmeyer holt wieder seinen Schatz vor.

Alle Drei zünden sich, um ihre Nerven zu beruhigen, eine lange Zigarre an und lesen dann zusammen:


ps_160   Loscha

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