Lesabendio

Zwanzigstes Kapitel

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 Das letzte Stockwerk wird nach oben gebracht. Die letzten Vorbereitungen zu Lesabéndios Aufstieg werden getroffen. Lesa gibt dem Biba auf dem höchsten Balkon noch besondere Anweisungen. Als Lesa allein ist, beugt er sich, noch einmal über den Balkonrand und sieht zum letzten Male lange Zeit hindurch in den Nordtrichter, in dem viele Gesteine sehr kräftig funkeln, was am Tage noch niemals beobachtet wurde. Dann spricht Biba mit Lesa über eine spätere Verständigung und über die Zukunft des Asteroïdenrings und über die Vergangenheit des Pallas. Lesa wird wieder mutig und bleibt oben allein. Alle Pallasianer schlafen in dieser Nacht unten. Am nächsten Morgen soll das letzte Stockwerk aufgerichtet werden.

Die letzten vierundvierzig Kaddimohnstahlstangen mit dem dazu gehörigen Hautmaterial wurden dann langsam von Stockwerk zu Stockwerk hinaufgezogen. Und man achtete darauf, daß das gleichmäßig geschah. Während aber die Arbeit der Maschinen ganz ruhig vor sich ging, entstand oben in der Laterne eine immer größere Aufregung; das Durchstoßen der Wolke oben mußte in allernächster Zeit Klarheit schaffen. Alle Pallasianer glaubten, jetzt würde sehr bald das letzte Rätsel ihres Lebens gelöst werden. Ein Gespräch über künstlerische Angelegenheiten kam nicht mehr auf. Selbst Labu sprach nur noch von der Wirkung der letzten Stahlstangen, wenn sie einfach gleichzeitig oben in die leuchtende Wolke hineinstießen. Man wollte am frühen Morgen die große Tat zur Ausführung bringen. Daß Lesabéndio sehr bald nach Aufrichtung des letzten Stockwerkes den Versuch machen wollte, sich oben mit dem Kopfsystem des Pallas zu vereinigen – das war Allen bekannt. Und die meisten Pallasianer hielten diese letzte Tat Lesabéndios für den würdigen Abschluß des Turmbaus und für das Allerwichtigste bei diesem Turmbau. »Wenn Lesa das gelingt«, sagte Dex, »so ist die Zukunft unsres Lebens mehr oben im Kopf zu suchen als unten im Rumpf.« »Wenn es«, sagte Nuse, »dem Lesa gelingt, ist es aber noch nicht feststehend, daß es einem zweiten Pallasianer ebenfalls gelingt.« »Darüber brauchen wir noch nicht nachzudenken«, meinte dazu der Sofanti, »zunächst müssen wir wissen, wie wir den Lesa so hoch hinaufführen, daß er das, was er will, auch zur Tat machen kann. Ich habe deswegen an der Innenseite des letzten Stockwerks an allen vierundvierzig Stangen Räderwerke angebracht, die uns gestatten, das ganz oben befindliche, horizontal angebrachte, schützende Hautstück in ein paar Sekunden zur allerhöchsten Spitze des Turms hinaufzuschieben. Es ist alles vorbereitet. Aber es scheint mir vorsichtig zu sein, wenn wir noch ein oder zwei solche Hautstücke dem ersten nachsenden, wenn das erste zerreißen sollte. Hiermit müssen wir rechnen.« Und nach kurzer Beratung beschloß man, noch drei weitere, horizontal abdachende Hautstücke hinter dem ersten aufzuspannen. »Ich habe noch so viel Haut!« sagte Sofanti. Und die drei Hautstücke wurden bald hinaufgeschafft und hintereinander in einer Entfernur.g von dreihundert Metern unter dem obersten aufgespannt. Leicht auflösbare Klapplöcher befanden sich in jedem dieser Dachhautstücke. Als nun die letzten Hautstücke langsam eines Morgens oben an der Laterne höher stiegen, saß Lesabéndio mit Biba zusammen außen am untern Rande des vorletzten Stockwerks auf einem der breiten, weit vorspringenden Balkons. Und die Beiden blickten nachdenklich in den violetten Himmel und in die grünen Sterne. Die Kopfhaut schützte die Beiden wie ein aufgespannter Schirm vor den blendenden Strahlen der Lichtwolke, die oben jetzt immer sehr heftig leuchtete, obschon sie öfters große schwarze Flecke zeigte, als wollte sie demnächst auseinandergehn. Lesa sagte langsam: »Ich traue meinen Kräften nicht so recht. Könntest Du nicht den Sofanti fragen, ob er das vorletzte Dachstück nicht so behandeln könnte, daß es, in der Mitte heruntergezogen und dann nachher losgeschnellt, so wie ein Sprungtuch für mich wirkt? Ich möchte zwischen den obersten beiden Dachhäuten allein sein und schließlich das oberste in der Mitte aufreißen, rasch auf dem vorletzten ganz hinaufkommen, plötzlich zurückgezogen und dann hinaufgeschnellt werden. Ich denke, daß ich so hoch genug komme.« Biba versprach, den Sofanti zu verständigen, und eilte auf der nächsten Bandbahn davon. Lesa saß allein und sah traurig in die Sternenwelt hinein. Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke: er wollte noch efn Mal den Nordtrichter sehen. Und er sprang mit einem Satz zum äußersten Rande des Balkons, hielt sich mit dem Saugfuß fest und beugte sich hinüber und blickte hinab in die T.iefe. Er sah, wie die letzten Stangen an der Laterne langsam gleichmäßig hinaufstiegen. Und unten in der Tiefe des Nordtrichters sah er ein Funkeln in den Steinen, das er noch niemals dort gesehen. Aber die Berge des Trichterrandes waren so fern, daß er seine Teleskopaugen ganz weit ausstrecken mußte, um noch ein Mal alles ganz deutlich zu sehen – Pekas Steinfundamente besonders – und auch die NuseTürme. Es war da unten alles ganz hell und ganz still; kein Pallasianer schwebte da unten herum. Fast dreißig Meilen gings bis zum Centrum hinunter. Die Manesi-Ampel konnte Lesa nicht sehen – und er bedauerte das. Und dabei mußte er sehr lebhaft an den Manesi denken, und er sah einige Ranken der Manesi-Ampel langsam unten an den Stricken, die zum Turm führten, hin und her schwanken. »Es wäre wunderbar«, sagte er leise, »wenn an allen Turmstangen solche Manesi-Ranken hin und her schwanken könnten. Vielleicht sind wir doch zu hastig gewesen. Doch wir konnten ja nicht anders. Wir mußten doch erst hinaufkommen.« Da sah der Lesa, daß sich das Funkeln in den Tiefen des Nordtrichters weiter hinaufzog. Und plötzlich funkelte es an so vielen Stellen im ganzen Nordtrichter, daß Lesa seine Teleskopaugen zurückziehen mußte; er konnte den neuen Glanz nicht ertragen. Als Lesa wieder die Augen langsam vergrößerte, sah er das Funkeln nicht mehr. Alles lag unten in der schauerlichen Tiefe still und feierli.ch da. Die weißen und blauen Felsen im oberen Teile des Trichters leuchteten ganz hell. »Wie ruhig da unten Alles leuchtet! « sagte Lesa leise. Als Biba zurückkam, blickte Lesa immer noch weit vorgebeugt am Balkonrande hinunter – in den großen Nordtrichter des Pallasrumpfes hinein. Lesa merkte, daß Biba wieder da war; Biba lächelte und sagte sanft: »Du nahmst Abschied!« Lesa kam wieder zur Laternenwand. Und dann saßen die Beiden stumm nebeneinander. Biba sagte: »Sofanti macht alles so, wie Du es wolltest. Die Stangen werden noch vor Einbruch der Dunkelheit oben sein. Und morgen früh können die Stangen mit den Häuten aufgerichtet werden. Die Häute sind jetzt derartig an den Stangen befestigt, daß sie sich oben sofort zusammenschließen, ohne daß weitere Arbeit notwendig ist.« »Ich danke Dir!« sagte Lesa, »ich fühle mich ganz wohl, obschon so viele Teile meines Körpers durchsichtig werden. Nur sehr kräftig fühlt sich mein Körper nicht.« Biba richtete sich dreißig Meter hoch auf und rief: »Ich glaube: ich fühle, was Du bald fühlen wirst.« Dann wurde er wieder so klein wie Lesa, und dieser sagte langsam: »Wenn ich nun dort oben weiterlebe, so will ich Dir ein Zeichen geben. Sei immer mitten auf der Ampel, wenn der Abend naht. Doch nein! Es ist ja gar nicht wahrscheinlich, daß Nacht und Tag auch weiter auf dem Pallas wechselt wie bisher. Sei in Deinem Atelier – am Außenrande des Pallas – so oft Du kannst. Und ich werde versuchen, Dir meine Nähe anzuzeigen durch leise zitternde Töne.« Biba nickte. »Es ist vielleicht«, fuhr Lesa fort, »alles, was wir von dem Großen da oben gesprochen haben, ganz und gar falsch. Ich habe das Gefühl, daß alles ganz anders aussieht, wenn ich es oben – selbst vollständig verändert – durchschauen kann. Vielleicht ist es mir auch dort noch gar nicht möglich, mehr von unserm Planetensystem zu durchschauen als hier. Ich glaube doch, daß die Welt so großartig ist, daß auch die Sterne ihre Großartigkeit noch gar nicht erfassen können. Wir kommen wohl immer weiter – und sie, die Größeren, kommen auch immer weiter. Aber auch in der Erkenntnis kommen wir nicht an ein Ende. Die Welt, in der wir leben, ist in allen Beziehungen so, daß alles ins Unendliche führt und nicht zu einem Schluß. Das darf uns ja nicht traurig machen. Im Gegenteil! Gäbe es eine endgültige Lösung aller Rätsel, so könnten wir ja nicht mehr weiter.« »Ja«, erwiderte Biba, »glaubst Du nun aber, daß ein Zusammenschluß der vielen Asteroïden möglich ist? Sie sind ja alle so verschieden voneinander, daß man daran wohl zweifeln kann.« »Das«, erwiderte der Lesa, »habe ich mir auch schon öfters gesagt. Aber warum sollen denn nicht die Verschiedenartigsten zusammenkommen? Wenn ich bedenke, daß ich mit einem großen Kometensystem zusammenkommen kann – so können doch auch die vielen Astero’iden sehr wohl zusammenkommen, denn sie sind voneinander lange nicht so verschieden – wie ich von dem großen Kometensystem oben verschieden bin. Ich muß Dir allerdings gestehen, daß diese kolossale Verschiedenartigkeit zwischen mir und dem Großen da oben mich doch immer wieder mutlos macht. Ich wage beinahe nicht mehr, das zu tun, was ich wollte – und was Ihr jetzt alle auch von mir wollt.« »Was ist kühn?« versetzte Biba hart, »ich möchte mich mit der Sonne vereinigen. Ist das nicht noch kühner als das, was Du vorhast? Allerdings – heute und morgen will ich das noch nicht. Ich denke nur, daß ich allmählich immer reifer werden könnte. Ich habe Dich bisher Deines Mutes wegen so viele Male bewundert. Ich glaube, daß der Mutigste das größte Glück haben wird. Bleibe Dir treu, damit ich Dir auch treu bleiben kann.« »Aber«, sagte nun Lesa, »ich will gar nicht mehr das größte Glück. Es gibt doch noch immer ein größeres. Ich denke gar nicht mehr daran, daß ich selbst etwas will. Ich werde von einem starken Luftzuge weitergetragen. Ich kann gar nicht mehr so, wie ich selber will. Ich muß so tun, wie der Luftzug es will. Aber ich frage mich, ob ich auch würdig bin, so von dem großen Luftzuge mit fortgerissen zu werden. Ich komme mir nicht so groß vor. Das ist es. Und ich bin traurig, daß ich nicht mehr so stürmisch weiterkann wie einst. Und ich fürchte, daß ich meine Schwäche verschuldet haben könnte durch nicht genügende Konzentration meines ganzen Wesens. Wie oft schweiften meine Gedanken ab und nahmen einen ganz gewöhnlichen Flug – dachten an Kleinigkeiten und unbedeutende Verhältnisse. Das macht mich traurig. Ich war nicht immer so ganz von Ehrfurcht vor dem Großen angefüllt – wie ichs stets hätte sein sollen.« »Es soll«, sagte Biba, »doch wohl auch Ruhepausen geben. Wir dürfen uns nicht zu heftig anstrengen. Wir müssen doch auch mit unsern Kräften Maß halten.« »Vielleicht«, versetzte Lesa rasch, »ging es dem Stern, den wir Pallasrumpf nennen, mal auch so. Und vielleicht kam dann das kometarische Kopfsystem und erweckte langsam wieder den sogenannten Sternenrumpf. Und darum mußten wir den Turm bauen.« »Ich glaube«, versetzte Biba rasch, »daß es wirklich so ist. Und deshalb kannst Du ruhig wieder Mut fassen.« »Ich wills versuchen«, sagte Lesa. Und dann saßen die Beiden still da, und Biba legte seine rechte Hand in Lesas Linke und drückte die Hand. Als es Nacht wurde, waren die letzte vierundvierzig Stangen allesamt ganz hoch oben. Und die große Laterne leuchtete in die Nacht hinein. Und Lesa bat den Biba, dafür zu sorgen, daß alle Pallasianer unten in dieser Nacht schliefen – damit sie frisch sein könnten am großen Morgen. Und man tat, wie Lesa wollte. Nur Sofanti blieb bei dem Lesa und öffnete ihm die Klapptüren, sodaß er in die oberste Kammer kommen konnte. »Darf ich nicht bei Dir bleiben?« fragte der Sofanti darauf. Aber Lesa sagte still: »Laß mich jetzt allein. Und morgen früh leiste mir den letzten Dienst. Ich muß mich sammeln. Ihr werdet hören von mir – durch Biba – wenn ich mich hörbar machen kann. Das weiß ich ja noch nicht.« Da strich Sofanti sanft über Lesas Kopfhaut und ließ ihn allein und begab sich auch nach unten auf die große Ampel, wo er bald einschlief – denn er hatte in der letzten Zeit mehr gearbeitet als alle andern Pallasianer.

 

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 Einundzwanzigstes Kapitel

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 Lesabéndio ist oben in seiner einsamen Kammer und bereitet sich auf das Kommende vor. Er verliert schließlich alle Furcht und findet alles, wies auch kommen mag, nicht mehr furchtbar – auch die gänzliche Vernichtung nicht. Dann wird das letzte Stockwerk am nächsten Morgen aufgerichtet, während alle Pallasianer lautlos zusehen. Mit der Lichtwolke gehen die kolossalsten Veränderungen vor. Sie zerreißt schließlich in der Mitte, und gelbe Lichtschlangen werden sichtbar, in denen Lesabéndio verschwindet.

In einer seltsamen Kammer war der Lesa. Hundert Meter war sie hoch. Von vierundvierzig Wänden war sie fast kreisförmig umschlossen – ganz regelmäßig. Boden und Decke waren ganz glatt. Und alles bestand aus bunten Häuten. Vor den vierundvierzig Wänden sah man Tausende von elektrischen Lichtern in die Nacht hinausstrahlen. Auch nach innen waren sie von bunten Häuten verdeckt, sodaß auch innen alles ganz bunt leuchtete. Aber ganz kahl sah der große bunte Raum aus. Und es war einsam hier. Lesa saß auf dem Boden in der Mitte – vornüber gebeugt und ganz klein. Er blickte scheu umher und empfand das Kahle und Einsame des Raumes und wollte sich zerstreuen; er wollte lesen und tastete nervös mit den Fingern seiner feinen rechten Hand an seinem Halse herum – und er fand sein Halsband nicht. »Ach so! « sagte er leise nach einer guten Weile, »das Halsband hab ich ja nicht mehr, das hab ich ja dem Biba geschenkt. Es ist das Einzige, was ich unten auf dem sogenannten Pallas-Rumpf zurücklasse. Peka ließ mehr zurück – große Ateliers und große Fundamente und ein großes Modell.« Und nun war dem Lesa plötzlich, als wäre er nicht mehr allein; es ging ein so feines Surren durch den Raum. »Bist Du es, Peka?« fragte er laut. Und ihm war dabei so, als würde er etwas höher gehoben; er fühlte an seinem Saugfuß den Boden nicht mehr. Und an seiner Kopfhaut fühlte er prickelnde Zweige, und er rief plötzlich: »Bist Du auch da, Manesi?« Doch da ward es ganz still. Die vielen elektrischen Lampen leuchteten wie vordem, und er fühlte wieder die Bodenhaut unter seinem Saugfuß. »Die Rätsel des Lebens«, sagte er mit harter Stimme und nach oben gerichtetem Gesicht, »kann man wohl sehr ernst nehmen. Es ist aber wohl nicht nötig, wenn man sie immerzu sehr ernst nimmt. Man kann sie auch mal sehr lustig nehmen. Dadurch werden sie ganz bestimmt nicht unbedeutender. Es ist wohl nicht nötig, immer sehr ernst zu sein. Und grade, wenn man Abschied nimmt von alten Zuständen, dann könnte man wohl ganz besonders lustig sein. Jedenfalls wird die Veränderung der Lebensform doch einige Rätsel lösen. Und das kann uns doch ganz heiter stimmen. Man könnte sogar lachen, daß man so voll Bangen ist – da man nicht weiß, wie es kommen wird – ob es enden wird oder nicht. Daß man das nicht weiß – das ist doch nicht traurig. Man könnte darüber auch lachen.« Er lachte aber nicht. Er befühlte seine durchsichtigen Hände. Er dachte an die große Sonne und an das gewaltige Planetensystem und an den Asteroïdenring. »Wenn ich das könnte! « rief er plötzlich begeistert, »die vielen Asteroïden, die so verschieden voneinander sind, einander zu nähern! Wenn ich das könnte! Oben! Aber – weiß ich, ob ich oben noch weiß, daß ich jemals etwas wollte? Wenn nun oben Alles zu Ende geht mit mir – dann lebe ich nicht mehr – empfinde nichts mehr von der Sonne und ihren Bewunderern. Dann ist Alles aus. Ist das traurig? Ist das zu beklagen, wenns mit mir kleinem Wurm für immer zu Ende ist? Muß ich nicht froh sein, daß es mir mal vergönnt war, hineinzublicken in ein großes Weltgetriebe, das viel größer ist als alles Andere, das mir nahe kam? Und – kanns mir nicht gleich sein, wies kommt? Wenn in ein paar Stunden alles aus ist – so kann ich doch nicht dafür. Warum bin ich traurig, wenn ich denke, daß alles aus sein könnte – da oben?« Er breitete beide Arme weit aus und reckte sich hoch auf – so hoch er konnte – vierzig Meter hoch. Und er blickte hinauf zur Decke und schrie: »Ich weiß nicht, ob ich noch etwas erleben werde. Aber darum bin ich nicht traurig. Ich will lachen.« Er lachte aber abermals nicht. Langsam wurde Lesa wieder kleiner. Und als er ganz klein geworden, lächelte er und sagte: »Daß ich wieder klein wurde, finde ich lustig. Vielleicht werde ich so klein oben wie ein Quikkoïaner. Und die sind immer lustig. Sie freuen sich, solange sie sich freuen können. Warum soll ich mich nicht auch freuen? Und wenn ich n’och viel kleiner würde, – ich würde mich auch freuen. Wenn nur das Große groß bleibt. Und das bleibt doch groß. Der unendliche Raum kann nicht so klein werden wie ein Punkt. Ich aber kanns. Und daß ich das kann, ist auch etwas Großes. Jetzt muß ich doch lachen.« Und er lachte ganz leise ein wenig. Und dann lachte er immer mehr und immer lauter. Und er lachte so laut, daß die vierundvienig Wände zitterten. Und er bemerkte das. Und er lachte noch einmal laut auf und war dann ganz still. Da wars ihm so, als hörte er an allen Ecken und Enden immerzu leise lachen und kichern, und er rief: »Warum lacht Ihr auch? Lacht Ihr über mich?« Er horchte. Doch jetzt hörte er nichts mehr. Schon lange vor Anbruch des großen Morgens waren alle Pallasianer wieder hoch oben in der Turmlaterne. Und alle hatten dunkle durchsichtige Hautlappen oben an der Kopfhaut befestigt, sodaß sie die Teleskopaugen vor dem Glanz der Lichtwolke schützen konnten; während die Kopfhaut die Augen seitlich schützte, verdunkelten vorn angeheftete dunkle durchsichtige Hautstücke das grelle Licht der Wolke. Als nun die Wolke sich nach oben zog und oben wieder zu blenden begann, begaben sich alle auf die obersten Balkons des Turms, und die Stangen des letzten Stockwerks drehten sich langsam mit ihren Hautstücken ganz gleichförmig nach oben, sodaß die Stangenspitzen einen Halbkreis beschrieben. Nur Sofanti befand sich mit einigen Freunden im Innern der Laterne, um die Haut, auf der Lesabéndio saß, in der Mitte rechtzeitig zurückziehen zu können. Das ganze oberste Stockwerk mußte auch im Innern nach oben befördert werden. Sobald es oben angekommen war, riß durch einen einfachen Mechanismus die Decke in dem Raume, in dem der Lesa saß, auseinander, sodaß dieser von seiner Bodenhaut aus wie von einem Sprungtuch aus in die Höhe geschnellt werden konnte. Alles war sorgfältig vorbereitet. Das Funktionieren der mechanisch arbeitenden Wandrollen hatte man schon in den unteren Stockwerken ausgeprüft, sodaß alles im richtigen Moment klappen mußte. Keiner sprach oben ein Wort. Draußen sah man lautlos zu, wie sich die Stangen langsam und bedächtig gleichmäßig nach oben drehten. Auch Sofanti mit seinen Leuten im Innern schwieg. Und von Lesa war nichts zu hören. Als nun die Stangen immer höher kamen, sah man, daß die Wolke immer unruhiger wurde; große schwane und graue Flecke bildeten sich in der leuchtenden Masse, und sie wurde am Rande, der sonst kreisförmig wirkte, unregelmäßig. Dann bildeten sich elektrische Wirbel in den schwarzen und grauen Flecken. Die Wirbel rollten sich spiralförmig zusammen und sandten zuckende Wirbelblitze herum. Danach erschienen am Rande große blaue, rote und grüne Kugeln, die sich fabelhaft schnell drehten und sich oben abplatteten, sodaß viele fast zu Scheiben wurden. Die Erregung der Pallasianer stieg von Sekunde zu Sekunde. Und die Stangen kamen immer höher. Die schwarzen Flecke in der Lichtscheibe wurden plötzlich dunkelviolett, und die grauen Flecke wurden hellbraun. Und nun wurden die Flecke immer größer, sodaß die Wolke schließlich nur noch ein seltsames Licht ausströmte, das sich aus Hellbraun und Dunkelviolett zusammenmischte. Violette zitternde Scheinwerfer – wie Kometenschweife – schlugen nach unten und umzitterten die Spitzen der Stangen, die immer höher kamen. Lesabéndio sah von alledem nichts. Er saß ganz still. Und es wurde ganz finster in seiner Kammer. Er versuchte mehrmals, sich aufzurecken. Aber er fiel immer wieder kraftlos zurück. Er blickte jetzt nach oben und sah, daß die Decke seiner Kammer dunkelviolett leuchtete – bald heller und bald dunkler. Dann entstand draußen ein furchtbares Geschrei. Die Spitzen der Stangen berührten die Wolke, und die Wolke begann zu zittern. Ein furchtbarer Donner wurde hörbar. Und die ganze Wolke begann, an den Rändern zu blitzen. Danach gab es einen Knall. Und die Mitte der Wolke, die ganz dunkelviolett leuchtete, bekam plötzlich einen Riß, der gelb aussah und unregelmäßig wurde. Gleichzeitig berührten die Spitzen der Stangen den violetten Teil der Wolke, und diese fing an, sich zu heben und zu senken und dann immerzu auf und ab zu flattern. Lesa fühlte plötzlich, daß neue Kräfte in ihm wuchsen – er konnte sich aufrecken – immer wieder noch ein Mal – und schließlich ganz hoch – fast fünfzig Meter hoch. Und er wollte springen. Dann entstanden in der Mitte der Wolke immer mehr Risse.

Das Gelbe sandte mächtig glänzende Strahlen aus. Und die Stangen gingen in das Gelbe hinein. Und die Häute umschlossen das letzte Stockwerk – mit einem Ruck – alle Teile der Maschinen funktionierten so, wie man es gedacht hatte. Danach riß das Mittelstück der Wolke ganz und gar auseinander. Und die violetten äußeren Teile traten weit zurück, und die ganze dunkelviolette Wolke trat immer weiter zurück und bildete einen dunkelviolvtt leuchtenden, unregelmäßig gebildeten Ring. Und wo früher die Wolke war, sah man jetzt nur ein wr>gendes Lichtmeer von gelben Schlangenleibern, die auch leuchteten. Und die Pallasianer, die an den äußersten Rändern der obersten Balkons saßen, sahen, daß Lesabéndio ganz lang wie eine lange braune Stange hineinschoß – in das wogende Meer der gelben leuchtenden Schlangenleiber. Und die Schlangenleiber zitterten. Und Lesabéndio verschwand. Und ein karminroter Fleck bildete sich im Gelben und ward immer größer. Sofanti sah zuerst diesen roten Fleck.


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